In dieser Woche berichtete der RBB, dass die Berliner Polizei die Überwachung von Anis Amri früher als bisher bekannt beendet hat. Bereits im Juni 2016 seien diese Maßnahmen von der Polizei eingestellt worden.
Wenn Sie den Rechtsstaat wehrhaft haben möchten, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann müssen wir doch erst klären, warum er in diesem Fall nicht wehrhaft genug war.
Das ist doch auch im Interesse derer, die vom Leid der Attentate unmittelbar betroffen sind. Wir sollten nicht einfach reflexhaft immer wieder die alten Konzepte aus der Schublade ziehen.
Mehr Kontrolle, mehr Überwachung - diese Forderungen kommen genauso schnell wie die Aussage, dass wir doch eigentlich bei unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bleiben sollten.
Ich erinnere daran: Bereits nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 brachte der Deutsche Bundestag innerhalb weniger Wochen umfangreiche Gesetzesänderungen auf den Weg. Gegenstand waren damals die gleichen Themen wie heute: Erweiterung von Befugnissen für die Behörden, mehr Kompetenzen für die Geheimdienste, Ausbau elektronischer Überwachungsmaßnahmen. Bis heute ist nicht evaluiert, was das alles eigentlich gebracht hat.
In den Folgejahren ging es weiter: Terrorabwehrzentrum, biometrischer Reisepass, Anti-TerrorDatei, Vorratsdatenspeicherung, BKA-Novelle.
Und nun eben heute die Aktuelle Debatte. Es muss, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Frage gestellt werden, wo diese Entwicklung eigentlich
enden soll und wann der Punkt erreicht ist, an dem wir unsere Freiheit einmal zu viel hinter dem nächsten „zwingend notwendigen“ Sicherheitspaket hintangestellt haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir müssen uns auch der Frage stellen, welche Auswirkungen deutsche und europäische Sicherheitspolitik im Ausland haben. Seit 2001 befindet sich der Westen, befinden wir uns im Krieg gegen den Terror. Wenn wir uns die internationale Situation 16 Jahre später anschauen, müssen wohl auch diejenigen, die diese Politik 2001 noch gutgeheißen haben, eingestehen, dass deren Erfolg mehr als fragwürdig ist.
Wer wirklich eine Botschaft gegen Angst und Irrationalität setzen will, sollte im Übrigen nicht ausschließlich über islamistische Gefahren reden. Es ist schon höchst verwunderlich, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, dass Sie in Ihrem Antrag ausschließlich darauf Bezug nehmen. Wenn wir vom wehrhaften Rechtsstaat reden wollen, müssen wir eben auch diejenigen im Blick haben, die ihr Gartentor höher bewerten als jedes Grundgesetz. Sogenannte Reichsbürger erschießen und verletzen Polizisten, horten Waffen und bedrohen Gerichtsvollzieher.
Und wir sollten nicht verschweigen, dass politisch begründete Gewalt kein neues Phänomen ist und im Übrigen auch nicht mit den Geflüchteten in die Bundesrepublik Deutschland gekommen ist. Die deutsche Vergangenheit ist nicht nur durch den staatlichen Terror des Nationalsozialismus geprägt.
Auch im engeren Sinn hat die Bundesrepublik schwere Terrorserien erleben müssen: die RAF in den 70er- und 80er-Jahren. Seit der Wiedervereinigung sind mindestens 179 Menschen Opfer rechter Täterinnen und Täter geworden. Die 1990er-Jahre waren ein Gewaltexzess gegen Migrantinnen, Migranten und alternative Jugendliche. Der NSU hat gemordet, geraubt und seine Opfer aus der Sicherheit heraus verhöhnt. Trotz zahlreicher V-Leute und dem Verfassungsschutz, sehr geehrter Herr Innenminister, blieb der NSU über viele Jahre unentdeckt.
Im Sommer 2000 explodierte - darauf wurde bereits hingewiesen - an der S-Bahn-Haltestelle Düsseldorf-Wehrhahn eine Rohrbombe. Zehn Menschen wurden dabei verletzt. In dieser Woche, fast 17 Jahre später, konnte der mutmaßliche Rechtsterrorist verhaftet werden. Diesem Anschlag folgte wenige Monate später ein Brandanschlag auf die Düsseldorfer Synagoge. Dies gab damals den Anstoß für den sogenannten Aufstand der Anständigen.
Nach einer Welle rechter Gewalt, nach den Brandanschlägen und Pogromen in Solingen, Mölln und Rostock lenkte die Bundesregierung ein. Erstmals wurde eine politische Strategie entworfen, die politische Kriminalität auch als ideologisches Problem und eben nicht nur als sicherheitspolitisches Problem begriff. Die Bundesprogramme zur Demokratieförderung in Ostdeutschland, die späteren Opferberatungen und Bildungsprogramme wurden damals angeschoben - unterfinanziert, angefeindet, umkämpft; dennoch sind sie uns bis heute erhalten geblieben, weil sie eben so bitter notwendig sind.
Alles das, was Gewalt, Radikalisierung und mörderischen Fanatismus verhindern kann, Menschen in einem positiven Selbstbild stärken kann oder Opfer unterstützend begleiten kann, muss ausgebaut werden.
Es sind die sogenannten weichen Themen, die Sozialarbeit, die Elternberatung, die Jugendarbeit, die so unerlässlich für das Zurückdrängen von Gewalt sind. Es ist das, worüber der Stammtisch sehr gern hinweglacht, was aber so wichtig ist, um Leid zu vermeiden.
Wir brauchen eine viel stärkere Aufmerksamkeit auf die Möglichkeiten und Wege der Prävention. Wir müssen uns über Unterschiede und Gemeinsamkeiten politischer Gewalt klarer werden. Sicherheits- und Sozialpolitik zusammenzubringen, das ist die Herausforderung, vor der wir politisch stehen. Einen starken Rechtsstaat wird es eben nur mit einem starken Sozialstaat geben. Das verstehe ich unter der Art zu leben, die ich mir vom Terror nicht kaputtmachen lassen will. - Danke schön.
Vielen Dank, Herr Höhn. Es gibt keine Anfragen. - Als letzter Debattenredner hat Herr Schulenburg das Wort. Sie haben das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der internationale Terrorismus bedroht unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Anschläge von Terroristen hat es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bereits mehrfach gegeben. Die Gefahren und Bedrohungsszenarien, die der islamistische Terror aufzeigt, stellen den Staat vor neue Fragen. Die Pflicht des Staates ist es, geeignete Gegenmaßnahmen zum Schutz seiner Bürgerinnen und Bürgern zu finden, Freiheit und Sicherheit zu gewährleisten.
Die Sicherheit des Staates und die zu gewährleistende Sicherheit der Bevölkerung sind in unserem Rechtsstaat verankerte Verfassungswerte. Terroristische Bedrohungen, die Menschenleben planmäßig vernichten wollen, muss der Staat mit allen rechtsstaatlichen Mitteln wirksam bekämpfen.
Der Rechtsstaat ist Garant von Freiheit und Sicherheit. Das Bedürfnis der Bevölkerung nach Sicherheit ist eng mit den Eingriffen des Staates in die vom Grundgesetz verankerten Menschen- und Bürgerrechte verbunden. Unsere Gesellschaft ist freiheitlich, offen und tolerant. Wir leben in einer wehrhaften Demokratie und in einem Rechtsstaat. Mit allen rechtlichen Instrumenten sind die grundlegenden Freiheitsrechte und damit zugleich die Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu verteidigen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass der Staat das Gewaltenmonopol konsequent durchsetzt.
Zu Recht ist vom Staat zu fordern, dass er gegen die terroristischen Bedrohungen und gegen Kriminalität mit der gebotenen Härte vorgeht. Polizei, Verfassungsschutz sowie unsere Justiz müssen die Menschen effektiv vor Straftaten schützen.
Die Sicherheitspolitik der CDU verfolgt das Ziel, hart gegen das Verbrechen und hart gegen die Ursachen vorzugehen. Auf der Bundesebene unterstützt die CDU die Stärkung der Sicherheitsbehörden, indem die Stellen bei der Bundespolizei, dem Bundeskriminalamt und dem Bundesamt für Verfassungsschutz aufgestockt worden sind. Wir brauchen mehr Polizei auf den Straßen. Mit der Erhöhung des Einstellungskorridors in den nächsten Jahren im Landespolizeidienst haben wir den richtigen Weg eingeschlagen, um den Kontrolldruck zu erhöhen, um Straftaten bereits im Keim zu ersticken und um im Ergebnis Straftaten besser aufklären zu können.
Auf der Landesebene hat das Innenministerium ein sicherheitspolitisches Grundsatzpapier mit dem Titel „Freiheit braucht Sicherheit - Sicherheit braucht Sichtbarkeit“ herausgegeben. Hervorzuheben ist aus unserer Sicht, dass die CDU-Fraktion die weitere stetige Verbesserung der Sach- und Personalausstattung unserer Landespolizei, die Intensivierung der Prävention und die Sicherheitspartnerschaft mit den Kommunen unterstützt.
Eine Bagatellisierung von alltäglichen Straftaten lehnen wir ab. Eine Straftat ist eine Straftat; das gilt auch für den sogenannten zivilen Ungehorsam. Die geltende Rechtsordnung ist uneingeschränkt anzuerkennen.
Bedeutung messen wir der Vorbeugung von Straftaten bei. Die Kriminalprävention ist ein wichtiger Baustein zur Verhütung weiterer Straftaten. Straftäter interessiert es nicht; sie interessieren sich
nicht für die Landes- und Bundesgrenzen. Deshalb setzen wir uns für einen optimalen Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden auf europäischer und internationaler Ebene ein. Die Vereinheitlichung von Datenbanken auf europäischer Ebene ist eine wichtige Voraussetzung, um gerade im Kampf gegen den islamistischen Terror erfolgreich zu sein.
Das bereits im Jahr 2004 geschaffene Terrorismusabwehrzentrum des Bundes und der Länder in Berlin hat hierbei eine wichtige Filter- und Steuerungsfunktion. Die erfolgreiche Zusammenarbeit auf der europäischen Ebene trägt ebenso zu mehr Sicherheit in Europa bei.
In der europäischen Zusammenarbeit ist die Einführung eines effektiven Ein- und Ausreiseregisters notwendig, damit wir wissen, wer, wann und wo in die Europäische Union ein- oder ausreist.
Außerdem stehen wir zu dem Verfassungsschutz unseres Landes. Die Verfassungsschutzbehörden leisten einen elementaren Beitrag zur Aufrechterhaltung unserer freiheitlich-demokratischen
Grundordnung; sie nehmen zur Erlangung von Erkenntnissen über Bedrohungen für die Demokratie eine überaus wichtige Stellung ein.
Durch die Innenminister können Vereinsverbote für Islamisten ausgesprochen werden, wodurch eine weitere Radikalisierung durch sogenannte Hassprediger verhindert wird.
Da sich die elektronische Fußfessel bereits zur Überwachung rückfallgefährdeter Gewaltstraftäter im Einsatz bewährt hat, werden wir uns dafür einsetzten, dass Gefährder in konkreten Einzelfällen mit einer elektronischen Fußfessel überwacht werden. Denn mit der Fußfessel soll das Gefahrenpotenzial von Gefährdern besser beurteilt werden können. Mit einem 24-Stunden-Bewegungsprofil werden die Aufklärungsergebnisse verbessert und eventuelle Fahndungen erleichtert. An dem Einsatz von V-Leuten für die Infiltrierung und Aufklärung der extremistischen und terroristischen Szene ist festzuhalten.
Bei einem größeren terroristischen Anschlag ist der Einsatz der Bundeswehr zwingend notwendig. Bei einer Großschadenslage würde die medizinische Versorgung der Verletzten durch die Bundeswehr die vorhandenen Notärzte und Rettungsdienste entlasten. Die Sicherheitsbehörden müssen im Rahmen von gemeinsamen Übungen mit der Bundeswehr das Zusammenspiel erproben, um für alle eventuellen Einsatzlagen vorbereitet zu sein.
Reisen in terroristische Ausbildungslager sind strafbar. Dschihadisten können die persönlichen Ausweisdokumente entzogen werden, um sie an der Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland zu hindern. Außerdem wurde auf der Bundesebe
ne die Strafbarkeit der Terrorismusfinanzierung verschärft. Wir unterstützen die Neuerungen bei der Abschiebehaft von Gefährdern und die Verlängerung des Ausreisegewahrsams.
Bei den Rücknahmeabkommen ist der Druck auf die Heimatländer zu erhöhen; denn der Fall Amri macht deutlich, wie schwer es den Behörden gemacht wird, Ersatzausweisdokumente zu erhalten. In der Auswertung des Falls Amri wird auch deutlich, dass eine biometrische Videoüberwachung an neuralgischen Punkten, wie an Bahnhöfen, zu einer schnelleren Ergreifung geführt hätte.
Eine Verschärfung des Waffenrechts ist nicht das Allheilmittel, um den rechtswidrigen Einsatz von Schusswaffen zu verhindern. Aber der gezielte Kampf gegen den illegalen Waffenbesitz kann die Gefahr eindämmen.
Verabredungen zu Straftaten oder zu terroristischen Anschlägen in sozialen Medien oder mithilfe von sogenannten Messengerdiensten werden intensiv geführt. Wir müssen die Anbieter zur langfristigen Speicherung von Verkehrsdaten verpflichten. Dabei hat der Datenschutz im Interesse der Allgemeinheit zurückzutreten.
Ich könnte die Aufzählung der bereits umgesetzten und der noch umzusetzenden Maßnahmen weiter fortführen. Fakt ist und bleibt, dass der Rechtsstaat auf terroristische Bedrohungen mit aller Härte reagieren muss. Wir dürfen uns die errungenen Freiheiten nicht nehmen lassen. Wenn wir uns wegen einer erhöhten Angst selbst einschränken, dann hätten Extremisten und Terroristen gewonnen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.