Protokoll der Sitzung vom 27.09.2017

Nach der bisherigen Rechtslage können Selbstständige und Verbraucher, die Insolvenz anmelden, nach einer Wohlverhaltensphase von sechs Jahren von ihren restlichen Schulden befreit werden, sodass sie dann ungehindert wieder eine selbstständige Tätigkeit aufnehmen können. In dieser Wohlverhaltensphase müssen sie eine angemessene Erwerbstätigkeit ausüben und ihre pfändbaren Bezüge sowie zum Beispiel eventuelle Erbschaften und ähnliche Einnahmen an die Gläubiger abtreten.

Im europäischen Vergleich sind diese sechs Jahre allerdings ein sehr, sehr langer Zeitraum. Nach britischem Insolvenzrecht ist man zum Beispiel schon nach einem Jahr wieder raus. Auch Frankreich und die USA sind uns da wesentlich voraus.

Zwar können Schuldner bei uns seit 2014 zwar bei entsprechendem „Wohlverhalten“ unter Um

ständen auch schon nach der Hälfte der Zeit von ihren restlichen Schulden befreit werden. Voraussetzung ist, dass der Schuldner innerhalb der ersten drei Jahre mindestens 35 % seiner Schulden beglichen und die Kosten des Insolvenzverfahrens bezahlt hat. Begleicht der Schuldner nur die Verfahrenskosten, erfolgt immerhin noch eine Verkürzung auf fünf Jahre. Ansonsten bleibt es bei dem sechsjährigen Restschuldbefreiungsverfahren. Die Bestimmungen gelten übrigens für alle natürlichen Personen und machen keinen Unterschied zwischen Selbstständigen und Verbraucherinnen und Verbrauchern.

Leider fehlt hier die Beachtung, dass es nach Abschluss dieses Verfahrens noch eine dreijährige sogenannte Sperre bei der Schufa gibt. Da die Schufa die entsprechenden Einträge erst zum Jahresende löscht, kann die Sperre je nach Verfahrensende bis fast vier Jahre ausmachen.

Zum Beispiel sehen Insolvenzverwalter aber in der 35%-Regel eine sehr hohe Hürde, die Schuldner nach den bisherigen Erfahrungen nur in sehr wenigen Ausnahmefällen erfüllen können. Der Anteil der Verfahren, bei denen eine Quote von mehr als 35 % erreicht wurde, liegt nach Aussage einiger Insolvenzverwalter bei weniger als 1 %. Das Ziel der Neuerung, es Privatpersonen zu ermöglichen, ihren Schuldenberg schneller abzutragen, dürfte somit kaum zu erreichen sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren! Letztlich kommt eine kürzere Restschuldbefreiung der gesamten Volkswirtschaft zugute. Es geht darum, Neugründungen zu fördern und verschuldeten Verbrauchern einen möglichst schnellen Wiedereinstieg in das Wirtschaftsleben zu ermöglichen. Eine lange Wohlverhaltensperiode wirkt sich insgesamt negativ auf die Wirtschaftskraft aus.

Untersuchungen zufolge liegt die durchschnittliche Überschuldungsdauer - gerechnet vom Beginn der Überschuldung bis zur Löschung des SchufaEintrags - bei bis zu 14 Jahren. Dass diese Zeit logischerweise zum Motivationsverlust beim

Schuldner führt, muss sicherlich nicht näher erklärt werden.

Für manche Schuldner sind die sechs Jahre der derzeitigen Wohlverhaltensperiode ein kaum zu überblickender Zeitraum. Während der langen Dauer des Wohlverhaltens besteht die akute Gefahr, dass Schuldner ihre Erwerbstätigkeit in die Schattenwirtschaft auslagern und ihre Einkünfte rechtswidrig und schwer kontrollierbar dem Zugriff der Gläubiger entziehen.

Aber natürlich darf auf keinen Fall einer Mentalität Vorschub geleistet werden, die den eigenen Konsum auf Pump finanziert. Eine Verkürzung der Wohlverhaltensperiode bis zur endgültigen Restschuldbefreiung kann und sollte man deshalb von

bestimmten Voraussetzungen abhängig machen, zum Beispiel davon, ob die Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz vielleicht daher rührt, dass der Hauptauftraggeber zahlungsunfähig geworden ist und viele Sub- oder Kleinunternehmer oder auch Selbstständige mit in den Strudel gerissen hat.

Obwohl viele die Situation nicht direkt beeinflussen konnten und sie auch ansonsten eigentlich keinerlei Mitschuld trifft, werden sie zumeist ebenfalls in die Insolvenz getrieben. Ich finde, in diesen Fällen muss für die Betroffenen eine frühere Beendigung der Insolvenz möglich sein.

Das Gleiche sollte aber auch für diejenigen gelten, die zum Beispiel durch Krankheit und/oder Arbeitslosigkeit in den Ruin getrieben wurden. Auch für sie muss eine frühere Restschuldbefreiung möglich gemacht werden, damit ein Neustart beginnen und erfolgreich sein kann. - Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der LINKEN)

Vielen Dank. Es gibt keine Anfragen. - Bevor wir in die Debatte mit einer Redezeit von drei Minuten je Fraktion einsteigen, hat die Landesregierung das Wort. Ministerin Frau Keding wird hierzu sprechen. Sie haben das Wort, bitte.

Vielen Dank. - Sehr geehrte Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das „Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur

Stärkung der Gläubigerrechte“, ein Gesetz des Bundes, ist im Wesentlichen und in dem hier maßgeblichen Teil zum 1. Juli 2014 in Kraft getreten. Es ist damit gerade einmal drei Jahre alt. Es stellt die zweite Stufe einer umfassenden Reform des Insolvenzrechts dar.

Gescheiterten Unternehmern und Personen, die auch infolge von Lebensrisiken wie Krankheit, Arbeitslosigkeit und Scheidung in Insolvenz geraten sind, soll ein schneller finanzieller Neuanfang ermöglicht werden.

Insbesondere ermöglicht das Gesetz redlichen Schuldnerinnen und Schuldnern erstmals, das Restschuldbefreiungsverfahren bereits nach drei oder fünf Jahren zu beenden. Voraussetzung dafür ist, dass sie innerhalb dieses Zeitraums die Kosten des Verfahrens bezahlt haben und - bei einer Verkürzung auf drei Jahre - eine Mindestbefriedigungsquote von 35 % erfüllt haben.

Die Höhe dieser Mindestbefriedigungsquote war im Gesetzgebungsverfahren durchaus umstritten. Ursprünglich sah der Gesetzentwurf der Bundesregierung eine Quote von 25 % vor. Der Bundesrat hat die Problematik gerade dieser Änderung in seinem Beschluss vom 7. Juni 2013 aufgegriffen

und die bereits von Gesetzes wegen vorgesehene Evaluierung nach vier Jahren ausdrücklich begrüßt. Zugleich hat sich der Bundesrat zeitnah ausdrücklich weitergehende Maßnahmen vorbehalten für den Fall, dass Restschuldbefreiungen nach bereits drei Jahren in kaum nennenswertem Umfang erfolgen.

Genau dazu wird die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag bis zum 30. Juni 2018 zu berichten haben. Der Bundesgesetzgeber hat im Jahr 2013 nämlich eine Evaluierung mit vierjähriger Laufzeit und Berichtsfrist für die Bundesregierung festgelegt. Eine Evaluierung ist erst nach einer gewissen Wirkungszeit möglich, sinnvoll und notwendig. Aber weder das Ende der Laufzeit noch das der Berichtsfrist sind bis heute erreicht. Wie sollte es auch anders sein, wenn die Dreijahresfrist für die Restschuldbefreiung für die ersten Fälle erst im Juli 2017 abgelaufen ist.

Derzeit werden die ersten Daten bei den Insolvenzgerichten erhoben. Um überhaupt einen ersten, noch sehr vagen Eindruck gewinnen zu können, müssen die Daten nach dem Ablauf der Dreijahresfrist zunächst über einige Monate bei den Insolvenzgerichten ermittelt und sodann ausgewertet werden. Diese Datenerhebung läuft derzeit. Eine Vorverlegung des Evaluierungsberichts erscheint mir unter Berücksichtigung des derzeitigen Verfahrensstandes nicht sinnvoll.

Der Rechtsausschuss des Bundestages hat im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens bereits ausgeführt - ich zitiere -:

„In Deutschland stehen derzeit keine Daten über die Höhe der möglicherweise […] erreichbaren Befriedigungsquoten zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund wird die Bundesregierung verpflichtet, die Auswirkungen des Gesetzes zu evaluieren und dem Deutschen Bundestag Bericht zu erstatten. […]

Der Bericht soll vier Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes vorgelegt werden. Dieser Zeitraum ist für eine aussagekräftige Evaluierung erforderlich.“

Dem bleibt mir nichts hinzuzufügen. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU, bei der SPD und von Olaf Meister, GRÜNE)

Vielen Dank, Frau Ministerin! Ich sehe keine Anfragen. - Somit steigen wir in die Dreiminutendebatte ein. Erster Debattenredner wird für die SPDFraktion der Abg. Herr Hövelmann sein. Sie haben das Wort, bitte schön.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Geschätzte Kollegin

nen und Kollegen der Linksfraktion, nicht jeder Antrag, der vorgibt, Menschen in einer sozialen Schieflage zu entlasten, ist auch sinnvoll. Dieser jedenfalls ist es nicht.

(Zustimmung bei der AfD - Tobias Rausch, AfD: Richtig!)

- Vorsicht mit dem Applaus! - Warum? - Ihr Antrag sagt, kurz gefasst, aus: Die für eine Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens gesetzlich vorgeschriebene Mindestbefriedigungsquote ist zu hoch. Die Landesregierung soll sich dafür einsetzen, dass diese abgesenkt wird. Dafür soll die Evaluierung vorgezogen werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrter Herr Höppner, haben Sie sich angesehen, was der Bundesrat im Jahr 2013 bei der Verabschiedung des Gesetzes über die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens beschlossen

Der Bundesrat hat seinerzeit Folgendes erklärt:

Erstens halten wir die Quote für zu hoch. Frau Ministerin hat deutlich gemacht, dass schon damals die Absenkung von 35 auf 25 Prozentpunkte erfolgt ist.

Zweitens hat der Bundesrat beschlossen: Aber wir - der Bundesrat - verzichten auf die Anrufung des Vermittlungsausschusses, weil der Bundestag unseren Vorschlag aufgegriffen hat, das Gesetz nach vier Jahren zu novellieren. Das werden wir abwarten. Punkt. - So weit die damalige Position der Länder.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Genau so ist es!)

Die vier Jahre sind bald um; das Evaluierungsergebnis muss zum 30. Juni 2018 vorliegen. Das ist in neun Monaten.

Nun soll Ihrer Meinung nach die Landesregierung in den Bundesrat gehen und einen Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Evaluation initiieren. Jetzt einmal ganz praktisch: Das nächste Bundesratsplenum ist im November 2017. Mit etwas Glück würde sich der neu konstituierte Bundestag im Januar 2018 mit einem Gesetzentwurf befassen. Es spricht also vieles dafür, dass Ihr Gesetz zur Verkürzung der Evaluierungsfrist, würde es denn mehrheitsfähig sein, erst in Kraft tritt, wenn die Evaluierung nach geltendem Recht bereits abgeschlossen ist. Das - mit Verlaub - ist Unsinn.

Wie Sie am damaligen Beschluss sehen, gibt es in den Ländern viel Sympathie für eine niedrigere Mindestbefriedigungsquote, also das, was Sie inhaltlich wollen. Aber auch wenn die neue Bundestagsmehrheit diese Auffassung teilen sollte, wird sie das nicht einfach umsetzen, sondern sie wird das Evaluierungsergebnis abwarten und sich dann eine eigene Meinung bilden. Meine sehr ver

ehrten Damen und Herren, das sollten auch wir tun und den Antrag der Linksfraktion ablehnen. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD, von Siegfried Borgwardt, CDU, und von Olaf Meister, GRÜNE)

Vielen Dank, Herr Abg. Hövelmann. - Der nächste Debattenredner wird für die AfD-Fraktion der Abg. Herr Daniel Rausch sein. Sie haben das Wort, bitte schön.

Werte Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete! „Insolvenzrecht vereinfachen - zweite Chance ermöglichen“ - Diese Überschrift Ihres Antrags, werte LINKE, hört sich im ersten Moment vernünftig an. Die Aussage an sich ist richtig, Ihr Antrag jedoch ist unsinnig.

Ja, ich bin der Meinung, dass man unverschuldet in die Insolvenz getriebenen Unternehmen und auch Privatleuten eine zweite Chance geben sollte. Wir alle kennen die Beispiele: Da ist der Subunternehmer, der vom Generalunternehmer für seine Leistung kein Geld oder nur einen Teilbetrag erhält; da ist der Dachdecker, der das neue Dach nicht bezahlt bekommt, und da ist der Maschinenbauer, der wegen politischer Sanktionen seine Produkte nicht mehr nach Russland verkaufen darf.

Aber, werte LINKE, dieses Problem können wir mit einer Änderung des Insolvenzrechts nicht lösen. Wir brauchen einen anderen Ansatz. Unsere Gesellschaft sollte darüber nachdenken, wie man Insolvenzen verhindern kann. Was wir brauchen, ist eine schnellere Rechtsprechung, damit die geprellten Unternehmen zu ihrem Geld kommen, damit die Bonität nicht schon allein wegen der Verfahrensdauer geschwächt wird.

Was wir brauchen, ist eine neue Kaufmannsehre: Was bestellt wird, wird auch bezahlt. Die deutschen Tugenden müssen wieder in die Wirtschaft Einzug halten: Redlichkeit, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Sparsamkeit.