Protokoll der Sitzung vom 12.12.2013

Mit Blick auf die Erstaufnahmeeinrichtung ZASt in Halberstadt hat sich die Situation sogar erheblich

verschlechtert, was etwas mit den gestiegenen Zahlen zu tun hat, auf die das Land offenbar nicht ausreichend vorbereitet war. Die ZASt ist heillos überfüllt. Neu Ankommende müssen zum Teil in der Turnhalle einquartiert werden, mit nicht hinnehmbaren hygienischen und sanitären Bedingungen. Im Moment leben etwa 150 Kinder in der ZASt. Seit Beginn dieses Jahres gibt es aber keine Kinderbetreuung.

Auch an dieser Stelle zeigt sich im Übrigen, dass das Konzept der rein verwaltungsinternen Ausschreibung nicht zuverlässig funktioniert und dass fast über ein Jahr hinweg offenkundig niemand die Notwendigkeit sah, einen anderen Weg zu gehen und hier endlich ein Angebot zur Kinderbetreuung zu schaffen.

Zusätzlich zur räumlich problematischen Situation erschwert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Lage für die Ankommenden, indem die für die Erstaufnahmeeinrichtung nach wie vor geltende Residenzpflicht nicht einmal auf den Landkreis Harz bezogen ist, sondern ausschließlich auf das Stadtgebiet von Halberstadt.

Nach wie vor ist die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften die Regelunterbringung. Die Flüchtlinge werden zumeist isoliert von der Mehrheitsgesellschaft in randständigen Gebieten mit schwieriger und nicht durchgängig gegebener Anbindung an den ÖPNV, an soziale und gesundheitliche Infrastruktur und an gesellschaftliche Teilhabe untergebracht und zu weiten Teilen von demokratischer Mitbestimmung und gesellschaftlicher Teilhabe ausgeschlossen. Es müssen erwachsene Menschen zwangsweise auf engstem Raum zu dritt, zu viert, zu mehreren für eine unbestimmte Zeit ohne Privatsphäre und ohne die Chance auf eine selbstbestimmte Lebensführung zu Untätigkeit verdammt leben.

Der oft bemühte Erlass des Innenministers zur Unterbringung ändert daran nur minimal etwas. Denn auch er beinhaltet die bereits beschriebenen, restriktiven Ausschlussgründe. Auch er greift nur für einen kleinen Teil der Menschen. Aufgrund der Fülle von Soll- und Kann-Bestimmungen ist er eben keine verbindliche und effektive Regelung.

(Beifall bei der LINKEN)

Wie so oft im Bereich des Asyl- und Aufenthaltsrechts ist er Teil einer Kette von hin- und hergeschobener Verantwortung für Menschen. Der Erlass wird teilweise umgangen. Teilweise wird er explizit als Rechtfertigung für zentrale Gemeinschaftsunterbringung herangezogen nach dem Motto: Wir würden ja, aber wir dürfen erst nach drei Jahren dezentral unterbringen. Dass eine solche Argumentation seitens der jeweiligen Landkreise unehrlich und unredlich ist, ist klar.

Nachdem der Erlass aber seit fast einem Jahr in Kraft ist und noch nicht einmal der Kernbereich,

nämlich die dezentrale Unterbringung von Familien, komplett umgesetzt wird, ist es nicht weniger unehrlich, so zu tun, als wäre alles geklärt und zum Besten geregelt. Das, Herr Minister, passt nicht zum Bild des Innenministers als besserem Integrationsminister. Das hat mit Willkommenskultur nichts zu tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Weil Sie gestern hier den Haushalt verabschiedet haben, auch dazu noch ein Wort. Es wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Willkommenskultur gewesen, den Finanzbedarf der Kommunen für die Unterbringung der Asylbewerberinnen und Asylbewerber ehrlich zu erfassen und ihnen die notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen.

(Beifall bei der LINKEN - Herr Schröder, CDU: Haben wir doch!)

Ich bin sicher, das würde es bei allen Schwierigkeiten auch erleichtern, Willkommenskultur vor Ort zu etablieren. Die zusätzlichen 4,6 Millionen € sind nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.

Herr Minister, Sie sprachen das Modellprojekt und ein geplantes Anschlussprojekt an, von dem der Impuls ausgehen soll, die Ausländerbehörden zu Willkommensbehörden zu gestalten. Das begrüße ich ausdrücklich. Ich zweifele auch in keiner Weise an der Notwendigkeit, zumal ich es auch noch nie erlebt habe, dass jemand, der schon einmal in einer Ausländerbehörde war und mit einer Ausländerbehörde zu tun hatte, mich angesichts des Begriffs „Willkommensbehörde“ nicht höhnisch ausgelacht hätte.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Denn die Ausländerbehörden stellen im Moment das krasse Gegenteil von Willkommensbehörden dar. Die Ausländerbehörden werden in keiner Weise als Service- oder Beratungsstellen wahrgenommen. Im Gegenteil, sie werden eher als eine Art drohendes Damoklesschwert und die Entscheidungen nicht selten als willkürlich und nicht nachvollziehbar empfunden.

Gerade auch das Ziel, dass Magdeburg hier eine Vorreiterrolle übernehmen soll, erscheint mir sehr angebracht. Erst in dieser Woche beschrieb meine Kollegin den Fall einer Bekannten, die seit dem Jahr 2008 in Magdeburg lebt, die es geschafft hat, sich ihren Lebensunterhalt zu sichern, die eigentlich ein ganz normales Leben führen könnte, allerdings nach wie vor alle drei Monate einen neuen Antrag bei der Ausländerbehörde stellen muss, alle drei Monate aufs Amt muss und die sich dort als alles andere als eine Kundin vorkommt. Insofern kann ich Sie in dieser Problemwahrnehmung nur unterstützen. Ich hoffe inständig, es bleibt hier nicht nur bei der Ankündigung.

Herr Minister, Sie haben in Ihrer Rede mit einem Resümee begonnen, das sich auf die Formel „Es

wurde schon viel erreicht“ bringen lässt. Ja, tatsächlich hat sich im Land etwas getan mit Blick auf die in Ihrer Logik erwünschte Migration. Und auch wenn ich Ihre Unterscheidung in nützliche und nicht nützliche Zuwanderung nicht teile, verkenne ich nicht, dass es tatsächlich Schritte gibt, dass es einzelne Projekte gibt, die Zugänge zum Arbeitsmarkt möglich machen sollen, die Arbeitsmöglichkeiten auftun sollen, die spezifische Sprachkompetenzen vermitteln sollen und die Orientierung in dem Verfahren zur Anerkennung im Ausland erworbener Berufsqualifikationen geben sollen und dies auch tun.

Das sehe ich sehr wohl. Ich sehe vor allem, dass das auch und maßgeblich etwas mit der besseren Vernetzung der migrantischen Communities, mit der Etablierung des Netzwerks der Migrantenselbstorganisation und mit der aufopferungsvollen Arbeit vieler oft auch ehrenamtlich tätiger Menschen zu tun hat.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Dafür will ich denjenigen, die diese Arbeit leisten, ausdrücklich danken. Ich fände es allerdings besser, wenn es nicht nötig wäre, mit so viel Engagement, mit so viel Herzblut, auch mit Kreativität die bestehenden Hürden für Zugewanderte beim Zugang beispielsweise zum Arbeitsmarkt zu umgehen oder Lücken zu finden, die passen könnten, wenn es endlich gesetzliche und verbindliche Regelungen gäbe, die die Hürden aus dem Weg räumen.

Willkommenskultur braucht mehr als Einwanderungskampagnen und Modellprojekte. Willkommenskultur braucht eine politische und gesellschaftliche Verständigung und ein Grundverständnis, das Vielfalt und Unterschiedlichkeit auch unabhängig von der Frage der Herkunft nicht als Problem, sondern als Selbstverständlichkeit begreift, und eine Politik, die weniger auf Normierung als auf Selbstbestimmung zählt.

Willkommenskultur braucht konkrete Schritte: den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers, einem Zugewanderten unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus ein Leben in Würde und Selbstbestimmung zu garantieren, die gesetzlich festgeschriebene dezentrale Unterbringung Asylsuchender als Regelunterbringung. Die genaue und regelmäßige Kontrolle der Verfahrensweise der Landkreise und die Beteiligung des Landes an Initiativen zur bundesweiten Abschaffung der Residenzpflicht als Beispiel wären solche konkreten und notwendigen Schritte.

Überfällig und notwendig wäre auch und gerade das klare politische Signal, dass Menschen, die Schutz suchen, in Sachsen-Anhalt willkommen sind. Ich will Ihnen abschließend auch hierzu einen konkreten Vorschlag machen.

Ich bin in meiner Rede auf die Situation der Roma in den Staaten Osteuropas eingegangen. Die verschiedenen Probleme verschärfen sich mit dem Beginn des Winters massiv, was viele Bundesländer in der Vergangenheit und auch in diesem Jahr dazu brachte, einen sogenannten Winterabschiebestopp zu erlassen.

Herr Minister, ich appelliere an Sie, dies auch für Sachsen-Anhalt zu tun. Das wäre ein wichtiger Schritt auf einem Weg zu einer Willkommenskultur. Es wäre weitaus angemessener, als Menschen zum Vorwurf zu machen, dass sie das Recht auf Freizügigkeit und auf Visumfreiheit in Anspruch nehmen, und ihnen zu unterstellen, sie wären potenziell nicht rechtstreu und würden alles tun, um ihre Asylverfahren in die Länge zu ziehen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN)

Als Nächste spricht für die Fraktion der SPD Frau Abgeordnete Budde.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Montag dieser Woche berichtete die „Mitteldeutsche Zeitung“ auf Seite 2 darüber, dass die Landesregierung im Frühjahr zusammen mit der spanischen Region Valencia, dem Bildungswerk der Wirtschaft und dem Institut für Strukturpolitik und Wirtschaftsförderung ein Pilotprojekt gestartet hat, um Fachkräfte nach Sachsen-Anhalt zu holen und den Fachkräfteengpass im Land zu bekämpfen. Sie hat das Projekt an Firmen gerichtet, die hier keine Fachkräfte finden.

Natürlich bekommen sie geeignete Bewerberinnen und Bewerber aus der Region Valencia vermittelt. Das ist auch gut so; denn dort liegt die Arbeitslosigkeit bei 28 %. Das, meine Damen und Herren, würde man als eine Win-win-Situation bezeichnen, sowohl für diejenigen, die herkommen, als auch für unsere Firmen.

Das klingt logisch, das klingt auch gut und das ist mit Sicherheit eine wichtige Säule bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels. Aber das wirft auch drei Fragen auf.

Die erste Frage ist dabei: Ist die Zuwanderung von Fachkräften genauso selbstverständlich, wie sie wünschenswert ist?

Die zweite Frage ist: Wäre die Gewinnung und der Einsatz dieser Fachkräfte genauso gut und unproblematisch möglich, wenn sie nicht aus Europa, sondern aus Afrika oder Südamerika kämen?

Und die dritte Frage: Sind die Rahmenbedingungen und die Lebensbedingungen für ausländische Fachkräfte und ihre Familien, ist das gesellschaft

liche Umfeld überall so, dass sie auch hierbleiben wollen?

Diese Fragen, die ich eben gestellt habe, muss man heute tendenziell leider eher noch mit Nein beantworten. Damit sind wir auch mitten im Thema der heutigen Debatte.

Der Integrationsbeirat der Bundesregierung hat im Februar 2012 Empfehlungen für einen gesamtgesellschaftlichen Paradigmenwechsel in der Einwanderungspolitik im Sinne einer Willkommenskultur abgegeben. Der Bericht ist überschrieben mit dem Wort „Willkommen“. Der Beirat hatte ein Zitat von Heribert Prantl vorangestellt, dem Leiter des Innenressorts der „Süddeutschen Zeitung“. Dieser schreibt:

„50 Jahre lang hat die deutsche Politik über die Köpfe der Einwanderer hinweg darüber gestritten, ob Deutschland nun ein Einwanderungsland ist oder nicht. Die sogenannte Ausländerpolitik wurde nicht für die neuen Bürger gemacht, sondern für die alteingesessenen deutschen Wähler. Sie waren die alleinigen Adressaten, und im Umschlag mit der falschen Adresse steckte auch noch eine falsche Politik, eine, die den Einwanderer vor allem als Sicherheitsrisiko beschrieb.“

So weit das Zitat.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Der Befund ist leider auch richtig. Wie sonst sollte man den Umstand bezeichnen, dass wir im Landtag und in der gesamten Bundesrepublik immer noch darüber streiten, unter welchen Bedingungen wir Bildungsabschlüsse anerkennen oder auch nicht anerkennen? Wie sonst sollte man es nennen, wenn Europa - ich werde das Stichwort nachher noch einmal aufnehmen, ich nenne es nur - sich bei der Flüchtlingspolitik wie eine Festung verhält? Wenn man Menschen zwingt, sich zwischen zwei Staatsbürgerschaften zu entscheiden, ist das mitnichten eine Willkommenskultur. Das muss sich ändern, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei allen Fraktionen)

Die Frage ist auch eigentlich nicht, ob wir ein Einwanderungsland sind oder es werden wollen. Diese Frage ist durch ein halbes Jahrhundert gelebte Praxis längst entschieden. Deutschland ist ein Einwanderungsland. Die Frage ist also nicht, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist, sondern wie dieses Land mit seinen Einwanderern umgeht. Das ist die Frage, die wir zu besprechen haben und über die wir zu reden haben.

Dazu brauchen wir nichts weniger als einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der Einwanderungs- und Integrationspolitik der Bundesrepublik. Es gibt bisher stark restriktive Regeln. Wir müssen

uns fragen, ob nicht eher die auf Abwehr orientierte Haltung überwiegt. Was wir andererseits brauchen, ist das Gegenteil von dem, nämlich eine Willkommens- und eine Akzeptanzkultur.

Ich will auch deutlich sagen, dass die Forderung nach einem Paradigmenwechsel in jedem Fall und auch an erster Stelle eine humanitäre Frage ist und nicht nur eine Frage der Einwanderung. Denn wir vermischen heute hier zwei Dinge, die natürlich große Schnittmengen haben, aber nicht deckungsgleich sind, das Thema Asyl und das Thema - ich will mal in Klammern davor setzen: gewollte - Zuwanderung und Einwanderung. Die lassen sich ganz schwer zusammen diskutieren.

(Herr Schröder, CDU: So ist es!)

Denn bei dem einen Punkt wird es vermutlich über alle Fraktionen eine große Übereinstimmung geben, während es bei dem anderen - das wurde eben von der Kollegin der LINKEN noch einmal deutlich gemacht - offensichtlich sehr unterschiedliche Auffassungen gibt.

Auch wenn ich mich heute in dem folgenden Teil meiner Rede mehr dem Thema Einwanderung und Zuwanderung zuwenden werde, will ich an dieser Stelle aus aktuellem Anlass deutlich sagen, dass wir das Thema Flüchtlingspolitik, auch ein Einzelthema im Bereich Asyl, nicht aus den Augen verlieren dürfen. Denn das, was gegenwärtig in Europa passiert, ist peinlich für Deutschland. Wir überlassen das Problem den Außenstaaten, und wir haben keine akzeptable Regelung gefunden, wie wir mit diesen Flüchtlingsströmen umgehen. Aber ein reiches Europa muss sich dem stellen und muss es tun, uns zwar mehr als heute.