und unser Land veränderte. Sachsen-Anhalt stand und steht seitdem im nationalen und internationalen Blick der Öffentlichkeit. Die Welt schaut, wie wir mit der Aufarbeitung dieser Tat umgehen.
Die politische Aufarbeitung dieser Tat ist noch längst nicht abgeschlossen. Wir können bei der Bekämpfung von Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus an keiner Stelle nachgeben.
Mit dem Gerichtsprozess beginnt nun die juristische Aufarbeitung. Genau in der Zeit der Vorbereitung des Prozesses erreicht uns die Nachricht, dass der so wichtige Gefangene, der seit seiner Festnahme unter strengen Sicherheitsauflagen in der Justizvollzugsanstalt „Roter Ochse“ inhaftiert ist, einen Fluchtversuch unternehmen konnte. Er war zum Glück nicht erfolgreich.
Die Ministerin teilte in der Pressemitteilung vom 9. Juni 2020 mit, dass nie die reale Möglichkeit eines Ausbruchs aus der JVA bestanden habe. Die Folgen einer erfolgreichen Flucht mag ich mir gar nicht vorstellen. In derselben Pressemitteilung stellte die Ministerin auch schon die entscheidende Frage, wie es zu dem Fluchtversuch kommen konnte.
Es ist wichtig nachzufragen, was passiert ist. Das wurde in der Öffentlichkeit minutengenau dargestellt. Das will ich heute gar nicht alles wiederholen. Viel wichtiger ist wirklich zu erfragen, warum es passieren konnte.
Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unseren Rechtsstaat basiert darauf, dass Straftäter durch eine leistungsfähige und unabhängige Justiz ihre gerechte Strafe erhalten und dass diese dann nach den Vorgaben des Gerichtes und der Gesetze sicher verbüßt wird. Dieses Vertrauen ist mit dem Fluchtversuch schwer beschädigt worden.
Die Ursachen des Fluchtversuches müssen daher genau hinterfragt werden. Das haben wir seit dem 3. Juni 2020, seitdem wir Kenntnis davon haben, auch intensiv in den Beratungen des Rechtsausschusses und in weiteren Gesprächen getan. Die Aufarbeitung dieser Informationen wird auch mit der heutigen Debatte nicht beendet sein.
Durch die Pflichtverletzung und das Fehlverhalten einzelner Beamtinnen und Beamten - an der Stelle will ich betonen, dass sich das Bild, die JVA mit ihrer Nebenstelle Roter Ochse sei ein Chaosknast, nicht verfestigen darf -
wird die schwierige Arbeit der in der JVA tätigen Beamtinnen und Beamten in ein falsches Licht gerückt.
Wichtig ist auch die Frage nach strukturellen Problemen. Das ist für unsere politische Aufarbeitung viel wichtiger. Der Fluchtversuch zeigt uns deutlich Schwachstellen auf, die es zu hinterfragen gilt. Die Ministerin ist in ihrer Rede gerade auf einige dieser Schwachstellen eingegangen.
Ich danke Ihnen daher an dieser Stelle für die heutige kritische Sicht auf die Situation in unseren Justizvollzugsanstalten. Trotzdem bin ich mir weiterhin noch nicht sicher, ob eine externe Beratung und Betrachtung der Situation die Akzeptanz erfahren wird, die Sie erwarten. Ich bleibe bei der Auffassung: Das hätten wir auch vorher genauer hinterfragen können und müssen.
Die Konsequenz, den Staatssekretär, der im Besonderen für die internen Vorgänge zuständig ist, in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen, war für uns daher folgerichtig.
Unsere und meine Nachfragen richteten und richten sich weiterhin auf die personelle und sachliche Ausstattung der Vollzugsanstalten. Konnte die Anstalt den Anforderungen an einen solchen wichtigen Gefangenen gerecht werden? - Diese Frage wird auch in der Öffentlichkeit gestellt. Es ist zugleich traurig, dass erst etwas passieren muss, damit erkannt wird, wie wichtig ein gut arbeitender Justizvollzug ist.
Sichere und moderne Justizvollzugsanstalten mit ausreichend gutem und gut qualifiziertem Personal sind die Voraussetzung für die Erfüllung der Aufgaben des Justizvollzuges. Die Rechtspolitiker haben dies auch immer wieder eingefordert.
Am 2. März 2020 titelte die „Mitteldeutsche Zeitung“: Im Gefängnis wird’s voll. In der Ausgabe 2/2020 der Zeitschrift „Der Vollzugsdienst“ des Bundes der Strafvollzugsbediensteten wurde diese Frage für Sachsen-Anhalt erweitert - ich zitiere -:
„Bei steigenden Gefangenenzahlen und sinkenden Personalzahlen muss man sich die Frage gefallen lassen: Sind die Sicherheit und der Vollzug, wie gesetzlich geregelt, immer gewährleistet?“
„In der derzeitigen Situation - fünf Standorte und eine Personalausstattung für drei Standorte - ist es unbedingt notwendig, dass die avisierten Ziele bei der Personalgewinnung erfüllt werden.“
Das sind ein deutlicher Hinweis und ein Hilferuf. Was ist bisher geschehen, um die Situation des Justizvollzugs zu verbessern? - Der Landtag - das sind wir alle - hat verschiedene Schritte unternommen, um darauf zu reagieren. Mit dem Feinkonzept zur Personalstrategie in der Justiz für Sachsen-Anhalt aus dem Jahr 2018, welches der
Landtag umzusetzen beschloss, bieten wir eine gute Grundlage für die personelle Ausstattung des Justizvollzugs.
Bereits im Haushaltsjahr 2018 und auch in den darauffolgenden Haushaltsjahren hat der Landtag zusätzliche Stellen zur Verfügung gestellt.
Auf Nachfrage musste die Ministerin im Dezember 2019 feststellen, dass bei 40 zusätzlich bereitgestellten Stellen nur 26 Anwärter aufgenommen werden konnten. Derzeit können somit lediglich die Abgänge aus dem Justizvollzug durch neu eingestellte Anwärter ersetzt werden. Von der Einstellung zusätzlicher Beamtinnen und Beamten können wir also noch nicht sprechen.
Diesbezüglich müssen wir besser werden und gemeinsam darüber beraten, wie wir junge Menschen für den verantwortungsvollen und anspruchsvollen Beruf gewinnen können. Niemand behauptet, dass das einfach ist. Nur ist das Ergebnis bisher unbefriedigend.
Die sich durch den Neubau einer Haftanstalt in Halle ergebenden Möglichkeiten von Personaleinsparungen bleiben ebenfalls aus, da nicht vor dem Jahr 2026 mit der Realisierung dieses Vorhabens zu rechnen ist. Gemäß den ersten Plänen war der Neu- und Erweiterungsbau ursprünglich für das Jahr 2019 vorgesehen.
Es gibt viel zu tun, um die Situation in unserem Justizvollzug zu verbessern. Aufarbeitung heißt an dieser Stelle nicht nur zu fragen: Wer hatte Schuld? Vielmehr muss gefragt werden: Wie können wir all den Forderungen für einen sicheren und modernen Justizvollzug nachkommen? - Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Abg. Schindler. Ich sehe keine Wortmeldungen. - Wir kommen zum nächsten Debattenredner. Für die AfD-Fraktion spricht der Abg. Herr Lehmann. Sie haben jetzt das Wort, Herr Abg. Lehmann.
Vielen Dank, sehr geehrte Präsidentin. - In der heutigen Debatte spricht die AfD als dritte Fraktion. Zweimal Rot sprach bereits vor mir. Insbesondere die Fraktionen - ich habe darauf geachtet -, die in den Anhörungen im Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung sonst immer die Vereine und Stiftungen der sogenannten Zivilgesellschaft anfahren und fordern, dass es am besten gar keine Haft mehr geben sollte, und
die meinen, die Haft müsse noch stärker liberalisiert werden, weil sie für den Straftäter schädlich sei, reißen heute den Mund ganz besonders weit auf.
Das lässt einen schon leicht schmunzeln und auch nachdenklich werden. Das grün-christliche Koalitionsehepaar folgt nach meiner Rede in der Debatte noch. Ich bin gespannt, inwieweit wieder der theatralische Spagat zwischen parlamentarischer Entrüstung hier im Hohen Hause und zwanghaftem Koalitionszusammenhalt vorgeführt werden wird.
Deshalb von mir vorab: Sehr geehrte Frau Ministerin Keding, ein bisschen tun Sie mir in dem ganzen Theater jetzt schon leid, aber, da wir Opposition sind, eben wirklich nur ein bisschen.
Schauen wir einmal auf die Leitung und Leistung der JVA in Halle. Ich habe im Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung, der nach der Reform der Geschäftsordnung öffentlich tagt, bereits gesagt: Der Ablauf des Tagesgeschehens an diesem Tattag erinnert mich an eine 68erBlümchen-WG in Halle und nicht an eine JVAFührung.
Denn was man dort erlebt hat, was dort abgelaufen ist - Malerarbeiten in Verwaltungsbüros, die Einteilung von drei weiblichen Beamten und einem Azubi im Hafthaus 2, in dem der Delinquent gesessen hat -, erinnert an ein Drehbuch der Olsen-Bande; das muss ich mal sagen. Es war wahrscheinlich nicht das erste Mal.
Es ist, wie Frau Schindler schon gesagt hat, nicht auszudenken: Wenn diesem Terroristen, der für den Anschlag auf die Synagoge in Halle verantwortlich ist, die Flucht gelungen wäre oder er hätte eine der drei weiblichen Beamten überwältigt, wenn es eine tote Mitarbeiterin oder eine Geisellage gegeben hätte, dann wäre der Prozess im Juli in Sachsen-Anhalt, auf den ganz Europa und wahrscheinlich auch Israel schauen, geplatzt, dann hätten sich alle Mitglieder der Landesregierung eine Tüte über den Kopf ziehen und anschließend über den Domplatz gehen können, dann hätte man sich schämen müssen. - Es ist nicht auszudenken: Es hätte passieren können.
Wir werden schauen, ob es Ihren Koalitionsfreunden im parlamentarischen Haifischbecken ausreichen wird, dass der Kopf Ihres treuen Staatssekretärs Herrn Böning in der letzten Woche bereits gerollt ist.
Ich kannte Herrn Böning noch als Leiter der Zweigstelle der Staatsanwaltschaft in Halberstadt. Er war schon immer ein treuer CDU-Parteisoldat; das muss man ihm lassen. Auch als Staatssekretär hat er gewusst, dass er Ihnen als Ministerin Deckung zu geben hat, gegebenenfalls bis zum Äußeren. Das hat er in diesem Fall auch getan.
Um das ganze Desaster zu überschauen und die heutige Heuchelei im Plenum von der Wahrheit zu filtern, fasse ich die Arbeit der Justiz in dieser Legislaturperiode einmal zusammen: Wann hat eigentlich der heutige Chor, der Rücktrittsforderungen schreit und den Entrüsteten spielt, in der Vergangenheit einmal zu Ihrem Rücktritt trompetet?
Als wir von der AfD-Fraktion gefordert haben, in der Justiz müsse eine Zäsur stattfinden, haben alle dagegen gehalten und gegen die AfD-Fraktion gewettert. Offenbar stand die Justiz in der Vergangenheit als mängelfrei da und hat mängelfrei gearbeitet.
Ich erinnere angesichts der jetzigen Heuchelei zum Beispiel an den September 2018. Wir von der AfD-Fraktion wiesen darauf hin, dass der Fall der Tötung von Marcus H. in Wittenberg, die als Notwehrhandlung des Täters in die Geschichte eingehen wird, und der Fall des Todes eines Mannes in Köthen, aus dem eine Herzinfarktgeschichte geworden ist, unheimlich unterschiedlich angepackt werden.
In Köthen wurde schnell und beherzt vonseiten der Justiz zugegriffen, in Wittenberg war der Täter bis zu seinem Prozess auf freiem Fuß. In der Abarbeitung stellt man dort erhebliche Unterschiede fest. Dazu haben wir uns als AfD-Fraktion zu Wort gemeldet. Alle übrigen Fraktionen im Hohen Haus haben gesagt, es sei alles picobello in Ordnung. Wenn man die Maßnahme an sich nebeneinanderlegt … - Na ja, lassen wir das einmal so im Raume stehen.
Ich erinnere noch an den November 2018. Wer hat eine Forderung in der Bütt aufgemacht? - Die Fraktion der AfD. Wir forderten Konsequenzen aufgrund der Fehltritte des damaligen Leiters der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau Folker Bittmann.
Der berühmt-berüchtigte Leiter der Dessauer Staatsanwaltschaft hatte beim Studieren der Videoaufzeichnungen des Todes von Marcus H. rassistische Beschimpfungen gehört, auf einem Stummfilmvideo, und dadurch, warum auch immer, eine Notwehr des Täters Sabri H. erkannt.
Ich weiß nicht, ob das politische Ideologie war oder ob er vielleicht krank oder irgendetwas anderes war. Und schwupp war er anschließend im Ruhestand. Bei der Verabschiedung gab es kei