Protokoll der Sitzung vom 26.09.2019

Jahre und damit die niedrigste Neubaurate seit dem Jahr 2000 und das bislang schwächste Halbjahr des Windenergieausbaus in diesem Jahrtausend.

Zwischen 2016 und 2018 war die Zahl der zugebauten Windräder in Sachsen-Anhalt schon von 116 auf nur noch elf gesunken. Ein Ende dieses Abfalls ist nicht absehbar. Was das wirtschaftlich bedeutet, wird klar, wenn man weiß, dass allein Enercon, unser regionaler Anbieter, in Magdeburg am Tag drei neue Windräder bauen könnte. Von dieser Flaute sind insbesondere auch die Hersteller und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Windkraftanlagen im Land negativ betroffen.

Erste Firmenschließungen, Entlassungen erfolgten leider bereits. Die Mechanischen Werkstätten Anhalt GmbH, MWA, Zulieferer für die Windenergiebranche; die WEC Turmbau GmbH im Jahr 2018, die Enercon Tochter Rotorblattfertigung Magdeburg im Jahr 2018; erst gestern die Nachricht von der Schließung des Turmbauers für Windkraftanlagen Ambau in Gräfenhainichen mit 150 Beschäftigten.

Bei Enercon in Magdeburg, Sachsen-Anhalts größtem industriellen Arbeitgeber, arbeiten zu besten Zeiten 5 000 Menschen. Das ist dieser „grüne Irrsinn“, von dem Sie sprechen, also 5 000 Leute allein in unserer Stadt. Heute sind es noch 4 000, die Tendenz ist aber sinkend.

Die Gesamtbranche Windenergie beschäftigte 2016 in Deutschland 160 000 Menschen, bis 2018 gingen davon schon 26 000 Arbeitsplätze verloren. Für 2019 lässt sich die Zahl an abgebauten Arbeitsplätzen leider fortschreiben. Zum Vergleich: Beim Braunkohleausstieg reden wir bundesweit von ca. 20 000 Arbeitsplätzen. Wir wissen, wie umfangreich die Diskussionen dazu waren.

Die Windenergiebranche prognostiziert für 2019 einen Markteinbruch um 90 %. Da machen wir uns mal nichts vor, das ist keine Schwankung in der Marktlage, das ist letztlich politisch verursacht.

Enercon im Magdeburg arbeitet derzeit zu 90 % für den Export. Der trägt das noch - so weit, so gut. Schon jetzt ist aber zu sehen, dass die Produktionskapazitäten, der Einkauf bei Zulieferern bis hin zu Forschung und Entwicklung auch ins Ausland gehen - so weit, so schlecht. Die immer schon zunehmend exportorientierte Windbranche

hat früher vom Heimatmarkt und seinem Innovationspotenzial profitiert.

Der nun stockende Ausbau verspielt hingegen gerade einen industriellen Wettbewerbsvorteil. Ich bin nicht in Sorge um die weltweite Nutzung von Windenergie. Elektroenergie wird gebraucht, ihre klimafreundliche, von fossilen Energieträgern unabhängige Erzeugung wird sich durchsetzen. Windenergie ist da ein wesentlicher Teil. Bisher aber war es die Idee, dass wir in Sachsen-Anhalt ganz vorne mit dabei sind.

(Cornelia Lüddemann, GRÜNE: Genau!)

Das steht aber nicht in Stein gemeißelt. Diesen kompletten Einbruch des heimischen Marktes, trotz des Erfordernisses des Energiewandels, überstehen auch die Großen der Branche nicht lange. Es werden in Zukunft schon noch Windenergieanlagen hergestellt, nur dann nicht mehr in Deutschland und vor allem nicht mehr in Sachsen-Anhalt.

Um dieser Entwicklung entschlossen entgegenzuwirken und den Klimaschutz durch die Energiewende kraftvoller voranzutreiben, muss die Wirtschaftspolitik im Land ihr Engagement intensivieren. Windräder erzeugen mit jeder Umdrehung saubere Energie und sichern Arbeitsplätze in Sachsen-Anhalt. Um die Energiewende wieder in Schwung zu bringen, muss analog zur Erarbeitung des beim Windgipfel im Bundeswirtschaftsministerium erklärten Maßnahmenpakets ein Aktionsplan im Land umgesetzt werden. Die Windkraft ist im vitalen Interesse unseres Landes.

Die Aufgaben wurden hierzu im gemeinsamen Positionspapier der führenden Verbände des Klima-, Natur- und Artenschutzes sowie der Windbranche und der Energiewirtschaft von September 2019 aufgelistet. Vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, über Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe bis zum Verband der Kommunalen Unternehmen sind sich die Verfasser über die Zielstellung und die nötigen Schritte einig, um einen Ausbau der Windenergie, der natur- und landschaftsverträglich, zugleich aber auch energiewirtschaftlich und klimapolitisch ausreichend sein muss, zu ermöglichen.

Da stellt man fest, dass Umwelt- und Wirtschaftsverbände zusammenarbeiten. Man fragt sich: Wieso ist das so? - Wir wissen, dass es bei Windkraft einen Zielkonflikt gibt - das erleben wir oft vor Ort -, und trotzdem ist allen Beteiligten klar, dass Klimaschutz und damit auch Umweltschutz ohne die Windkraft nicht funktionieren wird.

Wir müssen die für unsere Energieversorgung erforderlichen Flächen letztlich auch zur Verfügung stellen. Dazu gehört es, den Pool an ausgewiesenen Windenergieflächen zu erhöhen und Genehmigungsverfahren zielgerichtet zu bearbei

ten. Wir nutzen 1 % der Fläche. Wir werden letztlich wohl bei 2 % landen müssen.

Mit Repowering, dem Ersatz alter Anlagen durch neue und leistungsstärkere Windkraftwerke, kann die Energieproduktion in den bestehenden Windvorranggebieten erhöht werden. Sowohl im Hinblick auf die Raumplanung als auch auf die Auswirkung auf Natur und Landschaftsbild ist durch die bestehenden Windenergieanlagen bereits eine Vorprägung erfolgt. Das Repowering darf planerisch nicht unnötig erschwert werden.

Entscheidend für einen positiven Ausbaupfad der Windenergie ist die Flächenverfügbarkeit. Ein Knackpunkt dabei ist die pauschale Abstandsregelung, wie sie neuerdings auch auf Bundesebene vorgesehen wird. Ich meine, unsere rechtlichen Regelungen, die regionale Landesplanung sowie die ortsbezogene Abwägung mithilfe der bestehenden Vorgaben im Genehmigungsprozess - das BImSchG, die TA Lärm und das Rücksichtnahmegebot - sind in umfassender Weise geeignet, den Gesundheitsschutz der Anwohner zu gewährleisten und zu vermeiden, dass die Windparks den Menschen zu nah auf die Pelle rücken.

Für Unternehmen, aber auch für Behörden sind einheitliche klare, praktikable Vorgaben zum Umgang mit den komplexen artenschutzrechtlichen Vorgaben zum gesetzlichen Vollzug nötig. Diese sind in aller nötigen Strenge zum Schutz der Natur zu nutzen, aber mit dem Ansatz, die naturschutzrechtlichen Vorgaben zu standardisieren. Wir brauchen ein Online-Artenschutzportal, das alle notwendigen qualitätsgesicherten Rohdaten zum Vorkommen und Bestand geschützter Arten systematisch erfasst und verfügbar macht.

Neben genehmigungsrechtlichen und natur

schutzfachlichen Herausforderungen geht es bei Windenergieanlagen ganz maßgeblich aber auch um Akzeptanz. Eine einheitliche und regelmäßige finanzielle Beteiligung von Standort- und Anrainerkommunen an neu errichteten Windrädern sollte eingeführt werden.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜ- NE, und von Cornelia Lüddemann, GRÜ- NE)

Auch Transparenz erhöht die Akzeptanz. Eine Servicestelle auf Landesebene sollte dafür neutrale Informationen bereitstellen und bei Bedarf die Kommunen sowie die Vorhabenträger unterstützen, professionelle und zielführende Beteiligungs- und Dialogformate durchzuführen. Eine Anbindung dieser an einen institutionalisierten Dialog zwischen Bund, Ländern und Gemeinden zur Flächenbereitstellung wäre angebracht.

Wind als Rückgrat der Energiewende kann in Sachsen-Anhalt auch das Rückgrat des Kohle

ausstiegs werden. Neben dem Bau neuer Windkraftanlagen sind daran angekoppelte Wasserstofferzeugung und regionale Speicher möglich und können Wertschöpfung und Arbeitsplätze vor Ort erhalten.

Wenn man sich das Beispiel Enercon anguckt - ich habe vorhin darauf Bezug genommen -: Die bauen bereits E-Ladestationen; das gehört mit zum Konzern dazu. Die wollen sich zum Systemanbieter weiterentwickeln. Da geht es um bedarfsgerechte Stromerzeugung, Speichersysteme, Vermarktungskonzepte, Technologiebausteine für die Versorgung von Industriestandorten und mehr. Das sind Sachen, die wir aus Sachsen-Anhalt heraus nach vorne bringen können.

(Zustimmung von Sebastian Striegel, GRÜ- NE, und von Cornelia Lüddemann, GRÜ- NE)

Ausgehend von erneuerbaren Energien lässt sich industriell und wirtschaftlich einiges entwickeln. Die Unternehmen der Branche brauchen aber dafür eine verlässliche politische Rahmensetzung. Ebenso brauchen aber auch wir für die energiepolitischen Ziele zur Kohlereduktion und zum Erhalt der Versorgungssicherheit in Deutschland das Engagement der Branche. Für SachsenAnhalt ist die Branche darüber hinaus ein Kern unseres wirtschaftlichen Potenzials.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Danke. Der Kollege Meister ist mit der Einbringung zum Ende gekommen. Ich sehe keine Fragen. - In Vertretung der Frau Ministerin Prof. Dr. Dalbert nimmt für die Landesregierung Herr Prof. Dr. Willingmann das Wort. Bitte sehr.

Herr Vizepräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die Ankündigung durch den Vizepräsidenten hat uns gerade schon deutlich gemacht, dass es sich um ein Querschnittsthema handelt.

Es betrifft unterschiedlichste Ressorts: Landesentwicklung, Inneres, Energie und Umwelt und selbstverständlich auch Wirtschaft. Mit Respekt vor dieser verteilten Zuständigkeit werden Sie Verständnis dafür haben, dass ich vor allen Dingen auf die wirtschaftspolitischen Implikationen Wert lege.

(Sebastian Striegel, GRÜNE: Das war un- ser Ziel!)

- Das ist schön. So wollen wir es halten.

Meine Damen und Herren! Sachsen-Anhalt leistet heute als vergleichsweise kleines Bundesland einen recht respektablen Beitrag zum Klimaschutz. Wir stellen unter Beweis, dass Wirtschaft und Klimaschutz keineswegs Antagonismen sein müssen.

Etwa 24 000 Beschäftigte arbeiten landesweit im Bereich der erneuerbaren Energien. Ich bin dem Abg. Meister dankbar, dass er das erwähnt hat, und der Abg. Aldag hat es auch schon gesagt. Wir sollten aufhören, Arbeitsplätze auf der einen und auf der anderen Seite gegeneinander auszuspielen. Es ist respektabel, dass wir 24 000 Beschäftigte in diesem Bereich haben, und der ist ausbaufähig.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Im Jahr 2018 lag in Sachsen-Anhalt der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung bereits bei gut 61 %. Das Land erreicht damit schon heute fast das im Koalitionsvertrag auf Bundesebene für das Jahr 2030 ausgegebene Ziel von 65 % - ein wichtiger Beitrag für die Energiewende.

Der darf auch nicht nachlassen bei dem angestrebten Ausstieg aus der energetischen Nutzung der Braunkohle, der 2038 erfolgt und der ein großer Konsens in der Bundesrepublik ist. Dieser Ausstieg ist für uns eine ganz immense Herausforderung; denn wir werden selbstverständlich die Trias aus Klimaschutz, Arbeitsplätzen, Wertschöpfung und natürlich einer bezahlbaren Energieversorgung im Blick behalten müssen.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, IAB, in Halle prognostiziert, dass im Mitteldeutschen Revier bis 2038 durch diese Entscheidung etwa 7 000 direkt oder indirekt von der Kohle abhängende Arbeitsplätze wegfallen werden. Selbst wenn ein nicht unerheblicher Teil davon durch In-Rente-Gehen den Arbeitsplatz aufgibt, müssen wir unsere Bemühungen für einen erfolgreichen Strukturwandel weiter fortsetzen.

Weil Wertschöpfung und Arbeitsplätze mindestens substituiert, im besten Fall sogar verstärkt werden sollen, achten wir auch auf erneuerbare Energien. Ich halte das für eine Selbstverständlichkeit. Die Branche der erneuerbaren Energien spielt insofern insbesondere vor dem Hintergrund des Strukturwandels in Sachsen-Anhalt eine wichtige Rolle, sowohl mit Blick auf die künftige Energieversorgung, die bezahlbar sein muss, als auch mit Blick auf Wertschöpfung und Arbeitsplätze.

Meine Damen und Herren! Mit Blick auf die Energiewende und den Strukturwandel im Mitteldeutschen Revier hat Sachsen-Anhalt die große Chance, sich nachhaltig zum Land der Zukunfts

technologien zu entwickeln, das auch in Zukunft einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leistet und gleichzeitig auf der Basis von Innovationen seine Wirtschaft stärkt und hochwertige Arbeitsplätze schafft.

Die Ausgangslage hierfür ist doch vielversprechend; denn Zukunftstechnologien werden bei uns heute schon entwickelt und angesiedelt. Und ich darf das in meiner Zuständigkeit für die Wissenschaft im Land betonen: Es wird hier im Land ganz erheblich an derartigen Technologien geforscht, und unsere sieben staatlichen Hochschulen sind natürlich Innovationstreiber.

(Zustimmung von Dr. Katja Pähle, SPD)

Aber lassen Sie mich noch auf ganz aktuelle Beispiele eingehen. In Bitterfeld-Wolfen investiert der Batteriehersteller Farasis Energy mehr als 600 Millionen € in ein neues Werk und wird rund 600 Arbeitsplätze schaffen. Autokonzerne wie Daimler werden die Batterien aus Bitterfeld nutzen, um umweltfreundlichere Fahrzeuge auf den Markt zu bringen. Sachsen-Anhalt fördert diese Zukunftsinvestition - wir haben in der letzten Landtagssitzung schon darüber gesprochen - mit rund 30 Millionen €. Ja, die Batterie ist eine Übergangstechnologie. Aber wir wissen noch nicht, wie lange dieser Übergangszeitraum dauern wird. Jetzt ist es natürlich sinnvoll, darauf zu setzen.

In der Lutherstadt Wittenberg entsteht Europas erste Gigafactory für Batteriespeichersysteme. Tesvolt baut als Hersteller von Stromspeichern für Gewerbe und Industrie eine neue Fertigung für Lithiumspeicher mit einer jährlichen Produktionskapazität von mehr als 1 GWh auf. Das ist übrigens eine millionenschwere Investition eines Unternehmens - ich darf das mal erwähnen -, das im Jahr 2014 als Start-up gegründet wurde und das vom Land unter anderem mit unserer IBGBeteiligung gefördert worden ist. Die Firma Tesvolt schreibt eine großartige Erfolgsgeschichte. Im Jahr 2018 wurde die Firma mit dem Deutschen Gründerpreis ausgezeichnet.

Selbstverständlich werden wir auch in den kommenden Jahren in Zukunftstechnologien investieren, insbesondere mit Blick auf den Strukturwandel. So hat sich Sachsen-Anhalt im Ideenwettbewerb „Reallabore der Energiewende“ des Bundeswirtschaftsministeriums mit gleich zwei zukunftsweisenden Projekten durchgesetzt. Mit dem Projekt GreenHydroChem und dem Projekt Energiepark Bad Lauchstädt soll die mitteldeutsche Modellregion für Erzeugung, Transport, Speicherung und Nutzung von grünem Wasserstoff weiter vorangetrieben werden.

Grüner Wasserstoff ist insoweit ein zentraler Baustein für das Gelingen der Energiewende. Das Entstehen einer mitteldeutschen Modellregion

kann nur in unser aller Interesse sein. Daran sollten wir weiter arbeiten. Es entstehen hochwertige Arbeitsplätze und ordentliche Wertschöpfungen.

(Zustimmung von Dr. Katja Pähle, SPD)