Protokoll der Sitzung vom 11.11.2011

Ich sage es nicht zum ersten Mal: Wir müssen schauen, was in den Strafvollzugsanstalten in Sachsen-Anhalt geschieht. Wir brauchen motiviertes, ausreichend junges Personal in den Strafvollzugsanstalten; denn Resozialisierung beginnt nicht mit dem Fuß außerhalb der Justizvollzugsanstalt, sondern schon vorher. Ich halte es für grob fahrlässig, wenn man genau das nicht beachtet.

Meine Damen und Herren! Damit bin ich am Ende meiner Ausführungen. Die Redezeit ist auch vorbei. Ich hoffe, dass Sie unserem Anliegen im Rechtsausschuss nachkommen und eine Anhörung zu diesem Staatsvertrag durchführen, auch wenn es vielleicht unüblich ist. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin von Angern. - Für die Fraktion der CDU spricht Herr Abgeordneter Borgwardt.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin Kolb hat in diesem Hohen Haus den Gesetzentwurf der Landesregierung vorgelegt und in diesem Zusammenhang bereits darauf hingewiesen, dass seit Anfang des Jahres die Möglichkeit besteht, bei Verurteilten, die nach ihrer Entlassung aus dem Straf- oder Maßregelvollzug unter Führungsaufsicht stehen, eine Maßnahme zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung, elektronische Fußfessel genannt, anzuordnen.

Die Zuständigkeit für den Gesetzesvollzug im Bereich der Führungsaufsicht liegt bei den Ländern. Es handelt sich um eine Angelegenheit der Justizverwaltung. Den Ländern obliegt es somit, die erforderlichen technischen und organisatorischen Voraussetzungen zur Überwachung des Aufenthalts bei einer gerichtlichen Anordnung zu schaffen und bereitzuhalten.

Unsere Fraktion befürwortet das gemeinsame Umsetzungskonzept der Länder mit einer gemeinsamen Überwachungsstelle in Hessen. Das ist - dazu kann man reden, wie man will - die kostengünstigste Variante.

Im Rahmen der elektronischen Aufenthaltsüberwachung können entlassene Straftäter gerichtlich verpflichtet werden, ein elektronisches Band zur Feststellung ihres Aufenthaltsortes mittels GPS zu tragen. Das Gerät kann mit Daten verschiedener Führungsauflagen programmiert werden, etwa dass bestimmte Zonen nicht verlassen oder bestimmte Bereiche nicht betreten werden dürfen. Frau Kollegin von Angern ging auf das ein, was möglich ist. Darum geht es und nicht um die Verhinderung einer Straftat. Letzteres behauptet niemand, Frau Kollegin.

Die in Hessen angesiedelte gemeinsame elektronische Überwachungsstelle der Länder hat die Aufgabe, die eingehenden Ereignismeldungen aus der elektronischen Aufenthaltsüberwachung rund um die Uhr entgegenzunehmen und zu bewerten. Notwendige Maßnahmen der zuständigen Stellen können so umgehend in die Wege geleitet werden, um auf Gefahrensituationen zu reagieren. Zugleich übernimmt die Überwachungsstelle eine wichtige Filterfunktion, um die Anzahl unnötiger Einsätze der Polizei oder der Bewährungshilfe so gering wie möglich zu halten.

Ich möchte das gar nicht weiter vertiefen; denn es ist nichts Neues. Monitoringsysteme werden bereits seit 1988, beispielsweise in den Vereinigten Staaten, angewandt. In Hessen wird die elektronische Fußfessel seit zehn Jahren im Rahmen der Bewährungskontrollen und in der Vorbereitung auf die Haftentlassung angewandt. Es ist eine finanziell attraktive Lösung. Ein Haftplatz kostet nach Angaben des Hessischen Justizministeriums ca. 100 € am Tag.

Uns stellen sich jedoch auch einige Fragen. Das System läuft über GPS. Wie genau kann der Standort tatsächlich festgestellt werden? Was ist mit Funklöchern, beispielsweise in Tiefgaragen oder Tunneln? Wie wird das System geladen, und zwar effektiv? Wie schnell ist die Kontrolle, wenn es nicht geladen wird? - Ich gehe davon aus, dass das Ministerium uns das System ausführlich vorstellen wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der gemeinsamen Überwachungsstelle können wir einen Beitrag für den Schutz der Bevölkerung vor gefährlichen Straftätern leisten. Wir möchten jedoch anmerken, dass ein vollständiger Schutz vor gefährlichen Straftätern, wie es Frau von Angern schon festgestellt hat, nur durch eine geschlossene Unterbringung zu erreichen ist und eben nicht durch die elektronische Fußfessel.

Man braucht auch einen kooperationswilligen Träger. Auch das ist ein Problem. In Fällen von unumgänglichen Entlassungen von bisher Sicherungsverwahrten ist die elektronische Fußfessel zweifelsohne ein wirksames Mittel zur Verbesserung der Überwachung und zur Entlastung unserer Polizeibeamten. Der Aufwand für den Einsatz der Polizei bei der Überwachung entlassener Sexual- und Gewaltverbrecher ist auf Dauer weder für die eingesetzten Beamten noch für den Steuerzahler hinnehmbar.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eines dürfen wir nicht glauben: Elektronische Fußfesseln können Rückfalltäter nicht davon abhalten, erneut Straftaten zu begehen. Deshalb bleibt die Sicherungsverwahrung als Ultima Ratio der Justiz unerlässlich. In der jetzt anstehenden Neukonzeption der Sicherungsverwahrung werden wir ganz besonders darauf achten, dass auch den Sicherheits

interessen der Bürger und dem Schutz potenzieller Opfer hinreichend Rechnung getragen wird.

Wir bitten um Zustimmung zur Überweisung des Entwurfs in den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der CDU, von Frau Budde, SPD, und von Herrn Erben, SPD)

Danke schön, Herr Kollege Borgwardt. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht Herr Abgeordneter Herbst.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dem Vorblatt zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung wird angeführt - Herr Borgwardt hat das in seinem Redebeitrag auch herausgestrichen -, dass der Schutz der Bevölkerung vor rückfallgefährdeten Straftätern nach ihrer Entlassung aus der Haft oder dem Maßregelvollzug mit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung weiter verbessert würde.

Ich meine jedoch, dass man doch fragen muss - wir wollen diese Frage auf einer generellen Ebene stellen und wir wollen darüber gern auch im Detail im Ausschuss diskutieren und das in einer Anhörung besprechen -: Ist es wirklich so, dass der Schutz der Bevölkerung verbessert wird? - Ich glaube, man kann einige Fragezeichen hinter die Aussagen in dem Gesetzentwurf und hinter das, was auf dem Vorblatt an Zielen geschildert wird, stellen.

Herr Borgwardt, wenn Sie davon sprechen, dass es eine kostengünstige Maßnahme sei, dann ist das gerade die Verlockung, die Versuchung, die in der elektronischen Aufenthaltsüberwachung liegt und die auch eine große Gefahr in sich birgt. Denn es kann nicht das Ziel sein, so meine ich, dass wir in Deutschland zu englischen oder amerikanischen Verhältnissen kommen. In Großbritannien befinden sich mehr als 60 000 und in den USA mehr als 100 000 Menschen in diesen Maßnahmen der Überwachung.

Herr Borgwardt, Sie haben gesagt, die Gefängnisse leerten sich dadurch. Das ist nicht richtig. Die Beispiele USA und England zeigen, dass die Gefängnisse sich nicht leeren, sondern dass sie genauso voll bleiben und dass stattdessen ein gefährlicher Graubereich zwischen Haft und Bewährungsstrafe geschaffen wird. Das wollen wir in Deutschland nicht.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN)

Unklar bleibt auch, meine sehr geehrten Damen und Herren, wie mögliche Verstöße gegen Auflagen, die sich bei einer digitalen Auswertung ergeben, geahndet werden sollen.

Unklar bleibt, wie zum Beispiel in Städten die Bewegung Betroffener in der Nähe sensibler Orte kontrolliert und gegebenenfalls sanktioniert werden soll. Das alles sind im Übrigen grundlegende rechtsstaatliche Bedenken, die es auszuräumen gilt.

Unklar bleibt des Weiteren, wie die beschriebene Echtzeitüberwachung Straftaten verhindern soll. So gibt es das von der Arbeitsgemeinschaft deutscher Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer in Hessen, wo die elektronische Fußfessel schon länger praktiziert wird, geschilderte Beispiel eines Sexualstraftäters, der in der Nachbarwohnung eine Frau angegriffen hat, ohne dass der Sender überhaupt eine Bewegungsmeldung angegeben hat.

Unklar bleibt auch, wie die fachliche Bewertung durch die gemeinsame elektronische Überwachungsstelle der Länder erfolgen soll. Handelt es sich hierbei um Vollzugsbeamte bzw. Kriminalisten oder lediglich um geschulte Angestellte der Datenverarbeitung?

Nicht beantwortet ist auch die Frage, welche Reaktionszeiten ab der Meldung durch die hessische Zentrale an die GÜL und von dort an die Landspolizei und von dort wiederum an die örtliche Polizei gelten sollen.

Über welche fachliche Ausbildung verfügen die Mitarbeiter in der GÜL? Artikel 2 des Staatsvertrages legt übrigens nahe, dass auch die Möglichkeit einer Manipulation des Überwachungsgerätes nicht ausgeschlossen wird.

(Herr Borgwardt, CDU: Das stimmt!)

Es besteht vielmehr die Gefahr, dass Sicherheitserwartungen geweckt werden, die später enttäuscht werden.

Jetzt einige Worte zu den Alternativen. Es wurde hier als völlig alternativlos dargestellt. Ich glaube, das ist es nicht. Einem Staatsvertrag kann man zustimmen oder man stimmt ihm nicht zu, wenn schwerwiegende Bedenken nicht ausgeräumt werden können. Aus dem Kreis der Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer zum Beispiel ist zu vernehmen, dass der Einsatz der elektronischen Fußfessel, gerade wenn es um Sexualstraftäter geht, eben nicht sinnvoll ist.

Insofern wäre gerade in diesem Bereich auf ein feinmaschiges Betreuungsnetz, an dem auch die Polizei mitwirkt, statt auf die digitale Technik zu setzen. So könnte viel besser eingeschätzt werden, wie viel Gefahr von einem jeweiligen Straftäter ausgeht. Dass für eine solche Betreuung kein Geld und kein Personal zur Verfügung gestellt werden soll, das stimmt uns sehr bedenklich.

Im Vorblatt zu dem Gesetzentwurf ist auch eine Alternative dargelegt. Diese hat die Frau Ministerin in ihrem Haus selbst erarbeiten lassen. Die Alternati

ve wäre, mehr Geld und mehr Personal in die Führungsaufsicht zu stecken. Natürlich kostet das Geld. Aber ich glaube, gerade dieser Bereich ist einer, der immer mit der Arbeit am Menschen und an den Menschen befasst ist. Das kann Technik nicht ersetzen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben viele Fragen, die wir gern im Ausschuss stellen möchten. Wir schließen uns der Idee einer Anhörung an, die wir auf jeden Fall unterstützen werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte schließen mit einem Satz des Kollegen Jerzy Montag, rechtspolitischer Sprecher der GRÜNEN im Bundestag:

„Die Fußfessel als Mittel der Führungsaufsicht ist kein Sicherheits-Navi für die Bürgerinnen und Bürger, sondern lediglich ein digitaler Klotz am Bein der Ex-Häftlinge.“

Dieser Satz sollte uns zu denken geben, meine Damen und Herren. - Vielen Dank.

(Zustimmung von Frau Lüddemann, GRÜ- NE)

Vielen Dank, Herr Kollege Herbst. - Für die Fraktion der SPD spricht nun Herr Abgeordneter Dr. Brachmann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! So etwas wie die elektronische Fußfessel wurde vor 30 Jahren in Florida erfunden - aus Kostengründen. Straftäter per elektronischen Möglichkeiten zu überwachen ist billiger, als sie in eine Zelle zu sperren. Das ist vermeintlich auch eine Erklärung dafür - die Zahlen sind von Herrn Herbst genannt worden -, weshalb jedenfalls in den USA viele Straftäter - die Zahl wird mit 100 000 angegeben, in England sollen es 60 000 sein - ein solches Ding haben, zuletzt auch - berühmt - Strauß-Kahn. Bei ihm wurde die Untersuchungshaft ausgesetzt; denn er hat Geld auf den Tisch gelegt; man wollte dadurch gewissermaßen auch fiskalisch das eine oder andere erreichen.

Aber es gibt auch Erfahrungen in Frankreich, in Schweden und in den Niederlanden mit der elektronischen Fußfessel. Und auch in Deutschland hat es die elektronische Überwachung als elektronisch überwachten Hausarrest bislang gegeben, und zwar in Hessen. Dort hat es seit dem Jahr 2000 eine Art Feldversuch gegeben, und zwar vor allem zur Haftvermeidung, also um kurze Freiheitsstrafen nicht in der üblichen Form zu vollziehen oder auch um eine Strafaussetzung auf Bewährung zu ermöglichen.

Das ist in Hessen - Herr Borgwardt ist schon darauf eingegangen - positiv evaluiert worden, auch aus Kostengründen. Ein Hafttag kostet 100 €; diese Zahl ist genannt worden. Mit der elektronischen Fußfessel kostet ein Tag nicht einmal ein Drittel davon.

Es hat auch wissenschaftliche Begleitforschungen vom Max-Planck-Institut dazu gegeben. Auch dort ist man zu einer vorsichtig-positiven Einschätzung gelangt, wenn es darum geht, die Haft zu vermeiden, also diejenigen nicht einzusperren, sondern die Resozialisierung zu befördern. Das war, wenn man so will, bislang die „Fußfessel light“, besser bekannt, wie gesagt, als elektronisch überwachter Hausarrest.

Aber künftig - das ist das Problem, um das es heute geht - soll es um ein anderes Kaliber gehen. Mit dem Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung wurde auch die Möglichkeit geschaffen - Frau Ministerin hat darauf hingewiesen -, gefährlichen Tätern, die nach ihrer regulären Haftzeit bislang in der Sicherungsverwahrung gelandet wären, nunmehr eine elektronische Fußfessel umzuhängen.

Daran regt sich Kritik. Frau von Angern hat die Polizeigewerkschaft zitiert; „riskante Beruhigungspille“, so heißt es dort. Es stellt sich in der Tat die Frage - auch das ist heute vorgetragen worden -, ob das überhaupt ein wirksames Mittel sei, um bei potenziellen Wiederholungstätern entsprechende Straftaten zu verhindern. Auch ich meine, an der Kritik ist etwas dran.

Aber sei es, wie es sei; der Bundesgesetzgeber hat diese Möglichkeit geschaffen. Wir haben gehört: Bundesweit gibt es bislang fünf Fälle. Gleichwohl sind die Länder in der Pflicht, die tatsächlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass dieses Instrument angewandt werden kann.

Es wäre töricht, wenn wir auf die Idee kämen, für das Land Sachsen-Anhalt so etwas wie eine eigene Überwachungsstelle zu schaffen. Vielmehr macht es Sinn, diese bundeseinheitlich und anknüpfend an die hessischen Erfahrungen - Hessen hat sich dazu bereit erklärt - vorzuhalten.

Mit Blick auf die Kritiken und Bedenken bin ich dafür, Frau von Angern, dass wir zu dieser Thematik eine Anhörung durchführen. Wir werden aber nicht umhinkommen - das sage ich bereits jetzt -, diesem Staatsvertrag aus den genannten Gründen zuzustimmen.

Eine abschließende Bemerkung. Frau von Angern, da bin ich bei Ihnen: Die Fußfessel kann für die Frage, wie wir künftig mit ehemaligen Strafgefangenen und vermeintlich von ihnen ausgehenden Gefahren umgehen, nicht die Lösung sein. Die Probleme, die wir gestern und auch schon in der letzten Landtagssitzung erörtert haben, was Insel betrifft, hätten wir genauso diskutiert, wenn die