Protokoll der Sitzung vom 02.07.2015

(Frau Zoschke, DIE LINKE: Bestritten nicht, aber Sie schlafen! - Frau Prof. Dr. Dalbert, GRÜNE: Sie hatten doch vier Jahre Zeit! - Ministerpräsident Herr Dr. Haseloff: Wir haben noch fünf Jahre Zeit!)

Ich habe auch ein paar Mal gesagt, wir machen das in der nächsten Wahlperiode. Ich habe im Ausschuss deutlich die Gründe genannt. Ich sage es auch gleich noch einmal. Sie können das alles jederzeit machen, wenn Sie glauben, es geht so einfach.

Im Übrigen, wenn man Stigmatisierung spricht - da haben Sie Recht -, ist die Frage: Stigmatisiert Politik? Oder wer stigmatisiert Menschen, die in der Psychiatrie oder im Maßregelvollzug sind?

Ich kenne die Diskussion hier, die manchmal geführt wird, wenn jemand aus dem offenen Maßregelvollzug abhaut. Wo ich meine Ängste habe, weil ich weiß, wenn da Unsinn passiert, kann ich gehen. Beim offenen Vollzug gehört es ja dazu, dass Menschen ausprobieren müssen, ob sie in Freiheit leben können. Also, so einfach ist es nicht.

Es geht tatsächlich um Dinge, bei denen ich es wichtig finde, dass sie geregelt werden. Das sage ich ganz deutlich. Wir sind eines der wenigen Länder, die den Maßregelvollzug gesondert gesetzlich geregelt haben, neben dem Vollzug für psychisch Kranke nach dem PsychKG. Das muss man auch zueinander kompatibel gestalten. Man kann nicht das eine tun, ohne auch das Maßregelvollzugsgesetz anzupacken. Das geht gar nicht. Das wissen Sie auch. Deshalb muss diese Diskussion viel weiter gefasst werden.

Das Zweite, das ich sagen wollte: Wir sind eines der wenigen Länder, die einen gesetzlich geregelten Psychiatrieausschuss haben, mit einer jährlichen Berichtspflicht. Ich finde es übrigens sehr gut, dass wir ihn haben.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich bin über mehrere Wahlperioden hinweg Mitglied in diesem Ausschuss und auch in den Besuchskommissionen gewesen. Also, ich kenne mich damit ziemlich gut aus. Ich habe manche Berichte sogar selber mit verfasst.

Ich finde es richtig, dass man es kritisiert. Dieser Punkt wird noch in den nächsten Jahresberichten enthalten sein, wie manch andere Dinge auch. Dafür ist er auch da.

Von daher habe ich zu der Forderung nach der Psychiatrieplanung, wo wir im Ministerium und der Psychiatrieausschuss unterschiedlicher Meinung sind, letztens einmal gesagt: Vielleicht streiten wir uns über etwas, worüber es sich nicht zu streiten lohnt, weil es vielleicht nicht um Planungsvorgaben

geht - die wir gar nicht machen könnten, schon aus Gründen der Konnexität nicht -, wohl aber um Empfehlungen, wobei dann die kommunale Seite die Planung erstellen kann. Der Vorsitzende hat mir darin auch Recht gegeben und gesagt, er könne sich das vorstellen, mit dieser Zielrichtung. In diese Zielrichtung würde ich auch gehen wollen.

Ich möchte jetzt nicht auf die einzelnen Dinge eingehen. Dazu haben mir meine Mitarbeiter genug aufgeschrieben. Dann würde ich jetzt eine Diskussion anfangen, die tatsächlich in einen Ausschuss gehört und die sich wahrscheinlich über mindestens ein halbes oder ein Dreivierteljahr erstrecken würde. Das sind schwerwiegende Regelungen, die wir treffen müssen, insbesondere wenn es um Zwangsbehandlungen geht, um die Medikation, um Nachweispflichten, um Haftungsgründe usw.

Das abzuwägen bei denen, die psychisch krank oder psychisch eingeschränkt sind oder die an einer psychischen Krankheit leidend Gewalttaten vollzogen haben, ist nicht so einfach. Deshalb appelliere ich wirklich an Sie: Wenn man das anpackt - wenn man es realistisch sieht, dann müssen wir das in der nächsten Wahlperiode anpacken -, dann muss man es gründlich machen.

Ich sehe auch einen Vorteil darin. Nicht alle Länder haben mit der Novellierung angefangen. Wir gehören also nicht zu den Letzten. Es gibt aber Länder, die haben es tatsächlich schon umgesetzt und haben jetzt mit Klagen zu tun. Ich will das nicht kritisieren; es ist auch nicht ausgeschlossen, dass es bei uns Klagen geben könnte. Ich finde es aber gar nicht schlecht, in diesem Jahr erst einmal zu sehen, was dort läuft. Dabei geht es nämlich um freiheitseinschränkende Maßnahmen. Dann haben wir die Zeit, uns intensiv damit zu beschäftigen.

Ich halte es für richtig, dass wir uns gerade bei dieser Thematik nach so vielen Jahren - bei uns sind es aber keine 40 Jahre; zu DDR-Zeiten hat es niemanden gekümmert; einen Maßregelvollzug gab es ohnehin nicht - darum kümmern, wie Menschenrechte auch unter freiheitseinschränkenden Maßnahmen gelebt werden können. Es ist ein weites Feld, wie man damit umgeht.

Hier leuchtet „Ende der Redezeit“. Ich habe jetzt gar nicht in mein Skript geschaut. Vielleicht ist es auch nicht ganz so wichtig, jetzt auf die einzelnen Details einzugehen.

(Herr Striegel, GRÜNE: Sie haben sich nur geärgert!)

Ich sage: Das Anliegen verstehe ich. Novelliert werden muss es auf alle Fälle - das ist ein ganz wichtiges Thema -, aber wir schaffen es in der Kürze der Zeit auf keinen Fall.

(Zustimmung bei der SPD und von Frau Brakebusch, CDU)

Danke, Herr Minister. - Es wurde eine Fünfminutendebatte verabredet. Herr Schwenke eröffnet sie für die CDU-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Kollegen Landtagsabgeordneten! Sehr geehrte Frau Wicke-Scheil, eigentlich hatte ich nach den Schlussbemerkungen Ihrer Fraktionskollegin Lüddemann gestern bei der Debatte über die Große Anfrage zur Selbstbestimmung im Alter erwartet, dass Sie den Gesetzentwurf zur Novellierung des Gesetzes über die Hilfen für psychisch Kranke und Schutzmaßnahmen des Landes Sachsen-Anhalt, kurz: PsychKG LSA, heute zurückziehen.

(Frau Lüddemann, GRÜNE: Warum?)

Für diesen Gesetzentwurf gilt das Gleiche wie für die Forderungen in Ihrem Entschließungsantrag von gestern: Eine abschließende Beratung des Gesetzentwurfes in dieser Legislaturperiode ist, wenn man angemessene Sorgfalt walten lassen will, schlicht und ergreifend nicht mehr möglich.

(Zustimmung von Frau Brakebusch, CDU - Frau Lüddemann, GRÜNE: Das habe ich gestern nicht gesagt!)

- Sie haben es gestern bei dem Thema Entschließungsantrag - das Zitat kommt gleich; sorry - gesagt. Sie sollten ihn also lieber - es steckt ja auch eine Menge Arbeit darin - nach oben auf Ihren Wahlkampfstapel legen. Das haben Sie gestern gesagt.

(Frau Lüddemann, GRÜNE: So kommt es!)

Da Sie Ihren Gesetzentwurf aber wohl nicht zurückziehen werden, werden wir ihn heute an die Ausschüsse überweisen. Eine angemessene und, das gebe ich zu, durchaus berechtigte Diskussion werden wir in dieser Legislaturperiode aber wohl nicht mehr abschließend führen können. Ich werde deshalb jetzt nicht auf Details Ihres Gesetzentwurfes eingehen, sondern nur ein paar grundsätzliche Anmerkungen machen.

Ja, Frau Wicke-Scheil, die Frage, ob eine Novellierung des PsychKG und des Maßregelvollzugsgesetzes notwendig ist, haben wir bereits andiskutiert. Sie ist also nicht neu. Auch ich kenne die Forderungen des Landespsychiatrieausschusses, nochmals konkretisiert und formuliert auf seiner Frühjahrssitzung am 22. April 2015. Doch schon die Aussagen und Forderungen bzw. Wünsche der Gesprächspartner bei der schon traditionellen Vorstellung und Diskussion des Psychiatrieberichts in der Januarsitzung des Sozialausschusses hinterließen ein sehr differenziertes Bild hinsichtlich der konkreten Schlussfolgerungen.

Grundsätzlich sind die Forderungen des Psychiatrieausschusses nachvollziehbar,

(Zustimmung von Frau Dr. Späthe, SPD)

aber ob Ihr Gesetzentwurf diesbezüglich die richtigen Lösungen aufzeigt, da bin ich ähnlich wie der Minister eher skeptisch. Es gibt diverse Diskussionsbedarfe. Ich erinnere mich zum Beispiel auch sehr gut an die kritischen Hinweise der kommunalen Spitzenverbände bezüglich der kommunalen Selbstverwaltung, der Bürokratie und der Finanzierbarkeit. Auch dazu sind noch unheimlich viele Gespräche nötig.

Kurz noch ein paar Anmerkungen zum Maßregelvollzugsgesetz. Ja, die aktuelle Diskussion war ein wesentlicher Grund dafür, dass wir kürzlich als gesundheitspolitische Sprecherinnen und Sprecher der Landtagsfraktionen die Einrichtungen des Maßregelvollzuges in Uchtspringe und Bernburg besucht haben. Das waren außerordentlich interessante Termine mit einer Fülle von Themen und Problemschilderungen.

Hierbei möchte ich kurz auf ein Problem eingehen. Frau Wicke-Scheil, es gibt eben nicht nur die Betroffenensicht, sondern auch die Ärztesicht, die man im Blick haben muss. Gesetzliche Klarstellungen für die Handlungsmöglichkeiten der Ärzte vor dem Hintergrund der zunehmenden Liberalisierung der Gesetzesauslegung, zum Beispiel bei Zwangsbehandlungen, bei der Relevanz ärztlicher Empfehlungen versus Freiheitsrechte der Betroffenen und bei den daraus resultierenden Folgen, wären auf jeden Fall hilfreich. Diese gesetzlichen Klärungen wären auch im Sinne einer einigermaßen verlässlichen Rechtssicherheit bei den aus der Sicht der verantwortungsvoll handelnden Ärzte notwendigen Entscheidungen hilfreich.

(Frau Lüddemann, GRÜNE: Ja!)

Ich erinnere mich an den Chefarzt, der sagte, kritische Dinge, die gefährlich werden könnten, macht er selbst, die überträgt er nicht an seine Mitarbeiter; denn wenn es zu rechtlichen Auseinandersetzungen kommt, dann trägt er die Verantwortung.

(Frau Lüddemann, GRÜNE: Weil wir keine gesetzliche Klarstellung haben!)

- Ich gebe Ihnen Recht, Frau Lüddemann, wir brauchen gesetzliche Klärungen. Aber auch hierfür gibt Ihr Gesetzentwurf allenfalls Anregungen. Er bietet keine wirklich schlüssige Lösung.

Aber, wie gesagt: Schauen wir einmal, was wir diesbezüglich in den nächsten Monaten bei den Ausschussberatungen klären können. Wir gehen ähnlich wie der Minister aber davon aus, dass die letztendliche Problemlösung den Abgeordneten der nächsten Legislaturperiode ins Hausaufgabenheft geschrieben wird. Ich möchte es heute dabei

bewenden lassen und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Schwenke. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht jetzt die Frau Zoschke. Bitte schön, Frau Abgeordnete.

Herr Präsident! Meine werten Kolleginnen und Kollegen! Dank und Respekt den Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Mit diesem Vorhaben wird auf einer wichtigen Baustelle geklotzt.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Der Gegenpol ist: Allerdings hätten wir hierbei viel mehr das Engagement der Landesregierung erwartet.

(Beifall bei der LINKEN und bei den GRÜ- NEN)

Die Baustelle Novellierung des PsychKG und des Maßregelvollzugsgesetzes sind von besonderer Brisanz, geht es hierbei doch um nichts Geringeres als um das Menschenrecht auf Selbstbestimmung, das unter der aktuellen Gesetzgebung unverhältnismäßig oft und unverhältnismäßig stark beschnitten wird.

(Herr Leimbach, CDU: Nein!)

Neben den Grundsatzurteilen des Bundesverfassungsgerichtes zu Zwangsmaßnahmen müssen wir hier auch die Defizite bei der Umsetzung von Artikel 12 der UN-Behindertenrechtskonvention benennen. Es geht darum, die Entscheidungsfähigkeit von psychisch oder geistig kranken Menschen nicht pauschal in Abrede zu stellen. Auch bei starken geistigen und/oder psychischen Einschränkungen muss der Grundsatz gelten, diese Entscheidungsfähigkeit durch entsprechende Hilfen zu stärken und damit dem Willen des betroffenen Menschen den Vorrang vor Stellvertreterentscheidungen zu geben.

Es tröstet wenig, dass es einige Bundesländer gibt, die das PsychKG und den Maßregelvollzug noch immer nicht verfassungskonform angepasst haben. Auf dem Betreuungsgerichtstag in Wittenberg vor knapp zwei Wochen erläuterte uns eine Richterin aus Hannover, dass auch manche Bundesländer, die ihre Gesetzgebung bereits novelliert haben, wohl noch immer nicht auf der sicheren Seite sind, das heißt, noch nicht vollständig verfassungskonforme Regelungen getroffen haben. Meine Fraktion wünscht sich daher, dass uns die Landesregierung zur Ausschussberatung über diesen Gesetzentwurf eine Ländersynopse vorlegt.

Besonders wichtige Punkte des vorliegenden Entwurfs sind: erstens Zwangsmaßnahmen in der ärztlichen Behandlung, also die notwendige Neufassung von § 17 PsychKG sowie von § 8 des Maßregelvollzugsgesetzes im Interesse von Ärztinnen und von Patienten, und zweitens die stärkere Einschränkung sogenannter besonderer Sicherungsmaßnahmen, also Fixierung, in beiden Gesetzen. In diesem Bereich legen wir besonders viel Wert auf einen Vergleich des Wortlautes der Gesetze jener Bundesländer, die bereits novelliert haben, und auf die dortigen Erfahrungen. Schließlich geht es an dieser Stelle um einen massiven Eingriff in die Menschenrechte.

Gerade die genannten Beispiele auf dem Betreuungsgerichtstag bestätigen, dass viele eskalierende Fälle, bei denen es schließlich zu einer Einweisung nach dem PsychKG gekommen ist, hätten vermieden werden können, nämlich genau dann, wenn bereits bei ersten Anzeichen eines Problems Hilfen angeboten worden wären.