Protokoll der Sitzung vom 07.07.2011

Unterbrechung: 13.05 Uhr.

Wiederbeginn: 14.07 Uhr.

Meine Damen und Herren! Ich würde gern weitermachen. Ich weise aber darauf hin: Wir wollen die zweite Lesung eines sehr wichtigen Gesetzentwurfes durchführen. Ich würde vor der Abstimmung dafür sorgen, dass die Beschlussfähigkeit hergestellt ist.

(Zustimmung von Herrn Borgwardt, CDU, von Frau von Angern, DIE LINKE, und von Herrn Miesterfeldt, SPD)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 auf:

Zweite Beratung

Entwurf eines Gesetzes zur Ausführung des Therapieunterbringungsgesetzes in SachsenAnhalt (AG ThUG LSA)

Gesetzentwurf Landesregierung - Drs. 6/36

Beschlussempfehlung Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung - Drs. 6/157

Entschließungsantrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/187

Berichterstatter ist der Abgeordnete Herr Borgwardt. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Landesregierung wurde in der 2. Sitzung am 12. Mai 2011 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung und zur Mitberatung an den Ausschuss für Finanzen und an den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen.

Am 1. Januar 2011 ist das Bundesgesetz zur Therapierung und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter in Kraft getreten. Durch das Bundesgesetz ist weder geregelt, welche Behörde dafür zuständig sein soll, noch wie der Vollzug konkret ausgestaltet werden soll. Dazu bedarf es einer landesrechtlichen Regelung, die Ihnen mit dem Gesetz zur Ausführung des Therapieunterbringungsgesetzes in Sachsen-Anhalt in Drs. 6/36 vorliegt.

Der Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung hat sich bereits in der 1. Sitzung am 20. Mai 2011 mit dem Gesetzentwurf befasst und

aufgrund der Dringlichkeit eine enge Terminkette festgelegt.

In der 2. Sitzung am 27. Mai 2011 hat der Ausschuss eine vorläufige Beschlussempfehlung erarbeitet und an die mitberatenden Ausschüsse weitergeleitet. Dazu lag eine Synopse des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes vor, in der den Bestimmungen des Gesetzentwurfs die Empfehlungen des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes gegenübergestellt wurden. Der Ausschuss schloss sich den Empfehlungen des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes an.

Am 8. Juni 2011 fand unter Beteiligung der mitberatenden Ausschüsse eine öffentliche Anhörung zu dem Gesetzentwurf statt. Während der Anhörung wurden unterschiedliche Sichtweisen zur Verfassungsmäßigkeit des Gesetzentwurfes deutlich.

Am 9. Juni 2011 tagte der Ausschuss für Arbeit und Soziales und empfahl mit 8 : 5 : 0 Stimmen die Annahme des Gesetzentwurfs in der Fassung der vorläufigen Beschlussempfehlung mit der Maßgabe, dass ein Außerkrafttreten des Gesetzes am 31. Mai 2013 vorgesehen werden soll und dass Mehrausgaben, die durch das Gesetz entstehen, aus dem Gesamthaushalt des Landes SachsenAnhalt bestritten werden sollen.

Der Ausschuss für Finanzen schloss sich am 22. Juni 2011 dem Votum des Rechtsausschusses an und empfahl mit 7 : 5 : 0 Stimmen die unveränderte Annahme des Gesetzentwurfes in der Fassung der vorläufigen Beschlussempfehlung.

Die abschließende Beratung im federführenden Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung fand am 24. Juni 2011 statt.

Die Landesregierung trug einleitend vor, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die nachhaltige Sicherheitsverwahrung kritisiert habe, habe der Bundesgesetzgeber das Therapieunterbringungsgesetz geschaffen und die Länder gebeten, entsprechende Ausführungsgesetze zu erlassen. Hinzu komme, dass das Bundesverfassungsgericht kürzlich sämtliche Regelungen in Bezug auf die Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig erklärt habe. Bund und Ländern sei gemeinsam die Aufgabe zuteil geworden, bis zum 31. Mai 2013 ein Gesamtkonzept für einen freiheitsorientierten und auf Therapie ausgerichteten Vollzug der Sicherungsverwahrung zu erarbeiten. Das Therapieunterbringungsgesetz könne daher nur eine Übergangslösung sein.

Die Koalitionsfraktionen schlossen sich dieser Auffassung an und legten einen Änderungsantrag vor, nach dem das Gesetz bis zum 31. Mai 2013 befristen werden sollte. Dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD stimmte der Ausschuss mit 7 : 4 : 0 Stimmen zu.

Die Fraktion DIE LINKE griff die Anregung aus der Anhörung auf und fragte, ob ein abstraktes Nor

menkontrollverfahren seitens der Landesregierung angestrebt werde. Außerdem äußerte die Fraktion DIE LINKE Bedenken hinsichtlich der Personalsituation im Maßregelvollzug. Sie begründete dies mit unzureichenden Erfahrungen bei der Behandlung von psychisch kranken Rechtsbrechern.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schloss sich dieser Auffassung an und erweiterte ihre Kritik am Gesetzentwurf mit fehlenden organisatorischen und baulichen Voraussetzungen zur Unterbringung der betreffenden Personen.

Im Ergebnis der Diskussion empfahl der Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung unter Beteiligung des Ausschusses für Arbeit und Soziales und des Ausschusses für Finanzen mit 8 : 4 : 0 Stimmen, den genannten Gesetzentwurf in der Ihnen vorliegenden Fassung anzunehmen.

Im Namen des Ausschusses bitte ich das Hohe Haus, sich dieser Beschlussempfehlung anzuschließen. - Danke.

(Zustimmung bei der CDU)

Danke sehr, Herr Borgwardt, für die Berichterstattung. - Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Professor Dr. Kolb.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich möchte mich zunächst für die zügigen und sehr konstruktiven Beratungen bedanken. Wir hatten einen sehr ehrgeizigen Zeitplan und standen unter großem Zeitdruck, weil wir ein großes Interesse daran hatten, dieses Gesetz so schnell wie möglich zu verabschieden; denn ohne dieses Ausführungsgesetz zum Therapieunterbringungsgesetz ist das Bundesgesetz praktisch nicht anwendbar.

Die Diskussion war dadurch gekennzeichnet, dass sich alle ihrer großen Verantwortung in Bezug auf die Frage bewusst waren, in welcher Form das Bundesgesetz ausgeführt werden kann und wer dafür zuständig sein soll.

Darüber hinaus wurde die Diskussion maßgeblich durch die Expertenanhörung im Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung und durch die entsprechenden Debatten in den beteiligten Ausschüssen für Arbeit und Soziales und für Finanzen geprägt.

Ich darf an dieser Stelle noch einmal betonen, dass sich jeder von uns der Last und der Verantwortung bewusst war, die mit dieser schwierigen Rechtsmaterie verbunden ist. Auf der einen Seite ist es notwendig, Vorkehrungen zu treffen, um die Bürgerinnen und Bürger vor weiteren schwersten Straftaten zu schützen, wenn es konkrete Anzei

chen dafür gibt, dass solche wiederum begangen werden könnten. Auf der anderen Seite sind wir internationalen Konventionen verpflichtet und haben die Grundrechte aus dem Grundgesetz zu gewährleisten. Daher müssen die Eingriffe in die Grundrechte durch dieses Gesetz auf das verfassungsrechtlich vertretbare Minimum beschränkt werden.

Die Verquickung juristischer Begriffe auf dem auch für Fachleute schwierigen Feld des Rechts der Sicherungsverwahrung und der Therapieunterbringung mit den Anforderungen aus dem psychiatrisch-therapeutischen Bereich hat dazu beigetragen, dass es größter Mühen und Anstrengungen bedurfte, um heute mit gutem Gewissen das Ausführungsgesetz zum Therapieunterbringungsgesetz beschließen zu können.

Ich habe bereits in der ersten Lesung des Gesetzentwurfes darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht die Sicherungsverwahrung praktisch mit einem Paukenschlag vom Kopf auf die Füße gestellt hat. Bund und Länder sind gerade dabei, das geforderte Gesamtkonzept für einen freiheitsorientierten und auf Therapie ausgerichteten Vollzug der Sicherungsverwahrung zu erarbeiten. Sie müssen dafür die vom Bundesverfassungsgericht eingeräumte Übergangsfrist nutzen, wobei ich mir angesichts der vor uns liegenden gewaltigen Aufgabe bewusst bin, dass diese Frist von zwei Jahren für die jeweiligen Gesetzgebungsvorhaben sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene knapp bemessen ist.

Noch weniger Zeit stand den Ländern zur Ausführung des Therapieunterbringungsgesetzes zur Verfügung, das erst am 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist. Zwischenzeitlich fand bei uns auch noch eine Landtagswahl statt und musste sich dieses Hohe Haus neu konstituieren.

Durch eine angestrengte und konstruktive Arbeit haben wir es aber erreicht, dass wir diesen Gesetzentwurf schnell vorlegen und die parlamentarische Diskussion so rasch zu einem Abschluss bringen konnten, dass wir heute das Ausführungsgesetz zum Therapieunterbringungsgesetz verabschieden können. Damit regeln wir die praktische Ausführung des Therapieunterbringungsgesetzes in Sachsen-Anhalt und die Zuständigkeiten dafür. Das ist notwendig, um in den Fällen, die in unserer Zuständigkeit liegen, durch die dafür zuständigen Gerichte im Einzelfall prüfen lassen zu können, inwieweit eine psychische Störung vorliegt und diese dazu führen kann, dass schwerste Gewaltstraftaten verübt werden.

Sachsen-Anhalt ist damit das erste Bundesland, das ein solches Ausführungsgesetz beschlossen hat. Ich weiß, dass es verfassungsrechtliche Bedenken gibt. Wenn man berücksichtigt, dass das Bundesverfassungsgericht in einem Punkt auf das Therapieunterbringungsgesetz konkret Bezug genommen hat, könnte man daraus auch schlussfol

gern, dass das Bundesverfassungsgericht diese verfassungsrechtlichen Bedenken nicht sieht. Die Landesregierung hat deshalb nicht vor, ein Normenkontrollverfahren einzuleiten. Deswegen bin ich nicht dafür, dem Entschließungsantrag zuzustimmen. Der vorliegenden Beschlussempfehlung bitte ich aber zuzustimmen. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Danke sehr, Frau Ministerin. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht Frau von Angern.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Meine Fraktion hatte für die zweite Lesung dieses Gesetzentwurfes ursprünglich eine zehnminütige Debatte beantragt, was die Koalitionsfraktionen jedoch abgelehnt haben. Tenor: Der Worte seien genug gewechselt. Das Gesetzgebungsverfahren stelle zwar keine Sternstunde des Parlaments dar, das Gesetz müsse aber beschlossen werden; denn schließlich stehe möglicherweise die Entlassung eines Sicherungsverwahrten an.

Nun gut. Das sei alles dahingestellt. Bemerkenswert an dem Gedanken, es sei alles gesagt, finde ich allerdings, dass die Betroffenen, also die Akteure und die Fachexperten des Landes, erst alles sagen konnten bzw. durften, nachdem der Rechtsausschuss sie zu einer Anhörung eingeladen hatte.

Eine schriftliche Anhörung der Landesregierung fand unter Verweis darauf, dass man schon alle Argumente aus der Anhörung im Bundestag kenne, nicht statt - ein wirklich bemerkenswerter und hoffentlich zukünftig seltener Vorgang.

(Zustimmung bei der LINKEN und bei den GRÜNEN)

Zur Anhörung selbst muss mit knappen Worten Folgendes eingeschätzt werden: Die fachliche Bewertung des vorliegenden Gesetzentwurfs war durchweg vernichtend. Ich nehme den Deutschen Richterbund aus, der alles gut findet. Sicherlich, man kann sich darauf zurückziehen, dass das Gesetz lediglich Bundesrecht umsetzt und dass kaum Gestaltungsspielraum besteht. Dennoch möchte ich einige Argumente aus der Anhörung vortragen, die im Wesentlichen auch bei der gesamten Neuordnung der Sicherungsverwahrung meines Erachtens dringend beachtet werden müssen.

Professor Renzikowski von der Martin-Luther-Universität leitete die Anhörung mit den klaren und verständlichen Worten ein, dass aus seiner Sicht das ThUG mangels Bundeskompetenz verfassungswidrig sei. Dieser Auffassung schließt sich die Fraktion der LINKEN an. Sei es die Ausgestal

tung des Strafvollzuges oder des Maßregelvollzuges oder sei es die Ausgestaltung einer psychiatrischen Unterbringung, alles liegt in der Zuständigkeit des Landesgesetzgebers. Daher ist mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht das ThUG einkassiert.

Verfolgen wir den Gedanken der Verfassungswidrigkeit weiter, kommen wir unweigerlich zu der Schlussfolgerung, dass wir heute wissentlich ein verfassungswidriges Gesetz beschließen. Mir ist bekannt, dass das in den Koalitionsfraktionen teilweise ebenso gesehen wird. Deswegen wird auch von einem Lückengesetz geredet, es wird schön geredet. Ich denke, was Frau Ministerin eben sagte, dass das letzte Bundesverfassungsgerichtsurteil auf das ThUG eingegangen ist, bringt noch lange nicht den Beweis dafür zutage, dass wir es hierbei mit einem verfassungsgemäßen Gesetz zu tun haben.

Meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen! Wenn Sie die Auffassung der Verfassungswidrigkeit wie wir teilen, wäre es nur folgerichtig, wenn Sie heute auch unserem Entschließungsantrag hinsichtlich des abstrakten Normenkontrollverfahrens beitreten würden. Dann sind Sie zweifelsohne aus der misslichen Lage ein Stück weit heraus und zeigen auch dem Bundesgesetzgeber deutlich eine rote Karte.