Protokoll der Sitzung vom 27.02.2015

Man stelle sich eine alleinerziehende Mutter vor, die einen Mann kennen lernt, mit ihm eine Lebensgemeinschaft bilden will und ihm zuerst sagen muss, dass er dann für sie mit einzustehen habe und sein Einkommen sozusagen auf ihren Anspruch mit angerechnet werde.

(Herr Scharf, CDU: Was ist so schlimm dar- an!)

Wir wollen, dass sich der Anspruch am Individualprinzip orientiert, sodass jede Betroffene und jeder Betroffene einen eigenen Anspruch hat. Natürlich müssen dabei Unterhaltsverpflichtungen nach dem BGB berücksichtigt werden, aber eben Unterhaltsverpflichtungen nach dem BGB. Gucken Sie einmal in das Gesetz, was darin steht.

Ein besonderes Anliegen ist es uns, die Rechtsposition der Leistungsberechtigten zu stärken. Von Beratungsstellen werden uns regelmäßig Probleme der Betroffenen bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche berichtet. Wir werden immer wieder darauf hingewiesen, vor allem von der CDU, dass ein Großteil der Bescheide richtig sei. Das stimmt: Durchschnittlich 60 % halten einer Überprüfung stand. Das heißt im Umkehrschluss aber, dass 40 % fehlerhaft sind.

Die Arbeitsgruppe Leistungsrecht der Landesarbeitsgemeinschaft Jobcenter aus NordrheinWestfalen sieht akuten Handlungsbedarf im Leistungsrecht. Dazu ein Zitat:

„Die zeitnah gewährte und für Kunden nachvollziehbare Leistungsgewährung ist Garant für den sozialen Frieden. Die Menschen verstehen oft den Inhalt der Bescheide zum ALG II nicht und können Berechnungswege anhand des Bescheides kaum bis gar nicht nachvollziehen. Durch das komplexe Recht wird der Teil der Bevölkerung, der auf staatliche Unterstützung angewiesen ist, verunsichert und verliert letztlich das Vertrauen in sozialstaatliches Handeln.“

Diese Aussagen haben uns dazu veranlasst, unseren Forderungen nach einem besseren Rechtsschutz für die Betroffenen und nach einem transparenten Verwaltungsverfahren noch einmal Nachdruck zu verleihen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu den Regelungen, die eine sichere Rechtsposition der Betroffenen infrage stellen, gehören aber natürlich auch die Zumutbarkeitskriterien, die sie jedenfalls bisher nicht vor niedrig entlohnter Arbeit schützen oder vor Arbeit, die ihre Qualifikation schlicht und einfach ignoriert.

Es geht auch und insbesondere um die Schnüffelpraxis zur Überprüfung möglicher Bedarfsgemeinschaften. Überhaupt ist es aus unserer Sicht diskriminierend, Menschen allgemein und schon ein

mal vorab Missbrauchsabsichten zu unterstellen, wenn sie in das Harz-IV-System rutschen.

Nicht alle Punkte unseres Antrages können und sollen heute ausführlich erläutert werden. Einige sprechen für sich. Auch deshalb sind wir der Meinung, dass eine Ausschussüberweisung angeraten ist, damit wir alle Facetten etwas genauer beleuchten können. Um nicht wieder Anlass für einen Vorwurf zu geben, sei auch gesagt, dass die in dem Antrag skizzierten Schritte natürlich durch Maßnahmen in anderen Bereichen flankiert werden müssen.

Die Höhe des Mindestlohns reicht aus unserer Sicht noch nicht aus, um das Risiko von Armut, namentlich von Altersarmut zu beseitigen. Das ist übrigens eine Erkenntnis, die wir nicht zuletzt auch unserem eigenen Ministerpräsidenten verdanken.

Gut bezahlte, sozial abgesicherte und unbefristete Vollzeitarbeit muss wieder Ziel und Richtschnur politischen Handelns werden. Der Schutz durch die Arbeitslosenversicherung muss nachhaltig verbessert werden. Dem Sozialausschuss liegt dazu übrigens noch immer ein Antrag vor, den wir bisher vor uns herschieben.

Die Arbeitsverwaltung soll nur in Arbeit vermitteln dürfen, die den Anforderungen an gute Arbeit entspricht. Der Zugang zu arbeitsmarktpolitischen Instrumenten und Integrationsleistungen muss für alle Erwerbslosen und Arbeitssuchenden gewährleistet sein.

Nicht zuletzt brauchen wir Arbeitsmöglichkeiten auch für die Menschen, die auf dem sogenannten ersten Arbeitsmarkt nur schwer oder gar nicht mehr Fuß fassen können. Dazu fordern wir, und das nicht erst zum ersten Mal, einen Gemeinwohlsektor, einen Sektor für öffentlich geförderte Beschäftigung, der die guten Erfahrungen mit der Bürgerarbeit aufgreift, diese Erfahrungen aber mit einer wesentlich besseren Bezahlung und vor allem mit vollem Sozialversicherungsschutz verbindet.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir können zur gleichen Zeit zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, nämlich erstens Menschen eine Chance auf Arbeit geben und zweitens Arbeit leisten, die die Kommunen wegen klammer Kassen nicht finanzieren können und von der die Wirtschaft nicht profitiert.

Ich bitte um Zustimmung zur Ausschussüberweisung. - Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Dirlich. - Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Minister Bischoff. Bitte, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim Letzten, Frau Dirlich, hätte ich gut anknüpfen können, wenn es um soziale Arbeit und einen Anschluss an die Bürgerarbeit geht, weil ich Ihrer Meinung bin, dass wir Möglichkeiten schaffen sollten, gerade für die Älteren, die auf dem Arbeitsmarkt keine Chancen haben. Dafür müssten wir irgendeine Anschlussregelung finden mit einer Arbeit, die - ich sage einmal - wenigstens einigermaßen fair bezahlt wird.

Zu dem Antrag selber versuche ich mich kurz zu fassen. Ich habe erst nach längerem Lesen gemerkt, dass es nicht um das bedingungslose Grundeinkommen, sondern tatsächlich um eine bedarfsorientierte, sanktionsfreie Mindestsicherung geht. Auch darüber will ich mich aber nicht unterhalten, weil all das unter dem Aspekt vom letzten Mal steht, Harz IV abzuschaffen. Dass ich dezidiert anderer Meinung bin, muss ich nicht wiederholen.

Ich würde aber einmal überlegen, wenn wir Harz IV nicht hätten, was würden wir dann heute tun, da sich der Arbeitsmarkt immer weiter öffnet. Würden wir dann über dieses Problem der bedarfsorientierten sanktionsfreien Mindestsicherung reden, die - das ist mein kritischer Einwand; dann will ich auch gleich schließen - an gar keine Bedingungen geknüpft ist?

Ich gehe mit Ihnen mit und sage, die Bürokratisierung beim SGB II und in den Jobcentern ist ziemlich hoch. Wenn man das etwas entbürokratisieren könnte, dann wäre das gut. Ich fände es auch richtig, wenn man den Umgang mit den Menschen vor Ort etwas anders gestaltete. Ich halte es aber nicht für richtig, es an gar keine Bedingungen zu knüpfen.

Ich will jetzt nicht auf die 500 € eingehen. Man kann sich einmal eine Familie mit zwei Kindern von 14 Jahren vorstellen, wie groß der Abstand zu einem normalen mittleren Einkommen wäre, wobei wir dann bei den Begriffen von Armut und Reichtum sind.

(Zustimmung von Herrn Rotter, CDU)

Meines Erachtens muss der Anreiz doch noch gegeben sein, einer Arbeit nachzugehen, die man natürlich selbstbestimmt tun können muss und die auch das Selbstwertgefühl erhöht, weil man selbst etwas schafft. Das ist eigentlich die kritische Frage, die ich habe: Wie will man das gewährleisten? - Von daher gehe ich nicht mit und sehe das sehr kritisch.

Alles andere habe ich beim letzten Mal gesagt und würde ich jetzt nicht wiederholen.

(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. - Die Fünfminutendebatte wird mit dem Beitrag der CDU-Fraktion eröffnet. Es spricht der Kollege Rotter. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Dirlich! Zu Ihren Ausführungen zur Bürgerarbeit hätte ich Ihnen durchaus beipflichten und diesen in Teilen sogar zustimmen können.

(Frau Zoschke, DIE LINKE: Warum machen Sie es nicht?)

Leider Gottes ist die Bürgerarbeit aber nicht Teil Ihres Antrags. Wir beraten heute über den Antrag der Fraktion DIE LINKE mit dem Titel „Bedarfsorientierte sanktionsfreie Mindestsicherung statt Hartz IV“. Der Antrag hat mich - das sage ich ganz ehrlich - nicht wirklich überrascht. Inhaltlich sehe ich relativ wenig Neues. Ihre Forderungen ähneln doch sehr Ihren bisherigen Bemühungen in diese Richtung.

(Frau Dirlich, DIE LINKE: Wir hören auch erst auf, wenn Sie es umgesetzt haben!)

Natürlich geht es wieder um Themen wie die Abschaffung von Arbeitslosengeld II und von Sanktionen, die Stärkung von Rechtspositionen usw.

(Frau Dirlich, DIE LINKE: Richtig!)

Wie gesagt, das ist alles nichts Neues; nichts, was Sie nicht schon einmal gefordert und womit wir uns nicht schon wiederholt beschäftigt hätten.

(Herr Lange, DIE LINKE: Das bleibt auch so, bis es umgesetzt wird!)

Ich vermute, es wird nicht das letzte Mal sein, dass wir uns mit einem ähnlichen Antrag von Ihnen beschäftigen.

(Beifall bei der LINKEN)

- Ihr Klatschen bestätigt mich darin.

(Herr Lange, DIE LINKE: Das ist das Bohren dicker Bretter, Herr Rotter!)

Lassen Sie mich an dieser Stelle vielleicht eine Bemerkung in Ihre Richtung machen.

(Herr Lange, DIE LINKE: Beim Mindestlohn haben wir es auch geschafft!)

- Hören Sie mir doch einfach einmal zu. - Auch die ständige Wiederholung von zum Teil recht abwegigen Forderungen führt mitnichten dazu, dass sie besser oder praktikabler werden.

(Zustimmung von Herrn Schachtschneider, CDU - Herr Lange, DIE LINKE: Ja, das ha- ben wir beim Mindestlohn auch schon ge- hört! - Zuruf von Frau Zoschke, DIE LINKE)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was bedeutet sanktionsfreie Mindestsicherung? - Ohne Wenn und Aber, ohne Bedingungen, ohne Gegenleistung - egal wie man sich verhält, man bekommt auf jeden Fall Geld vom Staat. Ich kann nur sagen: schön märchenhaft, mehr nicht. Aber mit uns nicht!

Auch wenn Sie diesen Antrag regelmäßig wiederholen, ändert sich unsere Position nicht. Sie wird sich auch nicht ändern; denn wir halten das Prinzip des Forderns und Förderns für ein geeignetes Instrument.

(Zustimmung von Herrn Rosmeisl, CDU)

Dieses Prinzip spiegelt die Realität nicht nur der Arbeitswelt wieder. Warum sollen sich Menschen, die vorübergehend oder auch länger nicht in der Arbeitswelt sind, diesem Prinzip entziehen?