Die Sicherheitsverfügung ist durch die Anstalt unter Beachtung dieser Rahmenbedingungen anzuordnen gewesen und hat seit dem Tag der Zuführung des Gefangenen im Oktober 2019 bestanden. Sie unterlag im Laufe der Zeit regelmäßigen Überprüfungen und Abänderungen.
Es ging beispielsweise um die Frage des Tragens von Bekleidung aus Papier, der Fesselung an Händen und Füßen sowie um geeignete Präventionsmaßnahmen gegen die Gefahr einer Selbsttötung. Es bestand zu diesen Fragen ein kritischer Diskurs zwischen der Anstaltsleitung und der Fachaufsicht im Ministerium, um dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerecht zu werden.
Das Vorkommnis vom 30. Mai nehme ich auch zum Anlass, die gängigen und seit Jahren etablierten Verfahrensweisen des Verwaltungshandelns im Ministerium kritisch zu hinterfragen. Im Zusammenhang mit der Änderung der Sicherheitsverfügung steht, wie Sie wissen, auch ein Streit darüber, ob es dafür eine telefonische Zustimmung aus dem Ministerium gegeben hat oder nicht.
Nach den formalen Grundsätzen des Verwaltungshandelns ist die Frage leicht zu beantworten. Relevante Anfragen von nachgeordneten Dienstbehörden werden grundsätzlich durch
schriftliche Berichte gestellt und durch schriftliche Erlasse beantwortet. Diese sind eins zu eins umzusetzen.
Aufzuklären ist aus heutiger Sicht, dass offenbar unklar gewesen ist, ob ein mündlicher Erlass überhaupt erteilt werden konnte. Dies gilt es im konstruktiven Dialog zwischen allen Beteiligten nachzuschärfen, um zukünftig Handlungssicherheit für die Justizvollzugsbediensteten zu schaffen.
Ebenso ist es mir wichtig, die Kommunikation zwischen dem Ministerium und dem Geschäftsbereich, aber auch innerhalb des Ministeriums deutlich zu intensivieren. So hat ein Bediensteter der JVA Halle am 3. März 2020 in einer E-Mail an den dienstlichen Account einer Referatsleiterin der Vollzugsabteilung und an den Leiter der JVA Halle Hinweise vorgetragen, dass die Untersuchungshaft nicht erlasskonform umgesetzt werde. Diese Hinweise sind offenbar nicht aufgenommen worden.
Zusammenfassend gilt es also, Strukturen zu durchleuchten, Fehlerquellen zu identifizieren und sodann geeignete organisatorische Maßnahmen unter Einbeziehung aller handelnden Verwaltungsakteure zu treffen.
Das Ziel muss es sein, zügig Verfahrensweisen zu implementieren, die ein transparentes und verlässliches Verwaltungshandeln auch unter dem täglichen Druck des Alltags sicherstellen. Auch Regelungen zur Meldung von außerordentlichen Vorkommnissen stehen auf dem Prüfstand. Das haben wir schon vor dem Ereignis in Halle in Angriff genommen; es ist jetzt aber konsequent fortzuführen.
Ziel ist es, die meldepflichtigen Ereignisse im Justizvollzug konkreter zu fassen. Die dazu bereits im Fachreferat angestellten Überlegungen und das Mitte Juni vorläufig in Kraft gesetzte Verfahren sollen noch im Juli mit den entsprechenden Sicherheitsfachleuten der Justizvollzugseinrichtungen gemeinsam erörtert werden.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns bitte gemeinsam weiter die Ursachen für die Vorkommnisse um den 30. Mai aufklären, analysieren und Handlungsnotwendigkeiten aus den Feststellungen ableiten.
Wie Sie wissen, werden wir uns bei der Überprüfung der Sicherheit in der JVA Halle von einer externen Expertenkommission unterstützen lassen. Die Einrichtung einer solchen Expertenkommission halte ich für sachgerecht, aber auch für notwendig, um die Schwachpunkte in der Sicherheitsarchitektur der JVA Halle zu identifizieren und geeignete Lösungsansätze zu entwickeln.
Um eine hohe Akzeptanz für diese Untersuchungsfeststellungen bei allen Akteuren zu erreichen, sollen unbeteiligte, unabhängige und vollzugserfahrene Fachleute aus anderen Bundesländern herangezogen werden. Vollzugsspezialisten aus Thüringen, Sachsen und Niedersachsen haben bereits ihre Bereitschaft zur Mitarbeit signalisiert, worüber ich mich sehr freue.
Meine Damen und Herren! Das Ihnen soeben dargestellte Bündel an Maßnahmen macht deutlich, dass die Landesregierung, dass ich ein erhebliches Interesse an der Aufklärung des Sachver
Personalrechtlich wie disziplinarrechtlich soll das Verhalten von Mitarbeitern der JVA Halle und auch von Mitarbeitern des MJ in einer Hand und in einem Verfahren geprüft werden. Das Disziplinarverfahren zieht das MJ insgesamt an sich und wird einen hochrangigen Beamten des Justizministeriums mit der Bearbeitung betrauen.
Meine Damen und Herren! Jetzt muss der Staatsschutzprozess im Vordergrund stehen, der im Juli beginnen wird, um eines der bedeutendsten Verfahren in Sachsen-Anhalt zu bewältigen. Dies setzt ein engagiertes Handeln aller am Vollzug Beteiligten sowie baulich sichere Justizvollzugseinrichtungen voraus.
Daneben ist der geplante Neubau am Standort Halle für den Justizvollzug wesentlich und ein entscheidender Baustein der Justizvollzugsstrukturreform. Neben sicheren und modernen Justizvollzugsanstalten und guten Behandlungsangeboten ist ausreichendes und gut qualifiziertes Personal unerlässlich.
Dabei haben die kontinuierliche Ausbildung und die Übernahme von Nachwuchskräften für den allgemeinen Vollzugsdienst höchste Priorität. Es handelt sich um einen attraktiven, aber auch fordernden Beruf. Die auf Dauer angelegte Werbekampagne „#BeaJVD“ wird die Nachwuchsgewinnung auch künftig unterstützen.
Meine Damen und Herren! Das Justizministerium, der neue Staatssekretär und ich, alle Verantwortungsträger im Justizvollzug werden hart daran arbeiten, das verloren gegangene Vertrauen zurückzugewinnen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Frau Ministerin Keding, mir liegen drei Meldungen vor für jeweils eine Frage. Frau von Angern hat sich zuerst gemeldet. - Sie haben das Wort, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, Sie haben es meiner Rede entnehmen können: Ich bin ob des Desinteresses des Ministerpräsidenten an diesem Vorfall irritiert bzw. es ist befremdend.
Ich frage Sie: Können Sie mir sagen, wann, wie oft und in welchem Umfang der Ministerpräsident Sie im Rahmen einer Kabinettssitzung vor und nach dem Pfingstsamstag angesprochen und sich nach dem Verbleib des U-Häftlings Stephan B. erkundigt hat?
Ich habe den Herrn Ministerpräsidenten am Mittwoch nach Pfingsten telefonisch über den Vorfall in Kenntnis gesetzt. Er hat mich intensiv darum gebeten, mich der Sache persönlich anzunehmen und ihn auf dem Laufenden zu halten. Im Übrigen erkundigt er sich regelmäßig nach Besonderheiten und berichtenswerten Einzelheiten aus den Bereichen Justizvollzug, Justiz und Gleichstellung.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Ministerin, wir haben uns im Rechtsausschuss schon mit der Sachlage befasst und werden dies auch weiterhin tun. Meine Kollegin Frau von Angern hat sehr richtig dargestellt, dass es ein Interesse des Parlaments und vor allem der Öffentlichkeit nicht nur an der Frage gibt, wie es weitergeht - Sie haben versucht, das in Ihrer Rede darzustellen -, sondern auch an der Frage, wie es dazu kommen konnte.
Ich bitte Sie darzustellen, wie oft Sie sich vor dem Pfingstsamstag nach den Haftbedingungen von Stephan B. erkundigt haben, wie oft Sie sich über die Sicherheitsverfügungen haben unterrichten lassen und wie oft Sie die Frage gestellt haben, wie es um die Haft des Rechtsterroristen in Sachsen-Anhalt steht.
Wir führen im Ministerium - ich denke, wie in jedem Ministerium - in jeder Woche eine Abteilungsleiterberatung durch, bei der das Thema Justizvollzug, aber auch die Unterbringung von Stephan B. angefragt worden ist. Dies geschah aber nicht speziell, vielmehr wurde gefragt: Ist alles in Ordnung mit Stephan B.? Gibt es Probleme in der JVA Halle?
Darüber hinaus gibt es die sogenannten Kleinen Lagen, zu denen sich die Hausspitze regelmäßig unregelmäßig alle zwei bis drei Tage zusammenfindet. Darin werden Dinge, die in der Führungsverantwortung liegen, erörtert.
Spielte Stephan B. vor dem Pfingstsamstag bei den Kleinen Lagen denn eine Rolle? Haben Sie nach ihm gefragt?
Der Staatssekretär hat mir vor Weihnachten bzw. noch im Oktober über die Vorstellungen zu Erleichterungen im Hinblick auf die Sicherungsverfügung berichtet, denen er nicht zugestimmt hat. Er hat mir auch berichtet, dass er aufgrund der besonderen Zeit in jedem Fall Weihnachten abwarten wolle. Denn Weihnachten ist immer ein ganz schwieriges Ereignis für Gefangene, sodass eine erhöhte Suizidneigung, wenn es sie denn gibt, festzustellen ist.
Danach sollte gehandelt werden. Wir haben im Laufe des Januars vereinzelt darüber gesprochen. Nicht jeden Tag, aber wöchentlich oder alle zwei Wochen war Stephan B. Thema im Hinblick darauf, ob sich etwas geändert hat, ob es andere Auffassungen dazu gibt. Vielleicht war es auch mal alle drei Wochen.
Zu den Kleinen Lagen werden keine Protokolle geführt, sondern das ist etwas, was ich - - Es kann auch nur alle drei Wochen gewesen sein. Ich könnte nicht belegen und auch nicht nachvollziehen, wie oft das gewesen ist.
Frau Ministerin Keding, ist es denn üblich, dass die Freistunden der Gefangenen in Halle nicht beaufsichtigt werden oder die Beaufsichtigung zumindest unterbrochen wird? Kann man ausschließen, dass die Gefangenen nicht ständig im Blick der Bewacher sind?
Eine weitere Frage. Was hat denn nun konkret dazu geführt, dass der Gefangene am 30. Mai unbeaufsichtigt gewesen ist? Denn wir haben jetzt zwar viel davon gehört, dass die Personaldecke dünn ist, dass die Anzahl des Personals an den Wochenenden abgesenkt wird und dass
es Malerarbeiten gab. Aber das muss ja nicht bedeuten, dass die Pflichtaufgaben in der JVA derart missachtet werden.
Der Untersuchungsgefangene verbringt seine Freistunde immer als Einzelfreistunde. Das ist so festgelegt worden. Er verbringt sie nicht gemeinsam mit den anderen Gefangenen. Dementsprechend war er in dieser Stunde auf dem Einzelfreistundenhof untergebracht. Die anderen Gefangenen waren hinter einem Abtrennungszaun in Sichtweite. Deshalb konnte Herr B. auch von den anderen Beamten eine Zeit lang gesehen werden.
- Herr B. konnte gesehen werden. - Die Anordnung, egal ob die des Ministeriums oder die der JVA, sah vor, dass ihn mindestens zwei Bedienstete ständig direkt zu betreuen haben, insbesondere in der Freistunde auf dem Hof - jeden Tag, jede Stunde, jede Minute. Darin gibt es überhaupt keinen Dissens zwischen der JVA und dem MJ.
Die beiden Kolleginnen sind befragt worden. Die eine Kollegin ist noch im Krankenstand und hat uns deswegen bisher noch nicht erklärt, was sie dazu gebracht hat, ihren Dienstposten zu verlassen. Die andere Kollegin hat erklärt, sie sei nach drinnen zu den Malerarbeiten gegangen.
Die Malerarbeiten sind unter der Maßgabe genehmigt worden, dass ihnen keine vollzuglichen und Sicherheitsaspekte entgegenstehen. Daher hätte das nicht gleichzeitig stattfinden dürfen. Sie sind auch wirklich nicht so relevant, um an einem solchen Tag durchgeführt zu werden.
Vielen Dank, Frau Ministerin. Ich sehe keine weiteren Fragen. - Somit können wir in die Debatte der Fraktionen einsteigen. Die erste Debattenrednerin ist für die SPD-Fraktion die Abg. Frau Schindler. - Frau Abgeordnete, Sie haben jetzt das Wort. Bitte.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In ca. einem Monat beginnt der Prozess gegen den Attentäter von Halle vom 9. Oktober 2019. Es war eine Tat, die das ganze Land erschütterte