Protokoll der Sitzung vom 09.03.2018

(Rüdiger Erben, SPD, begibt sich zum Red- nerpult)

- Jetzt hat er es mitbekommen, jetzt geht er nach vorn. - Herr Roi, Sie haben das Wort.

Vielen Dank. - Herr Erben, ich habe eine Frage. Wir reden jetzt über innere Sicherheit, über Gefährder. Deren Zahl liegt in Sachsen-Anhalt wohl irgendwo bei 30.

Was? Nein.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Wie kommen Sie denn darauf? Das sind maximal zwei!)

Dann sagen Sie mir die Zahl und wo sie zu finden ist. Aber die Zahl ist auch unerheblich; denn ich habe eine ganz andere Frage. In Anhalt-Bitterfeld

gibt es mindestens einen, das ist erwiesenermaßen so.

Meine Frage ist: Finden Sie es in Ordnung, dass ein Gefährder unter den Uma bei uns in AnhaltBitterfeld auf die Kommune verteilt wurde, dort lebt, sich dort frei bewegt und tagsüber von Kräften der inneren Sicherheit, also von Polizeikräften und von Zivilbeamten, überwacht wird? Dann, als im Ausschuss nachfragt wurde, bekommt er ein neues Zuhause, kommt in eine Nachbarkommune. Dort wird er jetzt auch überwacht, über 24 Stunden hinweg, mit teilweise vier Beamten, die dort in einem Bus sitzen und über 24 Stunden hinweg beobachten, was er macht.

(Zuruf von Robert Farle, AfD)

Finden Sie das in Ordnung? Finden Sie, es ist die richtige Herangehensweise, so vorzugehen? Oder sollten wir dafür nicht andere Unterbringungsmöglichkeiten nutzen, die ohnehin im Land vorhanden sind? - Es verunsichert doch die Leute, wenn die Gefährder durch unsere Städte laufen und bewaffnete Beamte hinterherlaufen. Die Leute fragen sich: Was ist denn hier eigentlich los? - Mich würde interessieren, wie Sie das sehen, ob Sie meinen, dass das so in Ordnung ist.

Zum Schluss kam dann noch die Frage. Vorher kam immer nur: Finden Sie das in Ordnung? - Ich habe mich gefragt, was ich in Ordnung finden sollte.

Zunächst, Herr Roi: Ich weiß ich nicht, wie Sie auf die Zahl 30 kommen. Die kenne ich nicht. Man muss, wenn man Mitglied der PKK ist, immer kurz überlegen, was man wo berichtet bekommen hat. Deswegen will ich mich nicht in den Graubereich des Geheimnisverrats begeben, sondern will mich der öffentlichen Äußerung des Innenministers anschließen, dass wir im kleinen einstelligen Bereich solche in Sachsen-Anhalt haben. Dann habe ich zumindest keinen Geheimnisverrat begangen.

Die sogenannte offene Begleitung ist ein Instrument nach dem Polizeirecht, genauso wie es eine elektronische Fußfessel ist. Ich kenne Ihren Fall jetzt nicht ausreichend, aber das ist nicht das erste Mal in diesem Lande, dass Leute auf diese Weise begleitet worden sind, im Übrigen auch deutsche Kinderschänder - um den Begriff an dieser Stelle zu verwenden -, die vergleichsweise offen begleitet worden sind, in Quedlinburg zum Beispiel.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Auch in Insel!)

- Ja. - Insofern kann ich das in Ordnung finden, nämlich deswegen, weil damit eine Gefahr abgewehrt wird.

(Zuruf von Tobias Rausch, AfD)

Das ist im Übrigen auch die Voraussetzung, um eine solche Maßnahme anzuwenden.

(Zustimmung von Silke Schindler, SPD, von Ronald Mormann, SPD, und von Florian Philipp, CDU)

Danke. Damit sind wir am Ende des Redebeitrages. - Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abg. Frau Quade.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist übersichtlich, was mit dem Gesetzentwurf passieren wird. Er wird in den Innenausschuss überwiesen, wo wir uns zu den einzelnen Regelungen konkret und intensiver verständigen können. Um das vorwegzunehmen: Meine Fraktion wird der Überweisung natürlich zustimmen, schon um die aus unserer Sicht kritischen Punkte näher beleuchten zu können.

Der entscheidende Punkt der beabsichtigten Neuregelung kommt auf dem Papier und auch in der Einbringung hier im Grunde etwas undurchsichtig und unspektakulär daher, verbirgt sich hinter Begriffen wie „Weiterentwicklung des Instrumentes des Aufenthaltsverbotes“ oder „Handlungsstörer“, ist aber im Kern ein einfach zu benennender, die elektronische Fußfessel für sogenannte Gefährder.

Schon da fängt es an. Was genau ein Gefährder ist, ist nicht per Legaldefinition geklärt. Es ist ein Arbeitsbegriff der Polizei, der immer wieder bemüht wird, jedoch im Wesentlichen unbestimmt ist.

Das ist mit Blick auf die weitreichenden Konsequenzen, die die Anordnung eines Aufenthaltsverbotes oder gar einer Fußfessel haben, ein erhebliches Problem, und zwar ein ganz grundsätzliches. Es spiegelt eine prinzipielle Tendenz im Bereich der Sicherheitsgesetze wider, Kompetenzen auszudehnen, Maßnahmen möglich zu machen, aber nicht klar zu definieren, unter welchen Bedingungen eigentlich.

Bestimmtheit und Verhältnismäßigkeit sind die rechtsdogmatischen Kategorien dafür. Daran

krankt auch dieser Gesetzentwurf, genauso an der dritten großen Kategorie, nämlich der Geeignetheit.

Der von Ihnen im Gesetzentwurf vorgeschlagene Weg der elektronischen Fußfessel wird objektiv kein Mehr an Sicherheit bringen. Im Gegenteil: Er gaukelt Menschen nur Sicherheit vor.

Die Debatten dazu sind immer wieder die gleichen. Es ereignet sich ein Terroranschlag und

neue oder mehr Befugnisse für die Sicherheitsbehörden sollen die Antwort sein.

Ich sage Ihnen ganz deutlich: Wer nach Terrortaten reflexartig immer wieder neue Eingriffsbefugnisse fordert, höhlt einerseits die Grundrechte der Menschen aus, vor allem erweist er sich als unfähig, die vorhandenen Eingriffsbefugnisse sinnvoll, umfänglich und koordiniert zu nutzen; siehe Causa Anis Amri.

(Beifall bei der LINKEN)

Für uns als LINKE ist sehr klar: Ängste müssen ernst genommen werden. Gefahren müssen erkannt werden und auch gebannt werden. Aber: Sicherheitsversprechen, die eine geplante Maßnahme gar nicht erfüllen kann, braucht nun wirklich niemand.

Wenn eine Maßnahme objektiv ungeeignet ist, eine Gefahr tatsächlich zu verkleinern, dafür aber erhebliche Grundrechtseingriffe für einen eben nicht näher zu bestimmenden Personenkreis mit sich bringt, dann ist die mit uns nicht zu machen. Wir lehnen daher den geplanten Einsatz von Fußfesseln zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten prinzipiell ab.

Die Fußfessel ist ein praxisuntaugliches und unverhältnismäßiges Mittel, deren Anwendung auf bloßen Verdacht hin einen eklatanten Bruch mit dem Grundsatz der gesetzlichen Unschuldsvermutung und damit eben auch der Rechtsstaatlichkeit darstellt.

Im Fall der vorbeugenden Bekämpfung von terroristischen Straftaten, bei den sogenannten Gefährdern, handelt es sich um Menschen, gegen die nichts weiter als der bloße Verdacht vorliegt, sie könnten in Zukunft vielleicht ein Verbrechen begehen.

Auf der Basis von Prognosen darf es aus unserer Sicht eben nicht zu freiheitseinschränkenden Maßnahmen kommen; denn es ist gerade nicht so, dass Polizei und Sicherheitsbehörden, wenn sie konkrete Erkenntnisse zu den Gefahren haben, die von einem Menschen ausgehen, dass zum Beispiel jemand einen Anschlag plant, nichts tun können; das ist doch nicht der Fall. Die Frage ist doch eher, ob die vorliegenden Erkenntnisse zum Handeln führen.

Wir haben zudem erhebliche Zweifel an der Geeignetheit der Maßnahme. Keine Fußfessel der Welt und keine Meldeauflage verhindern effektiv einen Terroranschlag, eine Straftat oder auch nur das Untertauchen.

Wir teilen ausdrücklich die Auffassung des Landesbeauftragten für den Datenschutz SachsenAnhalt, der sich im schriftlichen Anhörungsverfahren folgendermaßen geäußert hat: Weil die Auf

enthaltsanordnungen an die Lebensführung der betroffenen Person keine unzumutbaren Anforderungen stellen und die Wahrnehmung berechtigter Interessen nicht unmöglich machen dürfen, kann die betroffene Person weiterhin potenziell gefährdete Orte aufsuchen. - Die neuen Befugnisse sind somit eben nicht geeignet und kein probates Mittel zur Begegnung einer terroristischen Gefahr. Sie sind und bleiben bloße Symbolpolitik.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Maßnahme ist aus unserer Sicht rechtlich mehr als fragwürdig, sie ist grundrechtsgefährdend, sie ist praktisch in Bezug auf die Sicherheit wirkungslos; daran ändert auch eine Befristung auf drei Jahre wirklich gar nichts.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben es mit einem Placebo mit erheblichen Nebenwirkungen für die Einzelnen und die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit zu tun. Insofern gehe ich von einer kritischen Debatte in den Ausschüssen aus. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abg. Herr Striegel.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach schweren Verbrechen, Terrorakten oder auch schlicht aus Anlass einer Innenministerkonferenz ist das Fordern von Gesetzesverschärfungen sattsam bekannt. Das ist gelegentlich erschöpfend und führt manchmal auch zu hastiger Gesetzgebung. Meist ist es aber nachhaltig mit negativen Effekten für Grund- und Bürgerrechte verbunden, und die Forderung nach der Einführung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung, der sogenannten elektronischen Fußfessel, im präventiven Bereich, fällt grundsätzlich auch erstmal in dieses Raster.

Schon lange steht sie auf der Wunschliste technikaffiner Law-and-order-Politiker und wurde nach dem Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz, ja, zum Wundermittel, zur Allzweckwaffe stilisiert, die entscheidende Beiträge leisten könne, zukünftige Anschläge zu verhindern.

Die Lautstärke des Lobs der Fußfessel wurde nur durch das dröhnende Schweigen der Zuständigen für das Behördenversagen um die Beobachtung des Attentäters Anis Amri übertönt. Um diese Versäumnisse aufzuklären, gibt es nun endlich einen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages. Das hat mehr als ein Jahr gedauert. Vermutlich trägt dieser Ausschuss mehr zur Ab

wehr zukünftiger Gefahren bei, als es die Fußfessel je kann, wobei ich nicht ausschließe, Herr Kollege Erben, dass die Fußfessel durchaus auch einen Beitrag leisten kann. Das will ich gar nicht ausschließen. Aber wir sollten trotzdem an dieser Stelle, um ein ausgewogenes Bild zu bekommen, auch über die Skepsis reden.

Ich möchte beispielhaft den Fall eines mittels elektronischer Fußfessel überwachten islamistischen Gefährders aus Bayern heranziehen. Der Kollege von der AfD hat es schon erwähnt. Dieser reiste im Oktober letzten Jahres während einer Überwachung über den Flughafen HamburgFuhlsbüttel nach Athen aus, obwohl ihm die Behörden jederzeit schwere Gewalttaten zutrauten und er an der Seite islamistischer Milizen gekämpft haben soll.

Mehrere Stunden lang empfing die gemeinsame Überwachungsstelle der Länder in Bad Vilbel nach dem Abflug kein Signal von der Fußfessel. Als dann das Signal wieder kam, musste es aufgrund des Auslandsaufenthaltes des Gefährders sofort abgestellt werden. Hieran erkennt man doch eines ganz genau: Mehr Eingriffsbefugnisse der Sicherheitsbehörden heißt nicht gleichzeitig mehr Sicherheit für die Bevölkerung.

Wie mein Kollege Ströbele schon im Bundestag ausführte, wird der Träger einer elektronischen Fußfessel doch überhaupt nicht daran gehindert, zu laufen, sich irgendwo hinzubegeben, in einen Lastwagen oder - wie in diesem Fall - in ein Flugzeug zu steigen oder gar zu morden. Die Fußfessel setzt, wie auch ein israelischer Hersteller solcher Geräte bemerkt, zwingend die Kooperation des sie Tragenden voraus; denn die Fußfessel selbst ist nur ein Band mit Sender, der ein Signal an eine Station abgibt, wenn die Person einen bestimmten Bereich betritt, der Sender sich außerhalb der Reichweite dieser Station befindet oder man sich an dem Sender in irgendeiner Form zu schaffen macht.