Protokoll der Sitzung vom 20.02.2013

Der Ausschuss für Inneres und Sport beschloss dann bei dem gleichen Stimmenverhältnis - mit 8 : 5 : 0 Stimmen -, den Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und den in die gleiche Richtung gehenden Antrag der Fraktion DIE LINKE abzulehnen.

Ich darf zu der alle drei Beschlussempfehlungen zusammenfassenden Vorlage um Zustimmung bitten. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Brachmann, für die Berichterstattung aus dem Ausschuss. Es gibt eine Anfrage von Frau Kollegin von Angern. - Bitte.

Sehr geehrter Herr Ausschussvorsitzender, kann es sein, dass Sie lediglich vergessen haben, im Zusammenhang mit dem Änderungsantrag meiner Fraktion in der Innenausschusssitzung am 13. Februar 2013 zu § 18 SOG LSA die Gründe vorzutragen, die wir dort benannt haben, namentlich dass wir gesagt haben: Wir wollen ausdrücklich keine Zusammenarbeit mehr mit Vertrauenspersonen, weil sie zum einen der parlamentarischen Kontrolle entzogen ist. Zum anderen wollen wir vor dem Hintergrund der bundesweiten Diskussion, die seitens des BGH maßgeblich im Zusammenhang mit dem sogenannten Deal im Strafprozess angestoßen worden ist, in Sachsen-Anhalt ausdrücklich keine Zusammenarbeit zwischen dem Staat und Kriminellen bzw. Schwerstkriminellen.

Frau von Angern, vergessen habe ich das nicht. Aber es muss in der Berichterstattung über die Beratungen im Ausschuss immer abgewogen werden, was man von den Erwägungen, die zu den einzelnen Änderungsanträgen geführt haben, dem Plenum vorträgt. Ich hatte das nicht erwähnt. Aber Sie haben es jetzt zu Protokoll gegeben und insoweit hat es auch jeder zur Kenntnis genommen. - Vielen Dank.

Danke schön, Herr Kollege Brachmann. - Für die Landesregierung spricht jetzt der Minister des Innern.

Ich darf zuvor noch folgenden wichtigen Hinweis geben: Es liegen mittlerweile zu diesem Tagesordnungspunkt drei Änderungsanträge vor. Der Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Drs. 6/1820 ist bereits verteilt worden, zwei weitere befinden sich im Druck, ein Änderungsantrag der Fraktionen DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Drs. 6/1819 und der Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE in Drs. 6/1818. Ich sehe, die Änderungsanträge werden gerade verteilt. Das nur als wichtiger Hinweis.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sicherheit ohne Freiheit ist wertlos, aber Freiheit ohne Sicherheit hat keine Zukunft.

(Beifall bei der CDU)

In einem Rechtsstaat, der freiheitlich organisiert ist, wird die Sicherheit durch Gesetze garantiert, weil eine Sicherheitspolitik immer den Eingriff in Grundrechte erfordert und ein Eingriff in Grundrechte nur durch Gesetze möglich ist. So ist es im vorliegenden Polizeigesetz, bei dem wir, wenn ich die Diskussionen der letzten Wochen betrachte, nicht über Details, sondern über die Grundsatzfrage einer Sicherheitsarchitektur in Sachsen-Anhalt und in Deutschland streiten.

Ich will Ihnen sagen, dass wir mit diesem Polizeigesetz, wenn man die Aufregung weglässt, nur das bearbeiten, was aufgrund von veränderten technischen Möglichkeiten machbar ist, um ein Gesetz, das zuletzt in den 90er-Jahren in diesem Haus genauso streitig beraten worden ist, auf den neuesten Stand zu bringen, damit Menschen in Freiheit sicher leben können.

Nehmen wir ein Beispiel, die Videografie bei Einsätzen der Polizei zur Eigensicherung. Da reklamieren Sie von den LINKEN den Untergang des Abendlandes und der Rechtskultur, obwohl in Brandenburg, wo Sie an der Regierung beteiligt sind, bereits interaktive Funkstreifenwagen auf der Straße sind, die mit Videokameras ausgestattet sind, die einsatz- und anlassbezogen Videoaufnahmen machen und diese in ein Lage- und Einsatzzentrum überspielen. Die Aufzeichnungen sind somit für weitere Lageauswertungen oder Gerichtsverfahren verwertbar.

Das heißt, das, worüber wir hier reden, um überhaupt die Grundlage zu schaffen, ist in Brandenburg unter einer rot-roten Regierung bereits in die Praxis umgesetzt worden.

(Zurufe von der CDU: Hört, hört!)

Insofern ist dieser Paragraf für uns der Einstieg in eine moderne Technik, die wir brauchen, um Polizeibeamtinnen und -beamte in die Lage zu versetzen, ihre Aufgaben beweisverwertbar und sicher erledigen zu können.

Nehmen Sie ein zweites Beispiel, das Abschalten von Handys in Gefahrensituationen. Im Jahr 1994 hatten Handys die Größe eines Aktenkoffers, und es war damals nicht daran zu denken, dass mittels solcher Technik einmal Bomben gezündet werden könnten. Daher halten wir es für erforderlich, wenn der konkrete Verdacht der Fernzündung einer Bombe mittels eines Handys besteht, die Handys abschalten zu können.

Entgegen den von Ihnen vorgebrachten Äußerungen beinhaltet dieses Gesetz überhaupt keine Ermächtigungsgrundlage, Handys bei Versammlungen abzuschalten. Das ergibt sich bereits aus dem Gesetz und der Einführung des Gesetzes. Insofern ist das, was Sie befürchten und vortragen, schlicht und ergreifend rechtlich falsch.

Lassen Sie mich an dieser Stelle eines sagen, bevor ich zu einem dritten exemplarischen und für

mich letzten Punkt komme. Was ich nicht verstehe, ist, dass Sie immer die Besorgnis nach außen kundtun, Polizeibeamtinnen und -beamte würden sich nicht an das halten, was im Gesetz steht, sondern würden über das hinausgehen und ein Gesetz vorsätzlich rechtswidrig anwenden. Das ist mitnichten der Fall.

Durch Ihre Plakataktion, bei der Sie mit Stacheldraht behelmte Polizisten zeigen, vermitteln Sie den Eindruck, dass Sie ein Bild von der Polizei zeichnen wollen, das Antipathie weckt. Damit machen Sie deutlich, dass Sie eine völlig andere Sicherheitsarchitektur in Deutschland wünschen und dass Sie auch bereit sind bzw. zumindest billigend in Kauf nehmen, Polizisten zu unterstellen, sie würden sich nicht an das halten, was wir im Gesetz aufgeschrieben haben.

(Zustimmung bei der CDU)

Dann lassen Sie mich zu einem dritten Punkt kommen, weil er sehr intensiv diskutiert worden ist. Das sind die Blutentnahmen. Dort ist bewusst lanciert worden, man mache diese Regelung nur für Risikogruppen, die man unter Generalverdacht stelle; es sei ein Grundrechtseingriff.

Bei jeder Alkoholfahrt wird Blut entnommen. Auch das ist ein Grundrechtseingriff, der in der Strafprozessordnung normiert ist. Aber wenn ein Polizeibeamter oder ein Sanitäter verletzt wird und die Gefahr besteht, dass er durch diese Verletzung eine schwere Krankheit übertragen bekommen hat, dann sollten wir nicht nur über die Grundrechte des Verletzers reden, sondern auch über die Grundrechte von Polizisten und Sanitätern. Denn deren Grundrechte sind gleichwertig. Sie sind an dieser Stelle in dem Abwägungsprozess höher zu bewerten, weil ich niemandem zumuten möchte, dass wir ihm aufgrund einer mangelnden Rechtslage medizinisch nicht helfen können. Das ist eine erhebliche psychische und auch physische Belastung, der die Menschen unterliegen.

(Beifall bei der CDU)

Das, was wir Ihnen in dem Gesetzentwurf vorschlagen, ist doch kein Alleingang des Landes Sachsen-Anhalt, sondern das ist in einer Vielzahl anderer Bundesländer mit gleichlautenden oder ähnlichen Gesetzestexten geregelt, unabhängig davon, wer dort regiert. Ich habe eben Rot-Rot genannt, es gibt Rot-Grün usw. usf. Es ist hier nichts Besonderes, nichts Ausnahmesituatives geschehen.

Sie versuchen, uns eine Grundsatzdebatte aufzudrängen über die Frage einer Sicherheitsarchitektur in Deutschland. Dazu gehört dann nebenbei auch - das nur am Rande -, dass Sie den Verfassungsschutz abschaffen wollen, dass Sie die Führung von Vertrauenspersonen abschaffen wollen, Frau von Angern,

(Beifall bei der CDU)

und dass Sie damit die Sicherheit einer freiheitlichen Gesellschaft erheblich gefährden. Mir ist nicht ganz klar, welches ordnungspolitische Ziel Sie auf Dauer damit verfolgen; denn ein Land muss am Ende sicher für die Menschen bleiben und muss sicher regierbar bleiben.

(Beifall bei der CDU - Herr Schröder, CDU: Sicherheit ist ein Bürgerrecht!)

Daher bitte ich um Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf.

Zur Kennzeichnungspflicht, meine Damen und Herren, haben wir uns alles gegenseitig gesagt. Insofern bleibt es dabei: Wir kennzeichnen im Augenblick nicht. Ich muss mich an dieser Stelle nicht wiederholen. Dazu gibt es unterschiedliche Auffassungen; so ist das Leben.

Herr Striegel, den Änderungsantrag Ihrer Fraktion habe ich selbstverständlich auch gelesen. Ich halte es für einen guten Stil, dass Polizisten im normalen Einsatz Namensschilder tragen. Das haben wir - auch in Ihrem Sinne, ganz modern -, bevor Sie die Debatte überhaupt geführt haben, in meinem Hause gemacht. Wir brauchen aber dafür aus meiner Sicht keine Rechtsgrundlage. Insofern ist das, was Sie fordern, nur redundant, weil wir es schon gemacht haben. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Danke schön, Herr Minister. - Wir fahren fort in der Debatte. Als Nächster spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Abgeordneter Striegel.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister, zum Thema Reihenfolge von Debatten hier im Landtag und Einführung von Kennzeichnungen und Namensschildern für Polizistinnen und Polizisten in Sachsen-Anhalt würde ich Ihnen gern das Protokoll des Hohen Hauses zur Lektüre anempfehlen. Die Reihenfolge war: Wir haben erst debattiert und anschließend haben Sie eingeführt. Ich habe erst nachgefragt und anschließend haben Sie Ihren Erlass gemacht.

Ich glaube, es ist richtig, gerade diesen Punkt gesetzlich zu regeln. Darauf haben auch Polizistinnen und Polizisten einen Anspruch, denn es geht letztlich - das ist unstreitig - auch um ihre Sicherheit. - So weit zur Vorbemerkung.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! „Ohne Sicherheit vermag der Mensch weder seine Kräfte auszubilden noch die Früchte derselben zu genießen; denn ohne Sicherheit ist keine Freiheit.“ - Dieser kurze

Satz Wilhelm von Humboldts aus seinen Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, gibt einen ganz guten Leitfaden für die heutige Debatte ab.

Staatlichkeit schafft Sicherheit, sie ermöglicht überhaupt erst das freie Entfalten menschlicher Persönlichkeit, weil sie dem Einzelnen Schutz gegen andere gewährt und ihn so einer möglichen ständigen Bedrohung, einem angenommenen Krieg aller gegen alle enthebt.

Es gilt aber auch: Freiheit stirbt mit Sicherheit. So wogt immer wieder die Debatte auf, ob staatliche Maßnahmen zum Erreichen von mehr Sicherheit nicht insgesamt Bürgerrechte bedrohen bzw. ob diese zum Erreichen fragwürdiger Gefahrenvorsorge oder lediglich vermeintlicher Sicherheit nicht unverhältnismäßig in Grundrechte eingreifen.

Insbesondere das vergangene Jahrzehnt seit dem 11. September 2001 hat vor allem in den Vereinigten Staaten und innerhalb der Europäischen Union immer neue Sicherheitsgesetze hervorgebracht, die in ihrer Gesamtheit - Datenschützer und Bürgerrechtler würden hierfür den Begriff der Überwachungsgesamtrechnung nutzen - das Pendel einseitig in Richtung weitgehender Überwachung haben ausschlagen lassen.

Das Bundesverfassungsgericht hat eine Vielzahl dieser Gesetze wieder kassiert. Es ist jedem Gesetzgeber anzuraten, die Grenzen der Verfassung nicht permanent auszutesten.

Das neue Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung, kurz: Polizeigesetz, das CDU und SPD hier heute verabschieden wollen, gehört in die Kategorie dieser nicht ausbalancierten Gesetze.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Mit dem Gesetz höhlen Sie die Bürgerrechte aus, Sie entkernen die Grundrechte und setzen damit eine Sicherheitspolitik fort, wie wir sie sonst nur von Schwarz-Gelb auf Bundesebene erleben. Leider waren Sie Vernunft und Argumenten bislang nicht zugänglich.

Das Polizeigesetz ist - das wurde auch in den Ausschussberatungen deutlich - allenfalls rechtsförmlich und redaktionell bearbeitet worden und steht heute fast unverändert zur Abstimmung. Wir bedauern das, auch weil es gegen den fast einhelligen Rat der angehörten Sachverständigen passiert.

Meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, Sie lassen uns keine andere Chance: Gegen dieses Gesetz werden wir vor dem Landesverfassungsgericht Klage führen. Es gilt, die Bürgerrechte gegen Ihren fürsorglichen Staat zu verteidigen, der angeblich nur das Beste will, nämlich die Sicherheit seiner Bürger, dafür aber umfassende

Kontroll- und Eingriffsbefugnisse beansprucht, die weit über das Notwendige hinausgehen und die die Grenzen der Verfassung ausdehnen oder überschreiten wollen.

Das Land Sachsen-Anhalt bleibt ein sicheres Bundesland. Sie suggerieren mit Ihrem Gesetzentwurf, die Bürgerinnen und Bürger, wir alle befänden uns in ständiger Gefahr und nur eine umfassend ermächtigte Polizei könnte uns vor aller Unbill bewahren. Das ist falsch, das ist schlecht für die Grundrechte und es gaukelt Sicherheit vor, die Sie mit einem Polizeigesetz nicht schaffen können. Ihr Bedrohungsszenario hat mit objektiven Gegebenheiten so wenig zu tun, wie sich Ihre Maßnahmen als tauglich erweisen.