Protokoll der Sitzung vom 14.12.2000

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen Herren, es ist heute wieder einmal die Moral in diesem hohen Hause ausgiebig bemüht worden. Ja, Herr Dr. Hahnemann hat die Moral in einem hohen Maße in Anspruch genommen. Mir und manch anderem hier ist das Glück zuteil geworden, bereits seit 1990 diesem Parlament anzugehören, so sind mir also auch die Begleitumstände des Ganges von unseren früheren Kollegen Geißler und Büchner zum Verfassungsgericht noch sehr gut bekannt. Weil dann auch in den Verhandlungen immer wieder die Moral so hochgehoben wurde, nehme ich mir heute die Freiheit, die eigentlichen Motive noch einmal deutlich zu machen.

Als die ursprüngliche Festlegung dazu führte, dass sowohl Fraktionsvorsitzenden als auch parlamentarischen Geschäftsführern eine erhöhte Entschädigung zugesprochen wurde, hat man in der kleinsten Fraktion Bündnis 90/Die Grünen damals vereinbart, dieses Amt, wie bei den Grünen gelegentlich, rotieren zu lassen. Als die Zeit herankam, Herrn Büchner und Herrn Geißler diese Ämter zu übertragen, damit auch sie einmal in den Genuss höherer Entschädigung kommen, hat die Rotation plötzlich nicht mehr funktioniert, das hat die beiden in Harnisch gebracht, hat sie nach Karlsruhe getrieben und möglicherweise auch später aus ihrer Fraktion, denn dieser Schritt war auf einmal ganz heftig und die PDS musste zur Ader gelassen werden, damit die kleinste Fraktion weiterhin ihren Fraktionsstatus behält, denn der war an die Zahl von fünf Abgeordneten gebunden und nach dem Ausscheiden von Herrn Geißler und Herrn Büchner wären es bloß noch vier gewesen. Deshalb ist dann ein Mitglied der PDS zu Bündnis 90/Die Grünen übergetreten. So viel zur Moral, schönen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Herr Abgeordneter Schwäblein, der Herr Abgeordnete Schemmel hat eine Frage an Sie.

Herr Schwäblein, sind Sie mit mir einer Meinung, dass Ihr historisch wertvoller Beitrag die bestehende Rechtslage nicht verändert?

(Heiterkeit bei der SPD)

Da haben Sie wohl Recht.

(Beifall bei der CDU)

Herr Abgeordneter Dr. Dewes, SPD-Fraktion, bitte schön.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Schwäblein, es geht auch ein Stück um Moral, worüber wir heute reden,

(Unruhe bei der CDU)

nämlich um die Frage, wie wir mit einer Entscheidung des höchsten deutschen Gerichts als Thüringer Landtag umgehen, einer Entscheidung, die dieses Parlament betrifft, und wo ich der Auffassung bin, dass wir schon daran gemessen werden, wir stringent wir mit diesem Urteil und seinen Gründen umgehen. Es geht weniger um die Frage, welcher Aufwand entsteht. Im Bundesverfassungsgericht und den Richtern dort war es durchaus bekannt, dass parlamentarische Geschäftsführer, stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Ausschussvorsitzende, wenn sie ihre Arbeit ernst nehmen, mehr Aufwand betreiben, als dies der normale Abgeordnete von der Aufgabenstellung her tut und zu tun hat. Dies war den Richtern bekannt. Ein Mitglied des Senats des Bundesverfassungsgerichts war vier Jahre Justizminister in Thüringen. Ich kann mir vorstellen, dass er auch die Belastungen in einem neuen Bundesland in die Entscheidungsfindungen mit eingebracht hat und dies nicht außen vor geblieben ist. Wir wissen doch alle, dass wir es bei dem Thema der Diäten und der Vergütung der Tätigkeit der Abgeordneten nicht nur hier in Thüringen, sondern bundesweit mit einem der sensibelsten Themen deutscher Politik zu tun haben. Es darf einfach nicht der Eindruck zum einen entstehen, dass wir dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht umsetzen, und zwar in aller Stringenz, und dass wir der Versuchung unterliegen, es zu ignorieren und zu umgehen. Es heißt auch nicht, dass wir mit allem einverstanden sein müssen, was das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, dass wir es für richtig und sachlich nachvollziehbar halten. Das ist nicht der Punkt. Das Verfassungsverständnis des Grundgesetzes und der Landesverfassung gebietet es, dass, ungeachtet der Tatsache, ob man dieses Urteil für richtig hält oder nicht, wir es umsetzen, und zwar Buchstabe für Buchstabe. Das Bundesverfassungsgericht hat eine wichtige Vokabel benutzt, diejenigen, die das Urteil gelesen haben, wissen dies. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, es soll keine Bildung von Hierarchien in den Fraktionen geben, wobei ich jetzt mal in Klammern setze, meine Auffassung, die Fraktionsvorsitzenden zu belassen und die anderen herauszunehmen, vor dieser Fragestellung - Bildung von Hierarchien - ist mit einem Fragezeichen zu versehen, aber so hat das Bundesverfassungsgericht es festgestellt.

Herr Abgeordneter...

Nachher, wenn ich zu Ende bin, gern.

Und wenn das Bundesverfassungsgericht der Auffassung ist, dass keine Hierarchien im Hinblick auf besondere Funktionen gebildet werden sollen, hat es dann nicht, Frau Kollegin Lieberknecht, auch damit gemeint, dass dies nicht zusätzlich über Umwegfinanzierungen abgegolten werden sollte? Das ist doch die Frage, die sich hier stellt.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Es ist ein Verschieben der Problematik in die falsche Ecke. Wenn hier über den Aufwand geredet wird, und, Frau Kollegin Nitzpon, ich will Ihnen nicht zu nahe treten,

(Zwischenruf Abg. Nitzpon, PDS: Ja, aber ich habe doch nach konkreten Zahlen für das Maß einer Aufwandsentschädigung gefragt.)

diese Frage konnte der Kollege Wolf sicher nicht beantworten, die Sie gestellt haben. Sie ist auch nicht entscheidend. Ich unterstelle, dass Sie als parlamentarische Geschäftsführerin und die parlamentarischen Geschäftsführer der beiden anderen Fraktionen wesentlich mehr Aufwand betreiben, als dies bei dem normalen Abgeordneten der Fall ist. Nur, das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, darauf kommt es gar nicht an. Ich will auch eines hier deutlich sagen und das hat nichts mit Moralisieren zu tun. Die Abgeordnetendiäten in diesem Landtag sind in Ordnung. Wer besondere Funktionen anstrebt, der sollte dies vor dem Hintergrund tun, dass er mit dieser Aufgabenübernahme auch zusätzlichen Aufwand hat und dies dann trägt und erträgt, so wie das Bundesverfassungsgericht es vorgegeben hat. Ich habe die große Sorge - nicht nur, dass wir etwas tun, was verfassungsrechtlich nicht halten wird, nicht nur diese Sorge habe ich -, ich habe vor allem die Sorge, dass in der Öffentlichkeit bei den Bürgerinnen und Bürgern der fatale Eindruck entsteht, dass wir verbindliches und bindendes Recht - und diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hat Gesetzescharakter, dies wissen alle, die sich mit der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland auskennen - nicht achten, nur weil es uns nicht passt und weil es für einige von uns materielle Nachteile mit sich bringt. Dies darf nicht die Botschaft sein, die aus diesem Parlament in die Öffentlichkeit geht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist kein Vorwurf an die Mehrheitsfraktion in diesem Haus, um das auch ganz deutlich zu machen, es ist ein Appell an uns alle, dieses Urteil so ernst zu nehmen, dass eine solche Botschaft nicht zu Stande kommen kann. Wenn dies so umgesetzt wird, wie es heute hier vorgelegt ist und wohl mit Mehrheit beschlossen wird, dann wird diese Botschaft in die Öffentlichkeit und an die Bürgerinnen und Bürger so herangetragen werden. Wir erweisen diesem Land und der Demokratie damit keinen guten Dienst. Ich bin, meine sehr verehrten Damen und Herren, meiner Fraktion sehr dankbar, dass sie sich dafür entschieden hat, nicht nur, wenn dies heute so beschlossen wird, den Verfassungsgerichtshof des Landes anzurufen, sondern auch durch den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dafür Sorge zu tragen, dass dieses Gesetz so nicht vollzogen werden kann.

(Beifall bei der SPD)

Herr Abgeordneter, Sie wollten noch eine Frage stellen?

Wobei die Präsidentin mir die Möglichkeit geben müsste.

Herr Abgeordneter, Sie können an den Abgeordneten Dr. Dewes Ihre Frage stellen. Er hat dies gestattet.

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Eine Nachfrage zur Moral, Herr Kollege, die Sie bringen. Finden Sie es besonders moralisch, wenn Kolleginnen und Kollegen zur Plenarsitzung kommen und hier ihre Unterschrift leisten, um Sanktionen zu vermeiden, und für eine Stunde Anwesenheit bei der Plenarsitzung die volle Diät kassiert wird?

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Kretschmer, Sie wissen sehr wohl,

(Zwischenruf Abg. Wackernagel, CDU: Der ist die kürzeste Zeit im Haus.)

dass die Abgeordneten, wenn sie an Parlamentssitzungen nicht vollständig teilnehmen, in der Regel sehr gute Gründe dafür haben, dass sie im Vollzug ihres Mandats entweder Aufgaben im Landtagsgebäude selber - Besuchergruppen zum Beispiel

(Zwischenruf Abg. Wackernagel, CDU: So sehen Sie aus.)

oder aber auch innerhalb ihres Mandats wahrzunehmen haben und unabkömmlich sind, auch im Auftrag des Landtags wahrnehmen. Ich denke, das hiermit zu verbinden wäre nicht sachgerecht.

Zusammenfassend zum Schluss: Ich bin der Auffassung, dass das Parlament sich heute hier sehr wohl überlegen sollte, ob dieser Gesetzentwurf so das Parlament - dieses Plenum - passiert. Mein Appell wäre, von diesem Gesetzentwurf heute Abstand zu nehmen und seine Verabschiedung auszusetzen und sehr schnell gemeinsam dafür Sorge zu tragen, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sehr schnell und stringent umgesetzt wird.

(Beifall bei der PDS, SPD)

Es werden keine weiteren Redemeldungen signalisiert und ich kann die gemeinsame Aussprache zu allen drei Vorlagen schließen. Ich verweise gleich jetzt darauf, dass wir in ein recht kompliziertes Abstimmungsverfahren eintreten werden.

Als Erstes ist der Antrag der PDS-Fraktion gestellt worden, das gesamte Paket, also alle Drucksachen, samt den dazugehörigen Beschlussempfehlungen an den Justizausschuss zurückzuverweisen. Wer diesem Antrag zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Gegenstimmen? Danke schön. Mit einer Mehrheit von Gegenstimmen ist diese Rücküberweisung abgelehnt.

Als Nächstes rufe ich nun auf die Abstimmung zum Gesetzentwurf der Fraktion der PDS in der Drucksache 3/1010. Dazu gibt es eine Beschlussempfehlung und zur Beschlussempfehlung ist vorhin ein Änderungsantrag der Fraktion der PDS verteilt worden, der die Drucksachennummer 3/1174 trägt.

Über diesen Änderungsantrag stimmen wir zuerst ab. Wer dem Änderungsantrag zur Beschlussempfehlung in der Drucksache 3/1143 zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Danke schön, also Drucksache 3/1174 zu Drucksache 3/1143. Die Gegenstimmen? Das ist Mehrheit. Damit ist dieser Änderungsantrag der Fraktion der PDS abgelehnt.

Da die Beschlussempfehlung des Justizausschusses in der Drucksache 3/1143 die Ablehnung des Gesetzentwurfs empfiehlt, kommen wir zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der PDS. Wer diesem Gesetzentwurf zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Danke schön. Die Gegenstimmen bitte? Danke schön. Gibt es Stimmenthaltungen? 2 Stimmenthaltungen. Damit ist der Gesetzentwurf der PDS-Fraktion abgelehnt.

Ich rufe nun auf die Abstimmung zu dem Gesetzentwurf der Fraktion der SPD in der Drucksache 3/1016, das ist über den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD in zweiter Beratung unter der Berücksichtigung, dass auch hier die Beschlussempfehlung die Ablehnung des Gesetzentwurfs vorsieht. Demzufolge kommen wir unmittelbar zur Abstimmung. Wer dem Gesetzentwurf der SPD in der Drucksache 3/1016 zustimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. Danke schön. Die Gegenstimmen? Mit einer Mehrheit von Gegenstimmen ist auch dieser Gesetzentwurf abgelehnt.

Ich rufe als Drittes auf den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU in der Drucksache 3/1025. Dazu liegt die Beschlussempfehlung des Justizausschusses in der Drucksache 3/1145 vor und es ist namentliche Abstimmung über diese Beschlussempfehlung beantragt worden seitens der SPD-Fraktion und zu dieser namentlichen Abstimmung kommen wir jetzt.

Konnten alle ihre Stimme abgeben? Dann kann gezählt werden. Ich komme zur Bekanntgabe des Ergebnisses in der namentlichen Abstimmung zur Beschlussempfehlung des Justizausschusses in der Drucksache 3/1145. Es wurden 76 Stimmen abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 45, mit Nein haben gestimmt 31. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Enthaltungen gab es keine (na

mentliche Abstimmung siehe Anlage 3).

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion der CDU unter der Berücksichtigung, dass die Beschlussempfehlung angenommen worden ist. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. Danke schön. Das ist die Mehrheit. Die Gegenstimmen bitte schön? Danke schön. Gibt es Stimmenthaltungen? Es gibt keine Stimmenthaltungen. Mit einer Mehrheit ist der Gesetzentwurf der CDU unter Berücksichtigung der Beschlussempfehlung in der Drucksache 3/1145 angenommen worden.

Wir kommen zur Schlussabstimmung. Wer nun dem Gesetzentwurf zustimmt, den bitte ich das durch Aufstehen zu bekunden. Danke schön. Ich erspare Ihnen das zu zählen, weil ich weiß, wie viel es sind. Die Gegenstimmen bitte? Danke schön. Gibt es Enthaltungen? Das ist nicht der Fall. Mit einer Mehrheit von Stimmen ist dieser Gesetzentwurf angenommen worden.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 3 und wir kommen vereinbarungsgemäß zum Aufruf des Tagesordnungspunkts 6

Fünftes Gesetz zur Änderung des Thüringer Kommunalabgabengesetzes Gesetzentwurf der Landesregierung - Drucksache 3/1138 ERSTE BERATUNG

Wird Begründung durch den Einreicher, durch die Landesregierung gewünscht, Herr Minister?

(Zuruf Köckert, Innenminister: Ja.)

Ja. Es wäre sehr freundlich, wenn Sie dem Minister die Aufmerksamkeit zukommen ließen, die seiner Einbringung hier angemessen ist.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, die Landesregierung legt Ihnen heute den Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Thüringer Kommunalabgabengesetzes vor. Das Ziel des vorliegenden Gesetzentwurfs ist es, die Festsetzungsfrist für Beitragspflichtige, die bis zum 31. Dezember 1997 entstanden ist, bis zum 31. Dezember 2002 zu verlängern. Über die Notwendigkeit, dieses Gesetz zu ändern, wurde in den letzten Wochen nicht nur bei den Aufgabenträgern stark diskutiert, sondern auch in der Öffentlichkeit. Wir können heute feststellen: Die Verlängerung der Festsetzungsfrist ist erforderlich, um den Aufgabenträgern eine ordnungsgemäße Heranziehung aller Anschlussnehmer zu ermöglichen entsprechend den Vorteilen, die ihnen die öffentliche Einrichtung vermittelt hat. Wie ist es zu dieser Situation gekommen? Die Aufgabenträger, aber auch die Kommunalaufsichtsbehörden mussten sich in den vergangenen