Protokoll der Sitzung vom 20.02.2013

„Welche Fälle des polizeilichen Dienstalltags soll diese Vorschrift erfassen? Den hustenden Obdachlosen? Den illegal Aufhältigen mit auffälligem Ausschlag auf dem Oberarm? Den verwahrlosten psychisch Kranken? Eine schweigende Person, bei welcher eine Spritze gefunden wurde, die aber, wie sich ex post herausstellt, einzig dem Konsum von Insulin dient, was nicht auf ansteckende Pathologien hinweist?“

Er beschreibt damit, wie ich finde, sehr eindrücklich die wahrscheinlichen Folgen des unkonkret definierten Anwendungsbereichs und kommt schließlich zu dem Fazit:

„Der Wortlaut des Entwurfs der Landesregierung bewirkt eine Stigmatisierung von Bürgern ihrem äußeren Zustand nach, den Polizeibeamte bewerten dürfen.“

Deswegen lehnen wir diese Reglung ab. Sie ist unnötig, politisch falsch und im Übrigen auch verfassungswidrig. Wir beantragen die ersatzlose Streichung.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich will auf einen weiteren Punkt eingehen, der in den Augen unserer Fraktion einen unzulässigen und, so wie er im Gesetzestext formuliert ist, auch unnötigen Eingriff in Grund- und Bürgerrechte darstellt. Er hat soeben schon eine Rolle gespielt, der § 33.

Die Landesregierung will hierin in der Tat die Polizei ermächtigen, bei entsprechend eingeschätzten

Gefährdungslagen mobile Kommunikation zu unterbrechen. Örtlichen Bereich, Zeit und Umfang der Maßnahme ordnet der Behördenleiter oder ein von ihm Beauftragter an.

Damit kann eine unbestimmte Vielzahl von Kommunikationsverbindungen bei Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes unterbrochen und blockiert werden.

Diese Reglung würde es auch erlauben, wenn die Polizei in Anbetracht einer bevorstehenden Demonstration annimmt, dass sich beispielsweise Landfriedensbrüche ereignen könnten, präventiv Kommunikationsverbindungen zu blockieren. Das würde den Abhörskandal von Dresden aus dem Jahr 2011 noch weit übertreffen.

Das sind repressive Elemente und es sind Elemente der Überwachung. Auf die verfassungsrechtliche Bedenklichkeit bzw. Nichtzulässigkeit wurde in der Expertenanhörung eindrücklich hingewiesen.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Nun sagt die Landesregierung, das meine sie doch nicht, die Opposition sei hysterisch, die Experten hätten sie nicht richtig verstanden. Es gehe um den Fall der Bombe; es müsse doch möglich sein, das zu verhindern.

Natürlich muss das möglich sein; wir haben diesbezüglich keinen Dissens. Wenn Sie diesen Punkt meinen, dann schreiben Sie ihn so ins Gesetz. Wenn Herr Erben sagt, es wäre nicht möglich, das so zu tun, wie wir es vorgeschlagen haben, dann sage ich: Im Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz Berlin ist genau dieser Satz enthalten. Es geht also.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Ich will auf einen weiteren wichtigen Punkt eingehen, der im Gesetzentwurf der Landesregierung leider - wenn auch nicht überraschend - keine Rolle spielt. Das ist die Kennzeichnungspflicht. Die Kennzeichnungspflicht ist aus unterschiedlichen Perspektiven sinnvoll. Sie ist erstens aus einer eher theoretischen rechtsstaatlichen Sicht erforderlich, und zwar ganz unabhängig davon, ob es viele oder wenige Beschwerden über polizeiliches Verhalten gibt.

Polizistinnen und Polizisten handeln nicht als Privatpersonen. Sie sind staatliche Hoheitsträger. Sie üben Hoheitsaufgaben aus. Sie sind diejenigen, die das Gewaltmonopol des Staates ausüben, und sie haben daher aus gutem Grund besondere Befugnisse. Sie dürfen Zwangsmittel einsetzen, sie dürfen eingreifen, sie dürfen Gewalt ausüben.

Diese besondere Legitimation ist an Bedingungen geknüpft; zuerst an die Gesetze, aber auch an die öffentliche Kontrolle dahin gehend, ob diese Gesetze eingehalten werden.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Es ist keine Frage von Misstrauen, sondern es ist ein ganz normales rechtsstaatliches Prinzip, dass dies kontrolliert wird.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Genau diese Kontrolle ist nur dann möglich, wenn Hoheitshandeln individualisierbar ist; denn nur dann sind Verstöße sanktionierbar. Die Kennzeichnungspflicht soll polizeiliches Handeln in Fällen rekonstruierbar machen, in denen die Nennung der Dienstnummer nicht erfolgt oder nicht erfolgen kann, in der Regel also in geschlossenen Einsätzen, beispielsweise bei Demonstrationen.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang finde ich, dass sich in der Anhörung alle Experten, mit Ausnahme der Experten von der Gewerkschaft der Polizei, aber explizit auch diejenigen Sachverständigen, die aus der Institution Polizei kommen, beispielsweise von den Hochschulen der Polizei, für eine solche Kennzeichnungspflicht ausgesprochen und auch das rechtsstaatliche Erfordernis betont haben.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Bei Demonstrationen oder bei Fußballspielen haben Menschen es eben nicht mit dem individuell bekannten Kontaktbeamten zu tun, von dem wir jetzt in der Presse lesen konnten, sondern sie haben es zwangsweise mit einer tendenziell anonymen Masse von Menschen in Schutzkleidung, von Menschen mit Helm und Visier zu tun, die nicht unterscheidbar sind.

Damit sind wir bei der zweiten Ebene, der praktischen Erfahrung. Die Nennung der Dienstnummer im Konfliktfall einzufordern, und zwar von genau demjenigen Beamten, mit dessen Verhalten man eben ein Problem hatte, ist erstens nicht immer von Erfolg gekrönt und zweitens auch nicht besonders praktikabel. Es ist schlichtweg nicht immer möglich.

Amnesty International, der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein und auch die Neue Richtervereinigung verweisen darauf, dass die Nennung der Dienstnummer 08/15, um ein Beispiel zu nennen, kein Einzelfall, sondern häufige Praxis ist.

Im Jahr 2010 - dies ist statistisch belegt - wurden 93 % der Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt gegen Polizeibeamten bereits im Vorfeld eingestellt. Expertinnen und Experten, namentlich Professor Behr von der Hochschule der

Polizei Hamburg, gehen von einer Einstellungsquote von 30 % wegen Nichtidentifizierbarkeit aus. Insofern ist die Identifizierbarkeit für die Überprüfbarkeit polizeilichen Handelns auch aus dieser praktischen Sicht ein dringendes Erfordernis.

Es wird immer wieder argumentiert, es könnte zu einer Gefährdung kommen. Das ist statistisch nicht belegt. Es existiert in vielen europäischen Ländern eine Kennzeichnungspflicht. Auch auf nationaler Ebene gibt es Erfahrungen. Was es nicht gibt, sind die statistischen Belege dafür, dass aus einer rotierenden Nummernkennzeichnung eine Gefährdung ableitbar ist.

Deswegen hält es meine Fraktion wie der ehemalige Polizeipräsident von Berlin, Dieter Glietsch, der in der Anhörung sagte: Es gibt kein überzeugendes Argument gegen die Kennzeichnungspflicht.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Es ist nicht möglich, in der Kürze der Zeit auf alle Kritikpunkte einzugehen. Ich will deswegen etwas zu einer grundsätzlichen Einschätzung dieses Gesetzentwurfes sagen.

Es mag vielleicht eine Flüchtigkeit sein, wenn der Kollege Kolze in der öffentlichen Anhörung die Sachverständigen, die auf massive und nicht gerechtfertigte Grundrechtseingriffe hinweisen, fragt, ob denn nur Täter Grundrechte hätten, und feststellt, das Opfer einer Vergewaltigung müsse doch die Möglichkeit haben zu erfahren, ob von dem Vergewaltiger eine HIV-Infektion übertragen wurde.

Es mag eine Flüchtigkeit sein. Das ist ein Sachverhalt, der längt geregelt ist. Natürlich ist das im Rahmen der Strafprozessordnung möglich, weil dann eine Straftat stattgefunden hat.

(Zurufe von der CDU - Unruhe)

Es mag, wie gesagt, eine Flüchtigkeit gewesen sein, aber genau diese Herangehensweise ist jedoch typisch für den gesamten SOG-Entwurf der Landesregierung. Sie beschreiben angeblich dringende Regelungsbedarfe, die längst geregelt sind. Sie behaupten das Fehlen dringend notwendiger Kompetenzen der Polizei, die bei - wohlgemerkt - konkreter Gefahr ebenfalls längst gegeben sind. Sie suggerieren so Sicherheitsrisiken und Sicherheitslücken, die es in Sachsen-Anhalt schlichtweg nicht gibt.

Das alte konservative Mantra „Opferschutz statt Täterschutz“ vor sich hertragend, weiten Sie dabei polizeiliche Befugnisse im Bereich der Gefahrenabwehr aus und opfern dabei elementare Bürger- und Grundrechte einem überaus fragwürdigen Sicherheitsbegriff,

(Beifall bei der LINKEN)

einem Sicherheitsbegriff, der die Unschuldsvermutung als rechtsstaatliches Prinzip in weiten Teilen des Polizeirechts schlichtweg ignoriert und aushebelt.

Der von der Landesregierung vorgelegte SOG-Entwurf ist ein Sammelsurium an unnötigen Kompetenzerweiterungen und -verlagerungen in den Gefahrenabwehrbereich, die sich weder aus der faktischen Sicherheitslage rechtfertigen lässt, noch rechtspolitisch sinnvoll oder wünschenswert wäre.

Polizeiliche Eingriffsbefugnisse werden hier nun auch auf Landesebene weiter und weiter vorverlagert und damit letztlich in das Ermessen der einzelnen handelnden Polizistinnen und Polizisten gestellt.

Es hat entgegen den Behauptungen der Koalitionsfraktionen nichts mit Misstrauen gegenüber der Institution Polizei zu tun, wenn meine Fraktion dazu nein sagt. Es entspricht vielmehr den Vorgaben, die die Verfassung dieses Landes, das Grundgesetz und auch das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf jede Einschränkung von Grundrechten machen.

Sie muss erstens verhältnismäßig sein, also der Eingriff muss durch die reale abzuwehrende Gefahr gerechtfertigt sein. Zweitens müssen die Bedingungen für wesentliche Eingriffe in Grundrechte vom Gesetzgeber klar und für jeden ersichtlich definiert werden. Zudem dürfen sie eben nicht dem Ermessen der Exekutive überlassen werden.

Diesen beiden Prämissen, Verhältnismäßigkeit und Bestimmtheit, trägt die Landesregierung in weiten Teilen des SOG-Entwurfs nicht Rechnung. Deswegen wird meine Fraktion den hier vorgelegten SOG-Entwurf ablehnen.

Wir beantragen die namentliche Abstimmung über die Abschnitte II und III der Beschlussempfehlung.

Meine Damen und Herren! Nicht die Ablehnung dieses Gesetzentwurfes ist gefährlich. Dieses Gesetz ist gefährlich für Grund- und für Bürgerrechte. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Danke schön, Frau Kollegin Quade. - Als Nächster spricht in der Debatte für die Fraktion der CDU Herr Abgeordneter Kolze.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist erklärtes Ziel der CDU, dass sich die Menschen in Sachsen-Anhalt ohne Angst vor Straftaten und Gewalt sicher und zu Hause fühlen sollen.

(Zustimmung von Frau Brakebusch, CDU)