Protokoll der Sitzung vom 27.02.2014

Dennoch sollte mittel- und langfristig die institutionelle Trennung der Ausbildung von jungen Menschen überwunden werden. Möglichst viele junge Menschen mit Behinderungen über Arbeitsassistenz, individuelle Lohnkostenzuschüsse und ähnliche Maßnahmen in die betriebliche Ausbildung zu bringen ist unumgänglich, wenn man das Ziel einer inklusiven Arbeitswelt, einer inklusiven Gesellschaft anstrebt; so ist die Zukunftsvision von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Die Berufsbildungswerke sind daher sehr wichtige Institutionen, die unter anderem darin erfolgreich sind, junge Menschen mit Behinderungen in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren, aber gleichzeitig das Ziel formulieren, für junge Menschen mit und ohne Behinderungen gleiche Ausbildungsräume zu schaffen.

Ähnlich steht es in Punkt 3 des Antrags der Fraktion DIE LINKE - Zitat -: Formen der Sonderung von Menschen mit Behinderungen in allgemeiner Bildung und beruflicher Ausbildung sollen weitgehend aufgehoben werden. - Auch BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN unterstützen dieses Ziel.

Die Herausforderung ist es, die Berufsbildungswerke zu Partnern bei dem Ziel der Inklusion zu machen. Die gemeinsame Erklärung fordert DIE LINKE in ihrem Antrag in Punkt 1. In der gemeinsamen Erklärung von 2012 erachtet das Land Niedersachsen die Leistungsangebote der niedersächsischen Berufsbildungs- und Berufsförderungswerke als unverzichtbares Element, um die Teilhabe für Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben und am Leben in der Gesellschaft zu fördern. Die Erklärung, den Berufsbildungs- und den Berufsförderungswerken die finanzielle Unterstützung für fünf Jahre zuzusichern, ist dabei von Bedeutung.

In dem im Antrag erwähnten Beispiel aus Hessen handelt es sich im Rahmen des Bundesprogramms „Initiative Inklusion“ um die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen in Deutschland. In Hessen wurden die Berufsbildungswerke Südhessen und Nordhessen vom hessischen Sozialministerium und der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit mit der Durchführung der Handlungsfelder „Berufsorientierung schwerbehinderter Schülerinnen und Schüler“ und „Neue Ausbildungsplätze für schwerbehinderte junge Menschen“ beauftragt. Sowohl die gemeinsame Erklärung wie das Programm in Hessen garantieren den Berufsbildungswerken die Förderung ihrer Bildungsangebote; denn die Ausschreibungspraxis der Bundesagentur stellt diese gegenwärtig vor große Probleme.

Ebenso befürworten wir die von der LINKEN geforderte forcierte Kooperation zwischen den beiden

Berufsbildungswerken in Sachsen-Anhalt, der Bundesagentur für Arbeit und dem Ministerium für Arbeit und Soziales. Als längerfristige strukturelle Maßnahme, um die Inklusion im Bereich der Ausbildung zu befördern, ist eine Modularisierung der Ausbildungsgänge anzudenken, wie wir es von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in dem Konzept „DualPlus“ fordern. Dadurch würde eine Flexibilisierung möglich, die den Aufbau inklusiver Ausbildungsgänge erleichtern würde. Die jungen Menschen mit Handicap könnten dann durch mehrere kleine Schritte, die zertifiziert werden, den Ausbildungsabschluss ansteuern und wären etwa bei der zeitlichen Abfolge und der Geschwindigkeit der Ausbildung weitaus flexibler als jetzt. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Danke sehr. - Für die SPD-Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Dr. Späthe. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ja, wir halten einen Alternativantrag für notwendig, weil erstens Feststellungen, die unter den Punkten 1 bis 3 in dem Antrag stehen, nach unserer Auffassung keinen Landtagsbeschluss brauchen und zweitens auch so pauschal nicht stimmen.

Die Ausführungen des Ministers waren an dieser Stelle sehr umfänglich und ausführlich. Ich war gestern mit der Besuchskommission des Landespsychiatrieausschusses in einer Werkstatt für Behinderte und habe mich dort nach der Kooperation zwischen Werkstätten für Behinderte und den Bildungswerken erkundigt. Ja, auch die Werkstätten merken bereits jetzt die Auswirkungen der demografischen Entwicklung. Sie merken aber auch die Auswirkungen der sogenannten vertieften Berufsorientierung für schwerbehinderte Schüler. Diese wirkt sich nämlich so aus, dass ein nicht unerheblicher Teil der Schüler eben nicht in die Eingangsphase der Werkstätten für Behinderte kommt, sondern in andere berufsbildende Einrichtungen, wie zum Beispiel die Berufsbildungswerke Stendal und Hettstedt.

Das ist ein inklusiver Ansatz. Ich kann mich an zahlreiche Diskussionen im Ausschuss - unter anderem mit Frau Bull - erinnern, wo es hieß: Der Weg in die Werkstatt ist eine Sackgasse und wir können gar nicht genug Schüler vor diesem Eintritt in die Werkstätten bewahren. - Genau das wird hier gemacht. Sie sagen in Ihrer Rede, Sie haben das Gefühl, hier wird ein Loch mit einem anderen Loch gestopft.

(Zustimmung bei der CDU)

Diese vertiefte Berufsorientierung wird seit 2012 in Sachsen-Anhalt verstärkt durchgeführt. Insofern wäre es jetzt, nach eineinhalb Jahren, zu früh, über Ergebnisse zu sprechen. Deshalb haben wir in unserem Antrag das vierte Quartal eingesetzt; dann sind zwei Jahre rum und man kann über konkrete Ergebnisse berichten.

Meine Damen und Herren! Auch Sachsen-Anhalt nimmt natürlich mit verschiedenen Sonderprogrammen am Bundesprojekt „Job4000“ teil, weitergeführt mit dem Programm „Initiative Inklusion“ - selbstverständlich auch in Sachsen-Anhalt.

Wir haben absichtlich Prüfaufträge formuliert, ob und in welcher Form die Berufsbildungswerke, deren Tätigkeit wir außerordentlich schätzen und die wir auch erhalten wollen, andere Ausbildungsgänge übernehmen und sich möglicherweise für eine andere Klientel öffnen können.

Da die Rückgänge der Belegungszahlen bei den Berufsbildungswerken nicht über Nacht erfolgten, sondern sich schon seit einigen Jahren abzeichnen, hat es in den Jahren selbstverständlich Gespräche zwischen der Bundesagentur für Arbeit, dem Sozialministerium und den Berufsbildungswerken gegeben und es hat auch Maßnahmen gegeben. Genau über diese Prozesse wollen wir uns im Ausschuss berichten lassen, damit wir wissen, wie die Situation bei den Berufsbildungswerken in der Tat ist. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Es gibt eine Nachfrage von der Kollegin Bull. - Kollegin Bull, bitte.

Sehr geehrte Frau Dr. Späthe, ich habe nicht auf so undifferenzierte Weise gesagt, dass die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen eine Sackgasse seien und dass man die Schülerinnen und Schüler davor bewahren müsse. Ich würde gern die Quelle erfahren, der zu entnehmen ist, dass ich das in dieser Art und Weise gesagt hätte.

Ich will es richtigstellen. Uns und mir im Besonderen ging es immer darum zu sagen, dass die Chancen, auf den ersten Arbeitsmarkt zu kommen, auch für die Menschen, die dort beschäftigt sind, nicht verbaut werden dürfen. Das ist keine Frage. Aber ohne eine wirkliche Alternative auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt zu haben, ist es eine recht zynische Angelegenheit, es Menschen mit Behinderungen zu erschweren, in den Werkstätten zu arbeiten.

Werte Frau Bull, ich darf Sie daran erinnern, dass wir die Große Anfrage der LINKEN zur Situation

von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf hatten. Dort ist unter anderem auch statistisch belegt worden, dass die Möglichkeit des Übergangs aus der Werkstatt hinaus auf den ersten Arbeitsmarkt außerordentlich gering ist.

Wir haben gesagt, wir müssen Schüler, die das Potenzial haben, unterstützen, damit sie eine Möglichkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt erhalten. Demzufolge muss man ihnen durch die vertiefte Berufsorientierung, in der Berufsausbildung, in den Berufsbildungswerken die Möglichkeit hin zum ersten Arbeitsmarkt eröffnen.

Sollte ich das in der Rede und in der Kürze zu pauschal ausgedrückt haben, möchte ich mich dafür entschuldigen.

Dann sind wir uns einig.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke sehr, Frau Dr. Späthe. - Frau Kollegin Dirlich wird erwidern.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, dass Sie die Feststellungen, die wir treffen wollen, nicht so gern lesen oder hören wollen, weil sie dem Land Sachsen-Anhalt kein so gutes Zeugnis ausstellen.

Aber gerade die Aussage im ersten Punkt ist aus unserer Sicht wichtig, weil sich hiermit der Landtag ganz eindeutig zu diesen Berufsbildungswerken bekennt und eben auch zu solch einer Kooperation bekennen würde. Es wäre sozusagen schon ein erster Schritt auf dem Weg zu einer möglichen gemeinsamen Erklärung, die wir anstreben.

Ich komme zum zweiten Punkt. Wenn ich hier von einer Existenzbedrohung rede, dann wird das auch nicht so furchtbar gern gehört. Allerdings habe ich dieses Wort nur wiederholt. Die Geschäftsführer und die Leiter dieses Berufsbildungswerks werden ihre wirtschaftliche Situation sicherlich ganz anders und besser einschätzen können als wir. Ich habe nur das wiederholt, was uns dort gesagt worden ist.

Ich komme zu den WfB. Hierbei haben wir es mit mindestens zwei Problemen zu tun. Zum einen kommen viel zu viele, die eigentlich auch eine Chance auf einen ganz normalen Ausbildungsplatz hätten, allerdings natürlich mit gewisser Hilfe, aus den Förderschulen in den Werkstätten an, wo sie nicht wirklich etwas zu suchen haben. Das ist das eine Problem. Und viel zu wenige, die dort arbeiten und sich eigentlich weiterentwickelt haben, bekommen eine Chance auf einen Arbeitsplatz auf

dem ersten Arbeitsmarkt. Auch das hat verschiedene Ursachen. Das sind alles und heute hier nicht die Themen. Darüber können wir noch einmal diskutieren.

Aber der Punkt, den Sie aufgeschrieben haben, ist zumindest, meine Damen und Herren, missverständlich, weil dort steht, dass die Berufsbildungswerke als „Alternative zum Eingangs- und Berufsbildungsbereich der Werkstätten“ genutzt werden sollen. Das habe ich eben so verstanden, dass es in den Werkstätten keinen Berufsbildungsbereich mehr gibt, sondern nur den Berufsbildungsbereich in den Berufsbildungswerken.

Also, es ist zumindest missverständlich. Ich habe es missverstanden. So, wie es der Minister erklärt hat, dass nämlich junge Leute aus den Förderschulen, die eigentlich in den Werkstätten nichts zu suchen haben, stattdessen über ein solches Berufsbildungswerk in den ersten Arbeitsmarkt kommen sollen, ist eine andere Geschichte.

Aber, meine Damen und Herren, schauen Sie es sich noch einmal genau an. Es ist missverständlich. Ich habe es missverstanden. Insofern muss man es mir nicht übel nehmen, dass ich das entsprechend kritisiert habe.

Ich bin ein Stück weit verwundert, dass die Ausschreibungspraxis nach der Aussage des Ministers gar keine Rolle spielen soll, weil wir es eben an sehr vielen Stellen, unter anderem auch im Berufsbildungswerk Stendal, anders gehört haben.

Das hat eben auch etwas damit zu tun, dass immer wieder einmal neue Projekte und neue Ideen entwickelt werden. Dann werden Ideen in Brüssel und in Berlin entwickelt. Dann wird das nächste Modellprojekt installiert und noch eine Sau durchs Dorf gejagt. Immer wieder werden neue Strukturen geschaffen und die alten und bewährten Strukturen stehen infrage. Ich weiß einfach nicht, ob das tatsächlich so zweckmäßig ist.

Ich gebe zu, dass wir unseren Antrag für geeigneter halten, um die berufliche Ausbildung von Menschen mit Behinderung auf angemessenem Niveau sicherzustellen. Das ist der Titel unseres Antrages. Wir bitten deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Kollegin Dirlich, es gibt eine Nachfrage von Herrn Rotter. - Herr Rotter, bitte.

Frau Präsidentin, es ist keine Nachfrage, sondern nur eine Richtigstellung oder Erläuterung. Frau Kollegin Dirlich, wenn wir das gemeint hätten, was Sie verstanden haben, dann hätten wir „Ersatz“ und nicht „Alternative“ geschrieben.

Jetzt noch die Erklärung des großen Unterschiedes zwischen Ersatz und Alternative. Also - -

(Beifall bei der LINKEN)

Damit ist die Debatte beendet. Wir stimmen ab. Eine Überweisung ist nicht beantragt worden. Also wird direkt über den Antrag abgestimmt.

Wir stimmen zunächst über den Ursprungsantrag der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 6/2809 ab. Wer stimmt dem zu? - Das sind die Fraktion DIE LINKE und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Damit ist der Ursprungsantrag abgelehnt worden.

Wir stimmen jetzt über den Alternativantrag in der Drs. 6/2849 ab. Wer stimmt dem zu? - Das tun die Koalitionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Das ist die Fraktion DIE LINKE. Wer enthält sich der Stimme? - Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Damit ist der Alternativantrag angenommen worden. Wir verlassen den Tagesordnungspunkt 10.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung

Wohnmöglichkeiten und Betreuung von Menschen mit schwerstmehrfachen Behinderungen gemäß UN-Behindertenrechtskonvention (UN- BRK) gestalten

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/2810