Protokoll der Sitzung vom 26.01.2018

Jetzt kommen wir - - Sie sind Ausdruck dieses Zynismus. Darüber müssen wir hier nicht mehr lange reden, liebe Kollegen von der AfD.

(Zuruf von der AfD: Sie doch ebenfalls!)

Jetzt reden wir vielleicht ein bisschen über die Dinge, wer zu uns kommt und wer eigentlich berechtigt ist, hier zu bleiben.

(Zurufe von der AfD)

Sind die subsidiären Flüchtlinge eine Gefahr? Sind diejenigen, die zu uns kommen, eine Gefahr?

(Unruhe bei der AfD)

Dafür brauchen wir überhaupt keine Ausnahmeregelung. Es gibt den § 4 Abs. 2 im Asylgesetz. Dort steht ganz klar: Jemand, der Straftaten begangen hat, jemand, der in irgendeiner Art und Weise selbst Akteur kriegerischer Handlungen gewesen ist, jemand, der eine Gefahr für die öffentliche Ordnung hier ist, ist schon als subsidiär Schutzberechtigter längst ausgeschlossen. Er kann weder einen Antrag stellen, noch kann ein solch betreffendes Familienmitglied hierher kommen.

(Zurufe von der AfD)

Das funktioniert und geht überhaupt nicht. Dafür brauchen wir keine Ausnahme und auch keine Verlängerung. Deswegen stellen wir hier den Änderungsantrag: Weg mit dieser Sonderregelung. Lassen Sie die alten Regelungen wieder gelten.

(Beifall bei der LINKEN)

Und dann, liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es Schätzungen von Forschern, und die sagen etwas über die Zahlen aus. Die sagen, je nachdem, wie weit man diesen Kreis fasst, gibt es in etwa 120 000 bis 160 000 Familienmitglieder, die von Menschen mit subsidiärem Schutz nachgeholt werden könnten.

Natürlich wissen wir auch, dass aus dem Bundesinnenministerium damals die Zahlen nach oben gepusht worden sind, um eine entsprechende Ausnahmeregelung für die damalige Koalition zu begründen. Das ist aber keine substanzielle Grundlage für uns.

Jetzt haben sich Forscher hingesetzt und gesagt, wir können über 120 000 und 160 000 Familienmitglieder reden. Jetzt nehmen wir einmal als Vergleichszahlen: Wie stark sind denn diese Möglichkeiten bisher überhaupt in Anspruch genommen worden von der viel, viel größeren Zahl anerkannter Asylbewerber, 450 000, die Anspruch darauf haben? Wie hoch ist die Zahl derjenigen, die aus den Kriegsgebieten mit einem gesicherten Status diesen Anspruch vollständig haben und ihn genutzt haben?

Die Analysen gehen dahin, dass ungefähr 27 bis 45 % überhaupt nur diese Möglichkeiten in Anspruch genommen haben. Entweder, weil sie gar keine andere Chance hatten oder weil sie es nicht wollten. Wir reden hier über 60 000 bis 80 000 Menschen im Jahr. Wir reden über 2 000 maximal für Sachsen-Anhalt.

Und - das will ich auch sagen -: Wir reden am Ende des Tages über familiären Schutz. Wir reden über Solidarität. Wir reden über Humanismus und radikale Reduzierung von Mitteln, die wir zurzeit für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ausgeben müssen, die, wenn wir ihre Eltern oder nur einen Elternteil nachholen könnten, ausgesprochen viel günstigere Integrationsbedingungen haben und außerdem noch richtig viel Geld sparen würden. - Danke, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen lehnen wir diesen Antrag ab.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Gallert. Es gibt keine Anfragen. - Wir kommen zum nächsten Debattenredner. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abg. Herr Striegel. Sie haben das Wort, Herr Abgeordneter.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn die Debatte bisher eines deutlich gemacht hat, dann ist es die Frage der fehlenden Humanität bei den Rednern der AfD und die Tatsache, dass sich, insbesondere bei den Fragestellern, das Expertentum beim Familiennachzug bei der AfD allenfalls darauf beschränkt, Familien in die Fraktion nachzuholen.

Als Koalitionsfraktionen lehnen wir den Antrag der AfD ab. Wir verabschieden stattdessen einen Alternativantrag. Das hat zwei maßgebliche Gründe. Der erste ist ein politisch-strategischer. Wer Ankommen ermöglichen will und Integration einfordert, der muss den Familiennachzug ermöglichen.

Wie sollen denn Minderjährige, deren Eltern nicht einreisen dürfen, hier im Land ankommen? Wie

soll man ihnen vermitteln, willkommen zu sein, wenn man gleichzeitig ihre Eltern in Kriegsgebieten sitzen lässt?

Das gleiche gilt für Ehemänner und Väter, deren Frauen und Kinder im Heimatland festsitzen. Wer sich um seine Liebsten existenzielle Sorgen machen muss, der wird keine neue Sprache lernen können. Der wird sich nur schwerlich um Einbindung und Kontakt bemühen. Dafür ist die Belastung, die eigenen Angehörigen weiterhin dem Schrecken des Krieges ausgesetzt zu wissen, viel zu groß.

Das führt dann direkt zum zweiten grundsätzlichen Argument, der Menschlichkeit. Es ist schlicht schäbig, aus politischem Kalkül und nationalistischem Dünkel Familien zu entzweien.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der LIN- KEN - Zurufe von der AfD)

Bei Ihnen, den Rassisten der AfD, entsetzt es mich, aber es überrascht mich nicht.

(Zurufe von der AfD)

Wenn aber die ehemalig christlichen Parteien, voran die CSU, die ansonsten gerne das Bild der Familie als Keimzelle der Gesellschaft sieht und in ihrer Politik von dieser ausgeht, den Familiennachzug verweigern, kann ich das dann auch inhaltlich nicht nachvollziehen.

Mir geht es da wie Norbert Blüm, der Mitte November letzten Jahres in den Medien wie folgt zitiert wurde:

„Es widerspricht den Grundüberzeugungen der christlichen Soziallehre, den Familiennachzug, für wie viele Flüchtlinge auch immer, zu verbieten.“

Und an die damaligen Jamaika-Verhandler gerichtet:

„Wenn der Familiennachzug ausgerechnet an der CDU scheitert, wünsche ich jedem Redner der Partei, dass ihm fortan das Wort im Hals stecken bleibt, wenn er die hehren Werte der Familie beschwört.“

Doch nicht nur die christliche Soziallehre begründet einen Familiennachzug. Auch die Rechtsprechung hat sich aktuell in Bezug auf den Familiennachzug bei minderjährigen subsidiär Schutzbedürftigen entsprechend entwickelt. Am 18. Dezember 2017 ist ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts rechtskräftig geworden, welches das Auswärtige Amt auffordert, einem inzwischen 16-jährigen Flüchtling aus Syrien umgehend den Nachzug seiner Eltern und Geschwister zu ermöglichen. Der Grund: Der Vorrang des Kindswohls entsprechend der UN-Kinderrechtskonvention.

Hier musste ein Gericht tätig werden; denn die sogenannte Härtefallregelung für subsidiär Schutzbedürftige, die der CDU auf Bundesebene seitens der SPD mühsam abverhandelt wurde, kommt bisher kaum zur Anwendung.

Es ist erfreulich, dass zumindest die Judikative der UN-Kinderrechtskonvention Geltung ver

schafft, wenn es der Bundesgesetzgeber schon nicht tut. Es ist ein rechtsstaatliches und ein menschliches Gebot, Familien ein Zusammenleben zu ermöglichen. Dafür steht meine Fraktion. Und das ist für uns auch nicht infrage zu stellen.

Wir halten es für legitim, dass Familien nicht geschlossen flüchten und Kindern, Schwangeren oder anderen vulnerablen Gruppen die Strapazen einer Flucht erst einmal erspart bleiben.

Wenn dann eine Person losgeschickt wurde, wird diese sich bei erfolgreicher Flucht in einen Drittstaat natürlich bemühen, ihre Familie nachzuholen. Ich halte das für absolut verständlich, für legitim und ja, auch für legal.

Zum Schluss noch eine direkte Frage an die Einbringerin. Dass Sie Ihre Polemik und Diskriminierung von Muslimen wirklich so meinen, wie Sie schreiben, steht wohl außer Frage. Aber glauben Sie eigentlich wirklich an Ihren weiteren Begründungstext? Halten Sie die deutsche Gesellschaft wirklich für an die Grenzen ihrer Belastungsfähigkeit gebracht? Halten Sie die Sozialsysteme für wirklich ohnehin fragil?

(Zurufe von der AfD)

Und wo sehen Sie denn den Steuer- und Beitragszahlern erhebliche Lasten aufgebürdet? - Herr Gallert hat gerade darauf verwiesen. Die Haushaltssituation von Bund und Land ist so gut wie selten.

(Unruhe bei der AfD)

Es wird viel mehr über Steuersenkungen gesprochen als über die Erhöhung welcher Beiträge und Steuern auch immer.

Letztlich sehen wir eine prosperierende Volkswirtschaft und eine lebendige Zivilgesellschaft, die mit Fug und Recht stolz darauf sein kann, integrationsfähig zu sein.

(Lydia Funke, AfD: Ach ja, jetzt!)

Sie zeichnen hier ein Bild des Jammers, das völlig an der Realität vorbeigeht.

(Zurufe von der AfD)

Auch den Nachzug der Familienangehörigen - über die Größenordnung ist heute hier gesprochen worden, wir reden über maximal 120 000 Leute; 2 000 vielleicht für Sachsen-Anhalt - wer

den wir als Gesellschaft solidarisch schultern, und zwar mit links. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustimmung bei der LINKEN - Zurufe von der AfD)

Vielen Dank, Herr Striegel. Es gibt zwei Anfragen von der AfD. Das sind einmal Herr Rausch junior und Herr Raue.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Striegel, uns allen ist doch klar, dass Sie eine sehr diffuse Rechtsauffassung haben. Das zum einen.