Eine starke Demokratie braucht ein starkes Streikrecht. Dass ausgerechnet die SPD ein Gesetz zur Schwächung der Gewerkschaften und der Arbeitnehmer beschließt und mitträgt, ist ein Zeichen für das Festhalten an der unsozialen Agendapolitik.
Statt nämlich die Tarifeinheit in den Unternehmen und die Mitbestimmung der Betriebsräte und Belegschaften tatsächlich zu fördern, soll ganz gezielt das Gegenteil erreicht werden.
Die Arbeitgeberverbände und die Landesregierung fordern wir auf, ihren Worten endlich Taten folgen zu lassen und die Tarifbindung im Land zu stärken. Es gibt sehr viele wohlklingende Erklärungen zu diesem Thema, es sind sehr viele Texte verabredet worden, aber wenn es darum geht, sie in konkrete Landespolitik umzusetzen, tut man sich ungeheuer schwer. Denn, meine Damen und Herren, die Belegschaften und die Beschäftigten der Betriebe und Branchen streiken nicht, weil sie keine Lust zum Arbeiten haben, sondern weil sie ihre Arbeit auch im Lohn und in anderen Arbeits
Danke schön für die Einbringung, Herr Kollege Thiel. - Wir treten jetzt in die Aussprache ein. Für die Landesregierung spricht Herr Minister Bischoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter dem Titel „Tarifautonomie stärken -Streikrecht verteidigen“ bindet DIE LINKE im vorliegenden Antrag einen bunten Strauß von Forderungen, zu denen hier sehr oft diskutiert worden ist und die ich übrigens in vielen Dingen inhaltlich unterstütze. Allerdings erscheint mir die argumentative Verknüpfung mit den Themen Tarifautonomie, Tarifeinheit und Streikrecht an manchen Stellen eher willkürlich.
Aber zunächst einige Worte zur Einordnung und zur Verteidigung des soeben vom Bundestag beschlossenen Tarifeinheitsgesetzes. Erstens. Mit dem Tarifeinheitsgesetz wird im Ergebnis der bewährte Rechtszustand wiederhergestellt, der bis zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts im Jahr 2010 galt. In jedem Betrieb sollte für eine Beschäftigungsgruppe nur ein Tarifvertrag gelten - so war es bis 2010.
Zweitens. Das Gesetz soll letztendlich die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie sichern. Der Grundsatz der Tarifeinheit greift als Kollisionsregel nur subsidiär ein, also nur dann, wenn man sich nicht einigt, wenn es den Tarifvertragsparteien nicht gelingt, durch autonome Entscheidungen Tarifkollisionen zu vermeiden. Kann eine Tarifkollision nicht vermieden werden - das ist der eigentliche Punkt -, ist in dem Umfang, in dem sich in einem Betrieb die Tarifverträge überschneiden, nur der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft anwendbar, die im Betrieb über die meisten Mitglieder verfügt.
Die Frage, wie weit die Offenlegung für Namen und Ähnliches gilt, kann ich jetzt nicht beantworten. Vielleicht muss das dann von einem Gericht beantwortet werden, darauf kann ich jetzt hier nicht näher eingehen.
Drittens. Zum Schutz kleiner Gewerkschaften sind in dem Gesetz, das der Bundestag beschlossen hat, besondere Verfahrensregelungen vorgesehen, zum Beispiel besondere Anhörungsrechte für Minderheitsgewerkschaften.
Insgesamt sind das aus meiner Sicht vernünftige Regelungen, die dazu beitragen werden, dass sich die Tarifautonomie auch weiterhin an den Interessen der Gemeinschaft, sowohl dem Wohl des Gesamtbetriebes als auch aller dort Beschäftigten,
ausrichtet; denn die grundgesetzlich verbriefte Koalitionsfreiheit steht nicht im leeren Raum, sondern ist auch mit der gesellschaftlichen Verantwortung aller Beteiligten verknüpft. Das gilt übrigens auch für viele andere Regelungen in einer parlamentarischen Demokratie.
Die Herstellung der Tarifeinheit per Gesetz ist allerdings das allerletzte Mittel, wenn eine Einigung der Beteiligten im Rahmen der Tarifautonomie nicht möglich war. Trotzdem ist mir bewusst, dass die rechtlichen Einschätzungen zur Verfassungsgemäßheit des neuen Gesetzes weit auseinander gehen. Dabei gehen unsere Meinungen auch hier im Hohen Haus auseinander. Eine abschließende Klärung wird nur das Bundesverfassungsgericht herbeiführen können. Das finde ich auch vernünftig; denn dafür gibt es ein Bundesverfassungsgericht. Man kann dann genau sagen, ob die Argumente der einen oder anderen Partei die richtigen sind.
Zu den konkreten Forderungen der Fraktion DIE LINKE an die Landesregierung. Jetzt kommt die Verknüpfung mit vielen Dingen. Zum Beispiel soll sich die Landesregierung auf der Bundesebene gegen die Ausweitung von Lohndumping, gegen den Missbrauch von Werkverträgen, für die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung und für Equal Pay bei der Leiharbeit einsetzen. Über diese Themen haben wir in diesem Hohen Haus viele Male diskutiert. Die Landesregierung hat ihre Position dazu deutlich gemacht.
Ich könnte jetzt viele Aktivitäten aufzählen, die wir mit dem Sozialministerium umgesetzt haben, zum Beispiel die Beschlüsse der Arbeitsminister- und Sozialministerkonferenzen im Jahr 2012 in Hannover und im Jahr 2013 in Magdeburg, zu Equal Pay bei Leiharbeit - auch im Jahr 2013 in Magdeburg. Auch zu dem Druck der Länder darauf, dass diese bundespolitischen Themen im Koalitionsvertrag vereinbart werden sollten, haben wir kräftig beigetragen, und zwar auch im Rahmen der föderalen Kompetenzregelung. Also: Es gibt hier verschiedene Aktivitäten, die ich jetzt nicht alle aufzählen will, um nicht die Debatten der letzten Jahre zu wiederholen.
Aber auch auf der Landesebene setzte sich die Landesregierung bereits vielfältig für eine Stärkung des Tarifsystems ein. Ich verweise zum Beispiel auf die gemeinsame Erklärung der Landesregierung und der Tarifparteien in den Bereichen Bau, Metall, Chemie und Ernährung, zur Stärkung der Tarifpartnerschaft im Land Sachsen-Anhalt und auf die Regelungen im Bereich der Wirtschaftsförderung, mit denen tarifgebundene Unternehmen bei der Förderung bessergestellt werden.
Nicht zuletzt gibt es bereits eine sozialpartnerschaftliche Initiative unter dem Titel „Gute Arbeit in Sachsen-Anhalt“ aus dem Bereich der chemischen
Industrie, mit der betriebliche Prozesse zur Gestaltung attraktiver und trotzdem wettbewerbsfähiger Arbeitsbedingungen unter aktiver Teilnahme der Beschäftigten und deren Interessenvertretungen initiiert und unterstützt werden. Auch das wird morgen ein großes Thema bei der Aktuellen Debatte sein: wichtige Aspekte und gute Beispiele erfolgreicher Sozialpartnerschaft und Vorbildwirkung für andere Unternehmen, wenn sie tatsächlich gute Arbeit gewährleisten, was mindestens genauso dazugehört wie gute Bezahlung. - Das war mein Beitrag.
(Zustimmung von Frau Niestädt, SPD - Hei- terkeit bei der LINKEN - Herr Gallert, LINKE: Etwas einsam!)
Danke schön, Herr Minister. - Wir treten in die Aussprache ein. Es spricht nun für die Fraktion der CDU Herr Abgeordneter Thomas.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Tarifautonomie stärken - Streikrecht verteidigen - das klingt zunächst nach einer markigen Gewerkschaftsrede zum 1. Mai. Und ich sage Ihnen auch: Das klingt bis zum Bindestrich ganz ordentlich. Tarifautonomie stärken - das will auch die CDU. Wir wollen eine starke Tarifautonomie, genauso wie wir starke Tarifpartner wollen.
Bei dem zweiten Teil, nach dem Bindestrich, wird es dann etwas schwieriger. Dort sprechen Sie heroisch von: Streikrecht verteidigen. Meine Damen und Herren! Mir ist gar keine Initiative bekannt, die das Streikrecht in irgendeiner Weise beschneiden oder schwächen möchte.
Mir ist aber aus der jüngsten Vergangenheit noch bekannt: Als ich Lehrling und Mitglied im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund war, haben mir die älteren Kollegen, als ich fragte: Wird hier eigentlich auch einmal gestreikt, gibt es so etwas?, geantwortet: Nein, so etwas gibt es bei uns nicht; das hat man 1953 versucht und das ist blutig niedergeschlagen worden.
Also, meine Damen und Herren, heute kann jeder, der das möchte - das ist ein scharfes Mittel, eine scharfe Waffe der Arbeitnehmer -, in einen Streik treten. Das wird zurzeit wieder intensiv durchgeführt mittels Warnstreiks. Das ist, glaube ich, auch ein gutes Zeichen unserer Gesellschaft, dass das jeder Arbeitnehmer tun kann, ohne Repressalien befürchten zu müssen.
Der Grund Ihres Antrags ist jedoch ein anderer, und zwar, dass der Deutsche Bundestag im Lichte der Auseinandersetzungen zwischen GDL und
Deutscher Bahn AG das Gesetz zur Tarifeinheit beschlossen hat. Meine Damen und Herren! Das Gesetz ist doch nicht neu. Es ist eigentlich nur der Zustand wiederhergestellt worden, der bis 2010 schon in der Bundesrepublik Deutschland bestand, der durch das Bundesarbeitsgericht entsprechend interpretiert wurde und auch praktiziert wurde.
Meine Damen und Herren! Eine Tarifeinheit herzustellen ist aus der Sicht der Wirtschaftspolitik gerechtfertigt. Es muss der Grundsatz gelten: Für eine Beschäftigungsgruppe gilt nur ein Tarifvertrag.
Tarifautonomie kann nämlich nur dann funktionieren, wenn die Funktionsfähigkeit von Tarifverhandlungen und eine praktikable Umsetzung der Interessenlage der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber sichergestellt sind.
Ihr Beitrag, Kollege Thiel, hat mich leider etwas enttäuscht. Er reflektierte sehr einseitig die Arbeitnehmerseite und blendete die Arbeitgeberseite völlig aus. Ich finde es unpassend und nicht besonders charmant, die Arbeitgeber hier im Land so darzustellen, als ob sie nur daran interessiert wären, ihre Arbeitnehmer auf Stein und Bein auszubeuten. Ich glaube, damit tun Sie vielen Arbeitgebern und vor allen Dingen vielen Unternehmen Unrecht, die sich sehr viele Sorgen um das Wohl und Wehe ihrer Arbeitnehmer machen.
Meine Damen und Herren! Um genau diese Bedingungen herzustellen, bedarf es starker Tarifpartner, sowohl auf der Seite der Gewerkschaften als auch auf der Seite der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände.
Und das funktioniert auch - meistens. Es hat nicht funktioniert bei der Deutschen Bahn. Bei der Deutschen Bahn hat es deswegen nicht funktioniert, weil sich dort Gewerkschaften nicht vordergründig um die Interessen ihrer Arbeitnehmer gerangelt haben, sondern um Zuständigkeiten, um Macht und Einfluss. Und das in einem Unternehmen, meine Damen und Herren, das eine Schlüsselfunktion in diesem Land hat; denn steht die Deutsche Bahn still, stehen die Verkehrswege still, dann steht auch ein Stück deutsche Wirtschaft still. Das, meine Damen und Herren, müssen dann alle anderen Unternehmen ausbaden.
Es ist niemandem zu erklären und verständlich zu machen, warum Kompetenzgerangel unter Gewerkschaften in einem Unternehmen dazu führt, dass die gesamte Wirtschaft darunter leidet. Deswegen ist es richtig, Klarheit zu schaffen und für künftige Arbeitskämpfe wieder das zu fordern, was es bis dato gab: dass sich die Gewerkschaften zusammenfinden und abgestimmt und gemeinsam
die berechtigten Forderungen ihrer Mitglieder und der Arbeitnehmer durchsetzen und sich dafür einsetzen.
Deswegen bin ich auch Minister Bischoff sehr dankbar, der hier noch einmal klargemacht hat, wie wichtig diese Tarifeinheit und diese Tarifautonomie sind, und dass es wichtig ist, hieran festzuhalten.
Meine Damen und Herren! Unter Punkt 2 bescheren Sie uns in der Tat einen bunten Strauß an Forderungen. Sie beklagen wieder die schlechte Bezahlung, die Leiharbeit, den Missbrauch von Werkverträgen, und das in einer Diskussionslage, die mittlerweile in weiten Teilen überholt ist. Meine Damen und Herren! Der Arbeitsmarkt ist dynamisch. Er ist im Wandel begriffen. Wir können heute sagen, seit dem Jahr 1991 haben sich die Löhne hierzulande verdoppelt. Das ist noch nicht genug, zeigt aber tendenziell, dass wir auf einem richtigen Weg sind.
Ich finde es ganz normal, dass jeder Arbeitnehmer, den man fragt, ob er mehr Geld haben möchte, mit Ja antwortet. Das halte ich für allzu verständlich.
Dass Sie jetzt aber noch das Vergabegesetz in die Diskussion einbringen, Herr Kollege Thiel, wundert mit außerordentlich. Ich kann mich noch gut erinnern, dass Ihre Forderung mit Blick auf das Vergabegesetz war: Wir brauchen nur einen Paragrafen, und das ist der Paragraf 8,50 € Mindestlohn.
Damals waren es, glaube ich, noch 10 €. Ich bin mir aber nicht mehr ganz sicher. Das zeigt die Nachhaltigkeit ihrer Wirtschaftspolitik: heute hü und morgen hott.
Deswegen appelliere ich an Sie, meine Damen und Herren, für Fairness bei den Tarifvertragsparteien einzutreten und dieses Gesetz zu unterstützen. Es wird Sie deswegen nicht verwundern, dass wir Ihren Antrag heute ablehnen. - Vielen Dank.
Danke schön. - Wir können Schülerinnen und Schüler der Sekundarschule „Völkerfreundschaft“ in Köthen hier im Hause willkommen heißen.