Protokoll der Sitzung vom 19.04.2018

(Unruhe)

Das ist eine Zwischenintervention.

(Heiterkeit - Zuruf von der LINKEN: Ein Ko- referat!)

Es ist schön, dass Sie schon immer gleich wissen, dass ich etwas zur Sache sagen werde.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Das mit der Sache ist so eine Sache!)

Die Sache ist sehr einfach. Sie sind völlig unglaubwürdig mit Ihrer Haltung, auch Sie, Frau Schindler. Das ist völlig unglaubwürdig. Aufgrund medialer Berichterstattung, aufgrund mehrerer Showanträge hier in diesem Parlament haben Sie in die Ermittlungen eingegriffen und die Justiz

ministerin dazu gedrängt, eine Neuaufrollung des Falles Oury Jalloh durchzuführen.

(Beifall bei der AfD - Zurufe von der AfD: Jawohl!)

Da war es nicht politisch motiviert. Da war es völlig unpolitisch. Da war es rein im Dienste der Rechtspflege. Jetzt sage ich Ihnen: Das einzige Interesse, das die AfD-Fraktion hat, ist, dass dieser Fall rechtlich und tatsächlich sauber aufgeklärt wird. Das ist unser Interesse. Wenn eine Staatsanwaltschaft noch gar nichts ermittelt hat und am Tag nach der Tat zu solchen Äußerungen kommt, haben wir ganz erhebliche Zweifel. Sie als Justizministerin haben jetzt die Möglichkeit, zu beweisen, dass Sie auch in diesem Fall

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Frau Schind- ler ist nicht Justizministerin!)

alles tun, was zur Aufklärung notwendig ist. Wenn das nicht geschieht, gibt es ein parlamentarisches Mittel, und das ist ein Untersuchungsausschuss.

(Zurufe von der AfD: Jawohl!)

Wenn Sie sich darum nicht kümmern, wird das hier zu einem großen Thema und einer Rücktrittsforderung.

(Beifall bei der AfD)

Herr Farle, auch im Zusammenhang mit dem Fall Oury Jalloh habe ich hier immer wieder darauf verwiesen, dass wir nicht die Arbeit der Staatsanwaltschaft machen, dass wir hier kein Ermittlungsverfahren machen, sondern dass wir uns dann einmischen, wenn es um entsprechende verfahrensrechtliche Widersprüche geht. Aber wir machen hier keine staatsanwaltschaftliche Ermittlung.

Hören Sie sich die Rede Ihres Redners, Herrn Lehmann, an. Darin ging es nicht um irgendwelche Verfahrensregelungen.

(Zustimmung von Olaf Meister, GRÜNE)

Da ging es um politische Anklage, dass es hier um einen politischen Fall geht. Genau das ist Ihre Motivation.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Danke. - Nur noch einmal den Standardhinweis, Herr Farle: Bitte bei einer Intervention die Rednerin oder den Redner ansprechen und nicht, wie Sie es eben ausdrücklich getan haben, die Justizministerin, die sich jetzt eigentlich hätte dazu äußern müssen. Sie kann das aber nicht, weil sie nicht am Rednerpult steht.

(Robert Farle, AfD: Entschuldigung!)

Noch einmal ausdrücklich: Intervention immer auf die Rede desjenigen beziehen, der gerade aktuell an der Reihe war. - Danke.

Dann können wir in der Debatte fortfahren. Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abg. Frau von Angern.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Am 10. November 2017 berichteten im Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung sowohl die Justizministerin als auch der Generalstaatsanwalt Konrad ausführlich zum Stand der Ermittlungen und zum Tathergang zu einer Körperverletzung mit Todesfolge in Wittenberg am 29. September 2017. Es wurde zum einen dargestellt, dass es sich nach einer vorläufigen Einschätzung der Staatsanwaltschaft aufgrund der Auswertung einer Videoaufzeichnung um Notwehr gehandelt habe; denn vier Staatsanwälte sahen die Voraussetzung für Notwehr als gegeben an, und es wurde festgestellt, dass es keine sachlichen Differenzen in der Bewertung zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft gegeben habe. Der Selbstbefassungsantrag der AfD damals wurde einstimmig für erledigt erklärt.

Circa fünf Monate danach liegt uns jetzt ein Antrag der AfD mit dem Anliegen vor, dass die Justizministerin den Generalstaatsanwalt mit den Ermittlungen zur Tötung des Marcus H. in Wittenberg betrauen solle. Wenn dieser Antrag auch nicht beschlossen werden wird, so lohnt ein Blick in die Begründung des Antrages, in der sich die Antragstellerin Sachverhalte und Tatsachen so zurechtbiegt, dass diese in ihr Weltbild, in ihre Grundhaltung und Überzeugung passen.

Somit ist man weit entfernt vom hohen Gut der Gewaltenteilung und dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Justiz. Fakt ist: Ein Mensch ist durch einen anderen Menschen zu Tode gekommen, und das ist sehr tragisch. Aber ich möchte auch gleich deutlich sagen: Mensch ist gleich Mensch. Dass dieser Tod durch die Justiz vorurteilsfrei zu untersuchen und aufzuklären ist, steht in einem Rechtsstaat doch wohl außer Frage.

(Zuruf von der AfD: Leider nicht!)

Dazu gehören die erforderlichen Ermittlungen durch die Polizei, aber auch durch die Staatsanwaltschaft.

Ich gehe - auch mangels heute vorgetragener Gegenbeweise - davon aus, dass dies im vorliegenden Fall bisher geschehen ist und weiterhin geschehen wird, wie es Recht und Gesetz erfordern.

Was uns vorliegt, ist eine sehr fragwürdige Einschätzung der AfD-Fraktion in ihrer Begründung zum Antrag; denn dort wird behauptet, dass - ich zitiere - „die Berichterstattung im Rechtsausschuss erheblich von den Tatsachen abweicht, die nach gesicherten Erkenntnissen der AfD-Fraktion vorliegen“. Man spricht weiter von „Falschaussagen“ den Ausschussmitgliedern gegenüber. Das ist eine sehr harte Wortwahl. Auch heute ist sie nicht untersetzt worden.

Worin diese gesicherten Erkenntnisse bestehen und worauf sie begründet sind, bleibt das Geheimnis der AfD. Dem Landtag sind sie jedenfalls nicht bekannt. Aber der soll heute über diesen Antrag entscheiden. Sollte die AfD die Absicht hegen, mittels nicht belegter oder belegbarer Behauptungen die Justiz instrumentalisieren zu wollen?

Immerhin ist die AfD mit einer weiteren Behauptung recht schnell bei der Sache. Ich zitiere:

„Die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau

legte sich ungewöhnlich schnell bereits am 2. Oktober 2017 in einer Presseerklärung fest und bewertete die todbringenden Schläge des Syrers als Notwehrhandlung.“

Man spricht von Falschbewertungen der Staatsanwaltschaft. Nun, woher nimmt die AfD-Fraktion ihre Überzeugung, da sei eine Staatsanwaltschaft recht schnell in ihrer Festlegung? Woher kommen die Erkenntnis und Anschuldigung, dass es sich um eine Falschbewertung handelt? Weil es in die Absicht, in die eigentlichen Zielstellungen des Antrags der Antragstellerin passt? - Zumindest spräche dies für meine Vermutung einer beabsichtigten Instrumentalisierung der Justiz.

Mag bis zu diesem Zeitpunkt alles noch als fragwürdig und zweifelhaft erscheinen, so schafft folgende Unterstellung ein gewisses Maß an Klarheit. Ich zitiere: „Der Fall Marcus H. wird von der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau augenscheinlich mit wenig Intensität verfolgt. Mutmaßlich wird hier wegen des ethnisch-kulturellen Konfliktpotenzials versucht, den Täter zum Opfer umzudefinieren.“ Via „augenscheinlich“ und „mutmaßlich“ will also die AfD in Verfahrensabläufe der Justiz und damit des Rechtsstaats eingreifen. Ich kann nur sagen, ganz bewusst finden die Worte „augenscheinlich“ und „mutmaßlich“ in juristischen Ausarbeitungen keine Anwendung.

Eigentlich möchte ich an dieser Stelle sagen, das können Sie doch alles gar nicht ernst meinen. Allerdings befürchte ich, nein, und ich weiß es sogar: Sie meinen das sehr ernst, und das lässt Rückschlüsse auf Ihr Verständnis von Recht, Rechtsstaatlichkeit und Rechtsstaat zu, wie Sie sich das vorstellen und wünschen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie fragen zuallererst nach der Herkunft von Opfern oder Tätern, anstatt Recht und Gesetz vorurteilsfrei zur Geltung verhelfen zu wollen. Was bleibt, ist Ihr sattsam, auch hier im Haus bekannter Rassismus.

(Oh! bei der AfD)

Da kann ich Ihnen nur erneut versichern: Nicht mit uns!

(Beifall bei der LINKEN, bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abg. Herr Striegel.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein junger Mann erliegt in Wittenberg infolge einer körperlichen Auseinandersetzung unter noch ungeklärten Umständen seinen Verletzungen. Das ist tragisch, und das macht traurig. Ein Leben ist unwiderruflich verlorengegangen. Eine Familie hat einen geliebten Menschen verloren. Für Angehörige und Freunde des Toten ist damit nichts mehr, wie es war. Im Rechtsstaat sind die Umstände dieses Todes zu klären. Sollte es dafür Verantwortliche geben und ein Straftatbestand verwirklicht sein, müssen diese zur Verantwortung gezogen werden.

Die Polizei hat im Auftrag der zuständigen Staatsanwaltschaft die Ermittlungen aufgenommen. Sie befragt Zeugen, wertet Beweismittel aus. Durch eine unabhängige Staatsanwaltschaft wird entschieden, ob ein hinreichender Tatverdacht gegen eine Person begründet werden kann und welche Umstände die Tat begleiteten. In diesem Stadium des Verfahrens befinden wir uns. Es wird nun durch die Staatsanwaltschaft zu entscheiden sein, ob Anklage beim zuständigen Gericht erhoben, weitere Ermittlungen geführt oder das Verfahren eingestellt wird.

Im Falle einer Anklage entscheiden unabhängige Richterinnen und Richter über die Eröffnung der Hauptverhandlung oder die vorläufige Einstellung des Verfahrens. Später wird gegebenenfalls ein Urteil zu sprechen sein. So funktioniert ein rechtsstaatliches Verfahren.

Die AfD möchte in ihrem Antrag in ein laufendes Ermittlungsverfahren eingreifen. Im Rechtsausschuss haben wir Ihren Antrag als unzulässig zurückgewiesen. Im Plenum werden wir Ihren Versuch, in Sachsen-Anhalt eine politisch gesteuerte Strafjustiz zu etablieren, durch Ablehnung Ihres Antrags vereiteln. Ihr Vorgehen erinnert mich an undemokratische Systeme, gleichgeschaltete Systeme, in denen die gesetzgebende Gewalt und die

die Gesetze ausführenden Organe nicht zu unterscheiden sind, Systeme, in denen Richterinnen und Richter nicht mehr nur dem Gesetz unterworfen sind, sondern dem Willen der Regierung oder gar einer Partei. Wir sollten aus unserer Geschichte gelernt haben und Fehler nicht wiederholen.

Schon im Rechtsausschuss habe ich hinreichend deutlich gemacht: In unserem Land ist der Gewaltenteilungsgrundsatz in der Verfassung verankert. Eine Einflussnahme der Gewalten auf ihre unabhängige Entscheidung in einzelnen Verfahren darf es nicht geben. So funktioniert Rechtsstaat nicht.

Lassen wir die Strafverfolgungsbehörden ihre Arbeit machen. Sie stehen in der Pflicht, den Tod eines jungen Mannes in Wittenberg aufzuklären. Ich kann im Gegensatz zu den Mitgliedern der AfD derzeit keinerlei Hinweise auf eine Falschbewertung der Staatsanwaltschaft erkennen. Aufgabe der Politik ist es nicht, in den Aufgabenbereich der Ermittlungsbehörden einzugreifen. Dieses Recht bleibt aktuell den Verletztenvertretern bzw. Nebenklägern vorbehalten.

Lassen Sie es mich deutlich sagen: Was Sie mit Ihrem Antrag versuchen, ist nicht nur ein Angriff auf die Justiz im Einzelfall. Ihr Antrag - auch die Kollegin Schindler hat es schon deutlich gemacht - entlarvt Sie zugleich als Heuchler. Vor etwas mehr als einem Jahr, im Januar 2017, haben Sie die Abschaffung des Weisungsrechts der Staatsanwaltschaft gefordert. Ihr damaliger Antrag sprach gegenüber der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit diesem Weisungsrecht als potenziellem Willkürrecht und vordemokratischem Fremdkörper.