Protokoll der Sitzung vom 16.03.2000

Wort" vom 29. Februar 2000 abgedruckt.

Die SPD hat zu keiner Zeit den Aufmarsch von Rechtsradikalen und Revanchisten am 26. Februar 2000 in Erfurt als großen Erfolg bezeichnet, sondern Aufklärung dieser erschreckenden Vorfälle gefordert. Es ist in der zehnjährigen parlamentarischen Geschichte des Thüringer Landtags ein einmaliger Vorgang, dass ein Mitglied der Landesregierung eine demokratische, im Landtag vertretene Partei beschuldigt, das Geschäft der Rechtsradikalen zu betreiben.

(Zwischenruf Abg. Scheringer, PDS: Hört, hört!)

Ich frage die Landesregierung:

1. Teilt sie die Auffassung des Innenministers und wenn ja, aus welchen Gründen?

2. Wenn nein, welche Konsequenzen leitet sie aus den Äußerungen des Innenministers ab?

3. Wird die Landesregierung die oben zitierten Äußerungen des Innenministers vor Presse und Öffentlichkeit richtig stellen?

Für die Landesregierung antwortet Herr Innenminister.

Frau Präsidentin, Herr Abgeordneter Pohl, die Landesregierung teilt die Auffassung des Innenministers, und dies mit folgender Begründung: Sie zitieren in Ihrer Anfrage den zweiten Satz einer Pressemitteilung des Thüringer Innenministeriums vom 28. Februar dieses Jahres, ich zitiere: "Wer, wie die SPD, die Demonstration in Erfurt am Wochenende als großen Erfolg darstellt, betreibt das Geschäft der Rechtsradikalen." Der nachfolgende dritte Satz der Pressemitteilung lautet: "Durch das überzogene und zugleich sehr heuchlerisch anmutende Hochspielen der Ereignisse gewinnen zukünftige Veranstaltungen dieser Art für die rechtsextremen Szenen nur zusätzlich an Attraktion." Der Anlass dafür, die Kritik speziell auf die SPD zu beziehen, ergibt sich aus einer am Sonntag, dem 27. Februar von dpa verbreiteten Äußerung des Abgeordneten Pohl, die am darauf folgenden Tag in mehreren Thüringer Zeitungen wiedergegeben wurde. In dieser Äußerung wurde in einer für das Ansehen des Freistaats sehr schädlichen, dafür aber für die Rechtsradikalen sehr nützlichen Weise fälschlicherweise davon gesprochen, dass Thüringen angeblich immer mehr zum Aufmarschgebiet der NPD werde. Zitat dpa: "Thüringen werde immer mehr zum Aufmarschgebiet der NPD, sagte der SPD-Fraktionsvize Günter Pohl der dpa." Das zu Frage 1.

Zu den Fragen 2 und 3: Es gibt nichts richtig zu stellen, Herr Pohl.

(Beifall bei der CDU)

Nachfragen aus der Mitte des Hauses sehe ich nicht. Dann kommen wir zur nächsten Anfrage, und zwar die Anfrage - Drucksache 3/400 - des Abgeordnete Dittes.

Demonstration für die "Rückgabe der deutschen Ostgebiete und des Sudetenlandes"

Nach öffentlichen Meldungen marschierten am 26. Februar 2000 in Erfurt ca. 500 Demonstranten rechtsextremistischer Couleur durch die Straßen von Erfurt. Die Veranstaltung richtete sich auf die "Rückgabe der deutschen Ostgebiete und des Sudetenlandes". Nach Zeitungsmeldungen sicherte ein Großaufgebot an Polizei diese Versammlung und ging gleichzeitig gegen Gegendemonstranten vor.

Nach Augenzeugenberichten wurden gegen protestierende Antifaschistinnen und Antifaschisten Reizstoffe durch Polizeibeamte eingesetzt.

Ich frage die Landesregierung:

1. Durch wen wurde der Einsatz des genannten Hilfsmittels körperlicher Gewalt angeordnet?

2. In welcher Reihenfolge wurden Mittel des unmittelbaren Zwanges angewandt?

3. Welche Begründung legitimiert die Anwendung der eingesetzten Mittel selbst als auch die Reihenfolge des Einsatzes vor der Rechtsvorschrift des § 4 Abs. 1 und 2 des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) gegen eine größere Gruppe antifaschistischer Gegendemonstranten?

4. Welche konkrete und tatsächliche Gefahr lag vor, die es legitimierte, auf die nach § 62 Abs. 3 PAG vorgeschriebene Androhung des unmittelbaren Zwanges zu verzichten?

Auch hier antwortet für die Landesregierung der Herr Innenminister.

Vielleicht als Vorbemerkung: Es ist bedauerlich, dass wir die Debatte zum Tagesordnungspunkt 8 erst nach der Fragestunde haben, sonst würden sich vielleicht manche Fragen erübrigen.

Am 26. Februar 2000 hat in Erfurt ein Aufzug der Interessengemeinschaft für die Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands e.V. stattgefunden, der am 10. Januar 2000 bei der Stadtverwaltung Erfurt unter dem Thema "Recht auf Heimat" angemeldet worden war.

Zu Frage 1: Das Reizstoffsprühgerät wurde in einem Fall durch einen eingesetzten Beamten in Notwehr angewandt. Eine Anordnung hierzu erfolgte nicht, was bei Notwehr auch nicht erforderlich ist.

Zu Frage 2: Zuerst wurde durch einfache körperliche Gewalt versucht, die Störer daran zu hindern, den angemeldeten Aufzug zu verhindern. Erst nachdem die Störer begannen die Polizeibeamten mittels Steinen und Mehltüten zu bewerfen, wurde in einigen Fällen der Mehrzweckstock zur Anwendung gebracht, indem die Störer ab- bzw. zurückgedrängt wurden.

Zu Frage 3 kann ich auf die Beantwortung zur Frage 2 verweisen.

Zu Frage 4: Gemäß § 62 Abs. 1 Satz 2 Polizeiaufgabengesetz kann von der Androhung abgesehen werden, wenn die Umstände sie nicht zulassen, insbesondere wenn die sofortige Anwendung eines Zwangsmittels zur Abwehr einer Gefahr notwendig ist. Im vorliegenden Fall mussten die Polizeibeamten im Bereich des Fischmarkts bereits stattfindende körperliche Auseinandersetzungen verhindern bzw. beenden. Ein vorheriges Androhen hätte den rechtswidrigen Zustand verlängert, eine Verschlimmerung bzw. eine Eskalation zur Folge gehabt und konnte von daher nicht hingenommen werden.

Es gibt Nachfragen, Herr Abgeordneter Dittes.

Herr Köckert, Sie führten aus, dass die Reizstoffe durch einen Beamten in einer Notwehrsituation zum Einsatz gekommen sind. Wie erklären Sie sich dann, dass 20 verletzte Demonstranten als Folge eines Reizgasstoffeinsatzes an diesem Tag zu verzeichnen waren, die ich selbst beobachtet habe?

Ich würde Ihnen raten, Herr Dittes, bei der Wahrheit zu bleiben. Diese 20 verletzten Demonstranten sind nicht auf den Einsatz des Reizstoffsprühgerätes zurückzuführen.

(Beifall bei der CDU)

Eine weitere Nachfrage.

Herr Köckert, darf ich Sie fragen, auf welche anderen Einwirkungen sind die Reizungen der Augen zurückzuführen, die zu der Notwendigkeit führten, dass die Augen vor Ort noch ausgespült werden mussten?

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Wahr- scheinlich durch den Mehlstaub.)

(Heiterkeit bei der CDU)

Ich bitte um sachliche Beantwortung.

Ich glaube, das war weniger eine Frage, sondern eine Bemerkung von Ihnen.

(Zwischenruf Abg. Buse, PDS: Das war eine Frage.)

(Zwischenruf Abg. Zimmer, PDS: Eine klare Frage.)

Die Anzahl der Verletzten von diesem Einsatz kann ich Ihnen in Vollständigkeit nicht nennen. Die Anzahl von 20 im Zuge des Einsatzes Reizstoffsprühgerät halte ich für übertrieben. Es gab andererseits noch andere "Verletzte" durch Einsatz des Schlagstockes, wie ich hier eben in Beantwortung der Frage schon ausgeführt habe. Über die gesamten von Ärzten behandelten Störer kann ich Ihnen keine Auskunft geben.

Ja bitte, Herr Buse.

Ich würde namens der PDS-Fraktion beantragen, diese Mündliche Anfrage an den Innenausschuss zu überweisen.

Trotz der nachfolgenden Debatte, die wir nachher haben.

Der Überweisungsantrag ist gestellt. Zur Geschäftsordnung?

(Zuruf Abg. Sonntag, CDU: Es war kein Antrag...)

Er hat beantragt.

(Zwischenruf Abg. Stauch, CDU: Nein, er würde beantragen.)

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Nein, er würde beantragen.)

(Beifall bei der CDU)