Protokoll der Sitzung vom 30.09.2016

Danke, Frau Ministerin. - Ich sehe keine Wortmeldungen und keine Fragen; somit können wir in der Debatte fortfahren. Für die CDU-Fraktion hat Herr Krull das Wort.

Während Herr Krull nach vorn kommt, habe ich die Chance, unsere erste Besuchergruppe am heutigen Tag zu begrüßen. Es sind Schülerinnen und Schüler des Dr.-Frank-Gymnasiums in Staßfurt. Herzlich willkommen bei uns!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Krull, Sie haben das Wort

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Sehr verehrte Mitglieder des Hohen Hauses! Der Anlass der heutigen Debatte ist die aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung zur Entwicklung der Kinderarmut in Deutschland im Allgemeinen sowie im Land Sachsen-Anhalt, in seinen Landkreisen und kreisfreien Städten im Besonderen.

Es ist ein Problem, dass in Sachsen-Anhalt im Jahr 2015 23,8 % aller Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren in Familien leben, die auf Grundsicherungsleistungen angewiesen sind und damit

gemäß dieser Studie als arm gelten. In absoluten Zahlen - das wurde schon mehrfach genannt - sind das 72 333 Kinder und Jugendliche.

Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, es lohnt sich ein genauer Blick in die Studie; denn wir können gegenüber dem Jahr 2011 einen Rückgang verzeichnen. Im Jahr 2015 erhielten 26,1 % aller Personen unter 18 Jahren SGB-II-Leistungen; das bedeutet einen Rückgang um immerhin 2,3 %. Die Verbesserung dieser Zahlen hat ihren Ursache auch in der guten, CDU-geführten Landesregierung.

Die Richtung stimmt also. Die derzeitige Situation macht aber deutlich, dass wir als Landespolitikerinnen und Landespolitiker an dieser Stelle weiterhin gefordert sind.

In dem Antrag wird darauf abgehoben, dass in den Großstädten der Anteil der Kinder beim SGB-II-Leistungsbezug überdurchschnittlich hoch ist. Auch dies ist kein Phänomen, das allein auf Sachsen-Anhalt zutrifft. Bremerhaven mit 40,5 %, Gelsenkirchen mit 38,5 % und Offenbach mit gut 34,5 % gehören zu den Städten mit den höchsten Belastungen. In unserem Bundesland sind Halle mit 33,4 %, Magdeburg mit 28,9 % und DessauRoßlau mit 27,1 % Schwerpunkte der Kinderarmut und der daraus resultierenden Herausforderungen.

Aber auch zwischen den Landkreisen bestehen erhebliche Unterschiede. So liegen die Landkreise Mansfeld-Südharz mit 26,5 %, Salzlandkreis mit 26,2 % und Stendal mit 25,9 % deutlich über dem Bundesdurchschnitt, während der Bördekreis mit 15 % und der Altmarkkreis Salzwedel mit 16,3 % deutlich unter diesem Durchschnitt und sogar schon relativ nahe am Bundesdurchschnitt liegen. Dies macht deutlich, dass sich Pauschalisierungen verbieten und dass man sehr genau hinschauen und auflösen muss, worin die Ursachen für diese Zahlen liegen.

Auch die unterschiedliche Altersstruktur der Personen unter 18 Jahren, die SGB-II-Leistungen beziehen, muss genau betrachtet werden. Es sind vor allem jüngere Kinder, die entsprechende Sozialleistungen erhalten.

Auch die Dauer des Leistungsbezuges muss uns zu Überlegungen führen, mit welchen Maßnahmen wir der Entwicklung wirksam entgegentreten können. So beziehen 59,1 % der Personen unter 18 Jahren mehr als drei Jahre lang Leistungen nach dem SGB II. Besonders sticht hervor, dass vor allem Kinder von Alleinerziehenden und Kinder mit zwei oder mehr Geschwistern die genannten Leistungen beziehen. In dem erstgenannten Fall liegt Sachsen-Anhalt mit 56,1 % deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 50,2 %, in dem zweitgenannten Fall mit 33,2 % unter dem Bundesdurchschnitt von 36,4 %.

Doch man muss sich die Zeit nehmen, die Zahlen noch tiefer zu analysieren; denn, meine sehr geehrten Damen und Herren, das Prinzip „viel hilft viel“ gilt in der Sozialpolitik nicht immer. Wir müssen sehr darauf achten, dass die Sozialausgaben so eingesetzt werden, dass sie den Betroffenen effektiv und effizient helfen.

Im Jahr 2015 wurde bundesweit die Summe von 888 Milliarden € in diesem Politikbereich ausgegeben. Dies ist eine Steigerung um 115 Milliarden € gegenüber dem Jahr 2011. An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich betonen, dass dieses Geld gut angelegtes Geld ist und wir stolz darauf sein können, dass wir in Deutschland die soziale Marktwirtschaft haben.

(Zustimmung bei der CDU und von Minister André Schröder)

Für uns gilt ganz klar das Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe.

(Zustimmung bei der CDU)

Wenn man noch einmal auf die Zahlen blickt, dann wird deutlich, dass seit dem Jahr 2014 die Zahl einheimischer Kinder und Jugendlicher, die SGB-II-Leistungen beziehen, deutschlandweit zurückgeht. Allein von Mai 2015 bis Mai 2016 geht sie bei den Kindern bis 15 Jahre um immerhin 62 200 zurück. Gleichzeitig steigt aber die Anzahl der Kinder, die als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, die hier eine sichere Heimat und Zuflucht gefunden haben und die, soweit der Anerkennungsstatus feststeht, Leistungen gemäß SGB II erhalten. - Ich habe soeben inhaltlich aus der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 13. September 2016 zitiert.

Es kam wieder der Ruf vonseiten der Opposition nach höheren Sozialleistungen. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie sind sich aber schon der Tatsache bewusst, dass, wenn Sie höhere Sätze fordern, auch mehr Menschen anspruchsberechtigt sind und dass damit die Zahl der Armen gemäß der Definition in der Bertelsmann-Studie in Deutschland wieder steigt.

Auch die Familiengröße und die jeweilige Situation spielen natürlich eine Rolle. Es wurde schon mehrfach auf die Frage der Alleinerziehenden eingegangen. Auch bei Familien mit mehreren Kindern kommt man relativ schnell über die entsprechenden Bemessungsgrenzen hinaus.

Wir könnten uns in diesem Hohen Haus auch darüber streiten, wie wir Armut überhaupt definieren. Die Bertelsmann-Stiftung sagt, jeder, der Hartz IV bekommt, ist arm oder - diese Zahl wird auch häufig zitiert - jeder, der 60 % unter dem Durchschnittseinkommen liegt, gilt als arm.

Gerade das zuletzt genannte Kriterium hat natürlich seine Tücken; denn der noch vielen bekannte

Jürgen Scharf, mein Vorgänger als Landtagsabgeordneter, hat in einer Rede im Jahr 2008 darauf aufmerksam gemacht, welche mathematischen und statistischen Unzulänglichkeiten ein solches Vorgehen birgt. Übrigens: Die bekannte Entwicklungshilfe- und Kampagnenorganisation Oxfam hat, an diesem Maßstab gemessen, festgestellt, dass die absolute Armut in Deutschland abnimmt.

Also, was wird getan bzw. was müssen wir tun, um eine Verbesserung der Situation zu erreichen? Was müssen wir tun, damit mehr Kinder in Sachsen-Anhalt ohne Leistungen nach SGB II auskommen? Denn es muss uns allen doch darum gehen, Chancengerechtigkeit zu erreichen.

Ich möchte jetzt weniger auf die bundespolitischen Gegebenheiten, zu denen eine gute Konjunkturentwicklung, die niedrigsten Arbeitslosenzahlen seit der Wiedervereinigung Deutschlands, deren Jubiläum wir am Montag feiern können, der Mindestlohn oder das Bundesteilhabepaket gehören, eingehen. Ich möchte mich auf die landespolitischen Leistungen konzentrieren und einige Beispiele nennen. Frau Ministerin hat schon ausführlich dazu vorgetragen.

Mit dem Kinderförderungsgesetz und dem darin formulierten Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz für alle Kinder von Geburt an wird die Teilhabe unter anderem mit dem Bildungsprogramm „Bildung: elementar - Bildung von Anfang an“ sichergestellt.

Die Beteiligung des Landes an den Kosten des Unterhaltsvorschusses, der gezahlt wird, wenn Mütter oder vor allem Väter sich ihren finanziellen Verpflichtungen nicht stellen, wurde ebenfalls bereits erwähnt. Diesbezüglich laufen die entsprechenden Prüfungen noch. Ich muss es ganz klar sagen: Wer Kinder zeugt, der muss sich der finanziellen Verantwortung daraus stellen.

(Markus Kurze, CDU: Richtig! - Zustim- mung bei der CDU, von Cornelia Lüdde- mann, GRÜNE, und von André Poggen- burg, AfD)

Die Landesbeteiligung an der Finanzierung und Bereitstellung von Beratungsleistungen im Bereich der Ehe-, Familien-, Lebens- und Erziehungsfragen sowie in der Sucht- und Schuldnerberatung klang ebenfalls an. An dieser Stelle können soziale Probleme besprochen und möglichst geklärt werden, um den Bezug von SGB-II-Leistungen zu verhindern oder den Weg daraus aufzuzeigen.

Wir unterstützen als Land die Familienverbände in ihrer wichtigen Arbeit und finanzieren 13 Familienzentren mit. Das Programm „Familien stärken - Perspektiven eröffnen“ wurde bereits erwähnt. Ich kann die Äußerung der Ministerin an dieser

Stelle nur wiederholen: Ein Blick auf Seite 3 der heutigen „Volksstimme“ lohnt sich.

Das Land ist aktiver Partner bezüglich der frühen Hilfen für Kinder. Am letzten Samstag hatten wir eine Tagung zu dem Thema „Kindeswohl und Zahngesundheit“ im Sozialministerium, an der ich teilnehmen durfte. Also: Wir sind als Land aktiv.

Für Härtefälle gibt es im Land die Stiftung „Familie in Not“, die sich im Oktober 2016 wieder zu einer Beratung zusammenfinden wird.

Die Rolle der Kommunen an dieser Stelle ist übrigens nicht zu unterschätzen. Ich denke, wir sind uns in diesem Hohen Hause alle darin einig, dass es für alle Kinder, unabhängig vom finanziellen Hintergrund, die Chance auf einen guten Start in ein selbstbestimmtes Leben geben muss.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und von André Poggenburg, AfD)

Dabei spielt die Bildungs- und Schulpolitik eine herausragende Rolle; denn in der Schule wird die Basis dafür gelegt, dass diese jungen Mitglieder in unserer Gesellschaft später ein Leben ohne grundsätzliche Abhängigkeit von Sozialleistungen führen können.

Wir können mit der relativ großen Anzahl von Schülerinnen und Schülern, die die Schule ohne einen qualifizierenden Abschluss verlassen, oder mit der Abbruchquote bei den Ausbildungsverhältnissen nicht zufrieden sein. Vielmehr ist sie uns Mahnung und Auftrag zugleich, im Rahmen unserer Möglichkeiten Gegenmaßnahmen einzuleiten.

Gleichzeitig müssen wir durch eine gute Wirtschafts- und Ansiedlungspolitik die richtigen Rahmenbedingungen setzen, damit die Menschen eine auskömmliche Beschäftigung finden und nicht auf Hartz IV angewiesen sind.

(Zustimmung von Gabriele Brakebusch, CDU)

Wenn die Kinder und Jugendlichen erleben, dass ihre Eltern durch eigene Arbeit und aus eigener Kraft für ihren Lebensunterhalt sorgen, dann wird dieses Vorbild dazu anregen, den gleichen Weg zu gehen.

(Zustimmung bei der CDU, von Dr. Katja Pähle, SPD, und von André Poggenburg, AfD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht konnte ich deutlich machen, wie komplex dieses Thema ist und dass ein Ruf nach mehr staatlichen Sozialleistungen deutlich zu kurz greift. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip in der kleinsten Einheit anfängt, nämlich in der Familie.

Die Koalition aus CDU, SPD und BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN wird sich diesem Themenkomplex stellen und gemeinsam nach Lösungen suchen und diese auch umsetzen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Ich sehe dazu keine Nachfragen. Deswegen können wir gleich fortfahren. Herr Tobias Rausch spricht nunmehr für die AfD-Fraktion.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Abgeordnete! In Ihrem Antrag beruft sich die Fraktion der Linkspartei auf eine kürzlich veröffentlichte Studie zum Thema Kinderarmut. Diese Studie gelangt zu dem Ergebnis, dass die Kinderarmut in Sachsen-Anhalt im Vergleich zu anderen Bundesländern sehr hoch ist. Dieser Befund ist nicht neu. Leider ist das Land der Frühaufsteher einerseits arm an eigenen Kindern und andererseits reich an armen Kindern.

(Beifall bei der AfD)

„Kinderarmut - Sachsen-Anhalt bleibt trauriger Spitzenreiter“ titelte der MDR bereits im Februar 2016. „Sachsen-Anhalt - Spitzenreiter in Kinderarmut“ lautete die Schlagzeile einer Pressemitteilung des Deutschen Gewerkschaftsbundes im Mai 2016.

Diese Schlagzeilen stehen stellvertretend für das Scheitern der Altparteien in der Kinder- und Familienpolitik. Wir sprechen hierbei von einem dramatischen Scheitern, meine sehr geehrten Damen und Herren.