Protokoll der Sitzung vom 12.05.2011

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Jobcenter sind zurzeit mit der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets im SGB II

befasst. Dabei bleiben sowohl für Betroffene als auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Verwaltungen viele rechtliche Fragen ungeklärt.

Ich frage die Landesregierung:

1. Wie soll das Problem des im Schulgesetz für die Sekundarstufe II vorgesehenen Eigenanteils der Eltern an den Kosten der Schülerbeförderung von 100 € für die Leistungsberechtigten im SGB II vor dem Hintergrund des Bildungs- und Teilhabepakets gelöst werden?

2. Wie soll mit dem Grundsatz umgegangen werden, dass die Kosten für eine warme Mittagsmahlzeit, die einen Euro übersteigen, von der Grundsicherungsstelle „in der Schulzeit“ übernommen werden können? Was bedeutet dieser Grundsatz für das Mittagessen in der Schule während der Ferienzeiten?

Frau Kollegin, herzlichen Dank für die Frage. - Es antwortet der Minister für Arbeit und Soziales Norbert Bischoff.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antwort, die ich für die Landesregierung abgebe, bezüglich der Anfrage der Abgeordneten Sabine Dirlich möchte ich etwas voranstellen.

Für die Leistungserbringung infolge des Bundesgesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und des Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches sind in SachsenAnhalt die Landkreise und kreisfreien Städte verantwortlich - so ist es geregelt -, die ihrerseits natürlich vom Land beaufsichtigt werden.

Aufgrund der Kürze der Zeit sind die Strukturen noch nicht so aufgebaut, wie wir es uns vorgestellt haben. Die Frist ist noch einmal verlängert worden. Aber wegen der Neuartigkeit der Leistungen ist davon auszugehen, dass sich im Detail künftig auch noch Rechtsfragen ergeben werden, zu deren Klärung die Landesregierung gern beitragen wird.

Nun zur ersten Frage. Die Landesregierung geht von der Formulierung in § 28 Abs. 4 SGB II aus. Danach werden - Zitat - „die erforderlichen tatsächlichen Aufwendungen berücksichtigt, soweit sie nicht von Dritten übernommen werden und es der leistungsberechtigten Person nicht zugemutet werden kann, die Aufwendungen aus dem Regelsatz zu bestreiten.“

Im Regelbedarf ist derzeit für Verkehr ein Betrag in Höhe von 12,62 € monatlich für Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren und ab Vollendung des 18. Lebensjahres in Höhe von 18,22 € monatlich vorgesehen. Dieser Betrag überschreitet den nach dem Schulgesetz verbleibenden Eigenbetrag in

Höhe von 100 € jährlich, sodass es zumutbar ist, den Eigenbetrag aus dem Regelsatz zu bestreiten. Eine Notwendigkeit der Übernahme des Eigenbetrages durch das Jobcenter ist mithin nicht ersichtlich.

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU)

Zur zweiten Frage. Sinn und Zweck der Übernahme von Mehrkosten des Schulmittagessens ist es, auch den Kindern und Jugendlichen aus hilfebedürftigen Familien die Teilnahme an einer gemeinschaftlichen Verpflegung zu ermöglichen, um soziale Ausgrenzung und gegebenenfalls damit verbunden die Minderung des schulischen Erfolges zu verhindern.

Die Regelung trägt dabei auch dem Umstand Rechnung, dass das Schulmittagessen häufig teurer ist als der im Regelbedarf dafür vorgesehene Anteil. Damit die Teilnahme am gemeinschaftlichen Schulmittagessen, das unter anderem auch eine sozial-integrative Funktion erfüllt, nicht aus finanziellen Gründen scheitert, besteht ein Anspruch auf die Übernahme der Mehrkosten.

Die Landesregierung geht davon aus, dass ein Mittagessen in schulischer Verantwortung nur in Ausnahmefällen außerhalb der Schulzeit und auch nur dann angeboten wird, wenn durch die Schule außer der Bereitstellung des Mittagessens in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang weitere Gruppeangebote innerhalb der Ferienzeit bereitgehalten werden.

In diesen Fällen hält es die Landesregierung für zulässig, auch die Kosten für das in schulischer Verantwortung angebotene gemeinschaftliche Mittagessen abzüglich des Eigenanteils im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaketes zu übernehmen. Eine andere Auslegung des Gesetzes würde dazu führen, dass die betroffenen Kinder und Jugendlichen während des Ferienzeitraumes einem unnötigen Ausgrenzungsrisiko ausgesetzt wären.

(Zustimmung bei der CDU)

Herzlichen Dank, Herr Minister. Nachfragen gibt es nicht.

Wir kommen somit zu Frage 6. Das Wort hat der Abgeordnete Herr Grünert von der Fraktion DIE LINKE. Die Frage betrifft die Fortschreibung des Finanzausgleichsgesetzes für das Jahr 2012.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ursprünglich beabsichtigte die alte Landesregierung, zum 1. Januar 2012 ein neues Finanzausgleichsgesetz zu erarbeiten. Im Koalitionsvertrag vom 13. April 2011 wird nun dagegen ausgeführt, dass es für das Jahr 2012 dem Grunde nach nur fortgeschrieben werden soll.

Ich frage die Landesregierung:

1. Worin bestehen für die Landesregierung neben dem Argument der Gemeindegebietsreform die Hauptgründe, das Finanzausgleichsgesetz dem Grunde nach fortzuschreiben, welche rechtlichen Grundlagen sollen dafür herangezogen werden und warum wird neben der Arbeitsgruppe, bestehend aus den Ministerien und den kommunalen Spitzenverbänden, ein zusätzliches Gutachten benötigt?

2. Will die Landesregierung im Rahmen der angekündigten Fortschreibung des Finanzausgleichsgesetzes eine verfassungskonforme Finanzausgleichsumlage gesetzlich verankern und welche Erwartungen knüpft sie an die verfassungsrechtliche Überprüfung der Stadt-Umland-Umlage in Mecklenburg-Vorpommern hinsichtlich der notwendigen Neugestaltung des Finanzausgleichsgesetzes in Sachsen-Anhalt?

Herzlichen Dank, Herr Kollege. - Die Antwort der Landesregierung wird vom Minister der Finanzen Jens Bullerjahn erteilt.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Artikel 88 der Verfassung sind wir gehalten, den Kommunen ausreichende Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, damit sie ihre Aufgaben erfüllen können. Diese Diskussion führe ich seit fast 20 Jahren. Ich möchte den Tag erleben, an dem alle sagen: Es ist ausreichend. - Ich glaube aber, dass das ein Spannungsfeld ist, das eine solche Antwort wahrscheinlich nie hervorbringen wird. Das ist auch vernünftig.

Die Finanzkraft der Kommunen ist sehr unterschiedlich. Das wird oft von denen verschwiegen, die mit Kommunalfinanzen nicht sehr viel zu tun haben. Das beginnt meist schon bei den Größenklassen zwischen den kreisfreien Städten wie bei den Landkreisen und den kreisangehörigen Gemeinden. Dafür gibt es aber Mittel, die die Steuerkraftmesszahlen ausgleichen, bis hin zu der Maßnahme - das ist bei dem letzten FAG vernünftig gemacht worden, denke ich -, in Dreijahresschritten bestimmte Übergänge durch zusätzliches Geld des Landes zu unterstützen.

Im Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2006 wurde aufgrund verschiedener neuer gesetzlicher Regelungen - ich erinnere nur an das Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofes - umgestellt, übrigens damals zu einer Zeit, in der die Kommunen in der Krise bei der Umstellung, glaube ich, Gewinner waren - nicht vom System her, aber auf alle Fälle vom Betrag her.

Dass das immer noch Fragen aufwerfen wird, war klar. Aber dass die beiden Koalitionsfraktionen sa

gen, dass das im Grunde fortzuschreiben sei, zeigt auch, dass beide Fraktionen - ich denke, mittlerweile auch viele auf der kommunalen Ebene - davon überzeugt sind, dass das FAG in seiner neuen Form gar nicht so schlecht ist, wie es immer von anderen gemacht wird, und eine sehr verlässliche Finanzierung darstellt.

Wir haben jetzt aber auch festgestellt, dass wir eine bestimmte Zeit benötigen, um die Kostentransparenz herzustellen. Ich möchte ergänzend mitteilen, dass es eine Arbeitsgruppe bei Finanzminister Schäuble zum Thema Gemeindefinanzreform gibt. Wir haben einige Kostenbestandteile, die auf den Bund übergehen sollen und die gerade unsere Kommunen erheblich belasten. Das alles ist in der Meinungsbildung und wird am Ende ein Ergebnis haben. Gerade die Diskussion zu der Doppik/Kameralistik und zu der Frage der Darstellung, meine ich, muss einmal in einem Gutachten hinterfragt werden, und selbstverständlich muss auch die Auskömmlichkeit diskutiert werden.

Ich habe ein Schreiben von den Spitzenverbänden mit folgendem Inhalt bekommen: Herr Bullerjahn, wir gratulieren Ihnen. Wir wünschen Ihnen Unterstützung und hoffen, dass Sie den Haushalt in Ordnung bringen. Punkt zwei: Wir brauchen 300 Millionen € mehr. - Derartige Schreiben habe ich schon öfter bekommen. Aber so wird es nicht funktionieren.

Wenn bei einem solchen Gutachten festgestellt werden würde - da gibt es beim KiFöG und bei anderen Gesetzen Möglichkeiten -, dass die Mittel nicht ausreichend sind, dann stellt sich nicht nur die Frage, ob wir mehr Geld zur Verfügung stellen, sondern auch die Frage, ob wir die Gesetze einfacher und vielleicht weniger kostenträchtig machen.

Das alles muss anlässlich eines solchen Gutachtens besprochen und beraten werden. Die Zeit wird aber nicht ausreichen, das alles bis zum Haushalt ordnungsgemäß hinzubekommen. Insofern finde ich die Regelung, das Gesetz jetzt dem Grunde nach fortzuschreiben, völlig richtig. Über die Feinheiten ist dann sicherlich während der Haushaltsberatungen zu sprechen.

Zu Frage 2. Eine Finanzausgleichsumlage ist nicht beabsichtigt. Ich habe zum Thema Oberzentren mitdiskutiert. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es einige sinnvolle Regelungen. Jetzt soll geprüft werden, wie durch konkrete Maßnahmen das Thema Oberzentren und deren Mehraufwand in SachsenAnhalt aufgegriffen werden kann, ohne gesetzlich alles auf den Kopf zu stellen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Es gibt eine Nachfrage. Möchten Sie diese beantworten? - Herr Kollege Grünert.

Herr Minister, ich hatte mir eigentlich erhofft, mehr Details zu erfahren. Aber diese werden wir sicherlich zu gegebener Zeit bekommen. Ich hätte trotzdem eine Nachfrage, weil Sie gerade das Gerichtsurteil aus Thüringen erwähnt haben:

Wie will die Landesregierung der Tatsache Rechnung tragen, dass hinsichtlich der kommunalen Finanzausstattung die freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben im Verhältnis zu den Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises und den Pflichtaufgaben des eigenen Wirkungskreises gleichwertig zu behandeln sind? Der Punkt ist, dass das Thüringer Urteil besagt: Für Selbstverwaltungsaufgaben im freiwilligen Bereich sind zwischen 5 und 10 % des Haushaltsvolumens bereitzustellen.

Was immer verschwiegen wird, übrigens auch in Ihren Debatten, ist, dass es kein Recht der Kommunen gibt, zum Beispiel bei Steuermindereinnahmen besser behandelt zu werden als das Land selbst.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Das heißt, es muss eine Ausgewogenheit hergestellt werden zwischen den Möglichkeiten des Landes und der Kommunen unter dem Aspekt, dass der Landesgesetzgeber die Aufgaben den Kommunen gesetzlich überträgt. Das heißt, er muss das dann berücksichtigen.

Bezüglich der Frage der Freiwilligkeit und der Investitionen ist die Diskussion doch schon lange weiter. Zu vielem, was heute von den Kommunen gemacht wird, steht gar nicht mehr in Rede, ob es eine freiwillige Aufgabe ist - ähnlich wie Kultur kein weicher Standortfaktor mehr ist. Mittlerweile ist die Wertschöpfung bei der Kultur in bestimmten Bereichen fast größer als durch Wirtschaftsansiedlungen.

All diese Diskussionen muss man offen führen, aber - das sage ich ganz klar - unter dem Aspekt, dass wir in den nächsten Jahren keine neuen Schulden aufnehmen können. Denn es nützt niemandem, jetzt festzustellen, dass wir vielleicht für die Aufgaben 400 Millionen € mehr brauchten, aber niemand, gerade Sie nicht, wird mir sagen, woher dieses Geld kommen soll.

Ich glaube, den Kommunen ist mehr damit geholfen zu sagen - so habe ich viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister erlebt -: Wenn es nicht mehr Geld gibt, was nicht die Schuld der Innenpolitik, sondern der selbstgewählten Rahmenbedingen ist, dann sagt uns auch, wo wir in Zukunft Aufgaben vor Ort vielleicht leichter oder anders erfüllen können. - Diese Diskussion finde ich richtig. Sie ist im Zusammenhang mit dem letzten FAG unter Herrn Hövelmann schon lange begonnen worden. - Schönen Dank.

Herr Minister, es gibt noch eine zweite Anfrage. Nach der Geschäftsordnung ist das möglich. Herr Kollege Weihrich, Fraktion GRÜNE.

Herr Minister, mich würde interessieren, wann geplant ist, das FAG vollständig aufgabenbezogen umzustellen, also die Zuweisungen an die Kommunen vollständig aufgabenbezogen - entsprechend den Ergebnissen, die die Finanzstrukturkommission in der letzten Wahlperiode vorgelegt hat - zu berechnen.

Wir werden mit dem Haushalt neben vielen anderen Dingen in einem Haushaltsbegleitgesetz als Landesregierung eine Stellungnahme zum FAG abgeben müssen. Das hat der Gesetzgeber uns aufgetragen. Die Festlegung ist kein völlig überarbeitetes FAG. Das Gutachten selbst - ich muss noch mit dem Innenminister reden, wann wir das gemeinsam in Auftrag geben werden - wird aber seine Zeit dauern.

Ich denke, dass im nächsten Jahr die Möglichkeit bestehen wird, mit diesen Themen hier sehr offensiv umzugehen, sodass im nächsten Landeshaushalt die Konsequenz gezogen werden muss. Bis dahin gilt der Doppelhaushalt. Sollte zwischendurch seitens des Parlaments etwas anders gesehen werden, gibt es auch da haushalterische Möglichkeiten. Auch für mich ist dieser Fahrplan erst einmal wichtig: Kenntnisnahme der jetzigen Diskussion, Einflussnahme auf den Haushalt, ausführliche Diskussion im nächsten Jahr.

Herzlichen Dank. - Frau Dr. Klein hat noch eine kleine Nachfrage.

Herr Minister, ich gehe davon aus, dass wir wieder einen Doppelhaushalt bekommen. So hatten Sie es zumindest gesagt.