Protokoll der Sitzung vom 27.02.2015

Meine Damen und Herren! Die Geschäftsführer haben beschlossen, dass wir die Mittagspause auf 45 Minuten verkürzen - oder - für Andersgläubige - auf eine Dreiviertelstunde. Wir treffen uns hier um 14.05 Uhr wieder.

(Herr Schwenke, CDU: Sag 14 Uhr! Dann sind wir 14.05 Uhr da!)

- Nein, bei mir ist es nur einmal am Tag 14.05 Uhr. - Okay.

Unterbrechung: 13.18 Uhr.

Wiederbeginn: 14.05 Uhr.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sitzung ist wieder eröffnet.

Ich darf als Erstes eine Gruppe von Auszubildenden der Lotto-Toto Sachsen-Anhalt GmbH begrüßen.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich wusste bis jetzt noch nicht, dass man sich im Lottospielen ausbilden lassen kann. Das ist wahrscheinlich mein Fehler. - Wir freuen uns, dass Sie hier sind.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 11:

Zweite Beratung

Konsequenzen aus dem BGH-Urteil im Fall Oury Jalloh ziehen - Praxis polizeilicher Ingewahrsamnahme auf den Prüfstand stellen

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/3406

Beschlussempfehlung Ausschuss für Inneres und Sport - Drs. 6/3815

Die erste Beratung fand in der 74. Sitzung des Landtages am 19. September 2014 statt. Berichterstatterin ist in Vertretung von Herrn Brachmann, der hier noch auf dem Zettel stand, Frau Tiedge.

Ich kann schon mitteilen, dass die Landesregierung auf einen Redebeitrag verzichten wird. - Bitte, Frau Tiedge.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kann man von den Besucherinnen und Besuchern eigentlich die Zahlen für einen Sechser erfahren, wenn sie in Ausbildung sind? Das wäre vielleicht nicht schlecht.

Meine Damen und Herren! Den Antrag der Fraktion DIE LINKE, der Ihnen in der Drs. 6/3406 mit dem Titel „Konsequenzen aus dem BGH-Urteil im Fall Oury Jalloh ziehen - Praxis polizeilicher Ingewahrsamnahme auf den Prüfstand stellen“ vorliegt, hat der Landtag in der 74. Sitzung am 19. September 2014 zur Beratung und Beschlussfassung in den Ausschuss für Inneres und Sport überwiesen.

Die antragstellende Fraktion vertritt den Standpunkt, dass es unerlässlich ist, die Praxis der polizeilichen Ingewahrsamnahme zu überprüfen und gegebenenfalls notwendigen Regelungsbedarf zu evaluieren, um die politischen Konsequenzen aus der juristischen Aufarbeitung des Todes Oury Jallohs zu ziehen und der Verantwortung des Landes nicht nur gegenüber den Hinterbliebenen Oury Jallohs gerecht zu werden.

Sie formuliert vier Punkte, in denen der Landtag die Landesregierung auffordern soll, sowohl die in der Vergangenheit praktizierte Umsetzung als auch die gegenwärtige Praxis der polizeilichen Ingewahrsamnahmen in Sachsen-Anhalt zeitnah und umfassend zu prüfen und über die Maßnahmen, Zeitplanung und die Ergebnisse der Prüfung Bericht zu erstatten.

Schließlich beantragt die Fraktion DIE LINKE, dass der Landtag die Landesregierung auffordert, den Hinterbliebenen eine angemessene finanzielle Entschädigung zu zahlen.

Der Ausschuss für Inneres und Sport befasste sich in der 54. Sitzung am 27. November 2014 mit dem in Rede stehenden Antrag. Eine von der Fraktion DIE LINKE beantragte Anhörung zu diesem Thema fand nicht die erforderliche Mehrheit, weil es nach der Auffassung der regierungstragenden Fraktionen keine weiteren vergleichbaren Vorkommnisse in Sachsen-Anhalt gegeben hat und aus diesem Grund kein weiterer Handlungsbedarf gesehen wird.

Zu der im Antrag formulierten Zahlung einer angemessenen Entschädigung verwiesen die regierungstragenden Fraktionen auf eine in diesem

Zusammenhang getroffene Gerichtsentscheidung, wonach mögliche Entschädigungsansprüche verjährt sind.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beantragte in der Sitzung eine Abstimmung des Antrages in der Sache. Hierfür fand sich ebenfalls nicht die erforderliche Mehrheit, weil zwischen den Fraktionen der CDU und der SPD noch ein gemeinsamer Beratungsbedarf gesehen und ein Änderungsantrag zur nächsten Sitzung des Innenausschusses angekündigt wurde.

Am 16. Februar 2015 befasste sich der Ausschuss für Inneres und Sport erneut mit diesem Antrag. Zur Beratung lag dem Ausschuss ein Beschlussvorschlag der Koalitionsfraktionen vor, der auch zur Abstimmung gestellt wurde.

Mit 7 : 0 : 4 Stimmen wurde beschlossen, dem Landtag vorzuschlagen, sein Bedauern zum Ausdruck zu bringen, dass Oury Jalloh im polizeilichen Gewahrsam zu Tode gekommen ist, und festzustellen, dass nach dem tragischen Tod von Oury Jalloh umfangreiche Maßnahmen zur Sicherheit im polizeilichen Gewahrsam ergriffen wurden.

Es wird weiterhin vorgeschlagen, zur Kenntnis zu nehmen, dass über die Frage von Entschädigungsansprüchen der Hinterbliebenen von Oury Jalloh eine abschließende Entscheidung durch die ordentliche Gerichtsbarkeit getroffen wurde.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ausschuss für Inneres und Sport bittet Sie mehrheitlich darum, der Beschlussempfehlung zuzustimmen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir danken Ihnen, Frau Tiedge. - Wir treten jetzt in die vereinbarte Fünfminutendebatte ein. Für DIE LINKE eröffnet die Debatte Frau Quade. Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! Wie so oft in der zweiten Beratung eines Antrags bzw. in der Beschlussempfehlung gibt es eine erhebliche Differenz zwischen dem, was mit dem Antrag gewollt war, und dem, was in der Beschlussempfehlung daraus gemacht worden ist.

Ich will deshalb noch einmal darüber sprechen, was die Zielstellung unseres ursprünglichen Antrags war und welche Analyse dem zugrunde lag. Daraus erklärt sich auch, warum meine Fraktion der Beschlussempfehlung nicht zustimmen wird.

Über die verschiedenen Etappen der juristischen Aufarbeitung des Todes Oury Jallohs und mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts abschließend mussten wir einiges zur Kenntnis nehmen,

was fassungslos machte, bestürzte und Fragen aufwarf. Wir mussten und konnten auch zur Kenntnis nehmen, dass eine gesamte Polizeiwache nicht wusste, dass für eine Ingewahrsamnahme ein richterlicher Beschluss einzuholen ist, und dass genau dieses vom Gesetzgeber, also von uns, vorgesehene Verfahren dort über Jahre keine gängige Praxis war.

Das war der Ausgangspunkt unseres Antrags. Das brachte uns dazu zu sagen: Wenn die Exekutive maßgebliche Vorgaben der Legislative nicht kannte, dann kann das doch nicht einfach so stehen bleiben. Dann muss sich doch die Legislative fragen, welche Vorgaben vielleicht noch nicht gekannt und damit nicht erfüllt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Über die Frage der richterlichen Anordnung hinaus wäre unserer Ansicht nach also zu prüfen gewesen, inwieweit die Bestimmungen zur Dauer des Freiheitsentzugs, zur Mitteilung des Grundes für den Freiheitsentzug, zum Recht und zur Möglichkeit einer Benachrichtigung eines Angehörigen oder einer Vertrauensperson und die weiteren Bestimmungen zum Schutz der Rechte der in Gewahrsam genommenen Personen praktisch umgesetzt werden.

Deshalb wollten wir, dass die Praxis der polizeilichen Ingewahrsamnahme insgesamt überprüft und geschaut wird, inwieweit die mit der Novelle zur Ingewahrsamnahmeordnung, die es in der Tat gab, vorgesehenen Maßnahmen praktisch greifen, ob es einen Bedarf für eine Neuregelung gibt und, wenn ja, welchen.

Wir wollten außerdem, dass über den Umgang mit hilflosen Personen noch einmal grundlegend neu nachgedacht wird; denn es gibt wirklich viele Gründe dafür zu sagen, dass eine hilflose Person - aus welchen Gründen auch immer sie hilflos sein mag - grundsätzlich in einer medizinischen Einrichtung besser aufgehoben ist als im polizeilichen Gewahrsam.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Herrn Striegel, GRÜNE)

Das wollten wir sehr gründlich mit Ihnen und mit den Expertinnen und Experten im Ausschuss beraten, um genau zu schauen, wie sich die gegenwärtige Praxis darstellt, welche Probleme es gibt, welche Erfordernisse es aus medizinischer und aus polizeilicher Sicht gibt und inwieweit die Vorgaben der Legislative in der Praxis tatsächlich greifen.

Nicht zuletzt ging es uns um das politische Signal einer finanziellen Entschädigung für die Hinterbliebenen Oury Jallohs, das angesichts seines Todes in staatlicher Obhut unabhängig von gerichtlichen Entscheidungen unseres Erachtens schlichtweg notwendig wäre.

Meine Damen und Herren, Sie sahen das mehrheitlich anders - damit müssen wir leben -, überwiesen unseren Antrag in den Innenausschuss und legten im Januar dann die Beschlussempfehlung vor, die heute hier zur Abstimmung steht. Sie konstatieren darin, dass die getroffenen Maßnahmen zur Sicherheit im polizeilichen Gewahrsam sich bewährt hätten, ein Gericht zu Entschädigungsansprüchen entschieden habe und dass der Landtag den Tod Oury Jallohs und das Ausbleiben einer abschließenden Aufklärung bedauere.

In dem letzten Punkt sind wir ausdrücklich einig. Meine Fraktion wird dieser Beschlussempfehlung aber nicht zustimmen, weil wir sagen: Ob sich die Maßnahmen tatsächlich bewährt haben, lässt sich nur sicher sagen, wenn man es auch überprüft.

Die Beschlussempfehlung kommt inhaltlich einer Ablehnung unseres Antrages gleich. Es wäre insofern nachvollziehbarer gewesen, dies dann auch hier im Plenum in öffentlicher Debatte entsprechend zu tun, statt das eingespielte parlamentarische Verfahren der Annahme in geänderter Fassung fortzusetzen.

Auf der Homepage des Landtages war als Überschrift für die Zusammenfassung der Debatte im Rahmen der ersten Beratung hier im Plenum zu lesen: „Am Ende mahnen drei tote Menschen.“ - Das trifft es sehr gut und in unseren Augen wird diese Beschlussempfehlung dem eben nicht gerecht.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN, der Beschlussempfehlung im Ausschuss zugestimmt haben, hat mich ein bisschen überrascht. Angesichts Ihrer sonst ja doch sehr aufklärerischen Positionierung, für den Rechtsstaat insbesondere, finde ich das schlichtweg enttäuschend. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Quade. - Für die CDU spricht jetzt der Abgeordnete Herr Kolze. Bitte, Herr Kolze.