Protokoll der Sitzung vom 15.12.2011

„Herr Staatssekretär, ich habe eine Frage zum September 1980. Sie erinnern sich: Das Oktoberfestattentat wurde zuerst als die Tat eines Einzelnen niedergebügelt. Meine Frage ist: Kommt es jetzt zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens und wird der Generalbundesanwalt die Ermittlungen führen?“

Antwort von Herrn Dr. Schröder:

„Das ist Sache des Generalbundesanwalts. Dazu kann ich keine Auskünfte geben. Denn solche Verfahren werden in einem Rechtsstaat nicht von den Polizeien, sondern von den Staatsanwaltschaften geführt.“

(Herr Leimbach, CDU: Was ist daran falsch?)

Diese Antwort hätte sich der Bundestagsabgeordnete mit Sicherheit selbst geben können.

Interessant auch die folgende Frage des Abgeordneten Herrn Petermann von der Fraktion DIE LINKE:

„Seit wann gibt es keine eigenständige Abteilung zum Thema Rechtsextremismus im Bundesamt für Verfassungsschutz mehr und was waren die Gründe für diese Entscheidung? Welche Landesämter, die nach der Gesetzeslage zur Zusammenarbeit mit dem BfV verpflichtet sind, sind dem organisatorischen Beispiel des Bundes gefolgt?“

Das ist eine sehr interessante Frage, insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse. Die Antwort oder besser gesagt die Nichtantwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Herrn Schröder dazu lautete wie folgt:

„Im Jahr 2006 wurde im Rahmen der Optimierung organisationsinterner Abläufe eine Änderung der Organisationsstruktur des Bundesamtes für Verfassungsschutz im nachgefragten Sinn vorgenommen. Die Bundesregierung nimmt zu aufbauorganisatorischen Fragen der Landesämter für Verfassungsschutz keine Stellung.“

(Herr Leimbach, CDU: Ja!)

Wenn das der Bundesinnenminister unter konsequenter Aufklärung versteht, dann haben wir wohl sehr unterschiedliche Auffassungen davon.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN - Herr Schröder, CDU: Zu Recht!)

Die Ermittlungsbehörden erwarten - und das zu Recht - Unterstützung durch die Öffentlichkeit. So wurde mit Beschluss vom 24. November 2011 eine Öffentlichkeitsfahndung ausgeschrieben. Der Chef des BKA erklärte dazu, es werde eine Aufklärung bis in die Wurzeln geben. Dann aber hat letztlich auch die Öffentlichkeit ein Recht auf umfassende Informationen und es darf kein Verstecken hinter vermeintlichen Dienstgeheimnissen geben.

Meine Damen und Herren! Bundesinnenminister Friedrich räumte Fahndungs- und Ermittlungspannen ein. Aber war es wirklich nur eine Panne, dass die geplante Festnahme des Neonazitrios Ende der 90er-Jahre in letzter Minute durch Zurückbeordern des SEK gestoppt wurde? - Es war ein fataler Fehler, der die nachfolgenden Opfer das Leben kostete.

Wir begrüßen an dieser Stelle außerordentlich, dass sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene Altfälle mit rechtsextremistischem Hintergrund, aber auch unklare Gewaltverbrechen aufgearbeitet werden sollen. Das sind wir den Opfern schuldig.

(Beifall bei der LINKEN)

Für uns ist es jedoch bis heute nicht erklärbar und nicht nachvollziehbar, dass niemand Zusammenhänge zwischen den einzelnen Mordtaten hergestellt hat. Noch fragwürdiger ist, dass einzelne Morde in keinem Bundesland aufgeklärt wurden. - Ist das Zufall?

(Zuruf von Herrn Leimbach, CDU)

Umso erstaunter ist man nun, dass jeden Tag neue Ermittlungserfolge gemeldet werden. Warum ist man plötzlich in der Lage, Zusammenhänge zwischen rechtsextremen Strukturen und der NPD herzustellen? Warum können jetzt Unterstützer ermittelt werden? Wurde all das wirklich erst jetzt bekannt? Oder schlummerte das Material schon irgendwo in den Schubkästen? - Fragen über Fragen.

In der ARD-Sendung „Tagesthemen“ wurde der Bundesinnenminister gefragt, ob Politik und Ermittlungsbehörden auf dem rechten Auge blind sind. Diese Frage wurde vehement verneint.

Aber sie ist nicht so einfach zu verneinen. Zu viele Anhaltspunkte sprechen dafür, dass es so ist, zum Beispiel die unterschiedlichen Einordnungen von Gewaltdelikten. Die Bundesregierung zählte bis heute 48 Tötungsdelikte mit rechter Tatmotivation und beruft sich dabei auf die Angaben der Landeskriminalämter.

Die „Zeit“ und der „Tagesspiegel“ veröffentlichten im September 2010 eine Chronik mit mindestens 138 Todesopfern. Zählt man die zehn jüngst bekannt gewordenen Opfer hinzu, so kommt man auf mindestens 148 Todesopfer, die seit dem Jahr 1990 von Rechtsextremen ermordet wurden. Das ist eine beschämende Aussage für Deutschland.

Auch in Sachsen-Anhalt machte ein Untersuchungsausschuss deutlich, dass es Schwierigkeiten mit der Zählweise und Einordnung rechtsextremer Straftaten gab.

Ein entsprechender Untersuchungsausschuss zu dieser Problematik könnte auf Antrag der Oppositionsfraktionen bald im Deutschen Bundestag gebildet werden, da die vom Bundesinnenministerium berufene Untersuchungskommission aufgrund ihrer Zusammensetzung nicht geeignet ist, Licht ins Dunkel zu bringen. In dieser Untersuchungskommission sollen gerade die Leute zusammenarbeiten, die für die Pannen - wenn man das so nennen darf - in den letzten Jahren Verantwortung getragen haben.

Das erhärtet wiederum den Verdacht, dass man an einer lückenlosen, öffentlichen und nachvollziehbaren Aufklärung nicht interessiert ist.

Wir brauchen nicht in erster Linie eine neue Datei, sondern ein Umdenken bei den Sicherheitsbehörden, die fixiert waren und sind auf die Bekämpfung von Islamisten und angeblichen Linksextremisten und die Neonazis rechts liegen ließen.

(Herr Kolze, CDU: Nicht angeblich!)

Damit werden diejenigen kriminalisiert, die sich tagtäglich gegen Rechtsextremismus engagieren und nicht selten durch Neonazis bedroht und verunglimpft werden, wie in jüngster Vergangenheit in Gröbzig.

Solange Verfassungsschützer und Polizisten rechte Straftaten nicht als solche erkennen oder erkennen wollen, wird auch eine neue Datei nicht helfen, die Macht der Neonazis zu schwächen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Ja, auch wir sind für ein NPD-Verbot. Gründe dafür gibt es genug. In vielem können wir dem zustimmen, was auf der IMK beschlossen wurde. Aber wie ernst meint man es mit diesem Vorstoß wirklich, wenn unter Punkt 5 des Beschlusses der IMK Folgendes ausgeführt wird:

„Um die Gefahren, die von rechtsextremistischen Personenzusammenschlüssen und Parteien ausgehen, erkennen und bewerten zu können, ist es erforderlich, dass die Sicherheitsbehörden über Informationen aus dem Innern dieser Organisationen, unter anderem auch durch V-Personen, verfügen.“

Allen dürfte doch wohl bekannt sein, dass ein Verbot der NPD ohne die Abschaltung der V-Leute in

den Führungsgremien nicht zu haben ist. Wer das eine will, ohne das andere zu lassen, praktiziert wirkungslosen Populismus. Und niemand sollte glauben, dass Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Antiislamismus mit dem Verbot der NPD aus dem Alltag verschwinden. All das ist bereits in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen.

Wenn Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, es wirklich ernst meinen mit ihrem Kampf gegen den Rechtsextremismus, dann schaffen Sie zuallererst die unsinnige Extremismusklausel ab.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN - Zustimmung bei der SPD)

Und gestalten Sie die Förderpraxis so, dass die, die tagtäglich mit viel Mut und Engagement gegen rechts aktiv sind, auskömmlich und vor allem planungssicher finanziert werden, und widersprechen Sie allen Kürzungsabsichten, ob beim Bund oder hier im Land.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Zu lange wurde in Deutschland die Gefahr des Rechtsterrorismus verharmlost, kleingeredet und ignoriert. Unser gemeinsamer Antrag ist ein richtiger und wichtiger Schritt, um dem entgegenzutreten. Wir sind es den Opfern schuldig, dass alle Taten schonungslos aufgeklärt werden, dass alle Verantwortlichen benannt werden und dass ehrliche und konsequente Schlussfolgerungen gezogen werden, damit diese Menschen nicht ein zweites Mal sterben.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Frau Budde SPD)

Als Nächste spricht die Vorsitzende der Fraktion der SPD Frau Budde.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der 4. November 2011 war sicherlich ein Schock. Das, was einige schon immer geahnt hatten und viele täglich erlebt hatten, wurde für alle harte Gewissheit: Der Terrorismus von rechts ist eine nicht mehr zu leugnende, unumstößliche Tatsache. Die Morde der drei Nazis und ihrer Handlanger sind schon als Einzeltaten erschütternd, als politische Mordserie bekommen sie jedoch noch eine andere Dimension.

Die Mordserie der Zwickauer Terrorzelle zeigt überdeutlich, dass Rechtsextremisten zu jeder Form von Gewalt, bis hin zu Terrorismus, bereit sind, um ihre menschenverachtenden Ziele durchzusetzen. Der Staat und seine Sicherheitsbehörden sind aufgefordert, diese Gruppen ernst zu nehmen und mit

allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen sie vorzugehen.

Ich hoffe, dass diese Taten endlich auch all denen die Augen öffnen, die rechtsextremistische Gefahren mit dem Verweis auf linke Verfassungsfeinde zu relativieren versuchen. Der größte Feind unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung steht rechts, nicht nur ideologisch, sondern auch physisch und tatsächlich.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Das Opfer dieses rechten Terrors ist nicht nur die Demokratie als abstraktes Ideal unserer Gesellschaft. Die Opfer sind ganz reale Menschen aus unserer Mitte. Es sind Menschen, die nicht den kruden Rassenvorstellungen dieser Nazibande entsprechen. Es sind Menschen mit Migrationshintergrund, die denen, die sie ermordet haben, als Ausländer galten. Es sind Menschen, die in ein freies Land gekommen waren, die aber Hass, Mord und Tod gefunden haben.

Wir stehen immer wieder mit Fassungslosigkeit, mit Entsetzen und mit Scham vor den Taten. Wir sehen auch mit Wut auf die Taten dieses braunen Mobs, der unter unser aller Augen eine bestialische Mordserie plante, verübte und am Ende dann auch noch feierte. Das ist der Gipfel von allem: Er feierte es in seinen Foren im Internet.

Wer feiert, wenn Menschen auf eine solch hinterhältige und bestialische Weise getötet werden, der demonstriert nicht nur, dass er außerhalb dieser Gesellschaft steht, sondern der zeigt auch, dass er eines verloren hat, nämlich seine eigene Menschlichkeit.

Die Taten und ihre Verherrlichung erinnern uns auf erschreckende Art und Weise an eine Zeit, in der solche Verbrechen nicht nur die Taten einiger, sondern grausame Staatsdoktrin waren. Wer heute von Werten, von Freiheit und Demokratie spricht, der darf nicht vergessen, womit die erste deutsche Republik endete und woraus die Republik von Bonn und Berlin erwuchs.

Lassen Sie mich dies mit einer kurzen Schilderung ins Gedächtnis rufen.