Protokoll der Sitzung vom 28.10.2016

Die oben genannten Maßnahmen zeugen von der hohen Kompetenz des Planungsteams „Luther 2017“ und auch davon, dass die Landesregierung weitreichende Maßnahmen ergriffen hat, um dieses Fest zum Erfolg zu führen.

Dennoch möchte ich Folgendes kritisieren: Der Landkreis Wittenberg muss diesem Team kostenlos das ehemalige Melanchthon-Gymnasium als Objekt bereitstellen. Da Brandschutzanforderungen zu erfüllen waren, wurde eine entsprechende Anlage gebaut. Hierbei handelt es sich aber nur um ein Provisorium. Das hat zur Folge, dass nach dem Auszug des Luther-Teams eine weitere Nutzung des Gymnasiums ohne erneute Erfüllung der Brandschutzrichtlinien nicht möglich ist. Wo bleibt hier die Nachhaltigkeit? - Es werden Millionen für das Reformationsjubiläum ausgegeben, aber langfristig zu investieren ist niemandem eingefallen.

Viele Kunstobjekte der Lutherstadt Wittenberg werden nur für das Jahr 2017 geschaffen und danach wieder abgebaut. Eine regionale touristische Erschließung bedarf einer ordentlichen Finanzausstattung der Kommunen. Diese haben wir nicht.

Ein Beispiel dafür: Um den Haushalt zu konsolidieren, ist der Wittenberger Stadtrat gerade sehr kreativ geworden. Er will die Lutherstadt Wittenberg zur Kurstadt erklären. Damit fließt dann ab dem nächsten Jahr gegebenenfalls eine Kurtaxe, die zusätzliches Geld zum Stopfen der Löcher einbringen soll. Das Land aber muss Geld in die Hand nehmen, damit die Lutherstädte finanziell ausgestattet werden, und das direkt, ohne Umweg über die Kirche.

Aber nicht nur zum Wochenende des Reformationsjubiläums wird Sachsen-Anhalt eine touristische Attraktion sein. Über das gesamte Jahr reisen Tausende zusätzliche Gäste an. Dieser Gästezustrom wird im Jahr 2017 und auch in den nachfolgenden Jahren ein hohes Niveau haben. Wir benötigen nachhaltige Tourismuskonzepte, welche die kommunale Ebene mit der Landesebene verknüpfen.

Ich kann mich sehr gut mit der Idee einer LutherCard für die Gäste identifizieren, welche von der Regionalförderungsgesellschaft Anhalt-Bitterfeld

vorgeschlagen wurde. Die Idee ist, dass mit dieser einmalig zu erwerbenden Karte alle Wirkungsstätten Luthers, aber auch andere regionale Sehenswürdigkeiten besucht werden können - ein klarer Mehrwert für unsere Gäste.

Hierzu müssen alle Tourismuspartner miteinander ins Gespräch kommen. Es kann nur ein Miteinander geben, und die einzelnen Konzepte sind aufeinander abzustimmen.

Wir sind natürlich auch für die Sicherheit unserer Gäste verantwortlich. Ich gehe von einer erhöhten Gefährdungslage zu solchen Festen aus. Der zusätzliche Bedarf an Sicherheitskräften muss gedeckt werden, notfalls aus anderen Bundesländern. Sollte es einen Terrorakt, einen Sprengstoffanschlag oder Ähnliches geben, werden unser

Tourismus und unser Land Sachsen-Anhalt für viele Jahre zurückgeworfen.

Wenn wir all diese Aspekte beachten, werden wir im Jahr 2017 ein erfolgreiches Reformationsjahr erleben, das unser Land Sachsen-Anhalt weltweit zu einem Tourismusmagneten macht. - Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Lieschke. - Es gibt eine Anfrage. Herr Scheurell hatte sich vorhin schon gemeldet. Bitte, Herr Scheurell.

Sehr geehrter Herr Kollege Lieschke, Sie haben eine sehr eingeschränkte Sichtweise auf das Lutherjubiläum, möchte ich, mit Verlaub, feststellen.

(Beifall bei der CDU)

Ist Ihnen entgangen, dass sowohl der Bund als auch die Kirchen, die Stadt und das Land sehr wohl nachhaltig investiert haben? Sie haben völlig ausgeblendet, dass die Schlosskirche saniert und auf einen Stand gebracht wurde, wie wir es sonst nie hätten erleben dürfen. Das ist eine nachhaltige Investition. Nicht nur in Bauwerke wurde nachhaltig investiert, sondern beispielsweise auch in den Bahnhof von Wittenberg. Auch die Deutsche Bahn hat sich beteiligt, die Nasa und ebenfalls wieder das Land und die Stadt.

Herr Lieschke, ist das wirklich an Ihnen vorbeigegangen? Sie sind doch Wittenberger und gehen täglich durch diese Stadt. Das kann ich nicht verstehen.

Herr Lieschke, möchten Sie darauf antworten?

Ich habe jetzt die vielen inhaltlichen Dinge, die Sie noch gesagt haben, absichtlich nicht auseinandergenommen; denn dann würden wir noch heute Abend hier sitzen.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Möchten Sie darauf antworten, Herr Lieschke?

Ich habe sicherlich nicht alle Aspekte angebracht, die zum Thema Luther möglich wären. Aber Luther war auch dafür bekannt, sich kurz zu fassen; ich habe das in dem Moment auch versucht.

Zum Thema Nachhaltigkeit. Ich habe ein Beispiel gebracht, die Brandschutzanlage des LutherTeams, das ganz klar nicht nachhaltig ist. Dazu können Sie im Kreis und in der Stadt nachfragen.

Es ist aber auch so: Wenn Kunstobjekte geschaffen werden, zum Beispiel ein Schilfboot, um die Flüchtlingssituation darzustellen, das auf unserem kleinen Schwanenteich für ein Jahr schwimmen soll, dann frage ich mich, ob das ein Thema ist, das wirklich nachhaltig ist. Für mich ist es das nicht.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank. - Die nächste Debattenrednerin ist Frau Lüddemann von der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Bitte, Frau Abgeordnete.

Vielen Dank. - Ich möchte gern versuchen, von der Kleinteiligkeit von Schwanenteichen wieder zu dem zurückzukommen, was Reformation im Grunde heißt. Reformation heißt nämlich: die Welt hinterfragen. Das war aus meiner Sicht damals sehr aktuell, es ist aber auch heute, 500 Jahre später, noch tagesaktuell.

Es war damals, vor 500 Jahren, und ist auch heute verunsichernd; denn wenn man die Welt hinterfragt, entwickelt man einen neuen Blickwinkel, eine neue Sichtweise, aus der sich möglicherweise oder im besten Fall Konsequenzen ergeben. Die Welt zu hinterfragen heißt, die Welt neu zu interpretieren, neu zu erleben. Das kann zu Verunsicherung führen.

Menschen sind immer verunsichert, wenn sich die gewohnt geglaubte Welt verändert, wenn ein für unveränderlich gehaltener Rahmen ins Wanken gerät, in Bewegung gerät oder grundsätzlich wegbricht. Das kann bis dahin gehen, dass sich gesamtgesellschaftliche Schichten auflösen, dass sich Besitzverhältnisse ändern oder dass Kasten zusammenbrechen.

Vor 500 Jahren war die Grundidee von Luther eine revolutionäre Idee: dass niemand zwischen Gott und dem Menschen stehen soll. Die Übersetzung der Bibel - wer auch immer sie gemacht hat; auch ich kann nicht beschwören, wer es tatsächlich war -, damit der Mensch die Möglichkeit hat, sich selbst ein Bild von Gott zu machen, ist eine revolutionäre Idee gewesen.

Daraus leitet Luther ab, dass jeder seinen eigenen Erkenntnisweg gehen soll. Er macht den Menschen klar, dass sie selbst die Möglichkeit haben, Erkenntnisse zu erlangen und daraus Konsequenzen zu ziehen, und dass jeder für sein eigenes Handeln verantwortlich ist.

Das ist aus meiner Sicht auch heute noch die Basis der aufgeklärten Welt, ein Grundverständnis unserer Demokratie, die auch den modernen Sozialstaat begründet hat. Viele werden es vielleicht nicht wissen - der Kollege Scheurell weiß es bestimmt -, dass Wittenberg schon im Jahr 1522 den sogenannten geheimen Kasten hatte, einen Sozialetat, der die Armenpflege in Deutschland begründet hat.

Grundsätzlich hat Luther im Jahr 1520 in seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, die durchaus auch heute noch lesbar ist, die Verantwortung des Einzelnen für die Gesellschaft beschrieben. Luther tritt darin sehr deutlich für den sich selbst ein Urteil bildenden, für den mündigen Menschen ein, der nicht in der Herde mitlaufen und Parolen nachreden, sondern sich selbst Gedanken machen soll und daraus eigene, neue Handlungen entwickeln soll.

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, finde ich bemerkenswert, auch heute noch, 500 Jahre nach dem Beginn der Reformation.

Dass Luther selbstverständlich auch problematische Seiten hatte, will ich nicht ausblenden, aber heute wegen der begrenzten Redezeit nicht vertiefen.

Die Freiheit des eigenen Denkens und des eigenen Wortes ist für mich, auch für meine eigene Biografie sehr konstituierend gewesen; denn das war ein Teil dessen, was die Opposition in der DDR getragen hat. Das möchte ich als ein ganz winziger Teil der Opposition, aber auch als Christin noch einmal deutlich hervorheben.

Luther hat die eigene Freiheit immer in Beziehung zur Freiheit des anderen gesetzt. Das kann man aus den Schriften von Luther, finde ich, sehr deutlich herauslesen; denn er sagte: Die Grenze der eigenen Freiheit ist da, wo die Freiheit des anderen anfängt. Darüber zu sprechen und das als konstitutionellen Rahmen für diese Grenzsetzung in Beziehung zum eigenen Gewissen zu setzen, das finde ich spannend und auch heute, im 21. Jahrhundert, noch bedeutend.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN)

Wir können stolz darauf sein, dass ein solches Denken aus Sachsen-Anhalt als Beginn in die Welt getragen wurde.

Die Welt zu hinterfragen ist somit nach meiner Lesart eine unlösbare, da sich ständig wandelnde Aufgabe. Deswegen bin ich froh, dass im Jahr 2017 - die Lutherdekade wurde bereits angesprochen, aber es geht insbesondere um das nächste Jahr - in Wittenberg ganz konkrete Angebote gemacht werden, damit katholische und evangelische Christen im Rahmen der Ökumene, aber

auch sehr viele andere Menschen gemeinsam über diese Fragen nachdenken.

Ich finde es auch sehr klug, dass in 16 Themenwochen Besucherströme über das Jahr von Mai bis September geleitet werden, um jeweils an einem bestimmten Thema zu arbeiten. Es finden große und kleine Veranstaltungen statt. Es kann sich jeder, der selbst eine Idee hat, einbringen und in das gemeinsame Vermarktungskonzept eintreten.

Die Weltausstellung wurde bereits angesprochen. Ich finde es großartig, alte und neue Reformationsgeschichten im tatsächlichen Sinne des Wortes reformieren, nämlich neu zu gestalten, über 68 Stationen in 19 Ländern zu sammeln und nach Wittenberg zu tragen.

Auch die Idee der Kirchentage, um die Regionen einzubinden und den Menschen, egal wie sie sich selbst glaubend aufgestellt haben, diese Idee nahezubringen und sie einzubeziehen, finde ich großartig.

In Dessau wird zum Beispiel das regionale Knowhow des Umweltbundesamtes genutzt; denn im 21. Jahrhundert ist das Nachdenken über Grenzen, das Nachdenken über Freiheit unzweifelhaft und unstreitig mit dem Begriff der Nachhaltigkeit verbunden. Dort wird unter dem Titel „Forschen. Lieben. Wollen. Tun.“ über genau diese Fragen im Zusammenhang mit Luther und Reformation nachgedacht.

Zu den nationalen Sonderausstellungen, die bereits vom Herrn Minister kurz angesprochen wurden. Im Deutschen Historischen Museum in Berlin, auf der Wartburg und in Wittenberg werden drei Ausstellungen, die sich zusammenfügen, präsentiert. In Wittenberg wird unter dem Titel „Luther! 95 Schätze - 95 Menschen“ unter anderem auch Edward Snowden zu Wort kommen. Mit dem Sinnbild einer kaputten Festplatte kann dort noch einmal ganz neu über die heutigen Grenzen von persönlicher Freiheit nachgedacht werden.

Ich bin dankbar dafür, dass sich eine Vielzahl von Akteuren zusammengefunden hat: die evangelische Kirche, Kommunen, der Verein Reformationsjubiläum usw. - es sind sehr viele, die sich hierzu versammeln.

Ich möchte, weil es immer wieder angesprochen wird, an dieser Stelle auch klar sagen, dass wir als Grüne es sehr richtig finden, dass in diesem Reigen auch eine große Summe in Baumaßnahmen investiert wurde. Denn neben spirituellen Fragen - das ist ganz klar; wir müssen auch diesen Anstoß nutzen, solche Fragen im Land weiter zu bearbeiten - ist es natürlich auch eine unbestreitbare Chance dazu - wir wären mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir sie nicht nutzen würden -, den Tourismus voranzutreiben.

Die Menschen wollen sehen, wo die Thesen hingen oder wo sie vielleicht gehangen haben sollen - das ist den Menschen im Zweifel egal. Sie wollen es sehen. Sie wollen auf den Straßen Melanchthons laufen, aber nebenbei auch ein Eis essen können. Sie wollen die Malschule Cranachs besichtigen, aber auch ihr Fahrrad vernünftig abstellen oder gut auf einem präsentablen Bahnhof ankommen. Natürlich wollen sie auch die Schlosskirche sehen und sich dort einfühlen können.

All das sind Dinge, die, wenn sie gut gemacht sind - davon gehe ich aus -, auch in den nächsten hundert Jahren Menschen nach Wittenberg locken werden. Das ist nachhaltig und aus unserer Sicht richtig.

Aber wir müssen jetzt genau darauf achten - deshalb ist dieser Zeitpunkt aus meiner Sicht richtig -, dass wir das, was im nächsten Jahr an Besucherströmen kommt, auch weiterhin für SachsenAnhalt interessieren. Wir müssen es zum Beispiel aus meiner Sicht noch besser schaffen, auf das nächste Highlight hinzuweisen: das BauhausJubiläum 2019. Das ist ebenfalls eine gute Gelegenheit, die Welt in unser Land zu holen.