Protokoll der Sitzung vom 20.06.2019

(Zuruf von Robert Farle, AfD)

Er kann natürlich trotzdem kriminell sein. Jemand, der ausreisepflichtig ist und einen Ladendiebstahl begeht, ist natürlich ein Krimineller; das ist doch klar.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Wenn er ver- urteilt wurde!)

- Ja, das habe ich jetzt einmal unterstellt. - Aber er ist nicht deswegen kriminell, weil er ausreisepflichtig ist.

Das hat keiner gesagt.

Doch, natürlich haben Sie das eben gesagt.

Ich habe eine ganz klare Frage gestellt.

Ich habe es vorhin genau so gesagt. Ich habe immer von ausreisepflichtigen Ausländern gesprochen. Sie könnten zuhören, aber das interessiert Sie wahrscheinlich sowieso nicht.

(Beifall bei der SPD - Robert Farle, AfD: Doch!)

Vielen Dank, Herr Erben. - Wir kommen zur nächsten Debattenrednerin. Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abg. Frau von Angern.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Um es gleich vorwegzunehmen: Wir werden den Antrag der AfD ablehnen.

(Zuruf von der AfD)

Abschiebehaft ist für uns als LINKE ausdrücklich kein adäquates Mittel der Migrationspolitik.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir lehnen darüber hinaus selbstverständlich auch jegliche Unterbringung von Menschen, deren Abschiebung bevorsteht, auf dem Gelände einer Justizvollzugsanstalt oder in einem gesonderten Trakt der regulären Justizvollzugsanstalten ab.

Allein der Verdacht, sich einer Abschiebung zu entziehen, reicht in Deutschland heutzutage aus, um einen Menschen für eine geraume Zeit einzusperren. Haft, der massivste Eingriff in die Freiheit des Einzelnen, wird damit von einer Maßnahme gegen verurteilte Straftäter und Straftäterinnen zu einem simplen Verwaltungsakt gegen Unschuldige. Selbst Familien mit Kindern will man in Haft stecken, obwohl sie keine Straftaten begangen haben. Und Kinder können auch keine Straftaten

begehen, wie wir wissen. Meine Damen und Herren, das ist einfach nur armselig!

(Beifall bei der LINKEN)

Wir als LINKE halten die Abschiebehaft grundsätzlich für eine unangemessene Maßnahme und fordern daher - das ist nicht unbekannt - auch ihre Abschaffung. Es geht um Menschen, die nichts getan haben, außer in der Bundesrepublik Schutz zu suchen.

(Volker Olenicak, AfD: Schutz vor was?)

Es geht um Menschen, die hier ein neues Leben beginnen wollen. Damit ist jeder Mensch, der in Abschiebehaft genommen wird, einer zu viel.

(Beifall bei der LINKEN)

Für uns ist ganz klar: Ein Mensch, der keine Straftat begangen hat, darf nicht in Haft genommen werden. Diesbezüglich ist ein Paradigmenwechsel unbedingt und unverzüglich erforderlich. Alternativen zur Abschiebehaft sind ausdrücklich gefragt.

Die EU-Rückführungsrichtlinie ermächtigt die Mitgliedstaaten, das Mittel der Abschiebehaft unter bestimmten Bedingungen zu nutzen, verpflichtet sie aber nicht dazu. Somit wäre es mit den EURichtlinien sehr wohl vereinbar, ganz auf die Abschiebehaft zu verzichten.

(Beifall bei der LINKEN)

Dennoch - das gehört zur Wahrheit dazu - gibt es derzeit keinen entsprechenden politischen Mehrheitswillen in unserem Land; das ist traurig.

(André Poggenburg, fraktionslos: Gott sei Dank!)

Noch ein paar Worte zur gegenwärtigen Unterbringung von Abschiebehäftlingen. Bereits im Jahr 2014 hat der EuGH entschieden, dass für Abschiebehäftlinge ganz ausdrücklich das Trennungsgebot gilt. Dieses Trennungsgebot besagt, dass Abschiebehäftlinge unbedingt vom Strafvollzug getrennt untergebracht werden müssen. Abschiebehäftlinge dürfen und sollen damit nicht länger mit Strafgefangenen inhaftiert werden.

Abschiebehaft und Strafhaft sind zwei unterschiedliche Dinge, die auch nicht miteinander vereinbar sind. Abschiebehaft ist keine Strafhaft; das haben meine Vorredner auch deutlich gesagt. Es handelt sich um einen Freiheitsentzug, der in festgelegten Situationen im Zusammenhang mit einer Abschiebehaft für eine bestimmte Dauer verhängt werden kann. Es ist also - Herr Erben sagte es auch bereits - eine Verwaltungsmaßnahme.

Wenn es nun nach dem Willen der AfD ginge, dann sollen Menschen - so ist es in ihrem Antrag zu lesen -, die nichts verbrochen und keine Straftat begangen haben, gemeinsam mit verurteilten Straftätern einsitzen. Es sind Menschen, deren

einzige - in Anführungszeichen - Straftat darin besteht, dass sie abgelehnte Asylbewerber vor ihrer Abschiebung sind, Menschen, die so bald wie möglich aus Deutschland abgeschoben werden sollen, weil ihr Antrag auf Asyl abgelehnt wurde. Es sind - noch einmal - keine Straftäter. Solange es aber das Rechtsinstitut der Abschiebehaft in Deutschland gibt, welches die LINKEN und auch meine Fraktion ganz ausdrücklich ablehnen, müssen diese Menschen genau aus diesem Grund grundsätzlich getrennt von rechtskräftig verurteilten Straftätern untergebracht werden.

Warum ist das so? - Für diejenigen, die es noch nicht verstanden haben: Bei einer Unterbringung in einer JVA unterliegen die Abschiebehäftlinge weitaus stärkeren Einschränkungen als nötig. Sie werden den gleichen Beschränkungen unterworfen wie Untersuchungs- oder Strafgefangene. Dies betrifft unter anderem die Besuchsmöglichkeiten, den Einschluss und den Kontakt zur Außenwelt. Sie dürfen kein Handy benutzen, haben nur kurze Besuchs- und lange Einschlusszeiten. Ferner unterliegen die Abschiebehäftlinge beim Vollzug der Haft innerhalb normaler Justizvollzugsanstalten den gleichen sicherheitstechnischen Restriktionen wie alle anderen Gefangenen.

Gewöhnliche Abschiebehaftgefangene haben jedoch einen Anspruch auf umfangreiche Kommunikationsmöglichkeiten und Besuchsmöglichkeiten. Auch müssen sie sich relativ frei bewegen dürfen.

Fazit: Flucht ist kein Verbrechen. Der Freiheitsentzug als einer der schwersten und gravierendsten Grundrechtseingriffe wird im Rahmen der Abschiebehaft für Menschen verhängt, die keine Straftäter bzw. Straftäterinnen sind. Besteht auch nur der geringste Zweifel an seiner Legitimität, so darf der Freiheitsentzug nicht zum Einsatz kommen.

Das bekräftigen auch die Worte, die Sie mir erlauben mögen, hier zu sagen. Herr Sadig, geflohen aus Syrien, sagte hinsichtlich seiner 20-tägigen Inhaftierung in der JVA Dresden: „Sie steckten mich ins Gefängnis ohne jegliche Schuld. Alles, was ich getan habe, war, nach Asyl für mich und meine Familie zu fragen,“

Sehr geehrte Frau von Angern, Sie müssen zum Schluss kommen.

„in einem Land, von dem wir so viel über Demokratie und Menschlichkeit gehört haben.“ - Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN - André Poggen- burg, fraktionslos: Und illegaler Grenzüber- tritt?)

Vielen Dank. Ich sehe hierzu keine Wortmeldungen. - Somit kommen wir zu dem nächsten Debattenredner. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abg. Herr Striegel.

(Oh! bei der AfD - Zuruf von der AfD: Und tschüss!)

Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der AfD - das haben meine Vorrednerrinnen und Vorredner schon gesagt - macht einmal mehr deutlich, dass sie Menschen mit einer anderen als der deutschen Staatsangehörigkeit im Wesentlichen als Sicherheitsrisiko betrachtet, dem man am besten mit dem Mittel der Einkerkerung begegnet. Zudem wird eine bewusste oder unbewusste Fehldeutung der Gesetzeslage deutlich.

(Thomas Höse, AfD: Das ist Schwachsinn!)

Meine Herren Kollegen von der AfD, Sie schreiben in der Begründung zu Ihrem Antrag, dass die Rechtsprechung des EuGH in § 62a des Aufenthaltsgesetzes einer Unterbringung von Abschiebehäftlingen in regulären JVA unter Beachtung des Trennungsgebotes nicht grundsätzlich im Wege stehe. Das ist richtig, aber Sie übersehen eine weitere Voraussetzung. Sie lautet, dass im Bundesgebiet keine speziellen Hafteinrichtungen vorhanden sind. Ihr Hinweis, dass die geplante Haftanstalt in Dessau auf unbestimmte Zeit nicht fertiggestellt werden wird, geht also ins Leere.

Der EuGH hat hierzu klar geurteilt, dass es hierbei allein auf die gesamtstaatliche Ebene und eben nicht auf die Bundesländer der Bundesrepublik Deutschland ankommt. Ihrer Forderung fehlt es aktuell also schon an einer tragfähigen gesetzlichen Grundlage, da die Voraussetzungen für eine Unterbringung in der regulären JVA im Ausnahmefall nicht gegeben sind.

Auch Ihre Aussage, die gemeinsame Unterbringung mit Untersuchungshäftlingen stelle keinen Verstoß gegen das Trennungsgebot dar, da es sich nicht um verurteilte Straftäter handele, ist evident falsch. Rechtsprechung und Kommentarliteratur sind sich darin einig, dass es Trennungen zwischen Abschiebehäftlingen und Häftlingen in Strafsachen geben muss. Unter das Zweitgenannte fallen eben auch Untersuchungshäftlinge, auch wenn sie noch nicht rechtskräftig verurteilt worden sind. Die Unschuldsvermutung ist ein wichtiges Gut im Rechtsstaat. Sie wird an dieser Stelle aber argumentativ verdreht.

Darüber hinaus stellen Sie auf die geplante Außerkraftsetzung des Trennungsgebotes im so

genannten Geordnete-Rückkehr-Gesetz ab. Diese geplante Regelung ist evident europarechtswidrig, da die Voraussetzungen für eine Nichtanwendung des Trennungsgebotes nicht vorliegen. Das müssen sich auch die Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD sagen lassen, die dieses Gesetz auf der Bundesebene beschlossen haben.

Die entsprechende Richtlinie, die § 62a des Aufenthaltsgesetzes zugrunde liegt, sieht eine Unterbringung von Abschiebehäftlingen in regulären JVA im Ausnahmefall vor, wenn aufgrund einer ungewöhnlich hohen Zahl von Drittstaatsangehörigen, deren Ausreise sicherzustellen ist, eine überlastungsbedingte Notlage entsteht. Aber eine solche Notlage ist in Deutschland nicht gegeben.

Aufgrund dieser Sachlage hat sich der Rechtsausschuss des Bundesrates in der vergangenen Woche mehrheitlich für die Anrufung des Vermittlungsausschusses ausgesprochen, um der europarechtswidrigen Streichung des Trennungsgebotes entgegenzuwirken. Wir unterstützen das ausdrücklich.

Ganz grundsätzlich ist zu sagen, dass den Regelungen zur Abschiebehaft in den §§ 62 und 62a des Aufenthaltsgesetzes ein Ultima-Ratio-Gedanke zugrunde liegt. Die Haft darf nur als allerletztes Mittel angeordnet werden, wenn gar keine andere, mildere Maßnahme mehr greift. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz muss an dieser Stelle besonders beachtet werden, insbesondere auch dann, wenn Familien mit Kindern betroffen sind.