Protokoll der Sitzung vom 05.04.2001

Zum Zweiten: Die Diskussion um den Atomtransport hat natürlich auch den Teil der Wiederaufbereitung, der in La Hague und in Sellafield stattfindet, in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen gerückt und die Bundesregierung - ich will über diesen Atomkonsens gar nicht reden - hat dieser unsäglichen Entwicklung der weiteren Förderung der Wiederaufbereitung natürlich auch für die nächsten fünf Jahre Tür und Tor geöffnet. Dort findet nicht nur eine Wiederaufbereitung der abgebrannten Brennelemente statt, dort findet ein Anstieg des Atommülls statt, indem die zur Wiederaufbereitung notwendigen Chemikalien, Werkzeuge und andere Trennmittel den Berg des

hochradioaktiven Atommülls weiter vergrößern. Laut Angaben von Greenpeace werden durch die Wiederaufbereitungsanlagen von Sellafield und von La Hague täglich 10 Mio. Liter radioaktiven Abwassers in den Ärmelkanal und in die Irische See geleitet. Das sind alles Umweltverschmutzungen und ökologische Beeinträchtigungen Herr Schugens, ich beantworte Ihre Frage am Ende -, die Sie in Ihren Ausführungen einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen.

Und jetzt sage ich doch noch einige Sätze zu den Risiken, die ja, denke ich, bei den Atomreaktorenunglücken in Tschernobyl oder auch in den USA, aber auch bei den im Zusammenhang stehenden Transportunglück mit dem Castor 1997 deutlich zu Tage getreten sind. Das Risiko ist unkalkulierbar, das Risiko ist vorhanden und diese Technologie ist keine Hochtechnologie, diese Technologie ist nicht beherrschbar und führt zu dauerhaften Schädigungen.

(Beifall bei der PDS)

Die Bundesregierung muss heute noch zugeben, dass sie keinerlei Vorstellungen, keinerlei Konzepte hat, wie der hoch radioaktive Müll, der er noch für die nächsten 200.000 Jahre ist, in der Bundesrepublik endgelagert und möglichst sicher endgelagert werden soll, sondern es wird fleißig weiter produziert. Das hat der Atomkonsens mit zu Wege gebracht und die Zwischenlager werden weiterhin angefüllt werden. Ich will, Herr Schugens, Ihre Rechnung, was die CO2-Emissionen bei Ersatz der Atomkraftwerke angeht, überhaupt nicht bestreiten, bloß gehen Sie von einem ganz fatalen Denkfehler aus. Denn ein Problem der Atomenergienutzung ist doch auch, dass diese Kraftwerke, so wie sie gegenwärtig vorhanden sind, die Substitution dieser konventionellen Energieträger durch regenerative Energieträger dauerhaft verhindern, weil diese Atomkraftwerke Grundlastkraftwerke sind, die kaum oder nur gering regelbar sind und tatsächlich nicht für regenerative Energieträger Platz machen und vom Netz gehen, sondern weil sie profitorientiert auf die nächsten 32 bis 35 Jahre arbeiten sollen, auch den Wandel in der Energieerzeugung verhindern. Dabei trägt auch die rotgrüne Bundesregierung einen erheblichen Anteil der Verantwortung. Uns geht es darum, dass mit dem sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie auch die Energieeinsparung, die der Abgeordnete Kollege Sonntag in seinem Redebeitrag angesprochen hat, endlich vollzogen werden kann, dass mit dem Ausstieg auch der Weg frei gemacht werden kann für tatsächliche Einsparungspotenziale und für die tatsächliche Substitution durch regenerative Energieträger. Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS)

Herr Abgeordneter Dittes, Herr Sonntag steht am Mikrofon für eine Frage und Herr Schugens, Sie kommen auch.

Ja, bitte.

Herr Sonntag, fragen Sie erst.

Herr Kollege, es ist Ihnen doch sicherlich bei meinem Vortrag bewusst geworden, dass selbst bei dem Szenario, was ich dort dargestellt habe, die Grundlastkraftwerke in einer bestimmten endlichen Anzahl trotzdem gebraucht werden? Das ist ja auch der Grund - ich hatte es ja vorhin ausgeführt, ich hoffe, Sie haben es gehört -, dass Neuinvestitionen für konventionelle Kraftwerke vorgesehen sind.

Das mag ja sein, dass Sie diese Meinung vertreten haben, Herr Sonntag, in Ihrem Redebeitrag. Das heißt doch noch lange nicht, dass ich mich dieser Meinung anschließen muss und das heißt noch lange nicht, dass Energiestudien belegen, dass diese Form der Grundlasterzeugung notwendig sei, sondern dass wir in der Energieerzeugung eine Dezentralisierung vor Ort brauchen und an diesen Konzepten arbeiten ja auch die Energiekonzerne bereits, um nach dem Ausstieg aus der Atomenergie tatsächlich auch energiepolitisch weiter den Fuß in der Tür zu haben. Ich bin gern bereit, mich mit Ihnen darüber noch einmal auseinander zu setzen. Es wäre sicherlich, und ich gehe davon aus, auch die Möglichkeit im Umweltausschuss gegeben. Diese Meinung, die Sie in dieser Form vertreten haben, teile ich nicht. Ich will das vielleicht kurz skizzieren. Es gibt ganz klare Vorstellungen, die auch wissenschaftlich untersetzt sind, dass eine Einsparung der Verbrauchsenergie in den nächsten 50 Jahren um 50 Prozent möglich und realisierbar ist und dass es in diesem Szenario auch möglich ist, vollständig auf Kohle als Energieträger und auch auf Kernenergie zu verzichten und nur noch ein sehr geringer Anteil durch Erdgas zu bewerkstelligen ist.

(Beifall bei der PDS)

Jetzt Herr Abgeordneter Schugens, bitte.

Herr Dittes, Sie meinen, der Energieverbrauch wird nicht steigen. Weltweit ist aber bekannt, dass der Energieverbrauch um 60 Prozent steigt und die Entwicklungsländer mindestens 100 Prozent an Steigerungsrate haben. Die Entwicklungsländer sind aber oft nicht in der Lage, Rohstoffe zu besitzen. Sind Sie nicht auch der Auffassung,

dass das nur mit Kernenergie abgedeckt werden kann?

Wie bitte, die Entwicklungsländer sind nicht in der Lage, Rohstoffe zu besitzen?

Die besitzen den Energieträger nicht, den sie benötigen.

Lieber Herr Schugens, da könnten wir tatsächlich, und dafür habe ich immer geworben, Umweltpolitik auch mit internationaler Politik verbinden, denn ich glaube schon, dass genau die Entwicklungsländer über die Rohstoffe verfügen,

(Beifall bei der PDS)

aber eigentlich nicht verfügen können, weil es die Industrienationen sind, die diese Länder ausbeuten, damit wir hier diesen Lebensstandard erhalten können. Ich gebe in diesem Zusammenhang Herrn Sonntag ausdrücklich Recht, um Ihre Frage auch zu beantworten. Natürlich ist das Streben in den Entwicklungsländern nach einem ähnlichen Lebensstandard wie hier nachzuvollziehen und sicherlich auch zu akzeptieren, nur nützt es uns nichts, wenn wir mit dem Finger auf diese Länder zeigen und sagen, wir erhalten unseren Lebensstandard zulasten der Natur und der dort lebenden Menschen und sagen, sie sollen bitte ökologische Konzepte verfolgen. Nein, das ist tatsächlich ein globales Problem, wo lokal gehandelt werden muss. Das heißt, es muss dort, in den Entwicklungsländern, in ökologisch verträgliche Technologie gesetzt werden. Und da nützt es nichts, wenn unter der großen Überschrift und dann fälschlicherweise "Entwicklungspolitik" die Technologie, die unökologisch und heute schon veraltet und nicht zukunftsträchtig ist, die wir hier zum Einsatz bringen, dorthin exportiert werden soll. Das ist weder eine verantwortliche Politik gegenüber den dortigen Ländern und den dort lebenden Menschen noch gegenüber unserer gemeinsamen Zukunft.

(Beifall bei der PDS)

Noch eine Frage? Bitte.

Herr Dittes, 2,6 Prozent sind weltweit im Moment regenerative Energien im Einsatz, dann können Sie sich vorstellen, wo wir hinkommen. Aber ich habe eine andere Frage: Ist Ihnen bekannt, dass seit über 40 Jahren eine Vielzahl von Menschen direkt auf Reaktoren geschlafen hat, ich meine die Damen und Herren, die in den U-Booten

in Hunderten gefahren sind, kennen Sie da Gefahren, kennen Sie Schädigungen?

Herr Schugens, vielleicht darf ich Ihnen mit einer Gegenfrage kommen. Sind Ihnen die Auswirkungen des Atomreaktorunfalls in Tschernobyl 1986 bekannt, an denen die Region heute noch zu leiden hat?

(Beifall bei der PDS)

Weitere Wortmeldungen liegen mir jetzt für die Aussprache im Plenum nicht vor. Es wurde aber von verschiedenen Rednern auf eine Fortsetzung der Aussprache im Ausschuss für Naturschutz und Umwelt verwiesen. Habe ich das als Antrag zu verstehen?

(Zuruf aus der CDU-Fraktion: Ja.)

Dann stimmen wir über den Antrag ab, Fortsetzung der Beratung im Ausschuss für Naturschutz und Umwelt. Ich bitte um das Handzeichen von denjenigen, die einverstanden sind. Danke, das sieht sehr einmütig aus, auf jeden Fall ausreichend für die Überweisung an den Ausschuss, das heißt Fortsetzung der Beratung. Dennoch habe ich noch festzustellen, dass das Berichtsersuchen gemäß § 106 Abs. 2 der GO erfüllt ist. Widerspruch dagegen sehe ich nicht. Damit kann ich jetzt den Tagesordnungspunkt 9 schließen und rufe auf den Tagesordnungspunkt 10

Verhandlungen zum Maßstäbegesetz, Länderfinanzausgleich und Solidarpakt II Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 3/1444 dazu: Änderungsanträge der Fraktion der SPD - Drucksachen 3/1490/1492 Änderungsantrag der Fraktion der PDS - Drucksache 3/1493

Der Einreicher wünscht keine Begründung, damit kommen wir gleich zur Aussprache. Für die Aussprache hat um das Wort gebeten Frau Abgeordnete Dr. Wildauer, PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts muss ein Maßstäbegesetz her. Jetzt liegt ein Entwurf der Bundesregierung vor. Die Thüringer Landesregierung wird am Verhandlungstisch sitzen und die Thüringer Interessen vertreten. Ich meine, dass sie das in den bisherigen Verhandlungen auch sehr gut gemacht hat. Dass Sie von uns bisher dazu kein Lob gehört haben, liegt nur daran, dass wir

Sie nicht irritieren und auch nicht vom Weg abbringen wollten.

(Beifall bei der PDS)

(Zwischenruf Trautvetter, Finanzminister: Danke schön.)

Meine Damen und Herren der CDU-Fraktion: Haben Sie Bedenken, dass die Regierung den Kurs ändert oder weiche Knie bekommt oder wollen Sie mit dem Antrag die Position Ihrer Regierung bestärken? Wie dem auch sei, es kann nicht schaden, wenn wir hier beschließen, welche Eckpunkte die Vertreter der Regierung zu vertreten haben. Bevor ich zu den einzelnen Punkten des CDU-Eckpunktepapiers komme, lassen Sie mich noch etwas zu dem Rahmen sagen, in dem wir uns bewegen.

In der Geschichte des Finanzausgleichs hat es bereits mehrere Änderungen gegeben, die aber alle nur an der Oberfläche blieben. Auch jetzt wird nur das geändert, was die Richter aus Karlsruhe beanstandet haben. Bei einem Korridor von 12 DM pro Einwohner kann man zumindest im Länderfinanzausgleich kaum richtige Änderungen vornehmen. Parallel geht zunehmend der Solidargedanke des Föderalismus verloren. Ursache sind Ausgleichsmechanismen, die das erklärte Ziel der Angleichung der Lebensverhältnisse in den Ländern der Regionen verfehlen. So wie es jetzt läuft, kann es nicht weitergehen, jedenfalls nicht, wenn die Schere zwischen Ost und West nicht weiter auseinander gehen soll. Insbesondere bei den Geberländern erkennt man eine Tendenz, die in Richtung Wettbewerbsföderalismus geht, also weg vom Solidargedanken des Föderalismus. Nicht, dass ich etwas gegen Wettbewerb hätte, nein, Wettbewerb muss sein, auch beim Finanzausgleich, aber das Solidarische müsste im Vordergrund stehen. Und ich vermisse in Ihrem Antrag, meine Damen und Herren, genau dieses Solidarische. Es fällt nicht ein Wort zum eigentlichen Sinn des Finanzausgleichs, nämlich der Angleichung der Lebensverhältnisse in allen deutschen Ländern. Deshalb möchten wir, dass das, was das Wichtigste bei allen Überlegungen zur Änderung der Finanzbeziehungen bleibt, auch in den Antrag aufgenommen wird. Laut Geschäftsordnung geht dies ja nur mit Zustimmung des Antragstellers. Wir haben den Antragsteller um Zustimmung gebeten. Die CDU hat sich erfreulicherweise - jawohl, Herr Mohring, Sie können sich schon freuen, ja - entschieden, die Änderungsanträge zuzulassen.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Richtig.)

Das heißt noch lange nicht, dass Sie dafür sind. Danke schön. Nein, das war nicht abzusehen.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Deshalb habe ich...)

Danke, das ist eine gute Geste.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, der Finanzausgleich hat bis auf wenige Ausnahmen die Unterschiede der Lebensverhältnisse in den alten Ländern nicht ändern oder seit der Einbeziehung der neuen Länder die Unterschiede in den Lebensverhältnissen zwischen den alten und den neuen Bundesländern nicht wesentlich abbauen können, obwohl rein rechnerisch eine Angleichung der Finanzkraft erfolgte. Eine alleinige Angleichung der Finanzkraft reicht eben nicht, um den Ansatz des Grundgesetzes, die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet zu wahren, umzusetzen. Hier verweise ich ganz konkret auf Artikel 72 Abs. 2 des Grundgesetzes.

Von einem Maßstäbegesetz erwarten wir, dass die Hauptkriterien für eine Angleichung der Lebensverhältnisse bestimmt werden, also das Niveau der Beschäftigung, die Qualität der Infrastruktur oder der erreichte Stand einer selbsttragenden Wirtschaft. Wir schlagen vor, im horizontalen Finanzausgleich die Finanzkraft und im vertikalen Finanzausgleich die Unterschiede in den Lebensverhältnissen auszugleichen, die nach Finanzkraftausgleich noch bestehen.

Nun zu den einzelnen Punkten des CDU-Antrags.

Punkt 1 - Sie schreiben: "Der horizontale Finanzausgleich muss gewährleisten, dass ein angemessener Finanzkraftausgleich aller Länder erreicht wird." Sehr richtig, steht ja auch im Grundgesetz Artikel 107 Abs. 2 Satz 1. Im Grundgesetz heißt es allerdings weiter: "Hierbei sind die Finanzkraft und der Finanzbedarf der Gemeinden zu berücksichtigen." Die hundertprozentige Einbeziehung der Steuereinnahmen der Kommunen haben Sie zwar in der Begründung als einen wichtigen Eckpunkt erwähnt, jedoch nicht aufgenommen.

Meine Damen und Herren, das ist doch keine Kompromismasse. Wenn der baden-württembergische Finanzminister meint, verfassungsrechtliche Bedenken haben zu müssen, dann sollte ihm mal jemand erklären, dass es im Grundgesetz "ist zu berücksichtigen" heißt und nicht "ist teilweise zu berücksichtigen".

Um eine gerechte Ausgleichsbasis zu schaffen, sind in die Finanzkraftbestimmungen alle Steuereinnahmen der Länder, also auch die Gemeindesteuern, zu 100 Prozent einzubeziehen und dies gehört unbedingt zu den Eckpunkten. Wie bedeutsam die vollständige Berücksichtigung der kommunalen Steuerkraft ist, belegen die gemeindlichen Steuerkraftunterschiede zwischen den Ländern. In Hessen haben die Gemeinden rund 1.900 DM pro Einwohner an eigenen Steuereinnahmen, genau sind es 1.821 DM in diesem Jahr. Man muss allerdings sagen, dass Hessen bundesweit die höchsten eigenen Steuereinnahmen hat. Hiervon finden bei der Bestimmung der Finanzkraft des Landes 950 DM Berücksichtigung. In Thüringen werden von den 516 DM kommunaler Steuereinnahmen 258 DM angerechnet. Aus einem tatsächlichen kommunalen Steuerkraftunterschied von 1.390 DM zwischen Hessen und

Thüringen wird ein Unterschied von nur 695 DM, der in die Berechnung einfließt, und das kann wohl nicht gerecht sein.

Zu Ihrem Punkt 2 - hier sagen Sie: "Bei der Neugestaltung der Bundesergänzungszuweisungen muss das vom Bund derzeit zur Verfügung gestellte Finanzvolumen beibehalten werden." Ich nehme an, dass Sie nichts dagegen hätten, wenn es etwas mehr werden würde. Die SPD schlägt nun auch korrekterweise vor, das Wort "mindestens" einzufügen. Dieser Punkt 2 ist wohl von der Angst geprägt, dass Herr Eichel die Gelegenheit nutzt, um die Bundeszuweisungen abzusenken,

(Zwischenruf Trautvetter, Finanzminister: Der hat sie schon genutzt.)