Protokoll der Sitzung vom 21.02.2013

Vom Grundsatz des Förderns und Forderns ist nach den jüngsten Reformen am Arbeitsmarkt nahezu nur noch das Fordern übrig geblieben. Zumutbarkeitskriterien wurden verschärft. Sanktionen wurden massiv ausgedehnt. Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen sind zusammengestrichen worden, und Einsparungen verhindern, dass quantitativ oder qualitativ ausreichende Angebote der Eingliederung an Arbeitslose gemacht werden können.

Das irritiert, und zwar vor allem deshalb, weil eine Arbeitgeberumfrage der Bundesagentur für Arbeit den Hartz-IV-Empfängerinnen und Empfängern gerade gute Noten bescheinigt hat. Zwei Drittel der Unternehmen waren mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zufrieden, die vorher Hartz-IV-Empfängerinnen und Empfänger gewesen waren. 81 % bescheinigten ihnen Pünktlichkeit, 76 % Teamfähigkeit, 68 % Zuverlässigkeit und 64 % eine gute Motivation.

Allein die Zufriedenheit mit der Qualifikation der neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fällt mit 53 % ein Stückchen zurück, was aber natürlich gerade nicht den Rückgang der Angebote begründet. Allerdings bleibt die Erkenntnis, dass es, um diese Ziele erreichen zu können, großer Anstrengungen bedarf und dass sich die Arbeitsmarktpolitik dem auch stellen muss.

Mit der Koalition einig sind wir uns inzwischen offensichtlich in der Frage, dass wir individuelle Integrationsstrategien brauchen, die sicherstellen, dass Menschen so lange Hilfe bekommen, wie sie Hilfe brauchen. Diesen Punkt haben Sie aufgegriffen.

Einig sind wir uns darüber, dass es besser ist, Leistungen für die Aktivierung einzusetzen, anstatt sie für Inaktivität auszugeben. Aber Achtung! Hier beginnt ein entscheidender Dissens zwischen uns, weil wir sagen: Es muss sichergestellt sein, dass Arbeit zu mehr Einkommen führt als Nicht-Arbeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Einig sind wir uns darüber, dass die Beschäftigung so weit wie möglich unter Bedingungen stattfinden muss, die denen am sogenannten regulären Arbeitsmarkt gleichen. Schließlich soll die Beschäftigung dazu beitragen, dass Menschen auf dem Arbeitsmarkt wieder bestehen können.

Und wir sind uns einig darüber, dass die örtliche Ebene in Entscheidungen über sinnvolle Maßnahmen, über die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen und über ihre Auswirkungen in der Region einbezogen werden muss. Wie gesagt: Da gibt es immerhin einen Fortschritt.

Dass wir dennoch an unserem Antrag festhalten und Sie bitten, über Ihre Zustimmung zu allen Punkten noch einmal nachzudenken und mit uns zu diskutieren, liegt natürlich nicht an der Übereinstimmung, sondern an den doch erheblichen Unterschieden.

Wir brauchen auch bei den Arbeitsmarktmaßnahmen Mechanismen, die verhindern, dass sich Niedriglohn immer weiter ausbreitet. Wir wollen die Entlohnung an tarifliche Regelungen oder an das ortsübliche Arbeitsentgelt anlehnen. Dass es hierzu stringentere Regeln braucht - meine Damen und Herren, wenn Sie mich jetzt auf das SGB III verweisen wollen -, beweisen die immer wieder auftretenden schlimmen Auswüchse in Richtung Dumpinglohn, gerade auch in Arbeitsmarktmaßnahmen oder bei Arbeitsplätzen, auf die die Jobcenter die Arbeitslosen verweisen.

Wir sagen, dass Beschäftigung, vor allem wenn sie länger dauert, voll sozialversichert sein muss, also auch arbeitslosenversichert. Wenn die Regeln nicht verändert werden, werden Menschen drei Jahre oder sogar noch länger arbeiten, ohne einen neuen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder auf Leistungen aus dem SGB III zu erwerben. Ich finde, man kann Leuten einfach nicht zumuten, dass sie drei Jahre oder noch länger arbeiten, ohne den Anspruch zu erwerben, der ihnen nach dem Gesetz zusteht.

Es gibt Menschen, die neben der Chance auf eine neue Beschäftigung weitere Hilfen benötigen. Deshalb haben wir gesagt: Wir brauchen Begleitmaßnahmen zur Unterstützung der sozialen Stabilisierung.

Dazu muss ich Ihnen sagen: Dass ausgerechnet dieser Punkt in dem Alternativantrag fehlt, ist für mich völlig unbegreiflich, vor allem auch deshalb, weil das arbeitsmarktpolitische Gesamtkonzept,

das uns gerade zugänglich gemacht worden ist, auf mehreren Seiten genau dazu eine Menge aussagt. Ich will einmal ein paar Sätze zitieren:

„Dabei ist klar,“

- so steht es hier -

„dass viele Arbeitslose aufgrund persönlicher und sozialer Probleme nicht ohne Unterstützung den Zugang in den regulären Arbeitsmarkt finden werden… Aber auch die Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagenturen und Jobcenter bedürfen angesichts der individuell und sozial begründeten Arbeitsmarktferne von Langzeitarbeitlosen oftmals ergänzender bzw. flankierender Maßnahmen der“

- man höre! -

„Betreuung und Begleitung...“

„Um diese Menschen für den Arbeitsmarkt nicht verloren zu geben, kommt es darauf an, zunächst deren verschiedene lebensbegleitende Probleme zu bearbeiten, bevor an Vermittlung und Integration überhaupt zu denken ist.“

Ganz genau. Warum, meine Damen und Herren, fehlt dieser Punkt in Ihrem Alternativantrag? - Rätsel über Rätsel.

Vor allem die Regelungen zur Zusätzlichkeit und Wettbewerbsneutralität führen zurzeit zu geradezu absurden und albernen Konflikten in den Regionen. Ich will Ihnen einmal ein Beispiel aus Schönebeck erzählen, wo die Leute vor Ort wirklich die Welt nicht mehr verstehen.

In Schönebeck gibt es mehrere Angebote für einen Seniorentreff bzw. einen Treff für Menschen mit Behinderungen. Denen sollten keine Ein-Euro-Jobber mehr zugewiesen werden, weil die Leute unter Umständen einmal in der Woche Kuchen backen, Kaffee kochen und ihn ausschenken. Genau das war ihnen ausdrücklich untersagt, weil sie damit die Kaffeehauskultur in Schönebeck - sie ist offenbar bekannt - gefährden.

Lauter kann man überhaupt nicht lachen. Aber für die Leute vor Ort hat dies bedeutet, dass sie darüber nachgedacht haben, bestimmte Angebote sogar zuzumachen, weil sie keine Ein-Euro-Jobber mehr bekommen sollten.

Es gehört natürlich zu der Begegnung von Seniorinnen und Senioren dazu, Kaffee zu trinken. Irgendeiner muss den Kaffee kochen. Ich finde es albern, was dabei zum Teil passiert.

(Beifall bei der LINKEN)

An dieser Stelle wende ich mich ausdrücklich an die Kollegen der CDU. Ihre Kollegin Kramp-Karrenbauer hat, als sie noch Arbeitsministerin war - ich

habe sie jetzt längere Zeit, nachdem sie Ministerpräsidentin geworden ist, nicht mehr gehört -, genau das beklagt, dass die neuen Regeln in der Arbeitsmarktpolitik dazu führten, dass sinnvolle Projekte in den Kommunen verhindert würden und dass wichtige Arbeit nicht mehr geleistet werden könne.

Die Bundesministerin Frau von der Leyen hat das mit dem Hinweis gekontert, dass es nicht die Aufgabe der Arbeitsmarktpolitik sei, soziale Strukturen in den Kommunen aufrechtzuerhalten oder freiwillige Leistungen der Kommunen zu ermöglichen. Darauf wären wir auch von selbst gekommen. Natürlich stimmt das.

Aber, meine Damen und Herren, selbst wenn es dreimal stimmt, weshalb sollte es nicht möglich sein, diese zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, nämlich auf der einen Seite die Arbeitslosen zu unterstützen, die sinnvolle Arbeit machen und einen Beitrag zum Funktionieren ihres Gemeinwesens leisten, und es gleichzeitig den Kommunen zu ermöglichen, bestimmte gute soziale Angebote zu machen, die über die Pflichtaufgaben der Kommunen hinausgehen, und die Kommunen damit lebenswerter zu machen? Ich finde, das ist kein Widerspruch. Es muss doch möglich sein, diese zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Wir haben bewusst auf weitere Forderungen verzichtet, beispielsweise nach der aus unserer Sicht notwendigen begleitenden Qualifizierung in den Arbeitsmarktmaßnahmen oder nach einem größeren Stellenwert der Weiterbildung.

Ich erinnere an dieser Stelle an die Arbeitgeberumfrage, die deutlich gemacht hat, dass Qualifizierung und Weiterbildung genau das sind, was im Moment gebraucht wird. Das arbeitsmarktpolitische Gesamtkonzept enthält einen riesengroßen Komplex zum Fachkräftemangel und zum Fachkräftebedarf - vollkommen richtig. Der Alternativantrag enthält davon aber leider nichts.

Auch wir haben im Moment darauf verzichtet, und zwar deshalb, weil der Bundesratsantrag es nicht enthielt und weil wir es Ihnen leichter machen wollten, unserem Antrag zuzustimmen. Ich hoffe, dass wir möglicherweise über beide Anträge, also über den Ursprungsantrag und über den Alternativantrag, noch einmal im Ausschuss beraten werden und es nicht schon heute beschließen.

Ich bitte Sie, diese beiden Anträge an den Ausschuss zu überweisen, damit wir dort in Ruhe darüber nachdenken können, was in Ihrem Alternativantrag und möglicherweise auch in unserem Antrag noch fehlt, um ein geschlossenes Konzept für Sachsen-Anhalt beschließen zu können. - Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke sehr, Frau Kollegin Dirlich, für die Einbringung. - Für die Landesregierung spricht Minister Herr Bischoff.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin froh, dass ich heute fit bin und durchgehalten habe. Es waren doch mehrere Beiträge zu leisten. Ich glaube, das ist der letzte in dieser Landtagssitzung.

Liebe Kollegen! Liebe Frau Dirlich! Das Thema beschäftigt uns zumindest so lange, glaube ich, wie ich im Landtag bin, seit dem Jahr 1994. Sie sind seit dieser Zeit auch im Ausschuss und haben schon damals, glaube ich, für den Arbeitsmarkt und auch für den öffentlichen Beschäftigungssektor gekämpft.

(Frau Dirlich, DIE LINKE: Immer!)

Ich weiß gar nicht, ob das damals auch der Zusammenhang war, als Professor Böhmer Ausschussvorsitzender war, in dem er Ihnen das Du angeboten hat. Ich habe das zumindest einmal nachgelesen. Wir waren alle ein bisschen neidisch.

(Oh! bei der LINKEN - Herr Czeke, DIE LIN- KE: Eine ganz alte Geschichte!)

Zumindest seit den 90er-Jahren hat dieser öffentliche Beschäftigungssektor seine Höhen und Tiefen erlebt. Wir wissen, dass es im Jahr 2011 im Zuge der Instrumentenreform noch einmal erhebliche Einschnitte bei den gesetzlichen Möglichkeiten der Finanzierung öffentlich geförderter Beschäftigung gegeben hat.

Seitdem werden diese nicht mehr als aktive Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung gefördert, sondern ausschließlich aus der steuerfinanzierten Grundsicherung für Arbeitsuchende. Seit dieser Zeit - vorher hat es eine Unmenge von Bezeichnungen gegeben, die ich jetzt gar nicht alle aufzählen will - stehen nur zwei Typen von Maßnahmen der öffentlich geförderten Beschäftigung bereit. Das sind die Arbeitsgelegenheiten, die EinEuro-Jobs, und die Bezuschussung zusätzlicher Arbeitsverhältnisse im Rahmen des § 16c.

Beiden Regelungen ist gemein, dass sie in der Umsetzung erheblichen Restriktionen unterliegen. Das ist das große Problem, dass die Personen lediglich für maximal zwei Jahre in einem Zeitraum von fünf Jahren an diesen Maßnahmen partizipieren können. Das ist der Rahmen, der gegeben ist. Da der Antrag der Länder im Bundesrat keine Mehrheit gefunden hat, gehe ich davon aus, dass sich auf Bundesebene zumindest bis zu den Wahlen nichts ändern wird.

Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass sich der Arbeitsmarkt positiv entwickelt hat. Ich lasse

den Niedriglohnsektor und die Leiharbeit weg. Was die Beschäftigung angeht, hat sich der Arbeitsmarkt in den Jahren aber zumindest positiv entwickelt. Die Zahl der registrierten Arbeitslosen ist rückläufig. Es muss aber festgestellt werden - Sie haben darauf hingewiesen -, dass der Anteil der Langzeitarbeitslosen selbst bei positivster wirtschaftlicher Entwicklung relativ konstant bei 30 % geblieben ist, und wir können auch nicht davon ausgehen, dass er sich von allein in Größenordnungen verändern wird.

Unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklungstrends - das haben Sie zum Schluss gesagt; dass die Arbeitslosigkeit gesunken ist, hat oft auch einen demografischen Faktor, den sollte man nicht vergessen - und der sich verschärfenden Fach- und Arbeitskräftesituation besteht Handlungsbedarf, um für die Zukunft Arbeitskräftepotenziale zu erschließen.

Es gibt dazu auch eine Gruppe in der Staatskanzlei mit allen Vertretern der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften unter der Leitung des Ministerpräsidenten, in der es um Arbeitskräftesicherung und -gewinnung geht. Ich glaube, die machen gute Fortschritte. Die Wissenschaftsministerin und ich dürfen dabei sein.

Es bedarf tatsächlich wirksamer Instrumente, um Integrationshemmnisse wie fachliche Defizite und gesundheitliche und soziale Probleme abzubauen.