Protokoll der Sitzung vom 27.02.2015

Danke schön, Kollege Schwenke. - Als Nächste spricht für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Abgeordnete Frau Lüddemann. - Sie verzichtet. Für die Fraktion der SPD spricht die Abgeordnete Frau Grimm-Benne.

Sehr geehrte Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Ich hatte bereits in der letzten Landtagssitzung, als es um die Liberalisierung von Cannabis ging, gesagt, dass ich die Liberalisierung von Cannabis zu medizinischen Zwecken für Schwerstkranke für richtig halte.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich auch noch einmal mit dem Thema beschäftigt. Sie unterstützt ausdrücklich den Weg, den die Drogenbeauftragte der Bundesregierung - das ist schon mehrfach erwähnt worden - aufgezeigt hat. Für Anfang Februar 2015 ist ein Kurswechsel der Bundesregierung zur Zulassung von Therapie-Cannabis angekündigt.

Ich bin stets eine derjenigen, die politisch auslotet, was machbar ist und auf was man sich über den Bundesrat verständigen kann. Einen Punkt hat die Drogenbeauftragte bereits genannt: Es wäre als ein Erfolg zu bezeichnen, wenn wir es schaffen, Therapie-Cannabis für schwerkranke Patienten auf Kosten der Krankenkassen bereitzustellen.

Die meisten Patienten klagen darüber, dass sie zwar die Genehmigung haben, dieses Medikament einzunehmen und sich in den Apotheken zu holen, aber sie müssen es selbst finanzieren. Das ist eine sehr große Hürde.

Der Minister hat gesagt, dass der Gesetzentwurf im Frühjahr 2016 in den Bundesrat eingebracht werden könnte. Ich hege keine großen Hoffnun

gen, dass geregelt werden könnte, es Patienten zu erlauben, ihr Therapeutikum selbst anzubauen. Es war immer eine Forderung, Cannabis für den Eigengebrauch anbauen zu dürfen.

Ich bin ganz sicher, dass man sich, wenn man Mehrheiten für einen Gesetzentwurf erreichen möchte, nur darauf verständigen könnte, dass es eine durch die Krankenkassen subventionierte Abgabe von Cannabis durch Apotheken geben wird. Das ist die wahrscheinlichste Lösung.

(Zuruf von Frau Lüddemann, GRÜNE)

Wenn man die Patientinnen und Patienten nicht in eine lange Wartschlange schieben möchte, dann ist das ein Kompromiss, der auch mehrheitsfähig wäre.

An dieser Stelle gibt es nicht mehr zu sagen. Mein Kollege Schwenke hat die Überweisung des Antrags bereits beantragt. Wir schließen uns diesen Empfehlungen auch hinsichtlich der mitberatenden Ausschüsse an.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Danke schön, Kollegin Grimm-Benne. - Zum Schluss der Aussprache hat noch einmal Frau Kollegin Zoschke von der Fraktion DIE LINKE das Wort.

Herr Präsident! Es geht auch relativ schnell; ich möchte nur noch zwei Dinge ansprechen.

Erstens, Herr Minister, sprachen Sie die Forschung an. Das große Dilemma, das wir in Deutschland haben, besteht darin, dass es zu Cannabis und Cannabisprodukten in den letzten 20 Jahren keine Forschung in Deutschland gab. Das, was wir über Cannabis wissen, bezieht sich auf Ergebnisse internationaler Forschungsaktivitäten. Ich werfe es dieser Gesellschaft unter anderem vor, dass sie keine Forschung in diesem Bereich betrieben hat.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Zweitens möchte ich ein Erlebnis schildern. Ich war am vergangenen Sonnabend zum Fünften Tag der Selbsthilfegruppen für Menschen mit seltenen Erkrankungen. Ich empfehle Ihnen, diese Veranstaltung im nächsten Jahr ebenfalls zu besuchen. Es ist erschütternd, wie schwierig Patientinnen und Patienten zu ihren Diagnosen und nach Diagnosen dann zu den Medikamenten gelangen oder auch nicht gelangen.

Ein Mitglied der Selbsthilfegruppen sagte unter anderem den folgenden Satz, der mich zutiefst beeindruckt und auch erschüttet hat: Die Gesellschaft setzt auf Zeit und Zeit ist genau das, was wir mit unseren Erkrankungen nicht haben. - Ich bitte Sie

daher, darüber nachzudenken, wie wir damit umgehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke schön, Kollegin Zoschke. - Damit schließen wir die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt ab und treten in die Abstimmung zu dem Antrag ein. Es wurde beantragt, beide vorliegenden Anträgen zur federführenden Bratung in den Sozialausschuss und zur Mitberatung in die Ausschüsse für Wissenschaft und Wirtschaft sowie für Inneres und Sport zu überweisen. Gibt es Widerspruch hinsichtlich der genannten Ausschüsse? - Ich sehe keinen Widerspruch.

Wer dem Vorschlag zur Überweisung der Anträge in die genannten Ausschüsse folgen will, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Gegenstimmen? - Sehe ich nicht. Stimmenthaltungen? - Auch nicht. Somit ist die Überweisung in genannten Ausschüsse einstimmig beschlossen worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung

Bedarfsorientierte sanktionsfreie Mindestsicherung statt Hartz IV

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/3817

Für die Einbringerin hat die Kollegin Dirlich das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Sitzung des Landtages im Januar dieses Jahres haben wir uns mit den Auswirkungen von Hartz IV zehn Jahre nach seiner Einführung kritisch auseinandergesetzt. In diesem Zusammenhang haben wir die Kritik einstecken müssen, dass wir rückwärtsgewandte Vergangenheitsbewältigung betreiben, anstatt uns mit der Zukunft zu beschäftigen.

Der Vorwurf hieß: Sie machen keinen einzigen Vorschlag, wie es anders gehen soll.

Das hat gestimmt, und zwar aus zwei Gründen. Erstens reichen zehn Minuten bei weitem nicht aus - mehr Redezeit steht in einer Aktuellen Debatte nun mal nicht zur Verfügung -, um alle Probleme, die Hartz IV verursacht hat, auch nur aufzuzählen, geschweige denn sich damit im Einzelnen zu befassen.

Zweitens war das auch nicht das Anliegen der Aktuellen Debatte. Denn in dieser Debatte wollten wir uns mit der Frage beschäftigen, was zehn Jahre

lang in Deutschland durch das System Hartz IV passiert ist.

Nichtsdestotrotz nehmen wir solche Kritik natürlich durchaus ernst und legen Ihnen heute deshalb unseren Antrag vor.

Sollten Sie darin übrigens Ähnlichkeiten mit Anträgen entdecken, die wir auf der Bundesebene stellen, so ist das kein Zufall.

(Herr Lange, DIE LINKE: Das ist gewollt!)

Selbstverständlich handelt es sich bei dem Hartz-IV-System um ein sehr komplexes System, sodass es keine einfachen Antworten und auch keinen einfachen Lösungsvorschlag oder Lösungsweg gibt. Unser Antrag beschreibt deshalb auch nur erste Schritte in eine aus unserer Sicht richtige Richtung innerhalb des Systems Hartz IV.

Ergebnis soll eine bedarfsorientierte sanktionsfreie Mindestsicherung sein. Ich sage es an dieser Stelle ganz deutlich, vor allem in Richtung der GRÜNEN und auch der Presse, die das letztens durcheinander geschmissen hat: Wir reden hier und heute nicht von einem bedingungslosen Grundeinkommen und ich setze mich heute damit auch nicht auseinander.

Die Hartz-IV-Logik geht offensichtlich davon aus, dass Menschen dazu gezwungen werden müssen, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Diese Unterstellung ist mehrfach ad absurdum geführt worden, unter anderem in Sachsen-Anhalt, und zwar in Bad Dürrenberg.

Tatsächlich ging es doch die ganze Zeit darum, dass nicht ausreichend Arbeitsplätze zur Verfügung standen und stehen. Vor allem ging es darum, dass viele Menschen nicht ohne Weiteres bereit waren, jede Lohnhöhe und jede Arbeitsbedingung zu akzeptieren.

Die Ausweitung des Niedriglohnsektors ist hier bereits mehrfach thematisiert worden.

Vom Prinzip des Förderns und Forderns bleibt für die meisten Betroffenen nur das Fordern übrig. Anstatt gemeinsam mit den Betroffenen individuelle Stärken, Fähigkeiten und Interessen aufzunehmen und bestehende Probleme diskriminierungsfrei anzugehen, setzt das Sanktionssystem auf Druck. Oft genug werden Betroffene in kurzfristige und für sie unsinnige Maßnahmen gedrängt oder es wird ihnen prekäre Beschäftigung angeboten mit der Androhung, dass Sanktionen drohen, wenn sie sie nicht annehmen.

Ein IAB-Forschungsbericht aus dem Jahr 2013 sagt dazu aus, für das Erreichen gemeinsamer Ziele sei eine symmetrische und vertrauensvolle Kommunikation notwendig; einem solchen Anspruch stehe jedoch das faktisch und institutionell gegebene eher unsymmetrisch und von Abhängigkeit geprägte Verhältnis beider Akteure entgegen. Das IAB ist

- das wissen Sie sehr wohl - keine nachgeordnete Einrichtung der LINKEN.

Beispielhaft dafür ist, dass die Betroffenen laut Gesetz zur Initiative verpflichtet sind, während die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit Kann-Leistungen sind. An diesem Verhältnis ändert sich auch nichts, wenn die Betroffenen inzwischen Kunden heißen und eine Marktbeziehung suggeriert wird, von der wir in diesem Bereich weit, weit entfernt sind.

Wir sagen: Sanktionen untergraben das Recht auf ein soziokulturelles Existenzminimum. Im Grundgesetz ist nicht nur die Würde des Menschen garantiert, sondern auch die freie Wahl eines Arbeitsplatzes. Dem steht aus unserer Sicht genau die Praxis entgegen, Menschen schlecht bezahlte Jobs oder fragwürdige Maßnahmen, wie den dritten „Wie bewerbe ich mich richtig?“-Lehrgang, aufzuzwingen.

Das Arbeitslosengeld II, das heißt der Hartz-IV-Regelsatz muss angehoben werden. Das ist unsere zweite Forderung. Wir schlagen eine Erhöhung auf 500 € vor. Wir lassen uns dabei von zwei Prämissen leiten:

Die Höhe der Mindestsicherung muss sich zum einen an der jeweiligen Armutsgrenze orientieren und muss durch Warenkorberhebungen regelmäßig überprüft werden. Ich habe bereits in der Sitzung des Landtags im Januar 2015 ausgeführt, dass der Regelsatz plus die Kosten der Unterkunft die Armutsgrenze zumindest tangieren müssen.

Zum anderen hat die Hartz-IV-Kommission schon vor zwölf Jahren vorgeschlagen, den Regelsatz bei 511 € anzusetzen. Selbst wenn man den Inflationsausgleich einmal nicht berücksichtigt und nur die vorgenommenen Erhöhungen berücksichtigt, müsste der Regelsatz seit Januar 2015 bei 565 € liegen. Daran gemessen ist unsere Forderung bescheiden genug, wie wir finden.

Der Vorschlag der Hartz-IV-Kommission hatte übrigens den Hintergrund, dass es ein Anspruch der Reform war, Leistungen oberhalb des Sozialhilfesatzes anzubieten und vor allem auch die ehemaligen Arbeitslosenhilfe-Empfängerinnen nicht zu sehr zu beuteln. Aber darüber haben wir ebenfalls bereits im Januar gesprochen.

Wir wollen das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft auf den Prüfstand stellen. Dieses Konstrukt ist dafür verantwortlich, dass Menschen in das System Hartz IV rutschen, die selbst weder arbeitsuchend noch hilfebedürftig sind. Schlimmer ist, dass durch das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft ökonomische Abhängigkeiten verstärkt werden. Das ist für den Zusammenhalt von Familien und auch mit Blick auf moderne Formen des Zusammenlebens schwierig.

Man stelle sich eine alleinerziehende Mutter vor, die einen Mann kennen lernt, mit ihm eine Lebensgemeinschaft bilden will und ihm zuerst sagen muss, dass er dann für sie mit einzustehen habe und sein Einkommen sozusagen auf ihren Anspruch mit angerechnet werde.