Protokoll der Sitzung vom 04.06.2015

Wenn ich heute in der Otto-von Guericke-Straße in Magdeburg, wo ich wohne, immer noch kein schnelles Internet habe, dann möchte ich mir nicht vorstellen - kann es mir aber vorstellen, weil ich es auch kenne -, wie es auf dem Land aussieht. Das ist, glaube ich, das Problem, das wir im Moment noch haben.

Wir müssen den Leuten auch Lust darauf machen. Wir müssen ihnen ein Gefühl dafür geben, dass das Internet nicht irgendeine temporäre Erscheinung ist, die vorrangig irgendwie Kriminalität beflügelt und die so ein bisschen einen Grauraum, einen Schattenraum für Leute darstellt, die da irgendwelche halbseidenen Dinge tun. Wir müssen ihnen das Gefühl vermitteln, dass das eine wichtige Kommunikations- und Zukunftstechnologie ist, mit der wir in Zukunft immer stärker konfrontiert werden.

Wenn wir heute über 50 MBit/s als Ziel sprechen, müssen wir schon mitdenken, was danach kommt. Deswegen - ich habe es hier angesprochen -: Wir brauchen auch die neuen Technologien. Wir brauchen - auch das steht nicht in den Anträgen - ein Bekenntnis zu den Glasfasernetzwerken, weil das die leistungsstärksten Technologien sind, weil bei 50 MBit/s natürlich nicht Schluss ist. Wir haben es mit einer Zukunftsaufgabe zu tun; die muss als Schlüsselaufgabe erkannt werden.

Ich glaube, die Regierung ist dabei auf einem Weg; sie muss nur noch ambitionierter vorgehen. Insofern stelle ich auch die Ziele - das war Ihre erste Frage, Herr Wagner -, die Dinge, die in den letzten Jahren erreicht wurden, nicht in Abrede. Das sind Fakten, die sich ablesen lassen.

Danke schön, Kollege Herbst. - Zum Schluss der Debatte könnte Abgeordneter Herr Kurze für die Fraktion der CDU noch einmal das Wort nehmen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Herbst hat es ja doch etwas schwarzer gemalt, als es eigentlich ist, sprang wieder von links nach rechts, mal gut, mal nicht so gut. Ich denke, wir sind auf einem guten Weg. Wir haben unsere Ziele konkretisiert. Ich wünsche mir manchmal, dass wir unsere Erfolge, die wir auch haben, stärker anerkennen. Denn am Ende geht es um unser Land, und es hilft uns nicht weiter, wenn wir unser Land immer schlechter darstellen, als es eigentlich ist.

(Zuruf: Ach! - Oh! bei den GRÜNEN)

Von daher hat mir Ihre Rede, Herr Herbst, nicht so gut gefallen. Da war Herr Wagner doch näher an uns dran. Das wollte ich einfach unterstreichen.

(Beifall bei der CDU - Oh! bei den GRÜNEN - Zuruf von Herrn Lange, DIE LINKE)

Dann schließen wir die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt ab und treten in eine analoge Handlung ein. Wir haben abzustimmen.

Zunächst lasse ich über die Überweisung in die Ausschüsse abstimmen. Es wurde beantragt, die beiden vorliegenden Anträge in den Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Medien zu überweisen. Wer dafür ist, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind die Fraktion DIE LINKE und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Damit ist die Überweisung mehrheitlich abgelehnt worden.

Nun lasse ich über die Anträge im Einzelnen abstimmen, zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion DIE LINKE in der Drs. 6/4132. Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Oppositionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? - Das sind die Koalitionsfraktionen. Der Änderungsantrag hat nicht die erforderliche Mehrheit erhalten.

Ich lasse nunmehr über den Ursprungsantrag der Fraktionen der CDU und der SPD in der Drs. 6/4097 abstimmen. Wer stimmt dem zu? - Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Wer stimmt dagegen? - Niemand. Wer enthält sich der Stimme? - Die Fraktion DIE LINKE. Damit hat der Antrag eine Mehrheit gefunden und der Tagesordnungspunkt 3 ist erledigt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:

Beratung

Tarifautonomie stärken - Streikrecht verteidigen

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/4091

Für die einbringende Fraktion DIE LINKE nimmt Herr Dr. Thiel das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Meine Kollegin Edeltraud Thiel-Rogée ist leider vor Kurzem erkrankt, sodass ich den Part übernommen habe, ihre Rede hier vorzutragen.

(Zuruf von Herrn Borgwardt, CDU)

Um es kurz und bündig zu sagen: Das Tarifeinheitsgesetz des Bundestages vom 22. Mai 2015 wird seinem Namen nicht gerecht. Das Ziel ist wohl mehr die Lähmung der Kampfkraft der Gewerkschaften und die weitere Zerschlagung von bestimmten Gewerkschaften; das trifft wohl eher zu. Gewerkschaften sollen wieder zwangsvereinigt werden, während Unternehmen weiter outsourcen, sich zergliedern, um genau das Gegenteil zu erreichen.

(Zuruf von der CDU)

Gewerkschaften, die nicht mehr handlungsfähig sind, werden sich auflösen. Die wenigsten Mitglieder werden sich einer tarifführenden Gewerkschaft anschließen. Dann, so glaube ich, ist das wirkliche Ziel erreicht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmer ist im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Artikel 9 verfassungsrechtlich geschützt. Ich zitiere Absatz 3:

„Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.“

Damit ist das Tarifeinheitsgesetz unserer Auffassung nach rechtswidrig. Es ist ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Außerdem ein zweiter wichtiger Punkt, um das nicht zu vergessen. Das betrifft die Nachweisführung für große wie für kleine Gewerkschaften, und zwar betrifft das den Bereich des Datenschutzes. Die Freigabe der Namen von Gewerkschaftsmitgliedern ist gesetzlich geschützt. Ohne ausdrückliche Einwilligung des betroffenen Arbeitnehmers ist die Namensnennung unzulässig, weil die Gewerkschaftszugehörigkeit zu den besonders geschützten Daten eines Arbeitnehmers gehört. Das bedeutet, dass dem Arbeitgeber kein Fragerecht zusteht und den Arbeitnehmer keine Offenbarungspflicht trifft.

Auch eine notarielle Anerkennung muss ohne Namensnennung auskommen. Das heißt in der End

konsequenz: Es gibt auch dann keinen wirklichen Beweis der Größe einer Gewerkschaft.

Worum geht es also wirklich? - Jawohl, meine Damen und Herren, die Tarifauseinandersetzungen haben in den vergangenen Monaten zugenommen. Jeder kann es spüren, jeder kann es lesen, jeder hat es gespürt, jeder spürt das vielleicht auch noch unmittelbar. Man muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass die Beschäftigten, die ihr Streikrecht ausüben, offenbar mit ihrer Einkommenssituation und ihren Arbeitsbedingungen sehr unzufrieden sind. Auch deshalb haben beispielsweise viele betroffene Eltern oder auch Bahnfahrer Verständnis für diese Streiks. Sie sind ja zum Teil selbst in änderungswürdigen Arbeitsverhältnissen anzutreffen.

Deshalb finden wir, das Gejammer um die Nichtfunktionsfähigkeit der Tarifeinheit in Deutschland ist mehr als merkwürdig; denn die Ursachen für die heutige Situation des Tarifgeschehens liegen in dem Bestreben der Arbeitgeber, die Ausgaben für Arbeitnehmer und deren Betriebsräte als Kostenfaktor ständig zu reduzieren. Während und nach Tarifabschlüssen wurde immer öfter mit der Verlagerung von Unternehmen gedroht und dies auch durchgeführt.

Die vorrangige Aufgabe der Tarifautonomie ist jedoch darauf gerichtet, die Ausnutzung der Arbeitskraft zu unwürdigen Bedingungen und zu unzureichendem Lohn zu unterbinden. Das wollten offenbar jedoch Arbeitgeber und Arbeitgeberverbände systematisch verhindern. Deshalb beschlossen sie für ihre Mitgliedsunternehmen eine Mitgliedschaft auch ohne Tarifbindung, obwohl diese Verbände Tarifpartner waren und sind.

Seit Mitte der 90er-Jahre gibt es das Bestreben der Arbeitgeber zum Abschluss von Tarifverträgen, die für eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern Tarifabschläge im Flächentarif möglich machten. Die Rechte der Gewerkschaften und ihre Tarifpolitik werden seit Jahren von Bundespolitikern und Arbeitgeberverbänden angegriffen. Deshalb sehen wir das nun beschlossene Tarifeinheitsgesetz als erneuten Schlag in das Gesicht der Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften.

Die Streiksituation der GDL, die dieses Gesetz scheinbar notwendig gemacht hat, hat aber ihre Ursachen in dem ständigen Bestreben des BahnVorstandes nach Reduzierung des Einflusses von Betriebsräten und Gewerkschaften in seinem Unternehmen; das ist typisch für viele Bereiche. Auch deshalb wurden größere Unternehmen zerlegt, ganze Werke, Unternehmensteile, Betriebe, Abteilungen Bereiche Forschung und Entwicklung usw. ausgegliedert oder ins Ausland verlagert. In Deutschland führte das zu einem enormen Personalabbau, zur Verkleinerung und zur Reduzierung von Betriebsräten und Gewerkschaften.

Die Angst der Arbeitnehmer wuchs. In vielen Fällen wurden Lohnabschläge, Zeitarbeit, Werkverträge, Scheinselbständigkeit und weitere lohn- und einkommenssenkende Maßnahmen akzeptiert.

Diese Angst führte auch dazu, dass die Streikbereitschaft sehr gering war, mit der Konsequenz, dass Entgelttarifverträge nicht mehr in der notwendigen Höhe abgeschlossen wurden.

Das führte letztendlich dazu, dass die Beschäftigten nach Möglichkeiten suchten, um diesen Trend zu durchbrechen. Den Anfang machten unter anderen die Mitglieder des Marburger Bundes für die Ärzte. Danach machten sich die Lokführer aus der Tarifgemeinschaft selbständig, aus Ver.di die Flugkapitäne, das Sicherheitspersonal und andere, um mit ihren Möglichkeiten für bessere Einkommen zu streiten. Die gleichen Möglichkeiten hätten die vorherigen Tarifgemeinschaften aus unserer Sicht auch gehabt. Sie haben sie aber nicht genutzt und verteidigt.

Jetzt, wo dieses System, nämlich in Spartengewerkschaften organisiert zu sein, für die Arbeitnehmer immer erfolgreicher wird, kommt die Bundesregierung mit einem Gesetz, das die Gewerkschaften zwingen soll, dort weiterzumachen, wo sie früher nicht erfolgreich waren.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Das Problem sind angeblich konkurrierende Gewerkschaften. Gemeint ist, dass durch die Schlüsselposition von Spartengewerkschaften der Betriebsablauf so gestört wird, dass das zu besseren Tarifabschlüssen führt. Gewerkschaften wie die christlichen, die in der Vergangenheit für geringe Tarifverträge sorgten, waren bei Arbeitgebern immer gefragt - aber nur so lange, bis die Spartengewerkschaften höhere Abschlüsse erreichten als die des DGB.

Auch bei uns fanden solche Umstrukturierungen in Unternehmen statt. Erstes Beispiel: das Otto-Versandzentrum Haldensleben, vorher im Handelstarifvertrag und jetzt im Tarifvertrag von Hermes Logistik, weil dieser billiger ist. Das, meine Damen und Herren, sind Unternehmensentscheidungen, die Arbeitnehmer nachdenken lassen.

Zweites Beispiel: die „Magdeburger Volksstimme“ - Ausgliederung der Druckerei bei laufendem Betrieb und Neueinstellung von Beschäftigung mit geringeren Löhnen.

Drittes Beispiel - ganz aktuell -: die Ausgliederung bei der Deutschen Post AG in den Bereichen Delivery und Logistik. Arbeitnehmer mit befristeten Arbeitsverträgen werden mit unbefristeten Arbeitsverträgen gelockt, allerdings unter dem Posttarifvertrag. - Das sind konkrete Aktionen, die in Sachsen-Anhalt stattfinden, und nicht irgendwo in Deutschland.

Zur Art des Umgangs mit Lokführern möchte ich noch einige Worte sagen: Einzelne Funktionäre zu beschimpfen und anzugreifen ist zwar schön für die Sündenbockfunktion, aber es ist falsch. Denn: Gewerkschaften handeln sehr demokratisch. Das heißt: Ob gestreikt wird, wie lange ein Streik dauert, wann ein Streik fortgesetzt wird, wie hoch die Forderungen sind, welches Ergebnis akzeptiert wird, das entscheiden die Mitglieder bzw. die aus den Unternehmen gewählten Tarifkommissionsmitglieder.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Selbst wenn Kollege Weselsky den Streik nicht mehr hätte fortführen wollen, weil er sich persönlich angegriffen fühlte - er hätte keine Chance gehabt. Denn das war die Bestimmung in seiner Gewerkschaft. Hier sind die Mitglieder nach wie vor diejenigen, die das Maß der Dinge bestimmen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Tarifpolitik ist kein einfaches Geschäft. Es geht nicht nur um Einkommenserhöhungen - das vergisst man oftmals -, sondern es geht um eine systematische Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Ich freue mich schon auf die morgige Aktuelle Debatte zu diesem Thema.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieses Hohe Haus kann mit seiner Zustimmung zu unserem Antrag selbst zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der fast eine Million Beschäftigten in Sachsen-Anhalt beitragen. Ich glaube, ich muss Ihnen den Antrag nicht erläutern, er ist in seiner Klarheit selbsterklärend.

Eine starke Demokratie braucht ein starkes Streikrecht. Dass ausgerechnet die SPD ein Gesetz zur Schwächung der Gewerkschaften und der Arbeitnehmer beschließt und mitträgt, ist ein Zeichen für das Festhalten an der unsozialen Agendapolitik.