Protokoll der Sitzung vom 24.04.2015

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Doch ist es falsch, in der Einwanderung nur die Deckung des Bedarfs an Arbeitskräften zu sehen. Es kommen nicht nur Arbeitskräfte, sondern Menschen, die hier auch leben, glauben und sich einbringen wollen. Wir sollten sie einladen, Bürger dieses Landes zu werden, Bürger eines Landes, das sich als Verantwortungsgemeinschaft aller, die hier leben, versteht. Nur in diesem Geist ist es möglich, Zukunft gemeinsam zu gestalten.

Wir brauchen kein Multikulti, sondern ein klares Bekenntnis zu Deutschland und zur freiheitlich demokratischen Grundordnung. Wir brauchen für beide Seiten klare und verständliche Regeln. Wenn wir Zu- bzw. Einwanderung so verstehen und sie so praktizieren, ist sie insgesamt keine Belastung, sondern ein dynamischer Prozess, der sich als Gewinn für alle Beteiligten erweist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um dies zu verdeutlichen, brauchen wir eine breite gesellschaftliche Debatte über die Notwendigkeit von Einwanderung, über die Frage, welche Art von Einwanderung wir wollen, wie wir Einwanderung steuern und womöglich begrenzen und wie wir bei starker Einwanderung den gesellschaftlichen Zusammenhalt sicherstellen.

Wir müssen allen Menschen glaubhaft machen, dass sie nicht zu den Verlierern des Prozesses gehören, weil es bei diesem Prozess keine Verlierer gibt bzw. geben darf.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die indische Ministerpräsidentin Indira Gandhi hat einmal Folgendes gesagt: Die Geschichte ist der beste Lehrer mit den unaufmerksamsten Schülern.

(Frau von Angern, DIE LINKE: Das hat aber einen anderen kulturellen Hintergrund, als Sie ihn nannten!)

- Ach, Frau von Angern. - Zeigen wir der Welt, dass das auf uns nicht zutrifft; denn wir haben aus unserer Geschichte gelernt. - Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU - Zuruf von Frau von Angern, DIE LINKE)

Ihre Redezeit ist zwar zu Ende, Kollege Rotter. Es gibt aber eine Nachfrage der Abgeordneten Frau Lüddemann. Möchten Sie diese beantworten?

Ich werde es versuchen, Herr Präsident.

Bitte schön.

Herr Kollege Rotter, ich habe es extra mitgeschrieben. Sie haben gesagt: Wir brauchen kein Multikulti; wir brauchen ein Bekenntnis zur freiheitlichdemokratischen Grundordnung. Wo ist da der Unterschied?

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der LINKEN - Herr Rosmeisl, CDU: Fragen Sie den Bürgermeister von Neukölln! - Weitere Zurufe von der CDU - Unruhe)

Liebe Kollegin Lüddemann, ich werde nicht versuchen, in diesem Zusammenhang einen nicht vorhandenen Unterschied zu konstruieren, so wie Sie das tun.

(Frau Lüddemann, GRÜNE: Das habe ich nicht gesagt! Das haben Sie gesagt!)

Dann interpretieren Sie das vielleicht ein bisschen falsch. Lassen Sie es mich einfach erklären.

(Zuruf von Frau von Angern, DIE LINKE)

Ich habe gesagt, dass ich kein Multikulti brauche. Ich erkläre es wie folgt, um vielleicht ein bisschen im Bild zu bleiben. Wenn Sie in eine Gaststätte gehen, verehrte Kollegin,

(Frau von Angern, DIE LINKE: In eine deut- sche oder in eine andere? - Herr Scheurell, CDU: in eine deutsche!)

- das kann auch ein Inder, ein Grieche,

(Unruhe - Zuruf von Frau von Angern, DIE LINKE)

- je lieber, um so besser - oder auch ein Italiener sein, je nachdem, wie Sie es gern mögen.

(Unruhe)

Wenn Sie dorthin gehen und sich etwas zu Essen bestellen, dann erfreuen Sie sich doch auch an dem unterschiedlichen Geschmack der unterschiedlichsten Komponenten. Alles zusammengemischt - sind wir einmal ganz ehrlich - würde mir nicht schmecken. Ich bin auf den Geschmack jeder einzelnen Komponente gespannt. Das macht doch erst den Reiz eines Gerichtes in seiner Gesamtheit aus.

(Zuruf von Frau von Angern, DIE LINKE)

So haben Sie das zumindest zu verstehen. So habe ich es gemeint. - Besten Dank.

(Beifall bei der CDU - Herr Striegel, GRÜNE: Die CDU ist für Trennkost! Das haben wir verstanden!)

Als nächste Rednerin spricht für die Fraktion DIE LINKE Frau Abgeordnete Tiedge.

(Heiterkeit - Herr Kolze, CDU: Jetzt bin ich gespannt! - Herr Borgwardt, CDU: Jetzt er- klärst du es uns, Gudrun!)

Das dauert jetzt auch ein bisschen. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die Rede von Herrn Rotter möchte ich nicht weiter eingehen. Dazu ist mir meine Redezeit zu schade.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der heute vorliegt, passt gut zu der zuvor geführten Aktuellen Debatte zum 70. Jahrestag der Befreiung; denn es gibt viele Parallelen. Es geht wieder um Krieg. Es geht um Not. Es geht um Elend, Vertreibung und Flucht.

Gestern trafen sich die Chefs der Mitgliedstaaten der EU, um über die furchtbaren Flüchtlingsdramen auf dem Mittelmeer und anderswo zu debattieren. Einmal davon abgesehen, dass das schon seit Langem überfällig war, ist das erst einmal zu begrüßen. Doch was war das Ergebnis? - Sieben von zehn beschlossenen Punkten zielen darauf ab, die Abwehrmaßnahmen gegen Flüchtlinge zu verstärken. So soll es zum Beispiel eine bessere Finanzierung der Grenzüberwachungsprojekte Triton und Poseidon geben. Flüchtlinge sollen mit Fingerabdrücken erfasst werden. Illegale sollen schneller zurückgeschickt werden usw.

(Herr Scheurell, CDU: Genau!)

Kein Wort wurde über die eigene Verantwortung verloren. Wer hat denn eine Grenze nach der anderen geschlossen, um Europa abzuschotten? - Es war die Europäische Union. Wer hat zum Beispiel die Visa-Vergabe an Syrer abgeschafft? - Es war Deutschland. Wer hat mit Waffenlieferungen in all die Krisenstaaten mit dafür gesorgt, dass dort Bürgerkrieg, Elend und Vertreibung herrschen? - Es waren die europäischen Staaten und insbesondere auch Deutschland.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Da wundert man sich, dass Schleuserbanden in diesen Ländern Menschen finden, die bereit sind, sich ihnen anzuvertrauen, wohl wissend, dass ihnen ihr Leben völlig egal ist und sie nur an dem Geld interessiert sind. Sie sind eigentlich nur der Ausfluss dessen, was Europa und die Welt diesen Ländern antut.

(Beifall bei der LINKEN)

Wieder einmal sucht die EU nach Lösungen. Wieder einmal ist man sich nicht einig darüber, was mit den geretteten Menschen passieren soll. Geld geben ja, aber Menschen aufnehmen nein. Das hat zum Beispiel der Premierminister von Großbritannien unmissverständlich klargemacht. Was für ein Armutszeugnis für dieses reiche Europa. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, dass ich unter diesen Gesichtspunkten die Debatten, die gestern geführt wurden, für mehr als verlogen halte.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Deutschland ist ein Einwanderungsland. Das ist gut so. Über diese Erkenntnis wird häufig jedoch lediglich unter dem Aspekt der Nützlichkeit für den Arbeitsmarkt diskutiert. Dafür hat uns Herr Rotter heute ein gutes Beispiel geliefert.

Der hier eingereichte Antrag plädiert dafür, Einwanderung als Chance zu sehen, die in einem neuen Einwanderungsgesetz geregelt werden soll. Generell gilt jedoch, dass für die zu mehr als drei Vierteln aus Europa und insbesondere aus der Europäischen Union stammenden Migrantin

nen und Migranten kein Einwanderungsgesetz greift, da für sie in Europa sowieso Freizügigkeit gilt und deren Bewegung nicht zu steuern ist.

Es geht also um sogenannte Drittstaatenangehörige, um Menschen, die nicht aus den EU-Staaten kommen. Tatsächlich bedarf es einer modernen und humanen Perspektive im Umgang mit Einwanderinnen und Einwanderern. DIE LINKE akzeptiert es aber nicht, dass Menschen nach Qualifikation und Arbeitsmarktlage in nützliche und nicht nützliche oder in erwünschte und unerwünschte eingeteilt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Quoten, Kontingente und Punktesysteme, wie sie in der Diskussion über das sogenannte kanadische Modell verbreitet wurden, sind Instrumente einer menschenverachtenden, selektiven Einwanderungspolitik. Vielmehr muss die Einbürgerung erleichtert werden. Doppelte Staatsbürgerschaften müssen grundsätzlich möglich sein. Darüber hinaus sollten alle Kinder, die hier geboren werden und deren Eltern in Deutschland leben, die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten können.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Familiennachzug muss sowohl Kindern als auch gleich- und andersgeschlechtlichen Lebenspartnerinnen und -partnern sowie Familienangehörigen zweiten Grades möglich sein. Ein Bleiberecht benötigen auch länger hier lebende, bislang jedoch nur geduldete Personen.

Wenn nun in dem vorliegenden Antrag der demografische Wandel und die damit verbundene sinkende Zahl von Menschen, die in der Lage sind, Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten, sowie der gleichzeitig wachsende Fachkräftebedarf als Begründung herangezogen werden, ist dies zwar formal nicht falsch. Es bedient aber genau diesen Blick auf die Verwertbarkeit von Einwanderinnen und Einwanderern.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei der Aufnahme von Flüchtlingen dürfen wirtschaftliche Gesichtspunkte keine Rolle spielen, heißt es in dem vorgelegten Antrag. Gleichzeitig wird in der Bundesratsinitiative des Landes Rheinland-Pfalz „Einwanderung gestalten - Einwanderungsgesetz schaffen“, auf die hier Bezug genommen wird und der sich angeschlossen werden soll, formuliert - ich zitiere -: