Protokoll der Sitzung vom 13.09.2013

Die Landesregierung müsste zunächst einmal dafür sorgen, dass diese Missstände, die offensichtlich sind, wirklich konsequent abgestellt werden und dass die Leitlinien des Landes konsequent umgesetzt werden.

Meine Damen und Herren! Die Aufzählung dieser Missstände ist wirklich nur ein kleiner Auszug, aber sie macht deutlich: Wir brauchen einen Wandel im Umgang mit der Unterbringung von Flüchtlingen und Migranten. Wir brauchen verbindliche Regeln und keine Empfehlungen, weil diese Empfehlungen nicht ausreichen.

Wenn wir nicht konsequent auf dezentrale Wohnungsunterbringung setzen - das sage ich mit Blick auf die perspektivisch eher wachsenden Flüchtlingszahlen -, dann werden sich diese Probleme in Zukunft noch verstärken. Weitere Neueröffnungen von Sammellagern, weitere Unterbringungsmöglichkeiten wie Container neben solche Häuser zu stellen - all das stellt keine tragfähige Lösung dar.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir bitten deshalb mit unserem Antrag die Landesregierung, den Entwurf eines geänderten Aufnahmegesetzes vorzulegen, das für alle Familien und Alleinerziehenden nach Beendigung der Wohnverpflichtung in der Sammelunterkunft eine verpflichtende Wohnraumunterbringung vorsieht.

Außerdem soll die Dauer der Wohnverpflichtung auf einen Zeitraum von einem Jahr gesenkt werden. Ich denke, ein Jahr in einer Sammelunterkunft zur Orientierung ist angemessen. Dann kann geeigneter Wohnraum gesucht werden. Dann soll die Unterbringung in einer Wohnung erfolgen.

Wir wollen und müssen, meine Damen und Herren - auch das haben wir mit unserem Antrag vorgeschlagen -, die Kommunen stärker in die Pflicht nehmen. Auf keiner Ebene gibt es mehr Kenntnisse und Handlungsmöglichkeiten in Bezug auf den Wohnungsmarkt und auf freien Wohnraum.

Es ist offensichtlich, dass wir in Sachsen-Anhalt kein Problem mit bezahlbarem Wohnraum haben - zum Glück nicht. Eher macht der Leerstand uns Probleme und wir reißen in einigen Gemeinden und Städten Wohnungen ab. Aber das Problem ist, dass die Landkreise unzureichend über den tatsächlich freien Wohnraum informiert sind.

Wir wollen die Kommunen stärker in dieses System einbinden. Daher sollte die Verpflichtung zur Unterbringung von Flüchtlingen sowie Migrantinnen und Migranten als Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises auf die Gemeinden übergehen.

Wir haben das juristisch prüfen lassen, unter anderem durch den GBD, der der Meinung ist, dass dies durchaus ein rechtlich zulässiges Verfahren darstellen würde. Über die genaue Regelung und über die Verteilung der Finanzströme müssen wir uns im Innenausschuss einig werden. Darüber müssen wir politisch debattieren.

(Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Meine Damen und Herren! Mit einer solchen Neuordnung könnten wir die Unterbringung von Flücht

lingen und Migranten in Sachsen-Anhalt vom Kopf auf die Füße stellen. Wir könnten nicht alle Probleme lösen, aber in einem Kernbereich zu sinnvollen Änderungen kommen.

Wir würden die Unterbringung gerechter und effizienter gestalten, wir würden die Kommunen stärker einbinden und die Finanzierung entsprechend umstrukturieren. Dieses System hätte unserer Meinung nach für alle Beteiligten Vorteile, allen voran natürlich für die Betroffenen, die wir integrieren wollen und die die Möglichkeit dazu bekommen müssen. Sie würde es an vorderster Front begünstigen und diese Integration überhaupt erst möglich machen.

Die Isolation würde beendet, die Eigenverantwortung der Betroffenen würde gestärkt und die Menschen würden im Land gerechter und kleinteiliger in der Breite verteilt. Dies hätte - davon sind wir überzeugt; darin sind wir uns einig mit anerkannten Fachverbänden und Flüchtlingsorganisationen - nur Vorteile für alle Betroffenen.

Meine Damen und Herren! Wir legen Ihnen mit unserem Antrag einen Vorschlag für eine solche Neuregelung vor. Das ist eine Idee. Die Probleme, die wir in diesem Bereich haben, sind offensichtlich. Ich denke, wir sollten sie, wenn wir ihre Existenz akzeptieren, engagiert angehen und schauen, wie wir zu besseren Lösungen kommen können.

Ich glaube, dass die Ablehnung eines Vorschlages und das Ersetzen durch einen Alternativantrag nicht der richtige Weg ist, zumal der Alternativantrag überhaupt nicht weiterführend ist, sondern im Grunde nur das bestätigt, was schon passiert.

Kommen Sie bitte zum Ende.

Ich komme zum Ende. - Deswegen beantrage ich namens meiner Fraktion die Überweisung unseres Antrages in den Innenausschuss. Ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn sich die Vertreterinnen und Vertreter der Koalitionsfraktionen dort einer ernsthaften Diskussion mit offenem Ausgang nicht verschließen würden. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Danke, Herr Kollege Herbst. - Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Stahlknecht. Bitte schön, Herr Minister, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag Ihrer Fraktion, Herr Herbst,

zielt im Wesentlichen auf eine Änderung des Aufnahmegesetzes. Sie wollen in dem Aufnahmegesetz das regeln, was wir zunächst in Leitlinien festgelegt haben, die seit Januar 2013 mit meinem Erlass Gültigkeit haben.

Ich teile Ihre Auffassung - darüber haben wir schon mehrfach in diesem Hause gesprochen -, dass es nicht angehen kann, dass Menschen über mehrere Jahre - im schlimmsten Fall, wenn man Ihre Zahl als wahr unterstellt, 18 Jahre lang - in einer zentralen Unterkunft untergebracht sind. Diesbezüglich bin ich mit Ihnen einer Meinung.

Ich bin mit Ihnen auch der Auffassung, dass dort lebende Menschen, die Familie oder Kinder haben, nach einer gewissen Verweildauer in Wohnungen unterzubringen sind. Auch diesbezüglich sind wir inhaltlich völlig d’accord.

Ich bin aber der Auffassung, dass wir das, was wir jetzt begonnen haben, nicht bereits in einem Gesetz regeln sollten. Wir haben verabredet, dass wir ein Monitoring durchführen und zwei Jahre nach dem Inkrafttreten der Leitlinien die Datenbestände und die Erfahrungen, die wir gewonnen haben, auswerten.

Anders als Sie weiß ich aus den Landkreisen, dass es für diese äußerst schwierig ist, geeigneten Wohnraum zu finden, weil sie nicht Wohnraum in einem Wohnblock anmieten können oder nicht einen Wohnblock bauen können. Denn dann hätten sie wieder eine zentrale Unterbringung unter dem Deckmantel einer Dezentralisierung.

(Zuruf von Herrn Striegel, GRÜNE)

Deshalb dürfen wir, wenn wir Flüchtlinge in Wohnungen unterbringen, nicht erneut zu einer Gettoisierung kommen. Deshalb muss geschaut werden, dass die Flüchtlinge auf verschiedene Wohngebäude verteilt werden. Das ist ein Prozess, der in den Landkreisen jetzt vorrangig forciert werden muss. Das bedarf einer gewissen Zeit. Wir können die Landkreise nicht mit einem Gesetz in dieser Schnelligkeit dazu zwingen.

Ich teile nicht Ihre Auffassung, dass die Landkreise ihrer Aufsichtspflicht nicht gerecht werden. Wir haben keine Erkenntnisse darüber - auch nicht in dem von Ihnen geschilderten Fall, in dem der Hungerstreik stattgefunden hat -, dass ein Landkreis seiner Aufsichtspflicht nicht nachgekommen wäre und dass die Gebäude, in denen die Menschen untergebracht werden, nicht in Ordnung wären. Sie sind mit Sicherheit nicht so ausgestattet, dass man dort länger leben sollte. Diese Auffassung teile ich.

Auch hinsichtlich der Tatsache, dass Menschen, die bei uns leben, auch arbeiten und sich damit in die Gesellschaft einbringen sollen, teile ich Ihre Auffassung. Dazu haben wir aber bereits am 25. Juni 2013 den Entwurf eines Gesetzes über

die Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen beschlossen.

Ich denke, meine Ausführungen belegen, dass wir durch die Leitlinien, die wir in dem Erlass festgelegt haben und die wir in diesem Jahr hier auch hinlänglich besprochen haben, die Grundlagen für eine dezentrale Unterbringung gelegt haben. Die Umsetzung der dezentralen Unterbringung gestaltet sich in den Landkreisen noch schwierig, weil die Landkreise dort geeigneten Wohnraum finden müssen.

Hinsichtlich der Berufstätigkeit habe ich Ausführungen zu dem gemacht, was wir beschlossen haben. Es gibt auch noch die EU-Vorgaben, die, wenn sie denn umgesetzt werden, vorsehen, dass es den Menschen, die hier leben, schneller ermöglicht werden soll, am Arbeitsleben teilzunehmen, als das tatsächlich der Fall ist. Auch das gehört zur Wahrheit.

Zu Ihrer Frage hinsichtlich der Regierungserklärung. Ich habe sie nicht vergessen, ich plane sie nach wie vor. Aber dieses Thema ist mir so wichtig, dass ich die Regierungserklärung nicht vor einer Bundestagswahl, wo man der Gefahr erliegen könnte, sie für den Wahlkampf zu missbrauchen, abgeben wollte. Deshalb wird sie zu einem späteren Zeitpunkt kommen. Aber sie wird kommen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. - Wir treten jetzt in die vereinbarte Fünfminutendebatte ein. Als Erste spricht für die Fraktion der SPD Frau Schindler. Bitte schön, Frau Kollegin.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist schon angesprochen worden: In dem Antrag geht es um die Lebensverhältnisse von Flüchtlingen sowie Migranten und Migrantinnen in Deutschland, aber vorrangig - das haben schon die beiden Redebeiträge gezeigt - geht es um die menschenwürdige Unterbringung von hier lebenden Flüchtlingen. Darauf möchte ich in meinem Redebetrag hauptsächlich eingehen.

Wenn wir uns die Debatte von gestern zur Aufnahme von syrischen Flüchtlingen in Erinnerung rufen, wissen wir, dass wir auch damit konfrontiert werden, dass sich die Anzahl der Flüchtlinge in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten wieder erhöhen wird. Wir hatten in der letzten Zeit einen Rückgang zu verzeichnen, sodass das Problem nicht mehr derart massiv im Fokus stand. Aber die Frage der Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern in Sachsen-Anhalt wird jetzt wieder eine neue Dimension bekommen.

Das bedeutet natürlich auch, dass wir die Auseinandersetzung aller Beteiligten mit diesem Thema wieder intensiv führen müssen. Die öffentlichen Diskussionen vor allen Dingen über die Fälle, in denen es zu Unzulänglichkeiten und zu unbefriedigenden Zuständen kommt, sind bekannt. Herr Herbst, auch Sie haben es in Ihrer Rede erwähnt. Es geht um all die Fälle, die auch durch die Medien gegangen sind.

Wir haben uns auch im Plenum bereits öfter über diese Problematik unterhalten. Es sind - das hat der Minister erwähnt - verschiedene Schritte eingeleitet worden, um diese Situation zu ändern, zum Beispiel der Runderlass des Ministeriums auf der Basis der Leitlinien vom 15. Januar 2013. Ich bin auch der Meinung, dass dieser erst einmal umgesetzt werden und sich bei allen Beteiligten niederschlagen muss.

Vor allen Dingen die Umsetzung vor Ort verursacht die Probleme, unabhängig davon, welche politische Führung in welchem Landkreis, in welcher Stadt tätig ist. Die Fälle in Bernburg, in Friedersdorf, in Zeitz und - wie wir gesehen und gehört haben - auch bundesweit, zum Beispiel in BerlinHellersdorf, zeigen: Es ist egal, an welchem Ort wir sind, die Unterbringung von Asylbewerbern und von Flüchtlingen ist immer auch ein hochemotionales Thema.

Die zuständigen Behörden sind hin- und hergerissen zwischen der eigentlichen Erfüllung der gesetzlichen Aufgabe und - das ist das Hauptproblem - der Frage der Akzeptanz und der Anerkennung der Unterbringung von Asylbewerbern und Flüchtlingen in Deutschland. Ich denke, darin liegt das entscheidende Problem. Es liegt nicht in den gesetzlichen Regelungen, die wir umsetzen können,

(Herr Herbst, GRÜNE: Beides!)

sondern darin, wie es vor Ort praktiziert wird und wie die Gesellschaft es gemeinsam meistert, dieses Problem zu lösen.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich habe ebenfalls von vielen Problemen im Zusammenhang mit der neuen Regelung gehört, zum Beispiel dass die Städte und Gemeinden von den Landkreisen angeschrieben und aufgefordert werden, Wohnraum zur Verfügung zu stellen, dass aber die Landkreise von den Städten und Gemeinden darauf keine Antwort bekommen.

(Herr Herbst, GRÜNE: Richtig!)

Daran zeigt sich immer wieder das Hin- und Herschieben der Verantwortung, aber wiederum auch das Problem der Akzeptanz vor Ort. Warum soll eine Gemeinde dieses Problem lösen - dabei habe ich nicht nur die großen Städte Magdeburg, Dessau und Halle, sondern auch unsere Einheits

gemeinden, Gemeinden mit 10 000 Einwohnern im Blick -, wenn sie vielleicht gar keinen freien Wohnraum besitzt - davon gibt es viele - oder auf ihre kommunalen Wohnungsunternehmen zurückgreifen muss? Denn letztlich können nicht alle gesellschaftlichen und sozialen Probleme durch die kommunalen Wohnungsunternehmen gelöst werden.

Ich sehe in der Übertragung dieser Aufgabe auf die Gemeinden eine Schwierigkeit, über die intensiv diskutiert werden muss, wobei ich diese Lösung heute eher ablehne, als dass ich ihr zustimme.