Protokoll der Sitzung vom 11.10.2001

(Beifall bei der CDU)

Als das durch das Verbot der Stadt Erfurt nicht gelang, wurde trotzdem versucht zu demonstrieren. Die Polizei hat das richtigerweise unterbunden und am Tag darauf wurde eine nicht angemeldete und somit auch nicht genehmigte Veranstaltung auf dem Fischmarkt versucht. Sie ging einher mit Diffamierungen des Oberbürgermeisters durch das Verwenden von Gesichtsmasken mit seinem Konterfei und von Gewerkschaftsleuten und auch von Herrn Dittes wurden fleißig diese Zettel verteilt. Da taucht wieder der Name Lucifero auf, wie wahrscheinlich nachher noch mal. Als die Polizei kam, hat man ganz schnell Herrn Dittes die vielen Zettel in die Hand gedrückt, dass er sie kaum noch tragen konnte, wohl in dem Glauben, damit aus dem Schussfeld

zu sein. Und jetzt müssen wir der Polizei eine kleine Nachhilfe geben. Wir kennen das Abgeordnetengesetz besser, sollte ein Abgeordneter in flagranti bei gesetzwidrigen Taten ertappt werden, gilt die Immunität nicht.

(Beifall bei der CDU)

Zur Gruppe "yafago" darf ich aus ihrem Selbstverständnis etwas zitieren - wenn man im Internet sucht, findet man auch etwas, nicht gleich, aber mit einem bisschen Mühe geht es. Deshalb zwei Passagen, sie stehen unmittelbar untereinander. Hier heißt es: "Erstens ist eine Revolution im legalen Rahmen nicht machbar. In der bestehenden Gesellschaft ist die abstrakte Herrschaft des Marktes, welche wir abschaffen wollen, Verfassungsgrundsatz. In Folge sind Aktionen, die auf die Abschaffung dieser Herrschaft zielen, notwendig illegal. Zweitens findet keine Revolution statt, wenn die Revolutionäre und Revolutionärinnen das staatliche Gewaltmonopol anerkennen, denn das staatliche Gewaltmonopol hat die Funktion, den Staat zu schützen und die Gesellschaft zu erhalten." Herr Innenminister, zwei Passagen, die eindeutig verfassungswidrig sind und somit sollte auch die Gruppe "yafago" in den Blick des Verfassungsschutzes genommen werden.

(Beifall bei der CDU)

Herr Dittes steht für diese Gruppierung ein und wenn man sich weiter umschaut, die Gruppe "yafago" gibt eine Internetadresse an: yafago@lag-antifa.de. Wenn man schaut, wer denn zu lag-antifa steht, taucht sofort der Namen Angelo Lucifero auf, das ist keine Behauptung von mir, das ist im Internet nachzuvollziehen.

Herr Schwäblein, leider muss ich an die Redezeit erinnern.

Gut, dann mache ich es kurz und knapp. Weiter nachgeschaut führt der Weg von lag-antifa zum DGB-Bildungswerk, verantwortlich für die Internet-Domain ist dann Frau Renate Licht. Inwieweit sie sich in dieses Feld begeben hat, weiß ich nicht. Ich will nur noch anmerken, Herr Dittes hat versucht, uns mit Anfragen zum Rechtsradikalismus blind werden zu lassen. Wir sind es nicht. Wir sehen sehr wohl die Gruppen im linksextremistischen Feld. Da gibt es noch mehrere. Ich gebe dem Innenminister gern die Aufstellung zur Verfügung. Ich darf feststellen, dass die PDS mit ihrer Politik und die SED zuvor auch Terroristen unterstützt hat, teilweise in der DDR ausgebildet hat, die Ausbilder in alle Welt geschickt hat. Das Erbe ist vor wenigen Wochen aufgetaucht und die PDS ist mit verantwortlich für das, was aus Herrn Dittes geworden ist. Im Übrigen ist er als Innenpolitischer Sprecher nach außen abgesetzt. Er leitet weiterhin die Arbeitsgruppe "Innenpolitik" in der PDS, eine

scheinheilige Lösung, die ist uns noch gar nicht richtig bekannt, ich will sie hier nur offen verkünden. Die PDS ist mit verantwortlich dafür, was aus Herrn Dittes geworden ist, nämlich der Hasser Osama Ben Dittes.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat jetzt der Innenminister. Ich sehe keine weitere Meldung.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, "Eine Nacht der Anarchie verursacht mehr Schaden als 100 Jahre Tyrannei." Das ist ein altes arabisches Sprichwort und das ist Weisheit. "Es gibt tausend Gründe, Deutschland zu hassen." Das ist ein Demonstrationsmotto des Abgeordneten Dittes und zumindest Dummheit, aber eigentlich noch etwas anderes. Es gibt tausend Gründe, Deutschland zu hassen - ausgerechnet einen Tag vor dem 3. Oktober, ausgerechnet wenige Tage nach dem aus Hass erfolgten schrecklichen Terroranschlag in New York ruft ein Abgeordneter dieses hohen Hauses, bis vor kurzem Innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion, unter diesem Motto zu einer Demonstration auf, als Privatmann natürlich. Unterstützt wird er dabei per Internet und durch Flugblätter von der anarchistisch-kommunistischen Gruppe "yafago". Auf den in der Stadt verbreiteten Plakaten sind Polizeibeamte von 1933 abgebildet mit Hakenkreuz und Hitlergruß, daneben unsere Bundeswehrsoldaten, Bundesgrenzschutz- und Polizeibeamte von heute. Und dies in einer Zeit, da wir über innere Sicherheit, über Freiheit und Sicherheit diskutieren, in einer Zeit, da wir überlegen, wie wir Polizei, Bundesgrenzschutz und Bundeswehr im Dienst von Freiheit, Demokratie und Rechtssicherheit effizienter machen.

(Beifall Abg. Wunderlich)

Jeder, meine Damen und Herren, jeder mag sich selbst einen Reim darauf machen, ob dies nun nur Politsatire ist oder ob es eine Geschmacklosigkeit ist oder eine strafbare Handlung. Es geht hier überhaupt nicht um die Person Steffen Dittes, so bedeutend war und ist sie nicht, dass wir uns ständig damit beschäftigen müssten,

(Beifall bei der CDU)

aber, meine Damen und Herren, es geht darum, wie sich seine Partei, die PDS, dazu stellt. Es geht darum, ob diese PDS tatsächlich eine ganz normale Partei ist, wie ihre Talkshowgeister Gysi und Bisky sie gerne verkaufen und neuerdings ja auch Frau Zimmer. Es geht um Leute, die das yafago-Motto propagieren: "Deutschland muss sterben". Es geht um Leute, die als Parlamentarier Gruppen wie "yafago" unterstützen, die dazu aufruft, Parlamente durch basisdemokratische Räte zu ersetzen. Es geht um

Leute, die mit Demos Hass auf unser Vaterland predigen, die dabei amtliche Briefköpfe der Stadtverwaltung Erfurt fälschen und als Flugblatt des Oberbürgermeisters verteilen. Es geht um Leute, die als Abgeordnete mit dem Fraktionsbus Freunde zum Castor-Protest chauffieren.

(Beifall bei der CDU)

Es geht um Leute, die beim Tag der Heimat randalieren, einen Bus zerstören und Menschen gefährden und es geht um Leute, die eine Autorenlesung von Martin Walser sprengen wollen. Kleine Sprengsätze, zugegeben, im Vergleich zu dem, was wir gerade an großen Sprengsätzen erlebt haben, aber all das ist nur ein kleiner Vorgeschmack, wie die Anarchie wirklich aussehen würde, wenn diese Leute das Sagen hätten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU, SPD)

(Zwischenruf Abg. Schwäblein, CDU: Neh- men Sie die Haus-Besetzer noch dazu.)

Nur unter starkem öffentlichen Druck hat sich die PDSFraktion von ihrem innenpolitischen Sprecher Dittes abgewandt, man weiß nicht mal so ganz genau, ob er abgewählt wurde. "Die PDS fühlt sich vom innenpolitischen Sprecher Dittes nicht mehr in ihrer Vielfaltigkeit und notwendigen Differenziertheit vertreten." Es ist schon schwierig, meine Damen und Herren, noch wachsweicher formulieren zu wollen, denn im Klartext heißt das, jene Teile der PDS, die kiloweise Kreide fressen würden, um als Ziege, statt als Wolf durchzugehen, sprich, um in Regierungen zu gelangen, diese Teile der PDS halten Steffen Dittes mittlerweile für allzu kontraproduktiv. Die Thüringer Presse kommentierte zu Recht: "Die PDS eiert herum!" Wir erwarten ja von der PDS nicht, dass sie bibelfest ist, sonst würden wir ihr zurufen: "Eure Rede sei ja, ja und nein, nein." Aber wir erwarten eine klare Antwort, ob sich die PDS von führenden Köpfen trennt, die Hass predigen, die Deutschland sterben lassen wollen, die den 3. Oktober als Auftakt zu neuem völkischen Größenwahn diffamieren. Die Mottenkiste des Klassenkampfs, meine Damen und Herren, die staubt bei Ihnen unerträglich.

(Beifall bei der CDU)

Atmen Sie von diesem Mief nur gerne weiter ein, aber wundern Sie sich bitte nicht, wenn Ihnen nicht nur die Mitglieder aussterben, sondern wenn Ihnen hoffentlich der Wähler bald die verdiente Quittung dafür gibt, dass Sie führende Mitglieder in Ihren Reihen haben, die unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung offensiv bekämpfen. Ich kann den Bundesinnenminister Schily gut verstehen, wenn er Teile der PDS vom Verfassungsschutz beobachten lässt, wie wir im Übrigen hier in Thüringen auch.

(Beifall bei der CDU)

Denn dafür gibt es mehr als 1000 gute Gründe. Keine Gründe hingegen gibt es, mit einer solchen Neo-SED zu kollaborieren, die extremistische Umtriebe aus ihren eigenen Reihen heraus duldet, ja bisweilen sogar unterstützt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht, ich schließe damit auch den Teil b der Aktuellen Stunde und wir kehren zurück zur laufenden Tagesordnung, und zwar zum Aufruf des neuen Tagesordnungspunkts 11

a) Initiativen zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements in Thüringen Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 3/1843

b) Änderung der Geschäftsordnung des Thüringer Landtags Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 3/1861

Ich frage zunächst: Begründung wird nicht gewünscht? Dann kommen wir gleich zur Aussprache und als Erster hat das Wort Dr. Hahnemann, PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, gestützt auf die Wurzeln der nationalen Verfassungstradition hat der Verfassungsgerichtshof das Volksbegehren für mehr Demokratie in Thüringen auf dem gerichtlichen Weg erledigt. Das formale Verfahren ist damit zu Ende, nicht aber das Begehren des Volkes. Alle wissen, so leicht ist das Anliegen von mehr als 380.000 Menschen nicht zu entsorgen, auch wenn sich das ein großer Teil des Hauses und die Landesregierung wohl genauso gewünscht hatten. Mit dem Urteilsspruch hat sich eine konservative Rechtsprechungslinie durchgesetzt. Da begegnet man Auffassungen, die mit einem Idealbild des edlen, selbstlosen Abgeordneten argumentieren, das völlig an der Wirklichkeit vorbeigeht und mit einer angeblichen zukünftigen Verfassungswirklichkeit direkter Demokratie hantieren, die sich aus der Projektion negativ gefärbter subjektiver Vorstellungen speisen. Denn in Deutschland gibt es keine bis kaum praktische Erfahrungen mit den Plebisziten und die zum Teil jahrhundertelangen Erfahrungen anderer Staaten werden als nicht sonderlich relevant abgetan. Die Anhörung zum Volksbegehren im Landtag hat aber gezeigt, dass es andere emanzipatorische, die Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger stärkende Rechtspositionen gibt, die ebenso vertretbar und begründbar sind. Sie fußen vor allem auf Erfahrungen anderer Länder und auf den Ereignissen von 1989. Das Gericht hat den Umgang mit seinem Urteilsspruch für eine konstruktive Weiterarbeit auch aus einem anderen Grund nicht leicht

gemacht. Die einzelnen zur Überprüfung gestellten Regelungselemente wurden bis auf den Finanz- und Haushaltsvorbehalt nicht im Einzelnen dogmatisch bewertet. Die Regelungselemente, insbesondere die Quoren, wurden in einer so genannten Gesamtschau für verfassungswidrig erklärt, ohne dass das Gericht seine rechtlichen Bewertungskriterien offen gelegt hätte. Urteile von Verfassungsgerichten sind zu respektieren, weil ihre Funktion die der die Rechtssicherheit schaffenden Letztentscheidung ist. Allerdings ist auch ein anderes wahr. Ein Verfassungsgerichtsurteil unterliegt keiner Ewigkeitsgarantie. Selbst die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat zu einigen Themen schon entscheidende Änderungen in den inhaltlichen Positionen erlebt. Eine Rechtsordnung ist kein statisches Gebilde, sie entsteht immer in Rückkopplung zur gesellschaftlichen Entwicklung. Die Zukunft, meine Damen und Herren, gehört aber der direkten Demokratie, sie gehört der wirklichen Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an politischen Entscheidungsprozessen. Das zeigen die Aktivitäten zu diesem Thema in anderen Ländern, das zeigt die europäische Entwicklung, das zeigt aber auch die Entwicklung der rechtspolitischen und fachjuristischen Diskussion in Deutschland. Das heißt aber nicht, dass die repräsentative Demokratie durch die direkte Demokratie abgelöst werden würde. Dass hier ein Zug angefahren ist, der in eine bisher von unseren Verfassungsgerichten noch nicht eingeschlagene Richtung fährt, haben Sie von der Mehrheitsfraktion und der Regierung offensichtlich bemerkt. Und Ihnen ist offensichtlich auch klar, dass man diesen Zug, den die Bürgerinnen und Bürger durch ihr Engagement in Bewegung gesetzt haben, nicht mehr aufhalten kann, also springt man noch auf. Auf dem Zug betätigen sich die Trittbrettfahrer dann als die mehr oder weniger heimlichen Bremser. Ihre Vorschläge zur Stärkung des Bürgerengagements belegen das, besonders deutlich wird dies an den Vorschlägen zum Volksbegehren. Nur 100 Minuten nach der Urteilsverkündung haben Sie Ihr Papier aus der Tasche gezogen. Dabei waren Sie es doch, die hier im Haus den Eindruck erweckten, der Landtag dürfe den Beratungsgegenstand Volksbegehren nicht anrühren, weil die Achtung vor dem hohen Gericht in Weimar dies gebiete, nachzulesen z.B. in der Beschlussempfehlung des Justizausschusses.

Hätte nicht aber die Achtung vor dem Weimarer Gericht geboten, sich selbst und auch den anderen Fraktionen die Möglichkeit zu lassen, sich mit dem Urteil und seiner Begründung gründlich auseinander zu setzen? Ihre Vorschläge speziell zur Stärkung direkter Demokratie sind wie eine Fata Morgana am Horizont der parlamentarisch-demokratischen Wüste. Sie machen sich am Ende sogar lustig über das Anliegen von mehr als 380.000 Bürgerinnen und Bürgern, denn Ihre Vorschläge führen faktisch direkte Demokratie in Thüringen endgültig ad absurdum. So wollen Sie zwar die Zustimmungsquoren beim Volksentscheid unverändert lassen und das Zulassungsquorum beim Volksbegehren von 14 auf 10 Prozent senken, aber Sie schlagen eine Sammlung der Unter

schriften ausschließlich in Ämtern vor. Dabei wollen Sie die Sammlungsfrist von vier Monaten auf 14 Tage verkürzen. Das sind unüberwindbare Hürden. Nach der jetzigen Regelung müssen ca. 2.500 Stimmen am Tag gesammelt werden, nach den Vorschlägen Ihrer Fraktion müsste eine Volksbegehrensinitiative ca. 14.500 Bürger pro Tag bewegen, ihre Unterschrift bei einer Behörde zu leisten.

Im Vergleich bleiben die Vorschläge der CDU z.B. weit hinter den Regelungen von Bayern zurück. Bayern hat zwar auch ein Unterstützungsquorum von 10 Prozent, auch die Stimmensammlung in Behörden, auch in einer Frist von 14 Tagen, dafür sind aber die Zustimmungsquoren beim Volksentscheid erheblich niedriger. Für einfache Gesetze gibt es gar keines und bei Verfassungsänderungen beträgt das Quorum 25 Prozent der Stimmberechtigten.

Zugleich sei an dieser Stelle auch ein Blick auf die Regelung in Sachsen erlaubt, den übrigens auch der Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil wagt, ohne aber Konsequenzen daraus zu ziehen. In Sachsen gilt zwar ein Unterstützungsquorum von 12,5 Prozent, die Unterschriftensammlungen finden aber auf der Straße statt und die Initiatoren haben acht Monate Zeit. Das Verfahren hat übrigens auch noch niemand beanstandet.

Die Vorschläge der CDU-Fraktion verschlechtern die derzeit geltenden Regelungen und verraten die Absicht, Plebiszite weder ernst zu nehmen, noch sie eigentlich als politischen Ausfluss des Prinzips der Volkssouveränität zulassen zu wollen. Sie zeigen vor allem eines: Unkontrollierte, das heißt öffentliche politische Diskussionen in der Bevölkerung, getragen von bürgerschaftlichem Engagement jenseits der Vormacht von Parteien, ist den herrschenden Mehrheiten ein Dorn im Auge. Sie stellen eine potenzielle Bedrohung für ungestörte Machtausübung dar, sowohl die Diskussion, um vieles Mehr aber noch die tatsächliche Entscheidung durch Bürgerinnen und Bürger.

Um also die Möglichkeiten breiter öffentlicher herrschaftskritischer Diskussionen faktisch im Keim zu ersticken, sollen die Möglichkeiten der Öffentlichkeit bei der Sammlung von Unterschriften ganz erheblich beschnitten werden. Hinzu kommt, dass das Verfahren bürokratisiert wird. Bedenkt man die Anfeindungen, denen Beamte und Angestellte wegen ihres Engagements für das Volksbegehren ausgesetzt waren, wirkt es schon fast zynisch, dass nun die Behörden für direkte Demokratie zuständig werden sollen. Das kann in der Praxis nur eine Entpolitisierung der Plebiszite nach sich ziehen, ganz abgesehen davon, dass es hier im Osten ein weit verbreitetes Misstrauen gegenüber Ämtern gibt - und das vielleicht nicht ganz zu Unrecht - und die verschwindend kurze Sammlungsfrist von 14 Tagen, meine Damen und Herren, würde ein Übriges tun.

Auch in der Argumentation des Verfassungsgerichtshofs zu den Sammlungsmodalitäten kommen sehr negative Vorstellungen über den politisch aktiven Bürger zum Ausdruck, anders kann man die Äußerungen des Gerichts z.B. zu den Umständen der Straßensammlung nicht werten. Da ist von angeblichem Druck, mangelnder Information, schlechter Informiertheit, vom Nichtwissen, was man tut, wenn man ein solches Begehren unterschreibt, die Rede. Alles in allem dominiert das Bild des Bürgers, der von den weisen Staatslenkern, seien es nun Abgeordnete oder Verfassungsrichter, an die Hand genommen werden muss, weil ihm selbst Einsicht und Ratschluss, sprich Mündigkeit, fehlen, selbst zu wissen, was gut für ihn und für das so genannte gemeine Wohl ist. Ein solches paternalistisches und obrigkeitsstaatlichem Denken vergangener Jahrhunderte verhaftetes Bild von Bürgerinnen und Bürgern ist nicht nur wirklichkeitsfremd, sondern auch überheblich und es zeigt, dass diejenigen, die es vertreten, nicht begreifen wollen oder nicht begreifen können, was 1989 passiert ist und was diese Ereignisse für das zivilgesellschaftliche Demokratieverständnis bedeuten müssten. Das obrigkeitsstaatliche Verständnis vom Bürger ist aber nur eine Krücke, um die eigentlichen Motive für ihre Vorschläge zum Volksbegehren zu verschleiern. Die Vorschläge der CDU-Fraktion versuchen zwei gegenläufige Motivationsstränge zusammenzuspannen. Das Ergebnis kann nur jene Fata Morgana von direkter Demokratie sein. Zum einen sehen Sie sich wegen der Stimmungslage unter den Bürgerinnen und Bürgern dringend veranlasst, so zu tun, als ob diese Art politischer Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger Ihre Sache wäre, immerhin sind mit dem Thema Wählerstimmen zu gewinnen und mit Wählerstimmen auch Mehrheiten im Parlament. Zum anderen hat bei Ihnen wohl mit dem Volksbegehren für mehr Demokratie in Thüringen auch jene seltsame Angst der Repräsentativen die Oberhand gewonnen vor einer breiten, von den Bürgerinnen und Bürgern selbst getragenen Diskussion, die sich im öffentlichen politischen Raum entfaltet und vor allem den Alleinigkeitsanspruch der Parteien bei der Willensbildung in der Bürgerschaft infrage stellt. Wie anders soll man erklären, dass jetzt auch noch Änderungen vorgeschlagen werden, die weit unter dem bleiben, was auf der Grundlage des Verfassungsgerichtsurteils möglich wäre? Bei einem solchen Demokratie- und Staatsverständnis wundert es dann auch nicht, dass in der ganzen Debatte um direkte Demokratie die Erfahrungen von 1989 von den staatlichen Autoritäten mit solch sträflicher Ignoranz behandelt werden. Die Absage an das von einer politischen Führungskaste in Anspruch genommene Monopol, als einzige zu entscheiden, was für Bürgerinnen und Bürger gut ist und sie notfalls auch zu diesem Glück zwingen zu wollen, das war ein einziger großer Plebiszit.

In der politischen Auseinandersetzung um die Stärkung direkter Demokratie geht es nach unserer Auffassung um die Entscheidung zwischen zwei Demokratiemodellen. Zum einen ist es das Modell '49, das vor dem Hintergrund der - ich apostrophiere - 'Entgleisung des deutschen

Volkes' Bürgerinnen und Bürger als weitgehend unmündig sieht, selbst über ihre Angelegenheiten und damit auch über Fragen des Gemeinwohls zu entscheiden. Das Modell geht deshalb davon aus, dass die Herrschaft des Volkes nicht unmittelbar von diesem selbst ausgeübt werden könne, sondern in die Hände weiter uneigennütziger Repräsentanten gehört. Zum anderen ist da das Modell '89. Dieses Modell ist für die Bürgerinnen und Bürger in den ostdeutschen Ländern, anders als für die Bewohner in der alten Bundesrepublik, nicht nur ein Modell, sondern eine Lebenserfahrung. In der Tradition dieser gesellschaftspolitischen Erfahrung steht das Volksbegehren für mehr Demokratie in Thüringen mit seinen 22 Trägerinnen und Trägern. Das Bündnis hat nach dem Urteil von Weimar beschlossen, dem Anliegen der über 380.000 Unterzeichner des Volksbegehrens nun mit Hilfe einer parlamentarischen Initiative Geltung zu verschaffen. Wir verstehen uns als ein parlamentarischer Arm des Volksbegehrens. Die PDS-Fraktion wird gemeinsam mit der SPD-Fraktion in Umsetzung von Eckpunkten, die das Bündnis in Abstimmung mit den Fraktionen erarbeitet hat, zum November-Plenum einen Gesetzentwurf vorlegen. Es wird ein Gesetz zur Stärkung der Bürgerrechte sein, das tatsächlich eine Stärkung der direkten Demokratie in Thüringen bewirken könnte. Es soll die Erfolgsaussichten für Volksbegehren und Volksentscheide wirklich verbessern.

Die Eckpunkte des Gesetzentwurfs sehen wie folgt aus: Die im ursprünglichen Volksbegehrensgesetzentwurf enthaltenen Regelungen zum Bürgerantrag und zum Zulassungsquorum für den Antrag auf Volksbegehren werden übernommen, da sie vom Verfassungsgerichtshof geprüft und für verfassungsgemäß befunden wurden.

Für die Neugewichtung der anderen Verfahrenselemente bei Volksbegehren und Volksentscheiden entsprechend der Gesamtschau, ähnlich der des Gerichts, standen folgende Alternativen: Beibehaltung der ursprünglichen Regelungen beim Volksbegehren und Aufnahme von Erschwernissen mit den Quoren beim Volksentscheid oder aber Erhöhung der Hürden auf der Stufe des Volksbegehrens und Beibehaltung der ursprünglich geplanten Änderungen auf der Stufe des Volksentscheids.

Das Bündnis hat sich für eine weniger strikte Senkung der Hürden beim Volksbegehren entschieden. Das Unterstützungsquorum für ein Volksbegehren soll statt auf 5 auf 7 Prozent für einfache Gesetze und auf 10 Prozent für verfassungsändernde Gesetze gesenkt werden. Schon beim Unterstützungsquorum zwischen einfachen Gesetzen und verfassungsändernden Gesetzen zu entscheiden, ist zwar für bundesdeutsche Verhältnisse ungewöhnlich, aber rechtlich zulässig. Die Frist zur Sammlung soll bei den jetzt geltenden vier Monaten bleiben und damit nicht mehr um zwei Monate verlängert werden. Damit ein Prozess der Diskussion sich richtig entfalten kann, darf aber die Sammlungsfrist nicht zu kurz sein. Schon unter diesen Gesichtspunkten sind Sammlungsfristen von 14 Tagen

nach unserer Auffassung abzulehnen.

An der Straßensammlung wird festgehalten. Die breite öffentliche Diskussion von politischen Themen in der Bevölkerung gehört neben der tatsächlichen politischen Entscheidung zum Wesenskern, nicht nur der direkten Demokratie, sondern der Demokratie überhaupt.

Wir teilen nicht die negativen Wertungen des Verfassungsgerichtshofs zur Straßensammlung. Das Bild des unmündigen Bürgers, genau wie das völlig idealisierte Bild des Abgeordneten, von dem das Gericht in seinem Urteil ausgeht, sind schlicht und ergreifend wirklichkeitsfremd. Gerade die Diskussionen bei der Straßensammlung sind es, die Demokratie zu einer lebendigen Erfahrung machen. Das Volksbegehren "Mehr Demokratie" hat das bewiesen. Die Hürden bei Volksbegehren mussten etwas höher werden, aber auch nicht so hoch, dass die Chancen für Volksbegehren zu wichtigen Themen entscheidend sinken. Beim Finanzvorbehalt soll es bei der zurzeit geltenden Regelung bleiben.

Hinsichtlich der Volksentscheide werden die Vorschläge aus dem ursprünglichen Entwurf übernommen. Zum einen entspricht der quorenlose Volksentscheid bei einfachen Gesetzen bestätigten bayerischen Regelungen. Zum anderen ist es ein urdemokratischer Grundsatz, dass die einfache Mehrheit der Abstimmenden entscheidet, zumindest bei einfachen Gesetzen. Außerdem laden Zustimmungsquoren zu demokratiefremdem politischen Verhalten, wie z.B. dem Boykott, ein. Der Verzicht auf Mitwirkung würde zum entscheidenden Merkmal demokratischer Meinungs- und Willensbildung. Das verträgt sich nicht mit einem Demokratiebegriff, der vom mündigen Staats- und einem engagierten Stimmbürger ausgeht.