verbindlicher Qualitätsstandards und verpflichtender Qualifikationsanforderungen an Familienrichter*innen, Verfahrensbeistände und Gutachter*innen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! In der Familiengerichtsbarkeit werden Entscheidungen getroffen, die erhebliche Auswirkungen auf Familien und auf die Biografien von Kindern haben. Häufig handelt es sich um hoch konflikthafte Streitigkeiten zum Sorge- und Umgangsrecht sowie um sehr komplexe Kinderschutzverfahren.
Im Jahr 2010 wurden an den Amtsgerichten in Sachsen-Anhalt 16 682 Familiensachen abgeschlossen; im Jahr 2016 waren es bereits 19 453 Verfahren. Nicht in all diesen Verfahren waren tatsächlich auch Kinder betroffen, aber auch in diesem Bereich ist die Tendenz steigend. Im Jahr 2010 wurden in 1 705 Familiensachen Verfahrensbeistände berufen. Im Jahr 2016 waren es bereits 3 155 Fälle, womit wir beim eigentlichen Thema wären. Ich zitiere:
„Kinder haben das Recht, auch vor Gericht ernst genommen zu werden. Das gilt in Sorgerechtsverfahren genauso wie in Kindschaftssachen, wenn Kinder von der Jugendhilfe in Obhut genommen werden [...]. Wir wollen, dass Kinder bei Gericht in angstfreier Atmosphäre Gehör finden und über die Schritte informiert werden, wann immer sie das verlangen. Deshalb wollen wir eine hochwertige und verpflichtende Qualifizierung aller Beteiligten“.
Das sagte die Vorsitzende der Kinderkommission, Bettina Wiesmann, Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Mit dieser Intention entstand entstand auch die Empfehlung der Kinderkommission des Bundestages, die wir mit dem heute vorgelegten Antrag aufgegriffen haben.
Meine Damen und Herren! Eltern, die sich getrennt haben und denen es nicht gelungen ist, ihre vorhandenen Konflikte privat oder außergerichtlich zu klären, tun dies dann in aller Regel bei Gericht. Dabei lassen Sie sich durch einen Anwalt vertreten, den sie sich frei gewählt haben. Jedoch von der Trennung betroffene Kinder haben diese Möglichkeit nicht. Sie haben keine Wahl. Ihnen wird durch das Gericht ein sogenannter Verfah
rensbeistand bestellt. Diesen können die Kinder im Übrigen bisher auch nicht ablehnen oder sich über ihn beschweren.
Aufgabe des Verfahrensbeistandes ist es, die subjektiven und objektiven Interessen des Kindes festzustellen, diese wahrzunehmen und dann auch im Verfahren zu vertreten. Der Verfahrensbeistand ist ordentlicher Verfahrensbeteiligter und nimmt eine Rolle wahr, die landläufig als Anwalt des Kindes betitelt wird.
Durch die Tätigkeit des Verfahrensbeistandes soll gewährleistet werden, dass der Kindswille, der möglicherweise weder von den Eltern noch vom Gericht zutreffend erkannt oder formuliert wird, so authentisch wie möglich vorgetragen wird, weil dieser Wille eben ein essenzieller Bestandteil des Verfahrens ist.
Dies erfordert, dass der Verfahrensbeistand sich auf die persönliche Sicht des Kindes, dessen Ängste und Wünsche und insbesondere dessen Perspektive und Einstellung konzentriert und sie dann auch im Verfahren vorträgt.
In Kindschaftssachen, die stets dem Primat des Kindeswohls folgen sollen, hat der Verfahrensbeistand inzwischen eine sehr tragende Rolle eingenommen. Damit rückt die Frage in den Blick, um welchen Personenkreis es sich bei Verfahrensbeiständen denn handeln sollte, welche Qualifikation, Kenntnisse, welches Wissen, welche Kompetenzen sie einbringen müssen, um als Verfahrensbeistand tätig sein zu können.
Genau an dieser Stelle enttäuscht uns der Blick in das Gesetz. § 158 FamFG regelt lediglich, dass dem Kind ein geeigneter Verfahrensbeistand zu bestellen ist. Mehr nicht. Was heißt „geeignet“? Wann ist man geeignet? Welche Kriterien sind zu erfüllen? Welche Eigenschaften müssen diese Person auszeichnen? - All das beantwortet das Gesetz nicht.
Eine besondere Qualifikation, beispielsweise das Wissen um die UN-Kinderrechtskonvention oder Einfühlungsvermögen oder Psychologie oder Anhörungstechniken, ist gesetzlich nicht fixiert, sodass eben auch die Möglichkeit besteht, dass engagierte Laien bestellt werden.
In der Praxis in Sachsen-Anhalt hat sich gezeigt, dass sehr oft Rechtsanwälte und Sozialpädagogen zu Verfahrensbeiständen bestellt werden. Mit einigem Abstand folgen dann Pädagogen oder Psychologen.
Da es keine Standards gibt, ist hierbei jeweils das Entscheidungsermessen dem Gericht überlassen. Mit Abstand am häufigsten werden Verfahrensbeistände von den Gerichten aufgrund einer persönlichen Bekanntschaft bestellt. Dies allein kann
Viele Gerichte überzeugen sich zudem eben nicht ausreichend von der persönlichen Qualifikation des Verfahrensbeistands, beispielsweise durch Vorlage absolvierter Ausbildungsgänge. Dazu kommt, dass auch die Aus- und Fortbildung zum Verfahrensbeistand nicht anerkannt, nicht standardisiert und auch nicht zertifiziert ist. Hier herrscht meines Erachtens dringender Handlungsbedarf, wenn man weiß, dass auch LobbyVerbände diese Qualifizierungen anbieten.
Meine Damen und Herren! Da es hierbei für einen Verfahrensbeistand außerordentlich wichtig ist, über fundierte Kenntnisse im Umgang mit Kindern, in der Entwicklungspsychologie, in der Bindungstheorie zu verfügen, lassen Sie mich ein Wort zu den Rechtsanwälten sagen, die auch und sehr häufig als Verfahrensbeistände tätig sind.
Die Verfahrensbeistandschaft ist keine anwaltsspezifische Tätigkeit und ist nicht dem Anwaltsberuf vorbehalten. Entsprechend findet sie auch keine Berücksichtigung in der Ausbildung. Ich plädiere ausdrücklich dafür, dass Rechtsanwälte nur dann zum Verfahrensbeistand berufen werden, wenn es im Einzelfall auch schwerpunktmäßig um Rechtskenntnisse geht, wie es im Übrigen auch der Gesetzgeber einst vorsah bei der Novelle des FamFG. Ein Blick in den Kommentar kann da helfen.
Wir sollten auch darüber reden, ob wir nicht von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten eine Zusatzqualifikation in pädagogischer, in psychologischer Hinsicht einfordern, bevor sie denn als Verfahrensbeistände tätig sein sollten.
Aber die Frage nach der Qualifikation stellt sich auch für die übrigen Beteiligten des Verfahrens, sprich für Familienrichterinnen und Gutachterinnen. Insbesondere die vielleicht bekannte Studie der Fernuniversität Hagen hat bei einer Vielzahl durch Familiengerichte bestellter Gutachten mitunter erhebliche methodische und fachliche Fehler festgestellt. Wenn man weiß, dass die Entscheidung eines Richters oder einer Richterin vor allem dann, wenn ein Gutachten vorliegt, auf diesem auch tatsächlich fußt, ist das ein erhebliches Problem, denn es kann zu einem erheblichen Eingriff in das Leben eines Kindes führen.
Weitere Punkte, die wir aufgreifen, stellen im Grunde Präzisierungen der geltenden Rechtslage dar. Auch weitere Fragestellungen, die derzeit in der Fachwelt diskutiert werden, können wir gern gemeinsam im Ausschuss besprechen. Hierzu
liegt uns ja auch ein Alternativantrag vor. Das heißt, wir werden uns der Thematik widmen, wenn es beispielsweise um die Bestellung zum Verfahrensbeistand mit der Vorlage eines Führungszeugnisses geht, wie auch in der Jugendhilfe gefordert. Auch über die Frage, ob eine Anerkennung von Verfahrensbeiständen über die Kammern erfolgen soll oder nicht, können wir diskutieren.
Insgesamt zeigt die Verfasstheit des deutschen Familienrechts und der damit einhergehenden familiengerichtlichen Praxis, dass an einigen Stellen erheblicher Verbesserungsbedarf besteht. Diesen Punkten wollten wir uns mit unserem Antrag widmen. Deswegen wollten wir auch die Diskussion hier im Hause.
Zum Alternativantrag werden wir uns der Stimme enthalten. Wir sind sehr wohl der Auffassung, dass wir auf das zurückgreifen können, was wir als Land Sachsen-Anhalt an Erfahrungen aus den letzten zehn Jahren FamFG gesammelt haben sowohl aus der Justiz als auch aus der kommunalen Ebene - also seitens der Jugendämter - als auch aus den Bereichen der Verfahrensbeistände. Das könnten wir sehr wohl auch in die bundespolitische Diskussion einspeisen.
Aber auch der Alternativantrag, den Sie jetzt vorgelegt haben, kann möglicherweise dazu führen, dass wir hier aktiv werden, insbesondere beim Punkt der Veränderung des FamFG und bei den gesetzlichen Voraussetzungen, die an einen Verfahrensbeistand gestellt werden. Ich finde, da besteht dringender Nachbesserungsbedarf. Ich hoffe, dass wir uns dazu verständigen können. - Vielen Dank für Ihre teilweise Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Abg. von Angern. - Es ist schon sehr anstrengend. Das habe ich auch schon ein paar Mal gesagt, weil eben auch unsere Anlage nicht sehr gut funktioniert. Deswegen bitte ich auch für die letzten Minuten, die wir hier noch zu absolvieren haben, um etwas mehr Konzentration und Ruhe. Anderenfalls ist es wirklich schwer, hier eine geordnete Debatte zu führen.
Für die Landesregierung spricht stellvertretend für die Ministerin Keding die Ministerin Frau GrimmBenne. Sie haben das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion DIE LINKE zielt auf eine Bundesratsinitiative zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und den Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit. Dadurch sollen insbesondere verbindliche Qualifikationen für Verfahrensbeistände und Familienrichterinnen und -richter gesetzlich verankert werden.
Grundlage sind Empfehlungen der sogenannten Kinderkommission des Deutschen Bundestages vom 9. November 2018, die laut Kommission als Beitrag für eine offene Debatte über die Herausforderungen der Praxis verstanden werden sollten.
Was ich allerdings vermisse, ist eine kritische Auseinandersetzung mit den Vorschlägen. Denn nicht alle Empfehlungen sind einschränkungslos zu befürworten. Deshalb halte ich es für sinnvoll, wenn die angestoßene Debatte zunächst ein wenig vertieft wird.
Lassen Sie mich das kurz verdeutlichen. Wenn im Antrag etwa gefordert wird, dass Kindesanhörungen kindgerecht ausgestaltet sein sollen, dann kann ich sagen, dass dies der Sache nach bereits im Gesetz steht und auch gängige Praxis ist. Die Anhörungen finden in kinderfreundlich hergerichteten Räumen statt. Zudem wird die Praxis seit Jahren durch ein umfangreiches Fortbildungsangebot der Justizverwaltung begleitet. Seien Sie versichert, ich teile das Anliegen, eine hohe Qualifikation aller Verfahrensbeteiligungen sicherzustellen und stetig zu verbessern.
Allerdings richten sich die Empfehlungen vorrangig an den Bundesgesetzgeber. Die Bundesregierung hat die Thematik bereits umfassend aufgegriffen. Zur Frage von Qualifikationsanforderungen für Verfahrensbeistände gibt es auf Bundesebene eine Absichtserklärung im Koalitionsvertrag.
Im letzten Jahr wurde im Rahmen der Evaluation der Einführung des Familienverfahrensgesetzes ein durchweg positives Fazit gezogen. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hatte dazu auch eine Fachkonferenz durchgeführt. Gegenwärtig werden die Ergebnisse der Evaluation der Konferenz ausgewertet.
Zudem haben sich Bund und Länder im Pakt für den Rechtsstaat darauf verständigt, Konzepte zu entwickeln, wie der Umgang mit Kindern und Eltern im Rahmen familiengerichtlicher Verfahren weiter optimiert werden kann. Dafür hat das Bundesministerium zu einer Auftaktsitzung auf Fachebene im Mai eingeladen, bei der auch unsere Justizverwaltung vertreten sein wird.
Die Thematik um die Qualität familiengerichtlicher Verfahren ist auf breiter Ebene in den Fokus gerückt. Der dazu stattfindende Diskussionsprozess wird mit großer Wahrscheinlichkeit in allen oder auch mehreren Gesetzgebungsverfahren münden. Vor einer übereilten Initiative der Länder sollte zunächst eine kritische Auseinandersetzung mit
den Vorschlägen erfolgen. Diesen Prozess werden wir als Justizministerium aufmerksam und konstruktiv begleiten.
Wir würden es begrüßen, wenn die Angelegenheit im Rechtsausschuss behandelt wird. - Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.