Meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen! Wenn Sie die Auffassung der Verfassungswidrigkeit wie wir teilen, wäre es nur folgerichtig, wenn Sie heute auch unserem Entschließungsantrag hinsichtlich des abstrakten Normenkontrollverfahrens beitreten würden. Dann sind Sie zweifelsohne aus der misslichen Lage ein Stück weit heraus und zeigen auch dem Bundesgesetzgeber deutlich eine rote Karte.
Wir dürfen nicht dem öffentlichen Druck eines Sicherheitsbedürfnisses erliegen, der durch die vorliegenden zweifelsfrei schweren Straftaten schuldiger Täter entsteht. Wir leben in einem Rechtsstaat und da ist eben nicht jedes Mittel erlaubt, sondern jedes staatliche Handeln muss auf seine Verfassungsmäßigkeit hin geprüft werden.
Unsere heutige Ablehnung hat aber nicht nur damit zu tun, dass wir die Gesetzgebungskompetenz des Bundes anzweifeln. Nach wie vor hält DIE LINKE die nachträgliche Sicherungsverwahrung, wie auch immer sie ausgestaltet sein mag, für konventions- und verfassungswidrig. Menschen werden für Handlungen bestraft, die sie nicht begangen haben, Menschen werden im Nachhinein dafür auch noch bestraft, dass mit ihnen nicht ausreichend im Vollzug gearbeitet wird und dass die Resozialisierung im Strafvollzug völlig unzureichend ist.
Nicht ohne Grund fordert das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber auf, mindestens in der Sicherungsverwahrung therapeutische Angebote der jeweils erforderlichen Art anzubieten. Doch das, meine Damen und Herren, muss bereits im Vollzug geschehen.
- Sie können doch ein Opfergesetz einbringen; darüber reden wir aber gerade nicht. Oder Sie stellen nachher eine Frage, dann habe ich noch ein bisschen mehr Redezeit.
Schon von Antritt der Freiheitsstrafe an müssen alle Maßnahmen im Vollzug so ausgerichtet sein, dass die Erforderlichkeit der Sicherungsverwahrung ausgeschlossen ist. Langfristig können wir nur so das, was wir alle wollen, einen relativen Schutz der Bevölkerung, gewährleisten. Einen absoluten Schutz der Bevölkerung gibt es nicht.
Das Bundesverfassungsgericht urteilte schon vor Jahren - auch das ist in der Anhörung gesagt worden -, dass die lebenslange Freiheitsstrafe eben nicht lebenslang vollzogen werden darf, weil jeder Mensch eine zweite Chance verdient hat. Zudem hat der Strafvollzug den klaren gesetzlichen Auftrag, die Gefangenen auf ein straffreies Leben vorzubereiten. Doch mittels der nachträglichen Sicherungsverwahrung haben Sie eine Hintertür gefunden und sperrangelweit geöffnet, um sich um diesen Grundsatz herumzuschleichen. Meine Damen und Herren! Das entspricht nicht dem Rechtsstaatsgedanken und auch nicht der Menschenwürde.
Ein weiterer wesentlicher Grund für unsere heutige Ablehnung wurde insbesondere von den Fachleuten der Psychiatrie in der Anhörung genannt: Es findet ein Missbrauch der Psychiatrie statt, die Psychiatrie wird zum Abfalleimer für jene, mit denen die Gesellschaft nicht mehr klarkommt. Ich denke, meine Damen und Herren, gerade wegen unserer Geschichte dürfen Sie das nicht zulassen.
Sie haben einen Ort für die Verwahrung von Straftätern gesucht, um Sicherheitsbedürfnisse der Gesellschaft zu befriedigen, und in der Psychiatrie gefunden. Doch der Preis ist nach Auskunft der Akteure sehr hoch. Sie bringen die Erfolge im Maßregelvollzug in Gefahr, und das liegt nicht allein in der prekären Personalsituation begründet, sondern auch in der Verschlechterung des therapeutischen Klimas. Es ist auch nicht zu vergessen, dass sich in der Psychiatrie kranke Menschen befinden. Doch darüber sprechen wir nicht. Die Klientel, über die wir sprechen, ist eben nicht krank. Wir sprechen über straffällige Menschen und da ist vor allem das Strafrecht in der Verantwortung.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist keine einfache Materie, mit der wir es tun haben, und auch wir haben keine einfache Lösung. Doch eine Gesellschaft misst sich eben auch im Umgang mit allen Menschen, seien es die Opfer, seien es die Täter. Bevor wir eine solche derart intensiv in die Rechte von Menschen eingreifende Maßnahme wie die nachträgliche Sicherungsverwahrung vornehmen, muss gründlich geprüft werden, ob das tatsächlich die Ultima Ratio ist oder ob es nicht im Vorfeld mögliche Maßnahmen geben kann, die
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ihnen liegt ein Gesetzentwurf vor, bei dem wir nicht umhinkommen, ihn zu verabschieden. Ich gehe allerdings davon aus, dass dieses Gesetz zwar die Gesetzessammlung des Landes Sachsen-Anhalt bereichern wird, dass wir es aber womöglich nicht wirklich brauchen. Ich habe diesem Gesetzentwurf von vornherein skeptisch gegenübergestanden - das habe ich auch in den Ausschussberatungen deutlich gemacht -, und das aus zwei Gründen:
Zum einen, weil das System der Sicherungsverwahrung sicherlich zu hinterfragen ist. Es ist heute schon wieder mehrfach gesagt worden, dass das Bundesverfassungsgericht dankenswerterweise die Sicherungsverwahrung - mit einem Paukenschlag, wie Frau Ministerin formulierte - vom Kopf auf die Füße gestellt hat. Das ThUG, das Therapieunterbringungsgesetz, ist für die Altfälle gemacht worden. Es ist vom Bundesverfassungsgericht allerdings nicht ausdrücklich aufgehoben worden, es war auch nicht Gegenstand der Überprüfung.
Nun ist es zutreffend, Frau von Angern, dass es im Bundestag, als dieses Gesetz zur Beratung anstand, verfassungsrechtliche Bedenken gab. Diese sind gewissermaßen auf kleinerer Ebene im Landtag wiederholt worden. Dennoch, der Bundesgesetzgeber hat das Gesetz verabschiedet, es ist geltendes Recht. Ich darf jetzt aus der Stellungnahme unseres Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes zu dieser Frage zitieren:
„Die Länder besitzen keine Normenverwerfungskompetenz und dürfen die Ausführung eines von ihnen für verfassungswidrig gehaltenen Gesetzes nur dann unterlassen, wenn das Bundesverfassungsgericht eine parallele Rechtsvorschrift bereits für nichtig erklärt hat oder eine Verfassungswidrigkeit von ähnlicher Offensichtlichkeit vorliegt.“
„Das Prinzip der Bundestreue verpflichtet die Länder außerdem, Bestimmungen zu einem anderenfalls nicht ausführbaren Bundesgesetz zu erlassen.“
Dem tragen wir mit diesem Ausführungsgesetz Rechnung. Dass es sich dabei nur um eine Übergangsregelung handeln kann, ist wiederholt gesagt worden. Das ist auch der Grund dafür, dass wir mit
einem Änderungsantrag, der in die Beschlussempfehlung Eingang gefunden hat, eine Befristung dieses Gesetzes erreichen wollen. Wir gehen davon aus, dass das Therapieunterbringungsgesetz das rechtliche Schicksal teilt, das das Bundesverfassungsgericht bereits für die Sicherungsverwahrung festgestellt hat, und dass es bis zum 31. Mai 2013 ein Gesamtkonzept geben muss, das auch diese Fragen regelt.
Der zweite Aspekt meiner Skepsis beruht darauf, dass für mich nach wie vor die Frage im Raum steht, ob es nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts überhaupt noch Raum für das Therapieunterbringungsgesetz gibt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung angeordnet, dass für die Altfälle eine Sicherungsverwahrung nur noch dann angeordnet werden darf, wenn eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- und Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten abzuleiten ist und dieser - jetzt kommt es - kumulativ an einer psychischen Störung im Sinne des Therapieunterbringungsgesetzes leidet.
Das haben die Strafvollstreckungskammern unverzüglich, und zwar spätestens bis zum 31. Dezember 2011, zu prüfen. Liegen die Voraussetzungen vor, bleibt der Betreffende in der Sicherungsverwahrung, liegen sie nicht vor, ist er zu entlassen. Ob dann, wenn er entlassen wird, noch eine Zivilkammer daherkommen kann, die abermals die psychische Störung nach dem Therapieunterbringungsgesetz prüft und zu einer anderen Entscheidung gelangt, ist zumindest fraglich.
Ich habe aber zur Kenntnis zu nehmen, dass es eine Entscheidung eines erstinstanzlichen Gerichtes gibt, nämlich die des Landgerichts Stendal, das neben der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einen eigenständigen Anwendungsbereich des Therapieunterbringungsgesetzes bejaht. Wenn das herrschende Rechtsmeinung wird, dann brauchen wir in der Tat dieses Ausführungsgesetz zum Therapieunterbringungsgesetz.
In der jetzigen Situation bleibt das offen. Insoweit kommen wir nicht umhin - ich wiederhole mich -, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen. Den Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE - das ist begründet worden - lehnen wir ab. - Vielen Dank.
Herr Dr. Brachmann, Sie haben jetzt lang und breit erklärt, warum Sie in der misslichen Situation sind, dieses Gesetz heute beschließen zu müssen. Das will ich auch gar nicht weiter hinterfragen. Frau Ministerin hat in ihrer Rede schon gesagt, dass Sie dem Entschließungsantrag nicht zustimmen werden, und hat zur Begründung den doppelten Konjunktiv zu Hilfe genommen und gesagt, dass man aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts den Hinweis entnehmen könnte, dass aufgrund der Bezugnahme auf das ThUG keine Verfassungswidrigkeit vorliegen könnte.
Nun habe ich aber von Ihnen noch keine Rechtsauffassung gehört. Sind Sie der Auffassung, dass das ThUG, das auf Bundesebene beschlossen worden ist, verfassungsgemäß ist? - Denn wenn Sie der Auffassung nicht wären, dann könnten Sie unserem Entschließungsantrag heute folgen.
Ich beantworte die Frage. - Auch ich habe Zweifel, ob dieses Bundesgesetz verfassungsgemäß ist, nicht nur wegen der Gesetzgebungszuständigkeit - das ist der Aspekt, auf den Sie abstellen -, sondern es geht auch um die Auslegung des Begriffes in Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention, einer anderen Baustelle. Aber - da bin ich bei der Ministerin - das Bundesverfassungsgericht hat das, was das ThUG inhaltlich will, als Gradmesser dafür, wie künftig Sicherungsverwahrung ausgestaltet werden soll, vorgegeben und insoweit - ob bewusst oder unbewusst, kann ich nicht beurteilen - darauf verzichtet, die Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzes festzustellen.
Ich sage noch einmal: Wir haben dieses Ausführungsgesetz befristet, wie insgesamt die jetzige Rechtslage befristet ist. Es geht um eine Übergangsregelung, und eine verfassungsgerichtliche Prüfung, ob dieses ThUG zulässig ist oder nicht, hilft uns an dieser Stelle nicht weiter. - Vielen Dank.
Danke sehr, Herr Dr. Brachmann. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abgeordnete Herr Herbst.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Ausführung des Therapieunterbringungsgesetzes in Sachsen-Anhalt ist ein Vabanquespiel. „Vabanque“ bezeichnet ein riskantes Unterfangen, bei dem man alles aufs Spiel setzt. In der Tat ist das Gesetz in unseren Augen geeignet,
Es wurde schon darauf eingegangen, dass es sich wirklich um ein hoch komplexes Thema handelt. Aber wenn der Eindruck entsteht, dass man es mit den Rechten einer eher kleinen Zielgruppe nicht so genau nehmen muss, damit man zu einer Lösung für ein zugegebenermaßen kompliziertes juristisches Problem kommt, dann verlieren die Grundsätze unseres Rechtssystems ihre Glaubwürdigkeit. Nun könnte man sich zurücklehnen und sagen: „Das ist nicht unsere Idee gewesen, es ist ja ein Bundesgesetz, wir müssen das ja ausführen.“ Aber dann muss man auch einmal sagen, dass Murks nicht besser wird, wenn man Murks wiederholt.
Hier wird ein Gesetz durch den parlamentarischen Prozess gepeitscht - so muss man das schon nennen -,
von dem im Grunde alle Beteiligten wissen - auch das wurde heute schon angesprochen, Herr Borgwardt -, dass es keine rechtssichere, keine fachlich angemessene und keine langfristig tragfähige Lösung darstellt. Das ist nicht nur die Meinung der bündnisgrünen Landtagsfraktion, sondern das ist die Einschätzung sämtlicher psychiatrischer Fachverbände, der angehörten Juristen aus dem Wissenschaftsbetrieb, der Datenschützer und auch der Einrichtungen, die mit der Wahrnehmung der Aufgaben im Rahmen des Gesetzes betraut sein werden, und zwar in den psychiatrischen Krankenhäusern unseres Landes.
Nun habe ich in diesem Hause noch nicht viele Anhörungen miterleben dürfen. Aber die Anhörung zum ThUG im Rechtsausschuss war in der Tat sehr eindeutig. Es gab dort eine überwältigende Ablehnung, die ja nicht daher rührte, dass man sich nicht mit dem Problem auseinandersetzen wollte, sondern daher, dass es eben aus fachlicher Sicht und aus einigen grundsätzlichen Erwägungen heraus keine angemessene Lösung darstellt.
Der für mich entscheidende Punkt betrifft die unklare Zielgruppe des Gesetzes. Wer, wie es der Gesetzentwurf vorsieht, nach den Regelungen des Maßregelvollzugs in psychiatrischen Krankenhäusern untergebracht werden soll, bei dem muss eine diagnostizierte psychische Erkrankung vorliegen.
Der Anwendungsbereich des Gesetzes soll sich aber auf Schwerststraftäter erstrecken, deren Freilassung aufgrund ihrer Gefährlichkeit nicht zu verantworten ist. Nun ist davon auszugehen, dass bei diesen Menschen vom Grunde her eine disoziale Persönlichkeitsstörung vorliegen mag, nicht aber
notwendigerweise eine psychische Erkrankung. Denn dann könnten sie schon heute auf dem möglichen Weg in den Maßregelvollzug eingewiesen werden.
Das Gesetz impliziert also eine Gleichsetzung psychisch kranker Menschen mit schwerkriminellen Personen. Diese Stigmatisierung psychisch kranker Menschen ist nicht nur ein moralischer Irrweg, es ist auch ein juristischer Irrweg.