Protokoll der Sitzung vom 12.10.2000

Aber ich bitte Sie, Herr Althaus, das haben Sie wieder nicht verstanden.

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Sie haben es nicht verstanden.)

Insgesamt können allerhöchstens 30 Prozent verlangt werden. Wenn es richtig wäre, dass dies maximal 270 DM wären, dann werden nicht alle Eltern diese 270 DM bezahlen, weil wir dummerweise in Thüringen leider nicht viele so hoch verdienende Menschen haben. Sie wissen, wir haben das geringste Einkommensniveau aller neuen Bundesländer. Wenn das so ist, dann werden sehr viele Leute nicht 270 DM bezahlen, die Kinder in Kindertagesstätten haben. Nun sagen Sie doch bitte ganz genau, sagen Sie es den Trägern und sagen Sie es den Kommunen, wem wollen Sie bitte die Differenz auf das Auge drücken? Wenn Sie davon ausgehen in Ihrem Brief, Herr Minister, dass heute schon die Träger 14 Prozent der Kosten aufbringen, ich frage Sie, wo leben Sie denn, wo haben Sie denn diese Zahlen her. Ich kenne keinen Träger und ich habe heute früh schon einmal gesagt, Sie könnten in dem eigenen Landesverband, dem Sie als Vorsitzender vorstehen, nachfragen, dann würden Sie feststellen, dass auch der keine 14 Prozent zahlt.

(Zwischenruf Dr. Pietzsch, Minister für Sozi- ales, Familie und Gesundheit: Das überneh- men die Kommunen, da haben Sie Recht.)

Jawohl, im Moment übernehmen das die Kommunen. Das ist aber nur möglich, weil wir im Moment eine soziale Staffelung nach oben und unten haben und weil die Differenz so groß nicht ist. Jetzt haben wir aber nur noch eine Staffelung nach unten. Das können die Kommunen nicht leisten, noch dazu, wenn Sie sie mit diesem Haushalt - wie vorhin schon Frau Pelke gesagt hat - doppelt und dreifach belasten, indem Sie denen noch mehr Aufgaben aufdrücken und dazu nicht die notwendigen Mittel bereitstellen. Das ist das Problem.

Meine Damen und Herren, Frau Pelke hat es gesagt, das wird das Aus für integrative Kindertagesstätten sein. Ich will Ihnen etwas sagen, angeblich geht man ja davon aus, dass die behinderten Kinder ohnehin nur halbtags im Kindergarten sind. Dies ist Schwachsinn. Ich habe das inzwischen nachgeprüft. Das stimmt schlichtweg nicht und wenn in Ihrem Ministerium solche Annahmen kursieren, dann möchte ich bitte vorgelegt haben, woher Sie solche Angaben haben. Wir haben das bei verschiedenen Trägern in Gera recherchiert und dort wurde mir gesagt, dass die Gesamtdauer bis zu 10 Stunden am Tag ausmacht.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Das ist schlimm.)

Jawohl, das ist schlimm, Herr Althaus, das liegt aber daran, dass die Eltern so weit fahren müssen, damit sie zu ihrer Arbeit kommen. Da müssen Sie auch einmal darüber nachdenken.

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Im Durch- schnitt 10 Stunden.)

Und ein Letztes will ich Ihnen noch sagen: Als der Ministerpräsident in der Pressekonferenz den Haushalt vorgestellt hat, da hat er gesagt, wir machen das alles deshalb und diese Einsparungen sind nötig, damit wir eines Tages vom Nehmerland zum Geberland werden. Es hat sich vielleicht bis zur Landesregierung noch nicht herumgesprochen, aber auf dem Gebiet von Kindertagesstätten waren wir bisher Geberland, Geberland für Bayern z.B. und, wenn Sie das noch nicht wissen, fahren Sie nach Blankenstein in die Kindertagesstätte und schauen Sie sich einmal an, wie in beispielgebender Weise Elternvertreter, Gemeindevertreter und viele Sponsoren dafür gesorgt haben, dass dort auch bayerische Kinder im Kindergarten einen möglichst niedrigen Beitrag zahlen. Wir sind hier Geberland und das sollten wir auch bleiben.

(Zwischenruf Abg. Althaus, CDU: Was hat das mit Kindergarten zu tun?)

(Beifall bei der PDS, SPD)

Herr Minister Trautvetter, bitte schön.

Frau Neudert, ich halte die Unwahrheiten, die von hier immer wieder verkündet werden, allmählich nicht mehr aus. Immer wieder die Behauptung, wir sanieren den Landeshaushalt durch die Novelle der Kindertagesstätten.

(Zwischenruf Abg. Neudert, PDS: Unter anderem.)

Überhaupt nicht "unter anderem". Sie wissen ganz genau, die Finanzierung der Kindertagesstätten findet innerhalb des Kommunalen Finanzausgleichs statt. Das habe ich die letzten Jahre gesagt, das sage ich heute Morgen und das sage ich hier auch noch einmal: Wir können da an Stellschrauben drehen wie wir wollen, wir können das hin und her schieben wie wir wollen, wir verschieben kommunales Geld. Wir verschieben keine Landesmittel. Der Landeshaushalt ist null berührt. Das Einzige, was damit passiert, ist entweder: finanzielle Freiräume für die Kommunen schaffen oder die Kommunen mehr belasten. Nur innerhalb der Kommunalfinanzen findet die Finanzierung von Kindertagesstätten statt. Also erzählen Sie nicht immer solche Lügen, dass das Land bei den Kindertagesstätten seinen Haushalt sanieren würde.

(Beifall bei der CDU)

Gibt es weitere Wortmeldungen? Das ist nicht der Fall, dann können wir diesen Teil der Aktuellen Stunde abschließen und wir kommen zum zweiten Teil

b) auf Antrag der Fraktion der PDS zum Thema: "Auslegung der politischen Neutralitätspflicht kommunaler Behörden und Landesbehörden in Thüringen im Willensbildungsprozess" Unterrichtung durch die Präsidentin des Landtags - Drucksache 3/1034

Als Erster hat sich zu Wort gemeldet Herr Abgeordneter Dr. Hahnemann.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit dem gegenwärtig laufenden Volksbegehren "Mehr Demokratie in Thüringen" hat das Thüringer Landesverwaltungsamt in einem Rundschreiben darauf ver

wiesen, dass kommunale Behörden, kommunale Beamten und Angestellte einer so genannten politischen Neutralitätspflicht unterliegen. Deshalb sei es unzulässig, dass in kommunalen Einrichtungen Unterschriftsbögen für das Volksbegehren ausliegen oder dass kommunale Beamte oder Angestellte, einschließlich Bürgermeister und Landräte, das Volksbegehren unterstützen. Es erging die Aufforderung an die Verwaltungschefs, notfalls mit den Mitteln des Hausrechts und dienstrechtlichen Maßnahmen die so genannte Neutralitätspflicht durchzusetzen.

Man muss davon ausgehen, dass die rechtliche Einschätzung des Landesverwaltungsamts auch von der Landesregierung geteilt wird. Das Rundschreiben des Thüringer Landesverwaltungsamts hat die Diskussion zur staatlichen Neutralitätspflicht in Willenbildungsprozessen neu belebt. In dieser Diskussion geht es insbesondere um die Ausgestaltung und die Grenzen dieser so genannten Neutralitätspflicht. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung über das gegenwärtig laufende Volksbegehren hinaus scheint es geboten, dass sich der Landtag im Rahmen einer Aktuellen Stunde dieser Problematik annimmt. Das Problem ist kein allgemein juristisches, es geht hier um ein brisantes politisches Problem. Dennoch ist an dieser Stelle auch einiges aus juristischer Sicht zu sagen.

Es gibt unstrittig für Beamte keine politische Neutralitätspflicht. § 56 Thüringer Beamtengesetz statuiert vielmehr ein so genanntes Mäßigungsgebot für Beamte. Unter dem Titel "Amtsführung, politische Betätigung" findet sich im Landesbeamtengesetz Folgendes: "(1) Der Beamte dient dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Er hat seine Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und bei seiner Amtsführung auf das Wohl der Allgemeinheit Bedacht zu nehmen. Er muss sich durch sein gesamtes Verhalten zu einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Verfassung des Freistaats Thüringen bekennen und für deren Einhaltung eintreten. (2) Der Beamte hat bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus seiner Stellung gegenüber der Gesamtheit und aus Rücksicht auf die Pflichten seines Amtes ergeben." Prof. Dr. Roland Geitmann von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Kehl stellte klar, eine politische Neutralitätspflicht staatlicher und kommunaler Organe gibt es nur bei Wahlen, nicht aber in Sach- und Gesetzgebungsverfahren.

Um nun auf das Vollzugsbegehren zurückzukommen; durch das Engagement für das Volksbegehren tun diejenigen Bürger, die sich dafür einsetzen, nichts anderes, als ihre in der Landesverfassung verbürgten Grundrechte wahrzunehmen. Wie kann dann die Unterstützung eines Volksbegehrens, das von einem breiten Bündnis gesellschaftlicher Gruppen und engagierter Einzelpersonen getragen wird, nicht rechtens sein? Mehr noch: Wenn § 56 Beamtengesetz die Beamten zu einem aktiven Einstehen für die freiheitliche demokratische Grundordnung und damit auch für die Verwirklichung von Grundrechten auffordert, entspricht doch ganz konsequent gesagt das Auslegen von

Unterschriftsbögen zum Ermöglichen der Teilnahme am Volksbegehren eigentlich der beamtlichen Pflicht.

Meine Damen und Herren, es ist bisher nicht bekannt geworden, dass Bürgermeister parteipolitisch motivierte Werbung für das Volksbegehren betrieben hätten. Und es kann im Übrigen auch nicht sein, dass Beamte einer völlig entpolitisierten Neutralitätspflicht unterliegen. Ansonsten müssten alle Beamten mit Parteibuch, die ein Gemeinderats- oder Kreistagsmandat innehaben, ihre Mandate aufgeben. Übrigens, auch mehrere Landtagsabgeordnete, die ehrenamtliche Bürgermeister sind, müssten auf ihr Landtagsmandat verzichten. Es geht also hier um den Unterschied zwischen bürgerschaftlich-politischem Engagement, das den Grund- und Bürgerrechten verpflichtet ist und rein parteipolitischer Betätigung. Dadurch, dass Bürgermeister in ihren Gemeinden den Bürgern die Möglichkeit eröffnen, am Volksbegehren teilzunehmen, werden sie im Sinne eines den Grundrechten verpflichteten politischen Engagements tätig. Solange Bürgermeister auf die Besucher von kommunalen Einrichtungen keinen Druck ausüben, die Unterschriftsbögen zu unterzeichnen oder regelrechte Werbeveranstaltungen für das Volksbegehren abhalten, kann niemals eine Verletzung des beamtenrechtlichen Mäßigungsgebots vorliegen. Der Versuch, den Beamten nicht nur das parteipolitische Engagement im Amt, sondern jede bürgerschaftlich-politische Betätigung zu verbieten, darf nicht nur klammheimlich zurückgenommen werden, sondern gegen diese Art von überkommenem obrigkeitsorientiertem Staatsdienerdenken muss klar Position bezogen werden. Danke.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Fiedler, CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, das Verständnis, das gerade der Kollege Hahnemann von so einigen Bürgermeistern hat, ist sehr eigenartig. Aber ich will nicht weiter darauf eingehen. Lassen Sie mich einige kurze Anmerkungen machen, auch in Richtung der Frau Kollegin Pelke, die zurzeit zwar nicht hier ist. Es stimmt mich schon bedenklich, wenn Sie in der Presse fordern, bei dem Schreiben des Vizepräsidenten des Landesverwaltungsamts handelt es sich um einen - und ich zitiere - "durchsichtigen Einschüchterungsversuch, der zurückzunehmen sei". Wenn gerade in der in Rede stehenden Passage davon die Rede ist, dass Beamte auch außerhalb des Dienstes politische Mäßigung und Zurückhaltung zu üben haben, so frage ich Sie jedoch ernsthaft: Halten Sie diese Aussage wirklich für verwerflich? Sie haben es ja gerade gesagt, Herr Hahnemann. Ich muss schon ernste Zweifel an Ihrem Rechtsverständnis hegen, wenn Sie diese Aussagen tatsächlich gemacht haben. Denn gerade mit diesen Ausführungen gibt der Vizepräsi

dent des Landesverwaltungsamts die gängige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wieder.

Frau Präsidentin, gestatten Sie mir insoweit bitte, die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1988 nochmals vorzutragen. Sie können das nachlesen unter den Ziffern 111/88. Zitat - und ich glaube, das Bundesverfassungsgericht, Herr Hahnemann, wird vielleicht gegebenenfalls auch Sie überzeugen können: "Der Beamte hat sich innerhalb sowie außerhalb des Dienstes so zu verhalten, dass er der Achtung und dem Vertrauen gerecht wird, die sein Beruf erfordert. Zu allgemeinpolitischen Fragen darf der Beamte sich in der Öffentlichkeit nur so zurückhaltend äußern, dass das öffentliche Vertrauen in seine unparteiische, gerechte und gemeinwohlorientierte Amtsführung keinen Schaden nimmt. Seine politischen Meinungsäußerungen dürfen nicht Formen annehmen, die den Eindruck entstehen lassen können, der Beamte werde bei seiner Amtsführung nicht loyal gegenüber seinem Dienstherrn und nicht neutral gegenüber jedermann sein. In diesem Rahmen folgt aus der dem Beamten obliegenden Treuepflicht als hergebrachtem Grundsatz des Berufsbeamtentums, dass die Meinungsäußerungsfreiheit bei Beamten nach Maßgabe der Erfordernisse ihres Amtes Einschränkungen unterliegt."

(Zwischenruf Abg. Ramelow, PDS: Was hat das mit dem Volksbegehren zu tun?)

Herr Ramelow, wenn Sie das Bundesverfassungsgericht jetzt auch noch in Frage stellen, das traue ich Ihnen ja ohne Weiteres zu. Aus meiner Sicht bedürfen diese Feststellungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung keiner Ergänzung. Nach meinem Eindruck war gestern die Sondersitzung gut geeignet, dem einen oder anderen in diesem hohen Hause das Verständnis unserer Verfassung näher zu bringen. Dieses Ziel ist aber offensichtlich bei dem einen oder anderen doch nicht angekommen. Ich möchte aber, um keine falschen Eindrücke auf der Seite der Opposition zu hinterlassen, gleichzeitig betonen, dass sich nach meiner festen Überzeugung die große Zahl der Beamten an diese Festlegung in unserem Freistaat Thüringen hält. Zusammenfassend, und ich denke damit auch im Sinne der Opposition zu sprechen - ich weiß es nicht -, ist das Schreiben des Vizepräsidenten des Landesverwaltungsamts nicht zu beanstanden.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat jetzt Frau Abgeordnete Ellenberger, SPDFraktion.

Meine Damen und Herren, Frau Präsidentin, natürlich muss Macht nicht zwangsläufig zu Machtmissbrauch führen, zumal, wenn die Machthaber auf demokratische Art und

Weise zu dieser Macht gekommen sind. Aber auch Demokraten können der Versuchung, ihre Macht zu missbrauchen, erliegen. Deshalb müssen wir uns nun innerhalb von zwei Tagen auch gleich zweimal mit derartigen Fällen beschäftigen, und das ist erschreckend.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Ich bin zunächst erst einmal froh, dass der Versuch der geballten schwarzen Kraft dieses Hauses, durch bösartige Unterstellungen, durch Demagogie und Zynismus, durch Verdrehungen und durch Herunterspielen der Fakten von dem Skandal der Einflussnahme auf die Thüringer Justizbehörden abzulenken, in der öffentlichen Wahrnehmung gescheitert ist.

(Zwischenruf Abg. B. Wolf, CDU: Waren Sie gestern da, Frau Kollegin?)

Ja, so vergesslich bin ich nicht, dass Sie mir das sagen müssen. Ich will Sie nur noch mal daran erinnern, dass wir leider schon gestern so einen Fall hatten.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Ich habe Sie auch gerade daran erinnert.)

Und heute reden wir dann über den zweiten Versuch einer Einflussnahme, und diesmal auf Bedienstete von Kommunen und von Landkreisen. Nun hat man sich nach Bekanntwerden dieses Rundschreibens des Vizepräsidenten des Landesverwaltungsamts bemüht, die ganze Sache herunterzuspielen mit den Worten: Beamte dürfen sich außerhalb des Dienstes selbstverständlich politisch betätigen.

Meine Damen und Herren, wir Abgeordnete von der SPDFraktion wissen natürlich, es ist selbstverständlich, dass sich Beamte in ihrer Freizeit politisch betätigen dürfen,

(Beifall bei der PDS, SPD)

aber genau an dieser Stelle hat dieser Vizepräsident Bär versucht, ein Verbot auszusprechen. Ich finde die Formulierung in seinem Rundschreiben ziemlich eindeutig. Und jetzt zitiere ich eine andere Stelle aus diesem Rundschreiben, Herr Fiedler.

(Zwischenruf Abg. Fiedler, CDU: Ich habe es vorhin schon gesagt.)

Diese entsprechende Passage im Schreiben lautet: "Da die Anwendung der aufgestellten Grundsätze bereits die Auslegung entsprechender Unterschriftsbögen als unzulässig zu beurteilen ist, verbietet sich erst recht eine aktive Werbung für das Volksbegehren durch Bedienstete der Kommunen bzw. der Landkreise."