Protokoll der Sitzung vom 07.05.2020

Niemand verlangt von Sachsen-Anhalt, allein die Situation in Moria zu lösen, auch wir nicht. Was wir von Ihnen verlangen, meine Damen und Herren, ist, alles zu tun, was Sachsen-Anhalt tun kann; und das ist deutlich mehr, als zwei Kinder aufzunehmen.

(Beifall - Zurufe)

Da sich die Bundesregierung nicht ausreichend handlungsfähig zeigt, braucht es jetzt schnell ein eigenes Landesaufnahmeprogramm; das gibt die Kompetenzverteilung im föderalen Bundesstaat auch her. Mittelfristig muss sich die Landesregierung auf der Bundesebene gemeinsam mit den anderen Ländern für ein Aufnahmeprogramm der Bundesrepublik starkmachen, das dann nicht mehr nur auf Kinder ausgerichtet ist, sondern auch auf Erwachsene.

(Beifall)

Denn die menschenunwürdigen Zustände in Moria sind nicht nur für Kinder menschenunwürdig, sondern für alle Menschen dort.

Europäische Solidarität und das Beschwören europäischer Werte bleiben nutzlose Floskeln, wenn Griechenland hierbei alleingelassen wird.

(Beifall)

Humanitärer Verantwortung wird die Staatengemeinschaft nicht gerecht, wenn sie die Geflüchteten nicht aus Griechenland herausholt. Sie können dem nun entgegenhalten, wie Sie es immer tun, dass es erst eine gemeinsame europäische Lösung brauche. Ja, in einer idealen Welt haben Sie natürlich recht; das wäre notwendig. Doch in der Realität geht es jetzt darum, möglichst schnell damit zu beginnen, die Menschen aus Moria herauszuholen. Alles andere heißt, sie sterben zu lassen.

(Beifall)

In Sachsen-Anhalt standen und stehen viele Menschen bereit, Geflüchtete zu unterstützen. Kommunen haben im Rahmen der Initiative „Seebrücke“ Bereitschaft zur Aufnahme erklärt. Wir als Parlament und die Landesregierung als Spitze der Exekutive dürfen dahinter nicht zurückfallen, sondern müssen dazu beitragen, dass die Menschen gerettet werden. Dafür bitten wir Sie heute um Ihre Zustimmung zu diesem Punkt unseres Antrags.

Meine Damen und Herren! Während für die Lager in Griechenland völkerrechtliche Verträge und europäisches Recht die humanitäre Verantwortung normieren, greifen für die Situation in Sachsen-Anhalt unmittelbar die Landesverfassung und das Grundgesetz. Es ist die Aufgabe und die Verantwortung der Landesregierung, das Leben und die Gesundheit aller Menschen in Sachsen-Anhalt zu schützen und dabei ihre Grund- und Menschenrechte zu wahren. In Massenunterkünften ist dies ohnehin schwierig bis kaum möglich; unter den Bedingungen der Coronapandemie ist es schlichtweg unmöglich.

Die ZASt Halberstadt ist eine solche Massenunterkunft, eingerichtet durch das Land und in der Verantwortung des Innenministers. Dass dort in den vergangenen Wochen Hilfsorganisationen wie „Ärzte ohne Grenzen“, das Landesnetzwerk Migrantenorganisationen und der Flüchtlingsrat zum Einsatz kommen mussten, wohlgemerkt, auch mit Unterstützung des Sozialministeriums, ist in einem sonst so gut organisierten Land nicht nur irritierend; es zeigt auch, dass der Innenminister seiner Verantwortung, eine gesundheitsschützende Unterbringung in Halberstadt sicherzustellen, nicht gerecht geworden ist.

Eine solche Unterbringung ist in einer Massenunterkunft auch einfach nicht möglich. Dort lässt sich nicht Abstand halten, dort kann man keine Menschenansammlungen vermeiden, dort ist keine Selbstbestimmung mehr möglich, wenn Infektionsrisiken gesenkt werden sollen.

Frau Ministerin Grimm-Benne, in diesem Zusammenhang möchte ich auch etwas zu Ihnen sagen. Sie haben eben in der Fragestunde sehr viel Zeit dafür verwendet, darüber zu sprechen, was verantwortlich ist, was legal ist und was in Ihren Augen illegal ist. Auch Ministerin Grimm-Benne trägt die Verantwortung für das, was in der ZASt passiert. Wir haben dort über Wochen Menschen unter Bedingungen leben lassen, die für alle anderen Menschen ganz gezielt bei Strafe vermieden werden sollten.

Sie bekommen es aber über Wochen nicht hin, die Aufnahme aus den griechischen Lagern zu organisieren. Sie bekommen es nicht hin, einen

Innenminister davon zu überzeugen, dass vielleicht doch die Aufnahme von mehr als einem Kind in Sachsen-Anhalt vertretbar ist. Ihr Problem ist eine Veranstaltung der Fraktion DIE LINKE. Das zeigt die falsche Prioritätensetzung dieser Landesregierung.

(Heiterkeit und Beifall)

Deswegen fordern wir, dass die Landesregierung sofort alle notwendigen Schritte unternehmen muss, um die Massenunterbringung in der ZASt Halberstadt zu beenden. Ja, man muss es sagen, trotz des Kurses des Innenministers hat sich etwas getan in den letzten Wochen. Doch auch 500 Menschen stellen eine Masse dar, sie sind noch immer in einer Massenunterkunft untergebracht; ihre Anzahl ist nur etwas kleiner geworden. Wenn der Innenminister mehr Angst vor einem Shitstorm der extremen Rechten hat, wenn er auch nur in den Verdacht gerät, irgendetwas Flüchtlingsfreundliches zu tun, als Tatendrang, seine Verantwortungsbereiche solide zu regeln, dann ist es unsere Aufgabe als Parlament, hier tätig zu werden.

(Beifall)

Zuletzt fordern wir mit unserem Antrag auch die Einführung anonymer Krankenscheine. Thüringen und Rheinland-Pfalz haben bereits solche Möglichkeiten geschaffen. Ich bin dem Medinetz Halle und dem Medinetz Magdeburg außerordentlich dankbar dafür, dass sie zur Umsetzung ein Konzept für einen Behandlungsschein erarbeitet haben, das auch von dem LAMSA und dem Flüchtlingsrat unterstützt wird.

Die Behandlungsscheine sollen sicherstellen, dass Menschen, die keine Krankenversicherung haben, dennoch notwendige medizinische Behandlungen erhalten. Dabei ist es völlig egal, ob es sich hierbei um EU-Ausländerinnen, wohnungslose Menschen, ehemalige Inhaftierte, Personen mit unklarem Aufenthaltsstatus ohne Krankenversicherungsschutz oder Selbstständige, die sich die private Krankenversicherung nicht mehr leisten konnten, handelt. Diese Personen brauchen einen Zugang zum Gesundheitssystem, in der derzeitigen Situation noch dringender als sonst.

Dass Thüringen und Rheinland-Pfalz solche Zugänge zum Gesundheitssystem schaffen konnten, zeigt, dass dies auch fiskalisch möglich ist. Es braucht den politischen Willen, Gesundheitsschutz für alle zu gewährleisten.

(Beifall)

Genau so sieht es auch die allgemeine Erklärung der Menschenrechte vor. Die Krise, meine Damen und Herren, zeigt neben vielem anderen auch

die Handlungsfähigkeit von Regierungen und von Parlamenten.

Meine Damen und Herren! Verstecken Sie sich nicht hinter vermeintlichen Sachzwängen, sondern lassen Sie uns Handlungsfähigkeit und vor allem Handlungswillen zeigen, und stimmen Sie unserem Antrag zu. - Vielen Dank.

(Beifall)

Vielen Dank, Frau Abg. Quade. Ich sehe keine Wortmeldungen. - Bevor wir in die Debatte der Fraktionen einsteigen, hat für die Landesregierung Herr Minister Stahlknecht das Wort. Herr Minister, Sie haben jetzt das Wort.

Frau Präsidentin, herzlichen Dank. - Um es deutlich zu sagen: Ich sehe die Forderung der Fraktion DIE LINKE, einen Alleingang als Bundesrepublik oder gar als Land Sachsen-Anhalt zu machen, äußerst kritisch. Denn wir brauchen, auch wenn Sie das für verkehrt halten, ein gemeinsam abgestimmtes Vorgehen auf europäischer Ebene und eben kein Handeln einzelner Mitgliedstaaten wie Deutschland oder gar einzelner Bundesländer. Damit lösen wir das Problem nicht. Wir brauchen Solidarität innerhalb der EU.

(Zustimmung)

Ich sage Ihnen das ganz deutlich - weil Sie die Realität nicht sehen wollen; das ist ja bei Ihnen fast parteipolitisch geprägt, auch die Anwürfe gegen meine Person in Ihrer Rede -, es würden sämtliche Verhandlungsanstrengungen der Bundesregierung in Brüssel konterkariert.

Es wäre - nehmen Sie das einfach einmal zur Kenntnis; Sie könnten sich auch einmal mit Innenministern anderer Bundesländer unterhalten, auch von der SPD; denn das ist nicht nur die CDU-Sicht - ein völlig falsches Signal an die Schutzsuchenden, wenn wir das tun würden, weil sich dann erneut mehr Menschen auf die Überfahrt nach Europa begeben würden, verbunden mit der Hoffnung, ausschließlich Aufnahme in Deutschland zu finden. Das bewegt wiederum Schleuser, die damit kriminelle Umsätze in Milliardenhöhe machen.

Wir wollen diesen Pull-Effekt, diese Anreize für Schleuser eben nicht geben. Wir wollen auch nicht den Anreiz geben, dass Deutschland das alleinige Land ist, das permanent alle aufnimmt. Insofern wird es nur gemeinsam gehen, mit einer europäischen Überzeugung und Lösung.

Wir haben aber gleichwohl etwas getan. Wir sind nicht untätig geblieben. Wir haben bereits im März 2020, vor der Coronakrise, gemeinsam mit einer Reihe anderer Mitgliedstaaten in einer sogenannten Koalition der Willigen erklärt, einen humanitären Beitrag zu leisten und mindestens 350 unbegleitete Minderjährige - unabhängig von der derzeitigen Pandemielage, die spielte damals übrigens noch gar keine Rolle - aus den kritischen Aufnahmezentren zu übernehmen. Das haben wir auch in einer Schaltkonferenz der Innenminister mit Herrn Seehofer so beredet.

Herr Pistorius hat sich bereit erklärt, 47 Schutzbedürftige in Niedersachsen aufzunehmen. Das war alles geklärt. Wir haben dann gesagt, dass wir innerhalb dessen natürlich auch solidarisch sein werden und einige dieser Minderjährigen bei uns aufnehmen werden. Es muss nur sichergestellt sein, dass sie auch wirklich minderjährig sind.

(Zuruf: Richtig!)

In einer Konferenz der Innenminister gab es erhebliche Zweifel daran, dass sie minderjährig waren. Das will ich einmal deutlich sagen. Das ist auch erörtert worden. Wir werden jetzt abwarten, wie die einzelfallbezogene Aufnahmepraxis umgesetzt wird, und zwar mit der Europäischen Kommission und den anderen europäischen Mitgliedstaaten zusammen. Das ist eine gesamteuropäische Verantwortung.

Ich komme jetzt zu dem zweiten Punkt bezüglich der Geflüchteten in Sachsen-Anhalt. Wir haben bereits vor der Pandemie in unserem Ministerium eine klare Ausrichtung gehabt, wie das zu funktionieren hat. Wir haben gesagt: Wenn einige in der Landeserstaufnahmeeinrichtung infiziert sein sollten, dann kommen sie in Quedlinburg in der Wipertistraße unter. Das haben wir alles vorab geklärt.

Wir haben gesagt, dass die Neuankömmlinge, damit sie sich nicht infizieren, in der Aufnahmeeinrichtung in Magdeburg in der Breitscheidstraße unterkommen. Dann hatten wir die Situation, dass sich in der Einrichtung so viele infiziert haben, dass wir diese Strategie erweitert haben und gesagt haben, Neuankömmlinge kommen nach Magdeburg. Wir haben die Wipertistraße. Sie kennen das alles; Sie haben an den Schaltkonferenzen teilgenommen. Hier zu behaupten, dass das nur durch Ihr Bestreben oder das des Flüchtlingsrates erfolgt sei, ist eine glatte Falschaussage.

Wir haben die ganzen Strategien erarbeitet. In der zentralen Erstaufnahmeeinrichtung sind derzeit noch 50 % der bisherigen Kapazität belegt, es sind also knapp 500 Personen. Gemeinsam mit

dem Pandemiestab und dem Gesundheitsamt sind Testreihen durchgeführt worden. Die Quarantäne ist zum 3. Mai 2020 aufgehoben worden. Und wir haben eine Reihe weiterer Einrichtungen.

Das, was Sie wollen - dafür nutzen Sie diese Krise; das ist doch Ihr Ceterum censeo -, ist doch, dass Sie keine Landeserstaufnahmeeinrichtungen wollen, weil Sie möchten, dass diejenigen, die zu uns kommen, sofort auf die Landkreise und auf die Gemeinden verteilt werden. Das will ich nicht, das wollen wir nicht und das werden wir auch nicht machen.

(Zustimmung)

Wenn wir in dieser Situation - im Übrigen nur temporär - 700 Personen in kleinen Kohorten von vielleicht vier Personen auf Wohnungen hätten verteilen wollen, dann hätten wir in diesem Land 200 Wohnungen benötigt. Dann hätten Sie wahrscheinlich den Beschlagnahmebeschluss ausgesprochen und gern unterschrieben, um solche Wohnungen zu rekrutieren. Das kann ich mir schon vorstellen.

Das, was wir gemacht haben, war richtig. Ich lasse mir auch nicht vorwerfen, dass das Innenministerium und das Sozialministerium rechtswidrig oder verfassungswidrig gehandelt hätten. Sie haben eine andere innere politische Auffassung. Aber Ihre politische Auffassung bedeutet noch lange nicht, dass andere, die unter fachlichen Gesichtspunkten etwas anderes tun, gegen die Verfassung des Landes oder - wenn ich Sie eben richtig verstanden habe - gar gegen das Grundgesetz handeln.

Wir halten an der zentralen Erstaufnahmeeinrichtung fest. Da wird es auch kein Wenn und Aber geben. Wir tun das eng abgestimmt mit dem Pandemiestab und dem Gesundheitsamt, damit alles Erforderliche veranlasst wird, damit sich die Menschen medizinisch gut betreut fühlen.

Zu dem letzten Punkt lassen Sie mich sagen: Wir wollen auch keine Einführung anonymer Krankenscheine zum Schutz der Geflüchteten. Die gesetzlichen Regelungen, die wir haben, ermöglichen bereits eine ausreichende und lückenlose Gesundheitsversorgung, insbesondere für Personen ohne asyl- oder ausländerrechtlichen Aufenthaltsstatus. Insofern sehen wir dafür keine Notwendigkeit. - Das war’s.

(Zustimmung)

Vielen Dank, Herr Minister. Es gibt eine Wortmeldung. - Frau Abg. Quade, Sie haben das Wort, bitte.

Herr Minister, ich habe zwei Fragen zu dem, was Sie vorgetragen haben. Zum Ersten würde ich Sie bitten, die Stelle in unserem Antrag zu nennen, an der wir eine Verteilung der Menschen aus der ZASt auf die Landkreise fordern. Das ist schlichtweg nicht der Fall. Wir fordern, dass Sie in Ihrer Verantwortung eine andere Unterbringungsform finden, eben keine Massenunterkunft, sondern eine Unterkunft, die Infektionsschutzmöglichkeiten bietet.