Protokoll der Sitzung vom 02.03.2017

Ich möchte nur darauf hinweisen, dass die Zahl der Bauarbeiter sowie der Anteil der Lehrerinnen und Lehrer, die in der Lage sind, Vollzeit im Beruf das Regelrentenalter zu erreichen, etwa gleich hoch sein dürften. Deswegen ist das Problem bei Weitem nicht nur bei diesen Berufsgruppen so - ein typisches Beispiel sind die Dachdecker -, sondern es ist fast bei allen Berufsgruppen so, dass fast alle, mit Ausnahme der berühmten Uniprofessoren, die mit vier Semesterwochenstunden dann solche Thesen aufstellen, riesige Probleme haben, das Rentenalter zu erreichen, das unter anderem mit der SPD beschlossen worden ist; nur um das einmal zu sagen.

Kollege Steppuhn, ich habe aber eine andere Frage. Dass jetzt alle der Meinung sind, das Rentenniveau sei zu niedrig, ist inzwischen Common Sense; das ist interessant. Die Wege allerdings, das zu beheben, sind unterschiedlich.

Vor Kurzem hat Frau Nahles unter der Überschrift „Betriebsrenten“ wieder ein kapitalgedecktes Rentenversicherungssystem mit öffentlichen Zuschüssen angekündigt, nach Riester-Rente und allem Drum und Dran. Ich frage einmal Sie als SPDVertreter: Was halten Sie davon, zur Behebung dieser Situation, nämlich zu niedrige Renten, noch mehr öffentliches Geld in kapitalgedeckte Rentenversicherungen zu investieren?

Herr Steppuhn, Sie haben das Wort.

Ich glaube, es ist richtig, dass man in der Rentenpolitik verschiedene Wege geht. Herr Kollege Gallert, ich weiß nicht, ob Sie das wissen: Es gibt durchaus auch Tarifverträge, wie zum Beispiel die tarifliche Zusatzrente im Baugewerbe, sogar im Maler- und Lackierer- sowie im Dachdeckerhandwerk, Herr Scheurell, mit kapitelgedeckten Systemen. Das kann man natürlich gesetzlich flankieren. Deshalb würde ich diesen Weg nicht ausschließen.

Im Übrigen sind das Tarifverträge, die weitestgehend auch für Ostdeutschland gelten. Aber kapitalgedeckte private Rentensysteme oder betriebliche Alterssicherungssysteme können natürlich für den Osten nicht die Lösung sein, weil wir zu wenig Tarifbindung in diesem Bereich und auch zu wenig betriebliche Lösungen haben. Deshalb brauchen wir die gesetzliche Rente immer als Grundsystem. Die muss ausgebaut werden. Die muss es letztendlich auch schaffen, dafür zu sorgen, dass Renten armutsfest sind.

Ich möchte jetzt noch zwei Sätze sagen, weil ich vorhin aufgehört habe, und fragen, ob Sie das wissen. Seit wir den Mindestlohn eingeführt haben, sind die Einkommen in Sachsen-Anhalt laut dem Statistischen Landesamt im Jahr 2015 um durchschnittlich 4 % gestiegen. Für das Jahr 2016 liegen die Zahlen für die ersten beiden Quartale vor. Da sind es 3,5 %. Solche Einkommenszuwächse hat es bei uns noch nicht gegeben. Das heißt, der Mindestlohn wirkt. Er wird nicht die Lösung sein. Aber der Mindestlohn wirkt sich positiv auf die Einkommen und somit auch auf die Renten aus. Ich erinnere nur an die ganze Mindestlohndiskussion.

Wir können heute sagen: Dass wir den Mindestlohn eingeführt haben, war geradezu eine Wohltat für unser Land. Der Mindestlohn hat sich bewährt. Er wird auch für die Rente gut sein und helfen, die Renten weiterzuentwickeln.

Es gibt eine weitere Anfrage.

Herr Kollege Scheurell. Bitte, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Kollege Steppuhn, war es nicht eine SPD-geführte Bundesregierung, die sich im Zusammenhang mit der Agenda 2010 gegen den Mindestlohn ausgesprochen hat?

(Tobias Rausch, AfD: Richtig! - Zustim- mung bei der AfD)

Sie tun ein Stück weit Ihren - -

(Zuruf)

- Es ist doch alles gut. - Sie tun auch ein Stück weit - -

(Zuruf)

- Das ist doch klar. Ich wollte ja nur daran erinnern.

(Guido Heuer, CDU, lacht)

Sie haben vorhin den St. Martin so nett ins Spiel gebracht.

(Zuruf von Dr. Falko Grube, SPD)

- Den werde ich ab jetzt so nennen. Jawohl, Falko.

(Hannes Loth, AfD, lacht)

Der heilige St. Martin, der jetzt über das Land geht und die Charts reißt, wo war der eigentlich 2005?

Herr Steppuhn, bitte.

Ich glaube, Martin Schulz war da schon in Europa.

(Ulrich Thomas, CDU: Er war dabei, aber er will es nicht gewesen sein! - Ministerpräsi- dent Dr. Reiner Haseloff: Der war unschul- dig!)

Er war nicht im Deutschen Bundestag. Wir können diese ganze Diskussion führen. Aber für uns ist entscheidend, was wir morgen und in der Zukunft für eine Politik machen. Darum geht es bei der Bundestagswahl.

Was den Mindestlohn angeht: Um da jeder Legendenbildung - -

(Zurufe von der AfD - Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Einen kleinen Moment, Herr Steppuhn. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie den Redner doch wenigstens seine Worte zu Ende bringen.

Um da jeder Legendenbildung entgegenzuwirken: Die Sozialdemokraten sind in diesem Land diejenigen gewesen, die den Mindestlohn durchgesetzt haben. Das war in einer bestimmten Situation. Sie haben von 2005 und davor gesprochen, Herr Kollege Scheurell. Damals war selbst bei den Gewerkschaften noch nicht die Erkenntnis gewachsen, dass wir einen gesetzlichen Mindestlohn brauchen.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Das dauert manchmal länger!)

Auch in der politischen Diskussion waren wir noch nicht so weit, dass wir uns in dieser Frage einig waren. Ich sage sehr deutlich: Es war damals ein großer Fehler, dass wir den Mindestlohn nicht schon mit Hartz IV eingeführt haben; denn dann hätten wir heute eine ganz andere Diskussion und würden viel besser dastehen.

(Zustimmung von Ministerin Petra Grimm- Benne)

Vielen Dank, Herr Steppuhn. Es gibt keine weiteren Anfragen. - Jetzt hat Herr Knöchel für DIE LINKE noch die Gelegenheit zu erwidern, weil die Ministerin nach der Einbringung gesprochen hat. Insofern dürfen Sie noch einmal ein paar Worte sagen.

Bevor Sie aber das Wort von mir erteilt bekommen, habe ich die ehrenvolle Aufgabe, Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Stadtfeld aus Wernigerode hier im Hohen Hause begrüßen zu dürfen. Herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Sie haben das Wort, Herr Knöchel.

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Der Beschluss der Bundesregierung vom 15. Februar und die Reaktion des Ministerpräsidenten haben uns veranlasst, zum einen diesen Antrag einzubringen und zum anderen die Aktuelle Debatte zu fordern. Denn für wenige Bundesländer spielt die Rentenentwicklung eine so wichtige Rolle wie für Sachsen-Anhalt. Die Altersstruktur in unserem Bundesland dürfte Ihnen bekannt sein. Da unterstützt die Opposition schon einmal den Herrn Ministerpräsidenten - -

(Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff: Das könnt ihr morgen beim Haushalt auch ma- chen!)

- Morgen nicht, Herr Ministerpräsident. - Da unterstützt die Opposition schon einmal den Ministerpräsidenten bei seinem Anliegen. Aber da kommt

dann seine Koalition und macht aus einem Antrag eine Bittschrift an die Bundesregierung. Darin sagt die Landesregierung, sie wolle handeln. Dazu sagt die Koalition aber: Das interessiert uns nicht. Wir bitten die Bundesregierung. - Das finden wir albern.

(Beifall bei der LINKEN)

Da ist die Frage: Meinen Sie das so oder wollten Sie einfach nur einmal wieder einen Antrag verändern, damit Sie keinem Antrag der LINKEN zustimmen müssen? - Nein, Sie meinen das so, wenn ich die Debatte hier reflektiere; denn das Problem der Rentenangleichung Ost haben Sie noch nicht erkannt.

Sie haben einen ganzen Blumenstrauß an Argumenten herausgezogen: zuerst Herr Harms das Gewöhnliche, nämlich die 40-jährige Geschichte. Ja, Herr Harms, die Lohnunterschiede haben eine 40-jährige Geschichte. Aber wir haben seitdem auch eine 27-jährige Geschichte misslungener Rentenangleichung.

(Beifall bei der LINKEN)

Hierbei geht es um die Frage der Gerechtigkeit. Hierbei geht es um die Frage der Bewertung von Lebensleistung. Ein Rentner, der am 3. Oktober 1990 in Rente gegangen ist, muss 100 Jahre alt werden, damit er Ihre Rentenangleichung erlebt. Das hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun, meine Damen, meine Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben beantragt, die Landesregierung zu unterstützen. Dann kam die Frau Ministerin hierher und referierte, dass sie das auch tun möchte. Aber Sie wollen Ihre Landesregierung nicht unterstützen.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Wieso das denn?)