Protokoll der Sitzung vom 29.08.2019

Wir kommen nunmehr zum

Tagesordnungspunkt 28

Beratung

Schaffung der rechtlichen Grundlagen für den Einsatz von organisierten ehrenamtlichen

Ersthelfergruppen (First Responder)

Antrag Fraktion AfD - Drs. 7/4749

Alternativantrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 7/4820

Alternativantrag Fraktionen CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 7/4821

Den Antrag der Fraktion der AfD wird der Abg. Herr Siegmund einbringen. Herr Siegmund hat sich bereits nach vorn begeben und er hat jetzt das Wort. Bitte.

Danke. - Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ein Dorf im ländlichen Sachsen-Anhalt: Peter Müller stürzt und bewegt sich nicht mehr. Ein Kammerflimmern versetzte ihn in eine sofortige Bewusstlosigkeit. Nach nur drei Minuten sinkt seine Überlebenswahrscheinlichkeit mit jeder Minute um etwa 10 %. Sein Gehirn wird nicht mehr mit Sauerstoff versorgt - einzelne Bereiche sterben ab. Seine Frau wählt in Panik den Notruf, weiß aber ansonsten nicht, was sie tun soll. Nach etwa zwei Minuten geht der Notruf bei der Leitstelle ein. Nach etwa 17 Minuten trifft der Rettungsdienst ein. Die Hilfsfrist konnte aufgrund der großen Entfernung und einer Überlastung des Rettungsdienstes nicht eingehalten werden.

Für Peter Müller war diese Zeitspanne bereits zu lang. Sein Körper hat die lange Zeit ohne Sauerstoff nicht überlebt - er stirbt. Drei Straßen weiter befand sich zur selben Zeit ein Ersthelfer der DLRG, ausgerüstet mit einem Defibrillator, einem Notfallkoffer und dem wertvollsten überhaupt, dem wertvollsten, was man in diesem Moment haben kann, nämlich dem medizinische Fachwissen.

Der Notruf von Frau Müller ging jedoch ausschließlich an den Rettungsdienst, sodass der Ersthelfer nicht von diesem schrecklichen Vorfall erfahren konnte. Der Hilferuf von Peter Müller blieb für den Ersthelfer ungehört.

Liebe Kollegen! Solche Fälle sind keine Horrorszenarien. Sie sind die Realität; nicht irgendwo auf der Welt, sondern hier bei uns in Sachsen-Anhalt. Jeder fünfte Rettungsdienst bei uns konnte

die Hilfsfrist nicht einhalten und war zu spät am Unfallort. Die Ursachen sind gerade in den ländlichen Regionen vielfältig und nur schwer zu beheben. Doch auch wenn der Rettungsdienst die Hilfsfrist einhält, dann heißt das nicht, dass ausreichend Zeit war. Denn bereits nach wenigen Minuten können bei Kammerflimmern, Herzstillständen und ähnlichen Ereignissen Hirnschäden auftreten, die man nie wieder beheben kann. Der Patient, der Vater, die Mutter, der Mensch bleibt auf Lebenszeit ein schwerer Pflegefall.

Wir debattieren in diesem Haus seit Jahren darüber, wie wir die Hilfsfrist besser einhalten und wie wir die medizinische Versorgung, vor allem im ländlichen Raum, sicherstellen können. Das ist gut. Das ist wichtig.

Dabei liegt eine flankierende Hilfe in greifbarer Nähe. Sie besteht bereits. Wir müssen diese Möglichkeit zur Hilfe nur ergreifen. Es ist eine Unterstützung, auf die andere Bundesländer seit Jahren und Jahrzehnten erfolgreich vertrauen: organisierte Ersthelfer, Voraushelfer oder auch First Responder.

Organisierte Ersthelfer sind ehrenamtlich tätige Bürger mit einer entsprechenden Sanitätsausbildung, die sich in Vereinen wie der DLRG, dem DRK oder auch der freiwilligen Feuerwehr oder vielen weiteren wertvollen Hilfsorganisationen zusammengeschlossen haben. Sie besitzen die Ausbildung für erste Hilfe, sind über ihren Träger versichert und durch die wohnortbedingte Nähe oftmals innerhalb weniger Minuten am Unfallort.

In vielen Bundesländern wie Thüringen, Bayern oder Hessen sind organisierte Ersthelfer ein fester und ergänzender - und das betone ich: ergänzender - Bestandteil der Versorgungsstruktur. Wohlgemerkt: Das erfolgt immer flankierend und ohne einen Einfluss auf die Hilfsfrist.

Genau das fordern wir als AfD-Fraktion auch für Sachsen-Anhalt. Wenn der Notruf eintrifft, dann wird dieser parallel an den Rettungsdienst und an die Erste-Hilfe-Organisation vor Ort gesendet. Diese wird über einen Pieper oder ein Handy informiert und die Kollegen entscheiden dann persönlich, wer in welcher Zeit parallel zum Rettungsdienst zum Unfallort eilen kann. Somit bestehen die Wahrscheinlichkeit und vor allem die Chance, dass im selben Ort und innerhalb weniger Minuten oder teilweise sogar Sekunden gehandelt werden kann.

Uns ist vor allem ein Fall aus der Altmark bekannt. Ein Mitarbeiter eines Baumarktes in Salzwedel verstarb, nachdem der Rettungswagen erst nach 35 Minuten am Unfallort eintraf. Das war natürlich zu spät.

In diesem Zusammenhang wollten junge Mitglieder der DLRG aus der Altmark ihre Fähigkeiten

einbringen. Sie gingen mit der einfachen Bitte auf den Altmarkreis Salzwedel zu, bei zukünftigen Notfällen informiert zu werden; nicht mehr und nicht weniger. Die Einsatzausrüstung stellt der Nachwuchs der DLRG übrigens selbst, also die Transportmittel, einen professionellen Notfallkoffer und einen eigenen Defibrillator. Die Versicherungsfragen sind über die DLRG umfassend geregelt.

Leider sind die jungen Helfer aus der Altmark bis heute nicht an die Leitstelle angebunden worden. Der Altmarkkreis Salzwedel winkte ab. Es sei in Sachsen-Anhalt keine Rechtsgrundlage dafür gegeben.

Liebe Kollegen, genau diesen Umstand möchte ich hier und heute gemeinsam mit Ihnen ändern. Ich möchte, dass wir Helfern die Möglichkeiten und vor allem die Chance geben, Leben zu retten. Ich möchte, dass nach jeder Hand in unserem Bundesland gegriffen wird, die mit anpacken möchte.

Liebe Kollegen, lassen Sie es uns Ersthelfern ermöglichen, ihre wertvolle Arbeit zum Wohle der Patienten einzubringen, verbunden vor allem mit einem großen, großen Dank für diese wichtige und ehrenamtliche Aufgabe. - Danke schön.

(Beifall bei der AfD)

Ich sehe keine Fragen. Deswegen können wir jetzt in die Dreiminutendebatte eintreten. Es spricht der Innenminister. - Bitte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir unterstützen selbstverständlich alle Maßnahmen, die einer Verbesserung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung dienen.

Natürlich sind Smartphone-basierte ErsthelferAlarmierungssysteme nicht neu und werden vielerorts auch schon erfolgreich eingesetzt. Die Erprobungsphasen haben sich erfolgreich dargestellt. Diese Systeme sind uneingeschränkt zu begrüßen. Sie sind in der Lage, das therapiefreie Intervall bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes beträchtlich zu verkürzen. Sie bilden eine sinnvolle Ergänzung zum Rettungsdienst und auch in den Bereichen, die Sie angesprochen haben.

Wir haben das in vielen Arbeitskreisen thematisiert, zum Beispiel im Landesbeirat für das Rettungswesen und in Gremien aus Fachkreisen. Das ist ein Gremium, das uns in rettungsdienstlichen Angelegenheiten berät. Wir haben auch mit ihnen über das Thema geredet.

Smartphone-basierte Ersthelfer-Alarmierungssysteme waren unter anderem auch in der letzten Sitzung am 18. Juni 2019 - das ist noch gar nicht so lange her - Thema und Gegenstand einer ausgiebigen Erörterung. Alle haben sich für die Systeme ausgesprochen. Allerdings - jetzt kommt die Einschränkung - wurde mit Nachdruck auf die kommunale Eigenverantwortung hingewiesen.

Insbesondere wurde vonseiten der kommunalen Spitzenverbände betont, dass es jeder Kommune selbst überlassen bleiben müsse, wie ein derartiges System zum Einsatz komme.

Wir haben daraufhin mit einem Erlass vom 16. Juni 2019 die Träger des Rettungsdienstes über entsprechende Möglichkeiten informiert. Wir werden in diesem Prozess ehrenamtliches Engagement auf regionaler Ebene begleiten und die Kommunen auf jede erdenkliche Weise unterstützen. Es ist und bleibt aber eine Aufgabe der kommunalen Ebene.

Herr Siegmund.

Vielen Dank, Herr Minister. - Die Argumentationsgrundlage des Altmarkkreises Salzwedel war, dass im Land Sachsen-Anhalt insbesondere im Rettungsdienstgesetz keine rechtliche Grundlage für den Einsatz von Ersthelfern gegeben ist und man den Einsatz deswegen nicht zulassen kann. Mit unserem Antrag wollen wir genau diese rechtliche Grundlage schaffen, damit im Nachgang jede Kommune, jeder Landkreis selbst darüber entscheiden kann. Solange aber diese rechtliche Grundlage nicht gegeben ist, kann der Landkreis gar nicht darüber bestimmen. Genau das beantragen wir heute.

Deswegen lautet meine Frage an Sie: Warum können wir diese rechtliche Grundlage nicht für alle Landkreise schaffen, damit sie danach entscheiden können?

(Zustimmung bei der AfD)

Das kann man in Ruhe mit allen Beteiligten erörtern. Ich gehe davon aus, dass der Antrag überwiesen wird. Ich bin mir jetzt nicht ganz sicher.

(Einige Abgeordnete der CDU-Fraktion ni- cken)

- Er wird überwiesen.

(Siegfried Borgwardt, CDU: Wir haben einen Alternativantrag dazu!)

Der Alternativantrag wird dann überwiesen. Dann kann das alles erörtert werden.

Danke. - Dann steigen wir jetzt in die Debatte durch die Fraktionen ein. Für die SPD-Fraktion hat der Abg. Herr Erben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit dem Letzten anfangen. Auch mir ist mehrfach gesagt worden, dass es im Unterschied zu uns woanders Rechtsgrundlagen für den First-Responder-Einsatz gibt.

Ich kann bei allen Beteiligten zur Aufklärung beitragen. Es gibt kein einziges Bundesland, in dem im Rettungsdienstgesetz eine Rechtsgrundlage für den First-Responder-Einsatz besteht.

(Zuruf von Volker Olenicak, AfD)

Es gibt aber auch kein gesetzliches Verbot. Damit komme ich jetzt genau zu der Argumentation, die der Herr Minister eben geführt hat. Es ist natürlich auch dem Altmarkkreis Salzwedel nicht verboten, First Responder in sein System zu integrieren.

(Zustimmung bei der SPD)

Das kann der heute schon tun. Ich will daran erinnern, dass es auch in den anderen Bundesländern, die Sie eben angesprochen haben, also Bayern und Hessen, keine ausdrückliche Vorschrift gibt. In Bayern wird das sehr umfangreich gemacht; das ist zutreffend.

Ich will an der Stelle aber auch darauf hinweisen, dass in Bayern der Rettungsdienst eine Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises der Landkreise ist und nicht des eigenen wie bei uns. Das heißt, es wäre weder der Landesregierung noch uns ohne Weiteres möglich, eine Rechtsgrundlage zu schaffen, die heißt, ihr müsst First Responder in das System eures Rettungsdienstes aufnehmen.