Protokoll der Sitzung vom 20.02.2013

Aber bevor der eine oder andere jetzt in Häme verfallen sollte: Liebe Kollegen von der LINKEN und den GRÜNEN, Sie kennen sicherlich vergleichbare Situationen aus Koalitionsregierungen, an denen sie beteiligt sind.

Das ändert jedoch nichts an unserer Einstellung zu diesem Thema. Wir werden feststellen, dass sich die Welt zum Thema Kennzeichnungspflicht in den anderen Bundesländern drastisch ändern wird - Herr Kollege Striegel hat es bereits vorgetragen -: Auf Berlin folgte Brandenburg; eingeführt wird sie demnächst in Schleswig-Holstein, Bremen, BadenWürttemberg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen. Noch in dieser Wahlperiode des Landtages von SachsenAnhalt werden wir bei diesem Thema zu einer Minderheit der Bundesländer gehören.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Deshalb möchte ich heute ankündigen: Für eine Koalitionsregierung wird die SPD Sachsen-Anhalts nach den nächsten Landtagswahlen ohne Einführung einer solchen Kennzeichnungspflicht nicht zu haben sein. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD - Oh! bei der CDU - Zuruf von der LINKEN: Schauen wir mal!)

Herr Kollege Erben, Sie hatten sich bereit erklärt, eine Frage zu beantworten. - Herr Abgeordneter Gallert, bitte.

Herr Erben, Ihre letzten Einlassungen zur Kennzeichnungspflicht waren an Klarheit nicht zu überbieten. Ich möchte darauf hinweisen, dass Ihr Beispiel aus Brandenburg, bei dem Sie der LINKEN vorwerfen, nicht das gegen die SPD abgeschafft zu haben, was die SPD zusammen mit Schönbohm durchgesetzt hat,

(Zustimmung von Herrn Loos, DIE LINKE, und von Herrn Striegel, GRÜNE)

genau die Begründung ist, die Sie eben in viel radikalerer Form für Ihre Ablehnung der Kennzeichnungspflicht - sozusagen wider eigenes Gewis

sen - angeführt haben. Hier haben wir nur nicht die Kraft, die SPD dazu zu bewegen, falsche Schritte rückgängig zu machen. Sie machen heute in Bezug auf die Kennzeichnungspflicht, obwohl Sie eine andere Position dazu haben, ausdrücklich einen falschen Schritt. Dazu sage ich, Herr Erben: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht so mit Steinen durch die Gegend werfen.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Herr Gallert - -

Warten Sie. - Punkt 2. Jetzt haben Sie, genau wie der Innenminister, bei der Blockierung des Mobilfunks die Bombe angeführt. Dazu sage ich, Herr Erben: Darin stimmen wir Ihnen doch zu.

(Herr Striegel, GRÜNE: Ja! - Herr Schröder, CDU: Dann müssen Sie aber das Plakat ab- nehmen!)

Wenn das Ihr Problem ist, dann stimmen Sie einfach Punkt 7 des gemeinsamen Änderungsantrags der GRÜNEN und der LINKEN zu. Darin wird genau dieser Punkt aufgegriffen.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Wenn Sie diesem Punkt nicht zustimmen, dann sagen Sie mir bitte, in welchen anderen Fällen Sie Mobilfunkabschaltungen wollen.

Ich fange mit dem Thema Brandenburg an. Zunächst besteht in Bezug auf das Thema Kennzeichnungspflicht in Brandenburg eine völlig andere Gefechtslage. Dort ging nämlich die Entscheidung auf einen Antrag der dortigen CDU zurück, und zwar hat die CDU in Brandenburg, als sie in der Opposition war, diesen Antrag gestellt, und die anderen haben sich dem angeschlossen.

(Zuruf von Frau Dirlich, DIE LINKE)

So kenne ich die Geschichte im Zusammenhang mit der Kennzeichnungspflicht. Bei anderen Polizeibefugnissen

(Zuruf von Frau Dirlich, DIE LINKE)

in Brandenburg ist es so, dass es auch in dieser Wahlperiode bereits Änderungen des brandenburgischen Polizeigesetzes gegeben hat.

Ja, ja.

Dort ist man in die Vorschrift der Kennzeichenerfassungssysteme hineingegangen. Warum hat man sie nicht abgeschafft?

Ja, fragen Sie doch mal Ihren Innenminister.

Ein weiterer Punkt: Mobilfunkabschaltung. Wenn wir ein Gesetz schaffen - das hat ein Gesetz immer an sich -, ist das keine konkrete oder individuelle Regelung, sondern eine abstrakt-generelle Regelung. Wir schaffen unter der Voraussetzung, dass eine gegenwärtige erhebliche Gefahr besteht, die Möglichkeit - es ist ja kein Automatismus -, eine solche Anordnung zu treffen. Ich kann mir auch weitere Punkte vorstellen.

(Herr Striegel, GRÜNE: Echt?)

Ob das dann aber sinnvoll ist, ist eine andere Frage. Ich nenne das Thema der sogenannten Geisellage. Es kann Situationen geben, in denen es sinnvoll ist, dem Geiselnehmer die Kommunikationsmöglichkeit via Handy zu nehmen. Das muss aber am Ende die Polizei entscheiden. Es kann nämlich auch gute Gründe dafür geben, die Kommunikation mit dem Geiselnehmer aufrechtzuerhalten und die Zelle nicht abzuschalten.

Allein an dieser Komplexität können Sie erkennen, dass man nicht einfach in das Gesetz schreiben kann: Wenn irgendwo eine Sprengeinrichtung mit einem Handy daran steht, dann kann die Polizei - - Das ist doch keine Gesetzestechnik.

(Zustimmung von Herrn Schröder, CDU)

Vielmehr müssen wir eine abstrakt-generelle Regelung schaffen. Das haben wir hiermit getan.

(Zustimmung bei der SPD - Frau Dr. Klein, DIE LINKE: Da haben Sie ja ein paar schö- ne Beispiele!)

Vielen Dank, Herr Kollege Erben. - Als Nächste spricht in der Debatte für die Fraktion DIE LINKE Frau Abgeordnete Quade.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Tat, die Ordnungs- und Sicherheitspolitik ist eines der am kontroversesten diskutierten und sensibelsten Politikfelder. Sie entscheidet maßgeblich darüber, in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben.

Natürlich steht Politik hierbei in der Verantwortung, Ängste und Sorgen von Menschen ernst zu nehmen und in der politischen Debatte auf sie einzugehen. Keine Frage. Es ist aber genauso unsere

Verantwortung, Ängste dort, wo sie objektiv unbegründet sind, abzubauen und ihnen in einer sachlichen und fachlichen Debatte entgegenzutreten.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Nicht erst seit dem 11. September 2001, aber massiv durch die schrecklichen Ereignisse dieses Tages verstärkt, erleben wir mehrheitlich jedoch das Gegenteil. Immer neue technische Möglichkeiten verlangen in der Logik aller Gesetzgeber der letzten Jahre nach immer neuen staatlichen Befugnissen. Eine seriöse Evaluierung von Nutzen und Schaden der getroffenen Maßnahmen fehlt derweil weitgehend.

(Zustimmung von Herrn Lange, DIE LINKE)

In diese Tradition, wenn man so will, stellt sich die Landesregierung mit ihrem hier zur Beschlussfassung anstehenden Gesetzentwurf.

Gehen wir einmal ins Detail und schauen wir uns § 41 an, die Zwangstestung, die nötig ist, „weil“ - so die Neuformulierung - „es zu einer Übertragung besonders gefährlicher Krankheitserreger gekommen sein kann“ und „die Kenntnis des Untersuchungsergebnisses zur Abwehr der Gefahr erforderlich ist“.

Das ist ein massiver Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit, in die körperliche Unversehrtheit und zudem in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen. HIV und Hepatitis waren im ursprünglichen Gesetzestext noch explizit als mögliche Verdachtsfälle benannt, jetzt, wie gesagt, nur noch „gefährliche Krankheitserreger“.

Die Landesregierung behauptet hier also einen dringenden Regelungsbedarf im Gefahrenabwehrbereich. Nun nimmt man an, dass sich, wenn dieser Regelungsbedarf so dringlich wäre, dafür Beispielfälle finden ließen. - Es gibt sie nicht.

Aus der Antwort der Landesregierung auf meine Kleine Anfrage geht hervor, dass in den letzten fünf Jahren kein einziger solcher Fall einer HIV- oder Hepatitisinfektion im aktiven Dienst gemeldet wurde. Auch das BKA hat in den vergangenen zehn Jahren keinen einzigen solchen Fall registriert. Und es ist gut so, dass das nicht passiert ist.

Die Bundesregierung verweist in einer Antwort auf eine entsprechende Kleine Anfrage unserer Fraktion im Übrigen auch darauf, dass sie aufgrund dieser Faktenlage keine Notwendigkeit sieht, einen solchen Zwangstest, wie er in Sachsen-Anhalt vorgesehen ist, einzuführen.

(Beifall bei der LINKEN)

So weit vielleicht zur Frage des Regelungsbedarfs und der Notwendigkeit.

Wir sollten uns aber noch einmal die Funktionsweise anschauen. Inwieweit ist denn ein zwangsweise durchgeführter Test überhaupt geeignet, die Gefahr für Leib oder Leben einer anderen Person zu verringern oder abzuwehren? - Eine Infektion hat stattgefunden oder sie hat nicht stattgefunden. Ein Test hat darauf keinen Einfluss.

Die Expertinnen und Experten - das ist bereits gesagt worden - verweisen im Fall von HIV auf das diagnostische Fenster von drei Monaten, in dem eine Infektion vorliegen, aber nicht sicher diagnostiziert werden kann. Zudem weist das RobertKoch-Institut darauf hin, dass selbst bei positivem Testergebnis des angenommenen Gefährders nicht unbedingt eine Übertragung stattgefunden haben muss. Medizinische Sicherheit lässt sich weder von der einen noch von der anderen Seite erzielen.

Was mögen nun die Tatsachen sein, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Infektion vorliegen kann? - Ich will dazu den Sachverständigen Charles von Denkowski zitieren, Kriminologe, Soziologe und Dozent an der Hochschule der Polizei Hamburg, der in seiner Stellungnahme schrieb - ich zitiere -:

„Welche Fälle des polizeilichen Dienstalltags soll diese Vorschrift erfassen? Den hustenden Obdachlosen? Den illegal Aufhältigen mit auffälligem Ausschlag auf dem Oberarm? Den verwahrlosten psychisch Kranken? Eine schweigende Person, bei welcher eine Spritze gefunden wurde, die aber, wie sich ex post herausstellt, einzig dem Konsum von Insulin dient, was nicht auf ansteckende Pathologien hinweist?“