Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Uns wird das Thema in den nächsten Jahren öfter begleiten. Das Thema „Integration und wie wir miteinander leben“ wird uns noch stärker als der Fachkräftemangel begleiten. Ich glaube, dass niemand
im Land der Aussage widerspricht, dass Deutschland Zuwanderung/Einwanderung auch aus diesen Gründen braucht.
Darauf zielt der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN ab. Deshalb will ich mich darauf beschränken, obwohl ich weiß, dass die Abgrenzung nicht ganz einfach ist. Darauf komme ich am Ende noch einmal zu sprechen.
Richtig ist aber auf jeden Fall, dass jeder Mensch dieser Welt, der nach Deutschland kommt - ob aufgrund humanitärer Hilfen, aufgrund von Verfolgung, weil er Schutz und Hilfe braucht oder weil er als Fachkraft gebraucht wird und Arbeit sucht oder als Tourist und Durchreisender - hier willkommen ist. Ich denke, hierbei muss man nicht zwischen irgendwelchen Gründen oder Nützlichkeitserwägungen unterscheiden.
In den nächsten Jahren wird die Anzahl der erwerbsfähigen Personen weiter sinken. Schätzungen gehen von einem Rückgang bis zum Jahr 2030 von zwei Millionen bis 6,5 Millionen Personen aus.
Gleichzeitig erlebt Deutschland aktuell die stärkste Zuwanderung seit 20 Jahren. Im Jahr 2013 sind 1,2 Millionen Menschen nach Deutschland zugewandert. Nach Abzug der Fortzüge konnte ein Wanderungssaldo von ungefähr einer halben Million Menschen verbucht werden. Rund drei Viertel der neu Zugewanderten stammten aus Europa. Zwei Drittel sind Unionsbürgerinnen und -bürger. Darüber hinaus suchen immer mehr Menschen - das betrifft die Debatte von gestern - Schutz in unserem Land vor Krieg, Unterdrückung und Verelendung.
Wir bekennen uns ausdrücklich zu unseren Verpflichtungen bei der Aufnahme von Schutzsuchenden. Daher hat sich die Aufnahme von Flüchtlingen auch jeder Nützlichkeitserwägung zu entziehen.
Wenn wir also davon sprechen, dass wir Zuwanderung brauchen, dann geht es zunächst darum, wie unabhängig von der humanitären Zuwanderung beruflich qualifizierte Menschen dafür gewonnen werden können, sich für das Arbeiten und Leben in Deutschland zu entscheiden.
Die Bundesratsinitiative des Landes RheinlandPfalz ist genau darauf ausgerichtet und fordert die Bundesregierung auf, den Entwurf eines Einwanderungsgesetzes vorzulegen.
Aus zeitlichen Gründen verzichte ich auf eine detaillierte Darstellung des Entwurfes; er ist nämlich ziemlich lang und mit vielen Einzelaspekten versehen. Ich möchte aber deutlich machen, dass ich die Bündelung und Ergänzung unserer Zuwanderungsregelungen in einem Einwanderungsgesetz
Deshalb bin ich dem Ministerpräsidenten durchaus dankbar für seine klaren Worte. Ich bin mir aber auch bewusst, dass zwischen den Fraktionen auch im Bundestag noch unterschiedliche Auffassungen hierzu bestehen. Ich bin davon überzeugt, es wird kommen.
Bis dahin dürfen wir aber die Hände nicht in den Schoß legen. Zuwanderungsentscheidungen werden wir heute nicht nur aufgrund von aufenthaltsrechtlichen Regelungen fällen dürfen; vielmehr spielen unter anderem auch Fragen des Integrationsumfeldes, der Rahmenbedingungen für Bildung und für Familiennachzug eine zunehmende Rolle. Dafür können wir in unserem Land einiges tun.
Lassen Sie mich einige Punkte nennen, an denen wir arbeiten und für die wir unsere Anstrengungen verstärken sollten.
Erstens. Jede und jeder Zugewanderte soll in Sachsen-Anhalt schnell und kompetent beraten werden. Dazu steht als Anlaufstelle auch das vor 14 Tagen vorgestellte Welcome-Center zur Verfügung, das Beratung in allen Fragen durchführt, nicht nur für Rückkehrwillige, die von hier weggezogen sind, sondern auch für Zuwanderungswillige, die auf der Suche sind.
Darüber hinaus verfügen wir über ein kompetentes Netz an Migrationsberatungsstellen, das angesichts der Zunahme der humanitären Zuwanderung weiter ausgebaut werden muss.
Ich bemühe mich zudem derzeit darum, in Kooperation mit der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit Angebote zur frühzeitigen Arbeitsmarktberatung von Flüchtlingen zu entwickeln, um besonders gut qualifizierte Flüchtlinge frühzeitig durch Willkommensbegleiter zu unterstützen.
Zweitens. Verständigung ist das A und O von Integration. Zugewanderte und Flüchtlinge brauchen daher von Anfang an Sprachangebote. Hierfür muss der Bund stärker Verantwortung übernehmen und die Integrationskurse für Flüchtlinge öffnen. Dem sollte eine niederschwellige Sprachförderung vorausgehen. Hierbei wollen wir selbst Verantwortung übernehmen; das Land wird im Rahmen der neuen ESF-Förderperiode solche grundlegenden Sprachkurse für Flüchtlinge anbieten.
Drittens. Zügige Anerkennungsverfahren für ausländische Berufsabschlüsse sind eine zentrale Voraussetzung für qualifizierte Arbeitsmarktintegration. Das gilt für Neuzugewanderte ebenso wie für die vielen, vor allem syrische, Flüchtlinge, die mit guten akademischen und beruflichen Qualifikationen zu uns kommen, sehr schnell das Asylver
fahren durchlaufen, sich dann nichts sehnlicher wünschen, als hier arbeiten und ihren Lebensunterhalt selbst sichern zu können.
Schließlich viertens. Zuwanderung - das ist schon häufig erwähnt worden - braucht einen gesellschaftlichen Konsens. Nur wenn es uns gelingt, die einheimische Bevölkerung davon zu überzeugen, dass wir Zuwanderung brauchen und dass sie für unser Land einen Gewinn an Vielfalt bringt, werden sich Zuwanderungswillige auch für SachsenAnhalt entscheiden und dauerhaft mit uns gemeinsam leben. Dafür brauchen wir eine klare Haltung und frühzeitige Informationen und besonders die vielen Menschen, die sich in unserem Land bereits für Zugewanderte und Flüchtlinge und mit ihnen einsetzen.
Zum Schluss möchte ich noch eine persönliche Anmerkung machen, auch aufgrund der Diskussionen, die auch in meinem Haus geführt werden. Ich kann es nicht verstehen - ich bin ein entschiedener Gegner davon -, dass wir uns im Land einerseits damit rühmen, dass an verschiedenen Ort im Land, vornehmlich in den Sommermonaten, Eurocamps, Landescamps und derartige Veranstaltungen durchführt werden, bei denen Menschen und junge Leute aus anderen Kulturen, wie China, Südkorea, Europa usw., ihre kulturelle Vielfalt darstellen und Politiker aller Couleur, Ministerpräsidenten und Minister dorthin fahren, dass aber andererseits, wenn Menschen aus diesen Ländern in Not kommen, gesagt wird: Bei uns nicht; sie zerschießen uns unser touristisches Modell.
Das kann und will ich nicht akzeptieren. Dies sind Orte, wo Integration besonders gelebt werden kann. Das müsste selbstverständlich sein. Ich glaube, wir brauchen Aufklärung vor Ort. Ich bin auch davon überzeugt, dass es viele Menschen gibt, die das ähnlich sehen.
Eine zweite kritische Anmerkung muss ich als Gesundheitsminister anbringen. Ja, wir brauchen Fachkräfte in Deutschland, auch Fachkräfte aus der EU. Trotzdem bin ich mir als Gesundheitsminister nicht ganz sicher, ob wir eine große Werbeaktion in Bulgarien und Rumänien starten sollten, damit die Fachkräfte hierherkommen, wenn die Gesundheitsversorgung in ihren Heimatländern nicht funktioniert.
Wir brauchen gleichzeitig Anstrengungen der EU, um Bedingungen vor Ort zu schaffen, die dafür sorgen, dass Menschen gern in ihrer Heimat bleiben wollen oder dorthin zurückkehren wollen. Auch das müssen wir leisten. Aber es muss auch die Freizügigkeit in Europa gelten, in anderen Ländern arbeiten zu dürfen. Man muss beides im Blick be
halten. Daher bin ich an dieser Stelle ein kleines bisschen leiser; denn ich glaube, Menschen wollen auch gern dort wohnen, wo sie groß geworden sind.
Es ist eine Aufgabe, die Bedingungen dort zu verbessern. Das ist auch eine Aufgabe, die wir gleichzeitig sehen müssen.
Danke schön, Herr Minister. - Wir treten in die Aussprache zum Antrag ein. Als Erster spricht für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Herr Rotter.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich brauche immer ein bisschen länger, wenn ich nach dem Minister rede, um das Pult herunterzufahren.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Liest man im wohl meist genutzten Nachschlagewerk „Wikipedia“ nach, so wird als Chance eine günstige Gelegenheit oder ein Glücksfall bezeichnet, aber auch die Aussicht, bei jemandem durch Sympathie Erfolg zu haben. Besonders die letzte Deutung, bei jemandem durch Sympathie Erfolg zu haben, passt meiner Ansicht nach ganz gut zum heutigen Thema.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland ist nach Japan bereits heute das Land mit der zweitältesten Bevölkerung der Welt. In ca. 15 Jahren werden Jahr für Jahr in Deutschland mindestens doppelt so viele Menschen in Rente gehen, wie an Nachwuchs aus den Schulen ins Berufsleben eintreten.
Der heute schon deutlich spürbare Fachkräftemangel wird sich noch dramatisch verschärfen. Die Alterung betrifft alle Bereiche unseres Zusammenlebens. Dabei sind insbesondere die sozialen Sicherungssysteme auf ein ausgewogenes Verhältnis von Betragszahlern und Rentnern angewiesen.
Deshalb müssen wir uns angesichts einer stagnierenden Geburtenrate auch intensiv damit beschäftigen, wie wir mehr junge Menschen nach Deutschland holen und so die wirtschaftliche Dynamik unseres Landes erhalten können.
Wir müssen uns ehrlich anstrengen, damit uns vor allem der Mangel an Fachkräften nicht als größter Hemmschuh für wirtschaftliches Wachstum auf die Füße fällt. Denn Fachkräfte werden nicht nur in
hochqualifizierten Berufen, sondern auch im Handwerk oder in sozialen Berufen, wie zum Beispiel in der Pflege, fehlen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Glaubt man einem Bericht der „Volksstimme“ der letzten Tage, so fehlen allein im Bereich Magdeburg ca. 1 300 Pflegekräfte, und zwar bereits in den nächsten Jahren, also in einem relativ überschaubaren Zeitraum.
Dieser Fachkräftebedarf - ich beschränke mich bei meiner Betrachtung nur auf diesen speziellen Bereich - lässt sich bei allen noch so intensiven Bemühungen weder durch die Nutzung aller Erwerbs- und Fachkräftepotenziale, soweit sie denn überhaupt noch vorhanden sind, noch durch verstärkte Anstrengungen im Bereich Aus-, Fort- und Weiterbildung zu 100 % decken.
Die verbleibende Lücke lässt sich, realistisch betrachtet, nur durch Einwanderung nachhaltig schließen. Darum müssen wir alles unternehmen, um den zu uns kommenden Menschen Integration zu ermöglichen und sie willkommen zu heißen, also durch Sympathie zum Erfolg kommen. Die uns gebotene Chance im Sinne einer günstigen Gelegenheit sollten wir nutzen.
- Das erkläre ich Ihnen gleich. - Das ist jedoch mit Sicherheit nicht als Einbahnstraße zu verstehen. Auch diejenigen, die zu uns zuwandern, und ebenso die bei uns schutzsuchenden Menschen haben ihren Beitrag zu leisten. Auch sie müssen alle Anstrengungen unternehmen, um durch Sympathie zum Erfolg zu kommen. Auch sie müssen die ihnen gebotene Chance nutzen.
Zu diesen Anstrengungen gehören insbesondere das Erlernen der deutschen Sprache, die Akzeptanz unserer Kultur und unserer rechtsstaatlichen Ordnung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Doch ist es falsch, in der Einwanderung nur die Deckung des Bedarfs an Arbeitskräften zu sehen. Es kommen nicht nur Arbeitskräfte, sondern Menschen, die hier auch leben, glauben und sich einbringen wollen. Wir sollten sie einladen, Bürger dieses Landes zu werden, Bürger eines Landes, das sich als Verantwortungsgemeinschaft aller, die hier leben, versteht. Nur in diesem Geist ist es möglich, Zukunft gemeinsam zu gestalten.