Ob diese 103 % erreicht werden, das ist für uns, für die SPD-Fraktion, ein entscheidender Maßstab, an dem sich die Koalition schulpolitisch messen lassen muss. Technische Parameter, wie zum Beispiel VZÄ-Ziele, sind Instrumente, die diesem Ziel dienen müssen, aber eben nicht umgekehrt.
Wir nehmen für uns auch in Anspruch, dass wir seit der Landtagswahl alles daran gesetzt haben, um aus dem Parlament heraus die Regierung und insbesondere das Bildungsministerium dabei zu unterstützen, dass es die erforderliche finanzielle Ausstattung für die gemeinsam definierten Ziele erhält.
Es ist schade, dass mit dieser Hilfe aus dem Parlament dem Bildungsminister manchmal bestimmte Dinge geradezu aufgedrängt werden mussten. Ich erinnere nur an unseren Vorstoß mit den 250 zusätzlichen Lehrerstellen im Rahmen der Haushaltsberatungen, aus denen dann zwar nur 80 Stellen geworden sind, aber immerhin.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe vor einigen Wochen hier im Hause gesagt: Die Entwicklung an den Schulen läuft in die falsche Richtung. Ich habe heute leider keinen Anlass, dies anders zu beurteilen. Ehrlich gesagt, sehe ich die Trendwende, die wir alle uns wünschen, heute noch nicht.
Lassen Sie mich das an drei konkreten Beispielen festmachen. Erstens haben die bedarfsmindernden Maßnahmen eben nicht die Effizienz gesteigert, sondern haben den Belastungsdruck für die Kolleginnen und Kollegen erhöht. Dies geht insbesondere zulasten des Fachunterrichts, und das macht es den Schulen noch schwerer als bisher, bestimmte Schülerinnen und Schüler besonders zu fördern, Zusatzangebote zu unterbreiten und eigene Schulprofile zu entwickeln oder weiterzuentwickeln.
Zweitens. Es war wirklich ein Fehler, die Sprachlehrerinnen und Sprachlehrer nicht fest in den Schuldienst einzustellen. Das liegt zwar schon eine Weile zurück, aber die Schulen spüren die Auswirkungen dieser Entscheidung, nämlich dass nicht mehr in ausreichendem Maße Sprachlehrerinnen und Sprachlehrer an den Schulen Sachsen-Anhalts vorhanden sind, Tag für Tag. Denn die Kinder, die eine besondere Sprachförderung brauchen, sind noch da und es kommen auch immer wieder neue hinzu, und zwar keineswegs nur aus Flüchtlingsfamilien, sondern im Rahmen ganz normaler Zuwanderung, eben auch aus der EU.
Dafür, dass ihnen dieses pädagogische Angebot wieder genommen wurde, zahlen nicht nur die unmittelbar Betroffenen, sondern alle Kinder einen hohen Preis; denn beim gemeinsamen Lernen
Drittens zu den Neueinstellungen von Lehrerinnen und Lehrern zum Beginn des Schuljahres. Die „Mitteldeutsche Zeitung“ hat neulich eine namentlich nicht genannte Abgeordnetenkollegin von der CDU mit den Worten zitiert: „Mehr als Lehrerstellen anbieten kann man nicht“, und dazu treffend kommentiert: „Doch, das kann man.“
Denn es gibt Beispiele, die zeigen, dass es anders geht und dass andere Länder größere Erfolge haben im Wettstreit um neue Lehrerinnen und Lehrer. Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen sind hierfür gute Beispiele.
Ja, wir wissen, dass das Bildungsministerium sich die Bewerberinnen und Bewerber nicht backen kann und dass die Konkurrenz hart ist, weil eben viele Länder spät dran sind mit der Entscheidung, verstärkt in die Bildung zu investieren.
Wenn aber andere Länder Erfolge bei der Werbung um junge Lehrerinnen und Lehrer haben, diese aber bei uns bisher nicht - jedenfalls noch nicht in dem gleichen Ausmaß - spürbar sind, dann muss es auch andere Probleme geben und wir müssen uns die Ursachen anschauen. Diese Ursachen, meine Damen und Herren, kann man eben nicht nur Jens Bullerjahn und Stephan Dorgerloh anlasten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Tullner hat beim Start der Volksinitiative gesagt - er hat es auch heute in seiner Rede noch einmal betont -, er sieht die Aktion als Rückenwind. Das sieht meine Fraktion genauso. Aber die Volksinitiative übt zugleich Druck auf die Politik aus. Wenn dieser Druck Nutzen bringen soll, wenn aus dem Druck von außen Nachdruck für schulpolitische Vorhaben werden soll, dann sollten alle Beteiligten dafür sorgen, dass der Druck eben auch dauerhaft und nachhaltig wirkt.
Ich halte - dieser Vorschlag ist nicht neu - einen runden Tisch „Schulpolitik“ unverändert für das geeignete Instrument, um aus dem allgemeinen Anliegen der Volksinitiative konkrete Verbesserungen für die Schulen zu entwickeln.
Solche konkreten Verbesserungen werden wir aber ohne einige klare Richtungsentscheidungen nicht erreichen. Die erste Richtungsentscheidung betrifft den Bereich der Gewinnung von Seiten- und Quereinsteigern für den Schuldienst. Darüber werden wir heute Nachmittag im Rahmen der Debatte zur Schulgesetznovelle diskutieren.
Wir brauchen zweitens eine Richtungsentscheidung in der Haushaltspolitik; denn wir werden das Ziel der Unterrichtsversorgung von 103 % nicht erreichen ohne mehr Lehrerstellen, ohne mehr Einstellungen. Deshalb führt an einer entsprechenden Prioritätensetzung in künftigen Haushalten kein Weg vorbei.
Und wir brauchen drittens eine Richtungsentscheidung für die Kooperation von Bund und Ländern in der Bildungspolitik. Die Herausforderungen, die wir bewältigen müssen, sind einfach so groß, dass sie nicht nur auf den Schultern der einzelnen Länder ausgetragen werden können.
Im Bundesrat gibt es dazu seit einiger Zeit einen Antrag des Freistaates Thüringen. Es besteht die Möglichkeit, dass dieser im Rahmen der Bundesratssitzung in der nächsten Woche auch vonseiten unserer Landesregierung mit Nachdruck unterstützt werden wird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ein Jammer! In unseren Schulen sitzen heute Kinder und Jugendliche, die mehr Chancen haben, sich das Wissen der gesamten Menschheit anzueignen, als jede Generation vor ihnen. Die Kids brauchen keine technische Kompetenz für das digitale Lernen; die haben sie uns fast alle längst voraus. Sie brauchen Lehrerinnen und Lehrer, die ihr pädagogisches Wissen in der digitalisierten Welt einsetzen können.
Machen wir uns nichts vor, gerade deshalb brauchen wir nicht einfach mehr, sondern vor allen Dingen auch jüngere Lehrerinnen und Lehrer. Gerade zur Bewältigung dieser Herausforderungen können Seiten- und Quereinsteiger ein großer Gewinn sein.
Deshalb - ich komme zum Schluss -: „Think big!“ müsste das Motto der Bildungspolitik in Bund und Ländern sein. Kleine, manchmal winzige Schritte sind stattdessen die Realität. Die Volksinitiative macht uns heute deutlich, dass wir so nicht weitermachen können. Deshalb noch einmal: herzlichen Dank.
Liebe Kollegin Frau Kolb, ich habe eine Nachfrage. Ich bin eine Person, die lieber nach vorn schaut als zurück,
aber trotzdem kann ich Ihnen das jetzt nicht ersparen. Sie haben jetzt dargestellt, welche Initiativen Ihre Fraktion, natürlich gemeinsam mit der Koalition, ergriffen hat, haben aber insbesondere auf eine Initiative hingewiesen, und zwar die bezüglich der 250 Lehrerstellen.
Aus meiner Sicht hat Herr Tullner mehr als ein schweres Erbe aus der Vergangenheit übernommen, was den Lehrerbedarf anbelangt.
Dafür mache ich nicht nur eine Person verantwortlich. Aber Sie, Frau Kolb, saßen in der letzten Legislaturperiode direkt mit am Kabinettstisch.
Sie hätten das mehr als alle anderen, die hier sitzen, beeinflussen können, und stellen sich heute hier hin und urteilen über Herrn Tullner, was er alles falsch gemacht hat.
Ich finde es schon dreist, wenn man sich nun hier hinstellt und Kritik übt, obwohl man selber in sehr hoher Verantwortung stand.
Fehler sind gemacht worden und da können wir alle uns nicht herausziehen. Aber das so zu bewerten, wie Sie es eben bewertet haben, das finde ich schon mehr als dreist.
(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der AfD - Zuruf von Jürgen Barth, SPD - Weite- re Zurufe von der SPD und von der AfD)
(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der AfD - Zurufe von Katrin Budde, SPD, von Jürgen Barth, SPD, und von Dr. Falko Gru- be, SPD)
Frau Abgeordnete, Sie können, wenn es sich hier etwas beruhigt hat, gern darauf antworten, Sie müssen es aber nicht.
(Zurufe von Dr. Falko Grube, SPD, und von Katrin Budde, SPD - Stefan Gebhardt, DIE LINKE: Was für eine einige Koalition!)
Frau Feußner, ich habe nicht gesagt, dass Herr Tullner etwas falsch gemacht hat. Ich habe ausdrücklich bedauert, dass es im Rahmen der Haushaltsberatungen eben nicht gelungen ist, die finanziellen Mittel in den Haushaltsplan einzustellen,
die für mehr Lehrereinstellungen notwendig sind. Wir haben dazu einen konkreten Vorschlag gemacht. Wir wären auch bereit gewesen, über einzelne Finanzierungsmodalitäten zu reden.
Ja, ich habe in der letzten Landesregierung am Kabinettstisch gesessen. Und ja, wir haben auch damals für mehr Lehrerinnen und Lehrer gekämpft gegen einen Finanzminister,
(Eva Feußner, CDU: Ich kann mich daran nicht erinnern! - Robert Farle, AfD: Das war Ihr Finanzminister!)