Protokoll der Sitzung vom 01.04.2004

Gestatten Sie eine Frage des Abgeordneten Wunderlich?

Ja, bitte.

Herr Dr. Hahnemann, wenn man Ihre schwer verständliche Rede ins allgemein verständliche Deutsch übersetzen darf, vielleicht auch zur Verständigung der jungen Menschen und der Herrschaften hier, kann ich davon ausgehen,

(Zwischenruf Abg. Ellenberger, SPD: Sie dürfen die jungen Leute nicht unter- schätzen!)

dass die PDS die Sicherheitsverwahrung ablehnt und lieber das Risiko eingeht,

(Zwischenruf Abg. Thierbach, PDS: Ach, Herr Wunderlich,...)

dass die Allgemeinheit und vor allem die Kinder gefährdet bleiben. Ein zweite Frage, Sie sprachen von der zivilisierten Gesellschaft: gehe ich davon aus, dass die nach Ihrer Ansicht zivilisierte Gesellschaft nicht die Pflicht haben sollte, gemeingefährliche Verbrecher für immer wegzuschließen?

(Beifall bei der CDU)

(Unruhe im Hause)

Was die erste Frage angeht, erste Antwort: Ich glaube, Sie unterschätzen junge Menschen.

Zweiter Teil dieser Antwort: Ich weiß nicht, ob Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen unterschätzen.

Drittens, Ihre erste Frage war vermutlich - und das müsste ich dann vielleicht auch mir zuschreiben - der Beleg dafür, dass die Rede nicht nur schwer verständlich war, für Sie scheint sie unverständlich gewesen zu sein.

(Beifall bei der PDS)

Das Zweite, Herr Wunderlich, will ich Ihnen nicht unmittelbar antworten, sondern mit etwas, was mich neben den furchtbaren Geschehnissen, die immer in den Medien berichtet werden, ebenso berührt und bewegt. Das ist der Umstand, dass man mit der jetzt eingeschlagenen Denkund Regelungsrichtung einen Grundsatz des deutschen Rechtsstaats Schritt für Schritt aufgegeben hat, der mir diesen Rechtsstaat so sympathisch gemacht hat. Es ist nämlich der Grundsatz, wie ich den Rechtsstaat kennen gelernt habe, dass man lieber die Straffreiheit eines Täters in Kauf nimmt, als eine unberechtigte Strafe auszusprechen. Dieses Paradigma wird jetzt umgedreht. Das ist die Mahnung, von der ich geredet habe. Danke.

(Beifall bei der PDS)

Ich sehe jetzt aus dem Plenum keine Wortmeldungen weiter, die Landesregierung äußert sich auch nicht, dann schließe ich die Aussprache und wir kommen zur Abstimmung, und zwar direkt über den Gesetzentwurf der PDS-Fraktion in Drucksache 3/4027 in zweiter Beratung. Herr Abgeordneter Stauch.

Wir bitten um namentliche Abstimmung.

Es wird in namentlicher Abstimmung abgestimmt. Ich bitte, mit dem Einsammeln der Stimmkarten zu beginnen.

Sind alle Stimmkarten eingesammelt? Dann bitte ich, das Einsammeln zu schließen und mit dem Auszählen zu beginnen.

Ich gebe das Ergebnis bekannt: Es wurden 72 Stimmen abgegeben, 14 stimmten mit Ja, 57 mit Nein, es gab 1 Enthaltung. Damit ist der Gesetzentwurf abgelehnt (nament- liche Abstimmung siehe Anlage 4).

(Beifall bei der CDU)

Ich schließe den Punkt 3 und komme jetzt zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 4

Zweites Gesetz zur Änderung des Thüringer Gesetzes über den öffentlichen Personennahverkehr Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 3/4104 ERSTE BERATUNG

Einbringer ist die Landesregierung und sie hat auch gleich als Erste um das Wort gebeten. Bitte, Herr Minister Reinholz.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, im Jahr 2002 und auch im Jahr 2003 blieben die Einnahmen des Landes dramatisch hinter den Erwartungen zurück. Mit dem Nachtragshaushalt 2003/2004 hat der Thüringer Landtag dann im Herbst des letzten Jahres ein Maßnahmepaket beschlossen, mit dem der Haushalt den veränderten Bedingungen angepasst wurde. Davon war natürlich auch das Verkehrsressort betroffen. Der Landtag hat im Herbst 2003 beschlossen, die insgesamt für den ÖPNV in Thüringen verfügbaren Mittel so zu disponieren, dass künftig eine noch flexiblere Handhabung beim Einsatz dieser Mittel möglich ist.

Meine Damen und Herren, die Grundzüge für die Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs in Thüringen sind im Thüringer ÖPNV-Gesetz aus dem Jahr 1995 niedergelegt. Eine erste Änderung resultiert aus einem Landtagsbeschluss im Jahr 2001. Mit der nun beabsichtigten zweiten Änderung des Thüringer ÖPNV-Gesetzes stellt sich die Landesregierung erneut der Verantwortung. Neben den Finanzhilfen aus dem Gemeindefinanzierungsgesetz stehen den Ländern Mittel aus dem Regionalisierungsgesetz zur Verfügung. Das Regionalisierungsgesetz war Grund für die Entstehung der Länder-ÖPNV-Gesetze. Mit ihm wurde im Jahr 1996 die Verantwortung, eine ausreichende Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Schienenpersonennahverkehr sicherzustellen, vom Bund auf die Länder übertragen. Damit wurde die Aufgabe und Finanzverantwortung bei den Ländern zusammengefasst. Im Gegenzug stellt der Bund für die Finanzierung des ÖPNV jährlich Mittel aus dem Aufkommen der Mineralölsteuer zur Verfügung. In Thüringen sind das zurzeit 272 Mio. 

Meine Damen und Herren, der öffentliche Personennahverkehr in Thüringen ist für die Landesregierung ein sehr wesentliches Thema. Angesichts der Struktur unseres Landes ist ein gutes flächendeckendes Angebot an bedarfsgerechten Verkehrsverbindungen im Nahverkehr ein Muss. In den Jahren 1991 bis 2002 wurden für den ÖPNV ins

gesamt 2,032 Mrd.    !" ""  #   sen 1,03 Mrd.  $ # 

Meine Damen und Herren, damit wurden die Voraussetzungen für einen modernen, leistungsfähigen und attraktiven ÖPNV in Thüringen geschaffen, neue Betriebshöfe und Fahrzeuge sind inzwischen flächendeckend vorhanden. Den Stand des hier Erreichten, meine Damen und Herren, sehen nicht wenige in den alten Ländern durchaus mit gemischten Gefühlen. Die finanziellen Rahmenbedingungen gestalten sich nicht besser, sondern schwieriger.

In Anbetracht dessen müssen wir darauf hinarbeiten, die insgesamt für den ÖPNV in Thüringen bereitstehenden Mittel so zu bündeln, dass sie mit höchster Effektivität auch eingesetzt werden können. Dies bezweckt der von der Landesregierung eingebrachte Gesetzentwurf zur Zweiten Änderung des Thüringer ÖPNV-Gesetzes. Sein Ziel ist es, durch einen besonders effektiven Einsatz die vorhandenen Gestaltungsspielräume zu nutzen und das Vertrauen der kommunalen Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen in die Beständigkeit der vom Land maßgeblich vorgegebenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht zu enttäuschen.

Warum ist dazu eine Gesetzesänderung notwendig? Bisher sieht das ÖPNV-Gesetz vor, die dem Freistaat Thüringen zur Verfügung stehenden Regionalisierungsmittel für die Bestellung, Planung und Organisation des Schienenpersonennahverkehrs sowie der SPNV-Ersatzleistungen und für Investitionen im ÖPNV zu verwenden. Die Finanzierung des allgemeinen ÖPNV aus Regionalisierungsmitteln ist aber derzeit nur für Kooperationsvorhaben im ÖPNV sowie für die anteilige Defizitabdeckung im Busund Straßenbahnverkehr möglich.

Das Finanzierungssystem des Landes zur Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs enthält jedoch als einen weiteren wesentlichen Bestandteil die gesetzlichen Erstattungsleistungen an die Verkehrsunternehmen für den Schülerverkehr. Das Land ist durch Bundesgesetz, nämlich § 45 a des Personenbeförderungsgesetzes, verpflichtet, den Verkehrsunternehmen einen Ausgleich dafür zu gewähren, dass sie für Schüler und Auszubildende ermäßigte Zeitfahrausweise anbieten. Da die Unternehmen durch diese Verpflichtung Mindereinnahmen erzielen, sind die Erstattungsleistungen ein wichtiger Beitrag, um die Eigenwirtschaftlichkeit der Unternehmen zu sichern. Das hat das Land, meine Damen und Herren, auch immer wieder betont.

Die Ausgleichsleistungen nach § 45 a Personenbeförderungsgesetz werden nur den Unternehmen gewährt, die im Linienverkehr Personen mit Zeitfahrausweisen des Ausbildungsverkehrs befördern. Linienverkehr mit Bussen und Straßenbahnen ist jedoch nach der Definition im Personenbeförderungsgesetz ein Teil des öffentlichen Personennahverkehrs. Da die Regionalisierungsmittel den Ländern

für den öffentlichen Personennahverkehr zur Verfügung gestellt werden, ist das Land auch ohne Wenn und Aber berechtigt, Regionalisierungsmittel für Ausgleichsleistungen nach § 45 a Personenbeförderungsgesetz einzusetzen.

Nach unserer Kenntnis verwenden bereits folgende Länder Regionalisierungsmittel für diese Ausgleichszahlungen: Brandenburg, Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Damit sollte der Gesetzesänderung nichts mehr im Wege stehen.

Ich bitte auch zu bedenken, meine Damen und Herren, der Haushaltsvollzug 2004, und hier speziell die Auszahlung der mit Haushaltsvermerk im beschlossenen Nachtragshaushalt 2003/2004 versehenen gesetzlichen Ausgleichsleistungen für den Schülerverkehr an die Thüringer Verkehrsunternehmen, das sind 20 Mio.   %  lage einer eindeutigen landesrechtlichen Regelung vorgenommen werden. Die Einsparmaßnahmen, insbesondere die, die aufgrund des Haushaltsbegleitgesetzes 2004 des Bundes erfolgten, sind zwar nicht spurlos am Verkehrshaushalt des Landes vorbeigegangen, aber im Bereich der gesetzlichen und freiwilligen Ausgleichsleistungen stehen den Kommunen und Verkehrsunternehmen jedoch auch nach Änderung des Thüringer ÖPNV-Gesetzes die Mittel in der ursprünglich vorgesehenen Höhe von rund 60,1 Mio.   fügung. Die Investitionsförderung kann auch 2004 damit auf hohem Niveau weitergeführt werden.

Summa summarum, meine Damen und Herren, stehen im Jahr 2004 nach aktueller Planung 67,7 Mio.  ! ÖPNVInvestitionen zur Verfügung. Und ich sage ganz klar: Angesichts der Haushaltsvorgaben von Bund und Land wird im Interesse des Thüringer ÖPNV und im Interesse der Verkehrsunternehmen mit der vorgesehenen Gesetzesänderung das Bestmögliche realisiert.

Ich komme zurück auf das eigentliche Gesetzgebungsverfahren. Zum Gesetzentwurf wurde die Anhörung der Verbände, Gemeinden, Städte und Landkreise durchgeführt. Der Thüringer Landkreistag und der Gemeinde- und Städtebund Thüringen sind im Ergebnis zu der Auffassung gelangt, die Gesetzesänderung ist für den Vollzug des Landeshaushalts und die Auszahlung der Finanzhilfen an die Verkehrsunternehmen und die kommunalen Aufgabenträger des ÖPNV unbedingt erforderlich. So sieht es auch der Verband deutscher Verkehrsunternehmen als größter Verband und Vertreter der kommunalen Verkehrsunternehmen. Die Verbände der privaten Busunternehmen haben sich in der Anhörung nicht geäußert.

Meine Damen und Herren, bestehende Finanzierungssysteme sind regelmäßig und konsequent den neuen Anforderungen anzupassen. Im Interesse einer soliden und zukunftsweisenden ÖPNV-Politik, die dazu beiträgt die Finanzierung des ÖPNV in Thüringen langfristig zu gewährleisten, bitte ich Sie nach erfolgter Beratung um Zustimmung zur Zweiten Änderung des Thüringer Gesetzes über

den öffentlichen Personennahverkehr. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Damit kommen wir zur Aussprache. Als Erster hat das Wort Herr Abgeordneter Lemke, PDS-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Minister, lassen Sie mich zum Anfang auf Ihre Anhörung eingehen, die Sie haben machen lassen. Mit welcher Perspektive, mit welchen Alternativen haben Sie denn diese Anhörung machen lassen - was hatten die Anzuhörenden für eine Wahl? Entweder dem Gesetz zuzustimmen oder in Kauf zu nehmen, dass ihnen später immer weniger Leistungen erstattet werden oder gar keine mehr. Wenn Sie schon Beispiele bringen, wo das Gesetz so gehandhabt wird, dann sollten Sie genau recherchieren. In Brandenburg wird das genau so nicht gemacht. Brandenburg geht sogar noch einen Schritt weiter als Sie es hier vorhaben. In Brandenburg gibt es ein so genanntes Kommunales Entlastungsgesetz, in dem man diese Kosten den Kommunen aufs Auge drückt. Gott sei Dank sind wir hier so weit noch nicht, aber genau dahin geht Ihr Weg.

(Heiterkeit bei der CDU)

(Beifall bei der PDS)

Zum Gesetzesvorhaben allgemein: Nach nur knapp zweieinhalb Jahren liegt uns erneut ein Gesetzentwurf vor, der eine erneute Änderung des Thüringer Gesetzes über den öffentlichen Personennahverkehr zum Ziel hat. Die Begründung, Herr Minister, ist im Übrigen identisch mit der aus dem Jahr 2001, denn wieder heißt es: Mit der beabsichtigten Neuregelung des Thüringer Gesetzes über den öffentlichen Personennahverkehr als landesrechtliche Vorschrift soll auf Bundesrecht abgestimmt werden.

Was steckt nun im Detail hinter der geplanten Änderung? Auch in diesem Punkt ähneln sich die Ausgangslagen. Ein Landesgesetz soll mit Hilfe einer mehr als abenteuerlichen Auslegung - die Auslegung, die Sie hier in Sachen Regionalisierungsgesetz machen, ist schon mehr als abenteuerlich -, auf alle Fälle legen Sie es so aus, um sich selbst von der Zahlung hoheitlicher Aufgaben zu befreien. Das, meine Damen und Herren, kann nicht die Aufgabe dieses Hauses sein, dieses auch noch im Gesetz zu zementieren.

Was hat das für Auswirkungen? Die Landesregierung verabschiedet sich zulasten des Schienenpersonennahverkehrs und auf Kosten des Bundes aus ihrer Verantwortung, den Schülerverkehr im Freistaat durch Ausgleichszahlungen an die Unternehmen zu fördern. Sie tun das, wohl wissend, dass der § 45 a im Personenbeförderungsgesetz mit dem Titel "Ausgleichspflicht" überschrieben ist - Ausgleichs

pflicht -, und er nennt auch den, der in der Verpflichtung steht, es ist das Land und nicht der Bund, Herr Minister.

(Beifall bei der PDS)

Durch die geplante Änderung werden dem Schienenpersonennahverkehr erneut dringend benötigte Mittel entzogen. Der Investitionsbedarf auf Thüringer Eisenbahnstrecken ist hoch, die Sicherheit auf einigen Strecken Besorgnis erregend. Die jüngsten Unglücke sprechen eine deutliche Sprache. Alles das hindert diese Landesregierung nicht daran, weiter gierig in Richtung Bundesmittel zu greifen. Die Ergebnisse, die sich die Landesregierung durch diese Gesetzesänderung verspricht, sind andere, als sie uns glauben machen will. Nicht die Absicherung des Schülerverkehrs ist das Ziel, diese suggerierte Zielvorgabe soll nur Mittel zum Zweck sein. Die wahren Ziele sind ganz andere. Die erste Gesetzesänderung spricht da eine deutliche Sprache. Die Landesregierung hat es in ihrer damaligen Begründung verstanden, die Abgeordneten davon zu überzeugen, dass es mit der vorgesehenen Gesetzesänderung möglich sei, die Fahrpreise im straßengebundenen ÖPNV stabil zu halten. Die Umwidmung von Regionalisierungsmitteln sei dafür die geeignete und deshalb notwendige Maßnahme. Zweieinhalb Jahre nach der Änderung müssen wir feststellen, das Fahrpreisniveau konnte nicht gehalten werden. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel wird aufgrund von Tariferhöhungen durch viele Menschen als unattraktiv bewertet. Die Folgen sind mehr Individualverkehr und eine Verschlechterung der Verkehrssicherheit. Der Innenminister hat eine Verkehrssicherheitsbilanz des letzten Jahres vorgelegt, die Ihnen eigentlich den Schreck in die Glieder jagen müsste.