Protokoll der Sitzung vom 31.01.2019

Eine Fachkraft, die fünf Tage pro Jahr für interessenbezogene Weiterbildung fehlt, ist doch wohl mehr wert als eine komplett unbesetzte Stelle.

(Zuruf von Angela Gorr, CDU)

Von der Motivation des Einzelnen, die dadurch entsteht, und dem Mehrwert, den ein Blick über den Tellerrand hinaus hat, ganz zu schweigen.

Um den Bogen zum Anfang meiner Rede zu spannen: Vor 100 Jahren haben das viele Arbeitgeber erkannt und haben die Gründung der Volkshochschulen unterstützt. Also stimmen Sie bitte unserem Gesetzentwurf zu. - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sehe keine Fragen an die Einbringerin. Deswegen kommen wir nun zur Dreiminutendebatte. Für die Landesregierung spricht als Erster der Abgeordnete - - Entschuldigung, es spricht der Minister Herr Tullner.

(Wolfgang Aldag, GRÜNE: Er ist doch auch ein Abgeordneter!)

- Ja, aber er spricht jetzt als Minister.

(Zuruf von Siegfried Borgwardt, CDU)

Bitte, Sie haben das Wort.

Habt ihr euch jetzt geeinigt? - Okay. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Ausnahme von Bayern und Sachsen verfügen alle Bundesländer über ein Bildungsfreistellungsgesetz. Auch wenn die Bezeichnungen der Gesetze unterschiedlich sind, die Zielrichtung ist die gleiche: der Anspruch von Arbeitnehmern auf Freistellung von

der Arbeit zum Zwecke der Weiterbildung in anerkannten Bildungsveranstaltungen.

Das Land Sachsen-Anhalt verfügt seit 1998 über ein Bildungsfreistellungsgesetz, welches im Jahr 2003 im Rahmen des Zweiten Investitionserleichterungsgesetzes dahin gehend geändert wurde, dass ausschließlich Bildungsmaßnahmen, die thematisch einer berufsspezifischen Weiterbildung oder Qualifikation dienen, anerkennungsfähig sind.

In dem letzten Bildungsfreistellungsbericht des Landes aus dem Jahr 2016 wurde festgestellt, dass die Bildungsfreistellungsquote deutlich angestiegen ist, von 0,37 % auf 0,61 %. Diese Quote fällt jedoch im Vergleich zu anderen Bundesländern relativ gering aus. Das Land Rheinland-Pfalz verzeichnet zum Beispiel eine Freistellungsquote von 2 %, das Land Niedersachsen von ca. 1,5 %. Ein vollständiger Vergleich aller Bundesländer ist allerdings nicht möglich, da nicht alle Bundesländer eine Berichtspflicht gesetzlich verankert haben. Somit liegen keine vollständigen Daten vor.

Woran liegt nun die vergleichsweise geringe Quote der Inanspruchnahme von Bildungsfreistellungen in Sachsen-Anhalt? - Die Gemengelage ist wie immer vielschichtig. Sie lässt sich jedenfalls nicht, wie in dem Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE suggeriert, nur darauf reduzieren, dass bestimmte Bereiche, zum Beispiel Veranstaltungen zur politischen Bildung, nicht anerkennungsfähig sind. Es spielen vielfältige Faktoren eine Rolle. So ist anzunehmen, dass das Bildungsfreistellungsgesetz sowohl bei Arbeitgebern als auch bei Arbeitnehmern noch nicht ausreichend bekannt ist.

Darüber hinaus hat das Land Sachsen-Anhalt im Gegensatz zu den genannten Ländern RheinlandPfalz und Niedersachsen eine sehr kleinteilige Wirtschaftsstruktur, also viele kleine und mittelständische Unternehmen. Die Inanspruchnahme von Bildungsfreistellungen wirkt sich für den einzelnen Arbeitgeber damit unmittelbar aus, sodass die Arbeitgeber eher zurückhaltend bei der Umsetzung sind. Gleiches gilt dann auch für die Arbeitnehmer, die diese Zurückhaltung spüren. Der Fachkräftemangel verstärkt dieses Verhalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr 2018 wurden beim Landesverwaltungsamt als der antragsbearbeitenden Stelle durch 321 Veranstalter 1 084 Anträge auf Anerkennung von Bildungsveranstaltungen entsprechend § 8 des Bildungsfreistellungsgesetzes gestellt. 995 Anträge wurden bisher positiv beschieden, 653 Anträge wurden für die jeweilige Bildungsveranstaltung erstmalig gestellt.

Im Vergleich zum Jahr 2017 ist hierbei ein Anstieg um etwa ein Viertel zu verzeichnen. Das bestätigt den in dem letzten Bildungsfreistellungsbericht er

kennbar gewordenen deutlich steigenden Trend. Den nächsten Bildungsfreistellungsbericht werde ich dem Hohen Hause übrigens im Jahr 2020 vorlegen.

Der vorliegende Gesetzentwurf sieht nunmehr eine Ausweitung der anerkennungsfähigen Themenfelder um gesellschaftspolitische, kulturelle und ehrenamtsbezogene Bereiche vor. Hierzu lohnt ein Blick auf die von den anerkannten Einrichtungen der Erwachsenbildung erteilten Unterrichtsleistungen nach Programmbereichen im Jahr 2017.

Von den insgesamt ca. 324 000 durchgeführten Unterrichtsstunden lassen sich insgesamt ca. 30 % den Programmbereichen gesellschaftspolitische Bildung und kulturelle Bildung zuordnen. Von den 21 000 Teilnehmertagen an Heimvolkshochschulen waren es sogar drei Viertel.

Aussagefähig ist in diesem Fall auch die Verteilung der Präferenzen von Teilnehmern im Hinblick auf die Programmbereiche der besuchten anerkannten Bildungsveranstaltungen. Im Jahr 2016 nahmen laut dem Erwachsenenbildungsbericht 2017 von insgesamt ca. 160 000 Teilnehmern rund 30 % am Unterricht in dem Programmbereich Politik, Gesellschaft und Umwelt teil. Der Programmbereich Kunst und Kultur umfasste ca. 15 % der Unterrichtsleistungen, der Bereich Arbeit und Beruf ca. 12 %.

Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass größere Unternehmen und der gesamte Bereich der öffentlichen Verwaltung eigene Fort- und Weiterbildungsangebote für die Beschäftigten vorhalten. Auch die Landeszentrale wäre in diesem Kontext zu nennen, aber mit Blick auf das blinkende rote Licht verzichte ich jetzt darauf.

Letztlich kann geschlussfolgert werden, dass die politischen, kulturellen und ehrenamtsbezogenen Bildungsangebote von den Bürgern gut angenommen werden und dass ein großes Interesse besteht, sich auch außerhalb des Arbeitstages mit diesen Themen zu befassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Koalitionsvertrag trifft folgende Aussage: Wir halten es für sinnvoll, den Bereich der politischen Bildung wieder als Themenfeld in das Bildungsfreistellungsgesetz aufzunehmen. Dieser Diskussion werden wir uns jetzt stellen. Gegenstand der anstehenden Diskussion sollten unter anderem auch Fragen der Qualitätssicherung, der anerkennungsfähigen Zeitformate und innovativer Lehr- und Lernformen sein.

Ich empfehle eine Überweisung des Gesetzentwurfes in die Ausschüsse für Bildung und Kultur sowie für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisie

rung. Ich schlage eine umfassende Anhörung aller Beteiligten, insbesondere auch der Vertreter der Wirtschaft, vor. - Vielen Dank.

Danke. Ich sehe keine Fragen an den Minister. - Ich stelle eine Überschreitung der Redezeit durch die Landesregierung von zwei Minuten fest. Das bedeutet, dass wir nunmehr nicht bei einer Dreiminutendebatte, sondern bei einer Fünfminutendebatte angelangt sind.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Die Wette ha- ben wir gewonnen!)

Der erste Nutznießer dieser Zeitverlängerung ist der Abg. Herr Steppuhn von der SPD-Fraktion, der nunmehr das Wort erhält.

(Zuruf von Siegfried Borgwardt, CDU)

Schauen wir mal. Der Kollege Borgwardt weiß schon, was ich sagen will. - Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Minister Tullner als mein Vorredner hat die Koalitionsvereinbarung bereits zitiert. In dieser heißt es in der Tat: Wir halten es für sinnvoll, den Bereich der politischen Bildung wieder als Themenfeld in das Bildungsfreistellungsgesetz unseres Landes aufzunehmen.

Ich füge hinzu: Als Sozialdemokraten halten wir es sogar für überaus sinnvoll, dies zu tun. Deshalb erwarten wir von Ihnen, sehr geehrter Herr Minister Tullner, ganz klar, dass Sie für die Landesregierung alsbald einen Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Bildungsfreistellungsgesetzes vorlegen.

(Zustimmung von Silke Schindler, SPD)

Das neue Gesetz sollte zugleich sowohl den Bereich der beruflichen Bildung stärken und die Freistellungsmöglichkeiten verbessern als auch die politische Bildung wieder neu aufnehmen. Gerade in der heutigen Zeit, meine Damen und Herren, ist es mehr als erforderlich, den politischen Diskurs im Rahmen von Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen.

Politische Bildung zu ermöglichen und gesellschaftspolitische Debatten fachlich durch qualifizierte Bildungsarbeit zu begleiten, stärkt zugleich die Grundlagen unserer Demokratie. Im Rahmen von Weiterbildungsmaßnahmen etwas über die Grundlagen unserer Verfassungen in Bund und Land zu erfahren, sich mit den Aufgaben von Parlamenten zu befassen oder auch etwas über den Unterschied zwischen demokratischen und totalitären Systemen zu erfahren, trägt aus meiner Sicht zur Demokratieförderung bei.

Im Übrigen, meine Damen und Herren, gilt Gleiches für die Historie unseres Landes als zweigeteiltes Land mit geschlossenen Grenzen und den damit verbundenen Entwicklungen. Sich damit zu beschäftigen, was der Nationalsozialismus angerichtet hat, dass Europa uns über Jahrzehnte Frieden und Freiheit gebracht hat, all das könnte Bestandteil von politischer Bildung in einem modernen Weiterbildungsgesetz sein.

Auch erwachsene und im Beruf stehende Menschen sollten die Möglichkeit haben, sich im Sinne von lebenslangem Lernen weiterzubilden, und dies nicht nur zum Nutzen des Arbeitgebers, sondern auch sowohl zur beruflichen Weiterentwicklung als auch zur Persönlichkeitsentwicklung.

Meine Damen und Herren! In vielen Bundesländern ist man dabei schon weiter als bei uns in Sachsen-Anhalt. Das Engagement von Ehrenamtlichen kann auch durch Weiterbildung gestärkt werden. Deshalb wäre auch der Bereich der Engagementförderung einzubeziehen.

Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf der LINKEN ist sicherlich eine gute Grundlage für die Diskussion in den Ausschüssen. Allerdings wäre es gut, die Diskussion auf der Grundlage eines Gesetzentwurfes der Landesregierung zu führen. Die Weichen hierfür sind in dem bereits erwähnten Koalitionsvertrag gestellt worden. Ich habe schon deutlich gemacht, dass wir von dem Bildungsminister erwarten, dass wir in Kürze einen Gesetzesvorschlag bekommen, wie es auch in der Koalitionsvereinbarung ausgesagt ist.

Deshalb schlage ich für meine Fraktion vor, nicht, wie von Herrn Minister Tullner vorgeschlagen, schon jetzt eine Anhörung mit allen Beteiligten durchzuführen, sondern dies dann auf der Grundlage des Gesetzentwurfes der Landesregierung und natürlich auch auf der Grundlage des Entwurfes der Fraktion DIE LINKE zu tun.

Für die Koalition bitte ich darum, den Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Bildung und Kultur und zur Mitberatung in die Ausschüsse für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung sowie für Arbeit, Soziales und Integration zu überweisen. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung von Silke Schindler, SPD, und von Jürgen Barth, SPD)

Ich sehe auch hierzu keine Fragen. Für die Fraktion der AfD spricht der Abg. Herr Raue. Herr Raue, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich wollte ich meine Rede mehr oder weniger nur an die Linkspartei richten. Ich bin jetzt einigermaßen entsetzt,

(André Poggenburg, fraktionslos: Ich auch!)

dass Ihre Vorschläge in der Koalition einen solchen Zuspruch erfahren. Demzufolge, meine Damen und Herren, müssen Sie sich jetzt mit angesprochen fühlen. Auch wenn ich Sie alle nicht im Einzelnen benennen werde, dürfen sich doch CDU, SPD und GRÜNE jetzt mit angesprochen fühlen.

Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Freistellung von der Arbeit für Maßnahmen der Weiterbildung ist die Partei DIE LINKE in Verbindung mit den Fraktionen der CDU, der SPD und der GRÜNEN wieder einmal dabei, einen ideologischen Bock zu schießen.

Ganz grundsätzlich und richtigerweise zielt das Bildungsfreistellungsgesetz in seiner derzeitigen Form darauf ab, thematisch ausschließlich berufsspezifische Weiterbildungen in betrieblicher Dienstzeit bei voller Lohnfortzahlung zu ermöglichen. Dies hat seine Begründung in der Tatsache, dass ein Angestellter seine berufliche Qualifikation auf Kosten des Arbeitgebers erhalten oder erweitern kann und der Arbeitgeber im regulären Unternehmensbetrieb von der Qualifikation seiner Angestellten profitieren soll.

Prinzipiell trägt das jetzige Gesetz somit dazu bei, berufsbezogenes Know-how, Standards, Neuerungen und Informationen in der betrieblichen Belegschaft zu festigen und zu sichern. Nichts anderes will das Gesetz und nichts anderes als berufsbezogene Weiterbildung werden wir unterstützen.