Protokoll der Sitzung vom 20.09.2012

Eine verallgemeinernde Bewertung der Zahlen hinsichtlich der Tendenzen ist schwierig, weil die Dimensionen sehr klein sind. Dennoch kommen wir zu Annahmen, die stärker beachtet werden müssen. Einerseits zeigt sich, dass noch immer viel zu wenige Anspruchsberechtigte vom persönlichen Budget Gebrauch machen. Die Gründe dafür lassen sich an dieser Stelle nur vermuten. Sie umfassen wahrscheinlich das gesamte Spektrum von Unwissenheit über Bürokratiefrust bis hin zu allgemeinen Hemmschwellen.

Aus den Statistiken ist allerdings auch abzulesen, dass es in bestimmten Regionen anscheinend sehr engagierte Beraterinnen und Anbieter von Leistungen geben muss, die die Menschen mit Behinderungen ermutigen, neue Wege zu gehen. Dafür danke ich. Diese Erfahrungen sollten genauer ausgewertet werden.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Einer der Gründe für die geringe Nutzung des persönlichen Budgets könnte in der Antwort auf die Frage 17 unter Abschnitt I nach der Höhe der bewilligten Teilbudgets für Bildung, Freizeit und psychosoziale Hilfen zu finden sein. Die Tabelle mit den maximalen und minimalen Teilsummen zeugt von einer gewissen Absurdität bei der Vergabe von Pauschalen. Was soll ein Mensch mit monatlich 1,68 € für die Hilfe bei der Erlangung von Bildung anfangen?

(Frau Dr. Klein, DIE LINKE: Einen Bleistift kaufen!)

Die von Ihnen angegebene Durchschnittssumme für diesen Leistungsbereich beträgt 17,13 €. Auch das ist für eine monatliche Leistung, gelinde gesagt, sehr fragwürdig.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Unklar ist auch, warum Personen, die aus stationären Einrichtungen ausgezogen sind, keinen Teilhabebedarf mehr außerhalb der Werkstätten für behinderte Menschen oder des ambulant betreuten Wohnens haben. Chancengleichheit sieht anders aus.

(Zustimmung bei der LINKEN)

In der Werkstatt für behinderte Menschen wird der Bedarf an Arbeit und Beschäftigung gedeckt. Gesellschaftliche Teilhabe ist doch wohl mehr.

Dass in der Beantwortung keine Angaben über die Bearbeitungszeiten gemacht werden können, ist angesichts der Tatsache, dass es darüber gesetzliche Regelungen gibt, mehr als verwunderlich.

Auch über Leistungsangebote und Infrastruktur sollte der Sozialhilfeträger Auskunft geben können, da die Hilfegewährung eine Pflichtaufgabe ist. Auch die Auflösung des sogenannten Dreiecksverhältnisses befreit davon nicht.

Vor allem unter dem Aspekt, dass man ambulante Versorgungsformen und das persönliche Budget befördern will, sollte das Land über Angebotsstrukturen und deren Kosten informiert sein. Während in der Antwort auf die Frage 2 unter Abschnitt II keine verlässlichen Aussagen angeboten werden, wird in der Antwort auf die Frage 3 unter Abschnitt II auf eine gut ausgebaute Infrastruktur verwiesen. Jeder möge sich selbst etwas dabei denken.

Damit sind allerdings wohl nur die Angebote an verlässlich finanzierten, vorwiegend stationären oder teilstationären Einrichtungen gemeint. Die Angebote etablierter Einrichtungsträger werden, wenn überhaupt, zu Preisen erfolgen, die man mit den Pauschalen nicht abdecken kann.

Vom Kostenträger wird wohl auch erwartet, dass die Leistungen, die Familie und Freunde erbringen, eher umsonst, im Sinne von kostenfrei erbracht werden.

Auch die Praxis der Budgetberatungen in den Ämtern erweist sich nicht unbedingt als hilfreich. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellen vor allem bei Menschen mit hohem Hilfebedarf immer wieder auf stationäre Versorgungsformen ab. Auf die Frage 2.6 nach der Qualität der Leistungsangebote mit einem Hinweis auf Wettbewerbsbedingungen abzuheben, ist für die Budgetnehmer völlig unrealistisch, weil sie mit den von der Sozialagentur vorgegebenen Pauschalen ohnehin nicht wettbewerbsfähig sind. Sie sind nicht auskömmlich. Es ist die grundsätzliche Frage aufzuwerfen, ob die

Leistung nach gleichen Qualitätsgrundsätzen wie stationär überhaupt erbracht werden kann.

Wie wollen wir die erforderliche Qualität der Betreuung und Assistenz überhaupt sichern, wenn wir keine Fachleistungsstunden innerhalb der Finanzierung des persönlichen Budgets zulassen?

Allerdings hat die Frage 2.7 anscheinend jemand anderes beantwortet als die Frage 3.2. Dort geht man nämlich davon aus, dass bestimmte Leistungen wegen ihrer Qualität nur von Fachkräften erbracht und deshalb abgerechnet werden müssen. Dieser Widerspruch sollte umgehend geklärt werden, und zwar zugunsten der Leistungsberechtigten und der Einbeziehung von Fachleistungen in das Persönliche Budget,

(Zustimmung bei der LINKEN)

und das erst recht, wenn wir mehr Selbstbestimmung und Lebensqualität eben individuell und damit als Fachleistungen berücksichtigen wollen, und zwar mit anderen Preisen als Gruppenleistungen.

Nun zur Weiterentwicklung des persönlichen Budgets in unserem Land: Unsere eingeschränkte Zustimmung zur Lobpreisung des Handelns der Landesregierung macht sich nicht nur an den Ausgaben fest, die derzeit nicht einmal 1 % der Eingliederungshilfe und weniger als 2 % der Ausgaben der Hilfe zur Pflege erreichen, sondern vor allem daran, dass noch immer die Heimaufnahme der Regelfall bei der Versorgung von Menschen mit schweren Behinderungen ist. Für sie kommt Selbstbestimmung nicht infrage, weil die Pauschalen zur Rundumversorgung einfach nicht ausreichen. Das Wunsch- und Wahlrecht muss stärker beachtet werden. Allerdings kann man nur zwischen Dingen wählen, die man kennt.

Inklusion also, Einbeziehung von Anfang an, der Grundsatz „ambulant vor stationär“ sind weitere Anforderungen an die Umsetzung des persönlichen Budgets. Vielleicht könnte man die Bedingungen für das persönliche Budget so verbessern, dass der eine oder andere Anwärter auf einen Wohnheimplatz lieber in die eigene Wohnung mit Assistenz zieht, statt sich den gesamten Tagesverlauf regulieren zu lassen.

Der Bereich der konzeptionellen Arbeit in der Eingliederungshilfe Sachsen-Anhalts muss personell gestärkt werden, damit sich eine verlässliche Infrastruktur zur Förderung einer inklusiven Gesellschaft entwickeln kann, und zwar mit Unterstützung der Landespolitik. Und, Herr Minister, natürlich besteht der Anspruch unabhängig vom Landesaktionsplan und der UN-Konvention. Maßnahmen, um das persönliche Budget für die Stärkung von Selbstbestimmung und Teilhabe aller Menschen mit Behinderungen wirksamer zu machen und vor allem auch besser bekannt zu machen, gehören in einen Landesaktionsplan.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Das, Herr Minister und meine Damen und Herren Abgeordneten, wäre doch eine Zielstellung. - Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Danke sehr, Frau Kollegin Zoschke. - Für die Landesregierung wird jetzt Minister Bischoff reden. Doch zuvor haben wir die Freude, Mitglieder der Jugendfeuerwehr Möser bei uns zu begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Zoschke, es waren 44 Fragen in vier Themenschwerpunkten, die wir beantwortet haben. Ich sage ganz offen: Ich bin froh, dass wir sie so beantwortet haben; ich komme immer noch ab und zu einmal auf andere Länder.

Wir haben eine Software in der Sozialagentur - Lancom, manche kennen sie -, mit der wir relativ gute Zahlen haben. Der Tatsache, dass sie nicht geschlechterdifferenziert ist, gehe ich noch einmal nach - ich weiß nicht, ob das technisch so schnell möglich ist -, aber gerade was das Sozialministerium betrifft, kann ich eine nicht geschlechterdifferenzierte Datenerfassung nun gar nicht verstehen. Aber es gibt Bereiche, in denen wir es auch noch nicht haben. Da sind wir sicher auf dem Weg.

Ich will nicht auf alle Fragen eingehen; zu den speziellen, die hier angefragt wurden, kann ich so spontan auch keine Antwort geben. Ich finde, bezüglich der Möglichkeit des persönlichen Budgets, das erst 2008 eingeführt worden ist und bei dem Sachsen-Anhalt in der Modellphase mitgemacht hat, kann man sagen, dass wir daraus gelernt haben. Darüber, dass die Wohlfahrtsverbände dabei mitgemacht haben, bin ich auch froh. Die haben uns damals übrigens dazu ermuntert, da mitzumachen, weil wir ein wenig zögerlich waren, weil damit bestimmte Herausforderungen verbunden waren.

Ich finde es gut, dass Menschen mit Behinderungen - die Leistungsberechtigten - die Wahlmöglichkeit zwischen Sachleistungen, die von Einrichtungen und Diensten erbracht werden und die vom Land, also vom überörtlichen Träger, vergütet werden, oder aber einer unmittelbaren Geldleistung haben. Es ist nicht einfach, zwischen diesen Wahlmöglichkeiten zu wählen; ich kenne da viele Gespräche.

Wir haben übrigens im Land - man kann es prozentual mit anderen Ländern vergleichen - bisher 50 Personen, die das in Anspruch nehmen. Ich will nicht behaupten, dass alle 50 zufrieden sind, aber für die hat sich zumindest etwas gegenüber dem

vorherigen Zustand verbessert. Zumindest das muss man anerkennen, auch wenn Einzelne nicht total zufrieden sind und wo die Begrenzung der Geldleistung, weil sie im System bleiben muss, oft eine umstrittene Geschichte ist.

Es ist für mich auch klar, dass die Möglichkeit, selbstbestimmt zu leben und selbstbestimmt zu entscheiden, was man tut, und selbstbestimmt zu sagen, welche Hilfeleistungen man in Anspruch nimmt, vielleicht am Ende teurer ist als der Heimaufenthalt - das kann sein -, vielleicht sogar am Anfang teurer ist, weil man sich erst einmal wieder hineingewöhnen muss. Es kann auch sein, dass es Menschen gibt, die es erst einmal ausprobieren müssen, die manchmal sagen: Ich probiere es, einmal selbständig zu sein. - Dann gelingt es nicht ganz, und dann ist vielleicht die Sehnsucht nach den „geordneten“ Verhältnissen in der stationären Einrichtung zeitweise wieder wichtiger, und dann probiert man es wieder. Da müssen wir lernen.

Ich habe jetzt mitbekommen: Auch eine Sozialagentur muss lernen. Auch Mitarbeiter müssen lernen - wir haben sie auch weiter geschult. Das wissen auch nicht alle sofort, wie das geht - ich kann das nachvollziehen, ich wüsste kein anderes System -, weil sie erst einmal davon ausgehen, welche Leistungen und Leistungstypen - über die Grundlagen streiten wir uns an anderer Stelle zurzeit - es in einer stationären Einrichtung gibt. Das gibt erst einmal eine Orientierung. Die nehmen sie zur Grundlage und diskutieren dann den individuellen Hilfebedarf aus. Das ist ein Prozess, der auch als ein echter Kommunikationsprozess vorgesehen ist.

Ich finde, darin liegt ein Stückchen Spannung, nämlich zu fragen: Ist die Leistung gleich? Was kann ich als Sachleistung geben?

Da muss ich übrigens sagen: Das sollte auch eine komplexe Leistung sein. Zurzeit ist sie fast ausschließlich nur noch eine Leistung des überörtlichen Trägers - also eine der Sozialagentur -, und alle anderen, die eigentlich mit im System sein sollten, ziehen sich auf Sachleistungen zurück. Das kann man manchmal auch verstehen. Die sagen: Das ist für uns einfacher. - Also: Wir sind in dem System tatsächlich noch Lernende, und es muss auch weiterentwickelt werden.

Ich habe auch die Zusage im Kopf, als es um die Diskussion bezüglich des Fiskalpakts ging, als es hieß: Wir müssen das SGB XII bundeseinheitlich anders regeln. - Es ist in den Ländern sehr unterschiedlich. Ich sage hier ganz offen - das sage ich nicht, um unsere Sozialagentur zu schützen, obwohl das meine Aufgabe ist; das mache ich auch -: In der Frage des persönlichen Budgets muss sich Sachsen-Anhalt nicht verstecken. Es gibt Länder, die besser sind - siehe Rheinland-Pfalz und Ähnliches -, aber wir sind mit Sicherheit weder quantitativ noch qualitativ an letzter Stelle.

Aber es kann - besonders in einzelnen Fällen, die ich auch kenne - noch einiges gemacht werden. Wo Eltern sehr engagiert sind, ist, glaube ich, noch etwas nachzuholen.

Ich bin auch nicht so weit zu sagen - weil manche auch in unserem Hause das sagen -: Eigentlich ist das unheimlich gut. - Ich halte mich bezüglich der Frage, ob ich das Lob dergestalt aussprechen soll, etwas zurück, aber ich glaube, dass die meisten sich richtig Mühe geben.

Ich kann es nicht beurteilen, warum nicht mehr Menschen - ich wünschte, es würden viel mehr von dieser Möglichkeit Gebrauch machen - dieses persönliche Budget, also das selbst verwaltete Budget, um ein selbst organisiertes Leben zu ermöglichen, in Anspruch nehmen; das werden immer weniger. Da gibt es auch Meinungen, die besagen: Diese langen Bearbeitungszeiten, die wir von anderen kennen, oder die Auseinandersetzungen, die wir von anderen erfahren, schrecken ab. - Das kann ich nicht beurteilen. Vielleicht ist es auch der Umstand, dass man weiß, dass mit einem persönlichen Budget auch viel Verantwortung mit übergeben wird, was man bis dahin gar nicht gewohnt war, weil es bis dahin andere geregelt haben.

Ich glaube generell, dass das ein System ist, in dem man lernen muss, in dem man mit den Betroffenen lernen muss. Ich finde den Weg richtig, den sollte man weiter beschreiten. Ich halte die geäußerte Kritik für hilfreich; es ist meist auch konstruktive Kritik.

Wir sind mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den herangezogenen Gebietskörperschaften im Gespräch. Sie tragen einen wichtigen Teil dazu bei, wie das vor Ort geregelt wird.

Deshalb gehe ich davon aus: Es wird uns noch eine Weile beschäftigen. Wir werden es nicht alles auf Anhieb - auch das, was Sie zu Recht kritisieren - beseitigen können. Es wird vielleicht noch eine ganze Weile dauern, bis das völlig zufriedenstellend geregelt ist. Aber dass dieser Prozess und das richtige Maß der Hilfe und der individuellen Hilfe wichtig ist, können Sie zumindest auch an meinem Engagement ersehen, weil es immer sehr viel um Einzelfälle geht - was ja auch richtig ist. Bei 50 spielen Einzelfälle auch eine Rolle, weil das relativ übersichtlich ist.

Deshalb ist es manchmal vielleicht auch wichtig, sich das erst einmal selbst konkret anzusehen. Dafür gibt es Möglichkeiten, die wir im Haus haben, in den Ausschüssen und Ähnliches. Vielleicht kann man dann noch intensiver als in einer aktuellen Debatte darauf eingehen. Ansonsten sollten wir diesen Weg weitergehen, und ich danke für alle positive und konstruktive kritische Begleitung.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Danke sehr, Herr Minister. - Für die CDU-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Gorr.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Seit dem 1. Januar 2008 besteht in der Bundesrepublik Deutschland ein Rechtsanspruch auf das persönliche Budget, auf das sich die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE bezieht. Das persönliche Budget ist ausdrücklich eine Leistungsform für die Inanspruchnahme von Teilhabeleistungen in Form von Geld oder Gutscheinen. Das persönliche Budget ermöglicht Menschen mit Behinderungen oder chronischer Krankheit, selbst zu entscheiden, wann welcher Dienst und welche Person die benötigte Unterstützung erbringen soll.

Die Höhe des persönlichen Budgets orientiert sich ausdrücklich am jeweiligen individuellen Bedarf, soll aber die Höhe der bisherigen Sachleistungen nicht überschreiten. Durch die Leistungsform des persönlichen Budgets soll das Wunsch- und Wahlrecht des behinderten Menschen gestärkt werden, ganz im Sinne von aktiver Teilhabe und Selbstbestimmung und nicht im Sinne von fremdbestimmter Versorgung.