Der vorliegende Fall ist ein sehr spezifischer Fall; das sehe auch ich so wie die Vorrednerinnen. Wir haben es hierbei mit einer sehr spezifischen Art der Behinderung zu tun. Die große Tragik dieser Menschen liegt darin, dass sich wohl niemand auch nur annähernd vorstellen kann, wie diese Menschen leben. Ich behaupte, dass sich auch in diesem Saal niemand vorstellen kann, wie es ist, ohne jeglichen Fernsinn zu leben, wenn es nicht möglich ist, das Fehlen des einen Sinnes durch den anderen Sinn auszugleichen. Ich denke, das Beispiel, dargestellt durch die Kollegin Zoschke, war da sehr deutlich.
Die taubblinden Menschen leben völlig ohne optische und akustische Wahrnehmung. Dies ist in diesen Fällen auch nicht durch technische Hilfsmittel ausgleichbar. Nichtsdestotrotz haben sie nicht zuletzt durch die Anerkennung der Behindertenrechtskonvention ein Recht auf Teilhabe am Leben in allen Bereichen. Dies sollte zunächst durch einen Bedarf an Assistenz ausgeglichen werden - zugegeben ein sehr hoher und spezifischer Bedarf an Assistenz, die eine Zusatzausbildung benötigt. Denn diese Menschen - ich habe versucht, es zu verdeutlichen - sind grundlegend kommunikationseingeschränkt.
Deswegen sind die Anerkennung als eigenständige Art der Behinderung und ein Eintrag in den Schwerbehindertenausweis aus unserer Sicht ein erster Schritt in Richtung adäquate Hilfe.
Neben dieser speziellen Assistenz sind Dolmetscherleistungen, beispielsweise durch qualifizierte Taubblindendolmetscher, nötig. Hilfsmittel - ich glaube, auch hierbei können wir uns noch nicht genau vorstellen, was es alles gibt - wie Blindenschriftdrucker und Vibrationswecker sind nur die Spitze des Eisberges.
Wir müssen diesen Menschen auch Zugang zu Medien verschaffen, beispielsweise zu Blindenschriftbibliotheken. Dort müssen wir Braillelesegeräte für Screenreader vorhalten. Wir müssen sie im Rahmen der Bildung, der Rehabilitation und der Förderung unterstützen.
Das alles sind zugegebenermaßen sehr hohe Ansprüche. Auch die Betroffenenverbände wissen, dass der Weg, um das alles zu erreichen, sehr lang ist.
Auch müssen wir mit den Ärzten reden. Wir brauchen in diesem Bereich mehr Fortbildung, um sowohl die Früherkennung leisten als auch den Menschen auf ihrem weiteren Lebensweg adäquat helfen zu können.
Ich denke, das, was in diesem Antrag wirklich in Rede steht, nämlich die Anerkennung der Taubblindheit als eigenständige Behinderungsart und das Merkzeichen „TBl“ im Schwerbehindertenausweis einzuführen, dürfte an dieser Stelle unstrittig sein, weil dies nicht zwangsläufig ein automatisiertes Hilfeverfahren nach sich zieht. Jedenfalls hat die Linke keines beschrieben.
Wenn wir Inklusion tatsächlich wirkungsvoll gestalten und uns ernsthaft auf diesen Weg machen wollen, müssen wir vorher wissen, auf welche besonderen Spezifika wir uns einzustellen haben.
Es ist grundlegend nötig, dass wir in der Gesellschaft insgesamt ein neues Selbstverständnis entwickeln, nämlich dass in der Tat alle Menschen,
so schwerwiegend die Behinderungen auch sein mögen, die gleichen Rechte in dieser Gesellschaft haben. Im Zweifel kann das in der Praxis bedeuten, dass man zum Beispiel auf einem Empfang auf das zweite oder dritte Glas Wein verzichtet, um das Geld für einen Gebärdendolmetscher oder Braillekommunikationsgeräte zu haben.
In diesem Sinne sehen wir diesen Antrag als einen ersten Schritt auf dem Weg zu Inklusion und werden ihm zustimmen.
Ich möchte Ihnen abschließend noch etwas sagen, Herr Minister: Ich finde es schön, dass Sie im Ausschuss dazu berichten und Hilfe erreichen wollen. Aber dann verstehe ich den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen nicht. Sie haben gesagt, Sie würden sich gerne auf diesen Weg machen. Dann hätte man aber nicht diesen Änderungsantrag einbringen müssen, sondern man müsste zumindest den Antrag der LINKEN in den Ausschuss überweisen. Dem würden wir uns nicht widersetzen.
(Beifall bei den GRÜNEN - Herr Borgwardt, CDU: Sie wollten doch direkt abstimmen las- sen! Oder habe ich das falsch verstanden?)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Der vorliegende Antrag der LINKEN beinhaltet die Forderung nach einer Bundesratsinitiative für den Personenkreis der Taubblinden. Wir sollen uns dafür einsetzen, dass die Taubblinden als Behinderte eigener Art anzuerkennen sind und in logischer Konsequenz ein eigenes Merkzeichen in den Schwerbehindertenausweis einzutragen ist. Warum wird diese Forderung der Betroffenenverbände sowie des Blinden- und Sehbehindertenverbands, die dem Antrag der LINKEN zugrunde liegt, erhoben?
Taubblind wird vom gemeinsamen Fachausschuss „Taubblind“ beim Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband durch drei Aspekte definiert, die schon erwähnt worden sind und die ich nicht noch einmal erläutern möchte. Der gravierendste Punkt dieser Definition ist der dritte Punkt, der gerade in den Amtsstuben, den Bewilligungsbehörden der unterschiedlichsten Art und in der alltäglichen Praxis noch nicht ausreichend angekommen ist.
Dieser Punkt beinhaltet den Aspekt, dass - ich zitiere - „ein natürlicher wechselseitiger, für eine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft verwertbarer Ausgleich durch Sinnesreste nicht stattfindet und auch nicht entwickelt werden kann“. Das heißt, dass Menschen, die einen ihrer Sinne einbüßen - hier: Sehen oder Hören -, durch die Schärfung
des verbleibenden Sinnes für die Teilhabe am Leben im weitesten Sinne einen gewissen Ausgleich erreichen können, aber eben nicht, wenn sie blind und taub sind.
Im Klartext: Was nützt einem Menschen, der nicht sehen kann, die Bewilligung eines elektronischen Hilfsmittels, das die Schrift in die Lautsprache übersetzt, also es ihm quasi vorliest, wenn er auch nicht hören kann?
Oder anders: Ein hochgradig Schwerhöriger, dem ein Faxgerät als Kommunikationsmittel bewilligt wird, muss das als Zynismus empfinden, wenn er blind ist.
Das sind keine Überspitzungen, meine Damen und Herren. Das sind Fälle aus der Praxis, die deutlich machen können, dass die Behindertenmerkzeichen „taub“ oder „blind“ bzw. „hochgradig seh- oder hörbehindert“ als separat erteilte Merkzeichen die Hilfebedarfe von taubblinden Menschen eben nicht adäquat widerspiegeln, aber dennoch noch immer die Grundlage für Bewilligungsentscheidungen bilden.
Die Forderung nach einem Merkzeichen im deutschen Schwerbehindertenrecht - geregelt in der Schwerbehindertenausweisverordnung von 1981 - wird in der Erklärung der EU aus dem Jahr 2004, die eine Förderung der taubblinden Menschen zur gleichberechtigten Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zum Inhalt hat, nicht erhoben. Diese Forderung wird, wie erwähnt, von den Verbänden erhoben, die die bisherige Umsetzung als unzureichend und nicht zielführend einschätzen, wie gerade dargestellt.
Erstens. Es sind verschiedene Sichtweisen und vor allen Dingen auch sehr verschiedene Einschätzungen der Lage zu verzeichnen. Dies wurde auch in den Ausführungen des Ministers deutlich.
Zweitens. Die in der Literatur zu findenden Zahlen von betroffenen Personen schwanken erheblich. So ist von 2 000 bis 6 000 die Rede. Aber auch bis zu 20 000 Betroffene werden erwähnt. Wie hoch ist hier die Dunkelziffer?
Drittens. Welche Konsequenzen soll nach Erwartung der Antragsteller die Eintragung des besonderen Merkzeichens „taubblind“ in den Behindertenausweis konkret haben? Bekanntermaßen sind die Merkzeichen mit Vergünstigungen und Rechten für die betroffenen Ausweisinhaber verbunden.
Viertens. Welche Gründe gibt es dafür, dass die Länder die Einführung eines besonderen Merkzeichens „taubblind“ bisher nicht befördert haben, und welche Position bezieht Sachsen-Anhalt dazu?
Dies sind nur einige der offenen Fragen. Deshalb halten wir es für geboten, uns im Ausschuss noch einmal umfassend mit dem Thema zu beschäftigen, bevor wir das Instrument einer Bundesratsinitiative ergreifen.
Eine letzte Anmerkung. Viele von Ihnen waren gestern Abend auf dem Empfang des Deutschen Bibliotheksverbandes. In einer sehr einprägsamen Präsentation wurden uns die Bibliotheken des Landes vorgestellt.
Sie erinnern sich vielleicht an das Bild, auf dem eine Studentin in einem hochmodernen Bibliothekssaal mit Kopfhörern vor einem riesigen Bildschirm saß. Die Unterschrift zu diesem Bild lautete: „Recherchieren mit Augen und Ohren“. Denken Sie einmal darüber nach.
Sie eilt herbei. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, ich kann zum Teil verstehen, dass Sie dafür plädieren, sich noch viel eingehender damit beschäftigen, weil die Taubblindheit tatsächlich eine Welt ist, die sich niemand von uns vorstellen kann. Das ist auch gut so, sonst wären wir nämlich Betroffene.
Aber es geht hierbei nicht darum, festzustellen, wie viele Menschen im Land Sachsen-Anhalt taubblind sind. Frau Gorr, ich habe auch die Zahl 34 gehört. Ich weiß, dass es eine kleine und beschränkte Zahl ist. Es geht mir also nicht um die Größe der Gruppe der Betroffenen, sondern es geht mir darum, dass wir das Signal aussenden, dass Betroffenen tatsächlich Hilfe gewährt wird. Das wäre dieses Merkzeichen.
Frau Dr. Späthe, mit dem Merkzeichen verbunden wäre ein ganz konkreter Leistungskatalog, der den Menschen tatsächlich bei der Teilhabe helfen kann. Auch das wäre eine Botschaft, die SachsenAnhalt aussenden könnte.
Ich wünsche mir, dass wir heute dieses Signal einfach aussenden und sagen: Wir sind auf der Seite dieser kleinen Gruppe. Es wird wahrscheinlich nicht so sein. Diese Botschaft habe ich vernommen.
Frau Lüddemann, haben Sie den Antrag gestellt, dass beide Anträge in den Ausschuss überwiesen werden?
Dann ist zunächst über den Überweisungsantrag, der natürlich beide Anträge betrifft, abzustimmen. Wer der Überweisung zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das ist die Mehrheit des Hauses. Wer stimmt dagegen? - Die Fraktion DIE LINKE. Damit sind beide Anträge in den Ausschuss überwiesen worden. Wir verlassen den Tagesordnungspunkt 13.