Protokoll der Sitzung vom 30.01.2003

So weit zur Begründung des eingereichten Gesetzentwurfs. Wir kommen jetzt zur Aussprache. Als Erster hat das Wort Herr Abgeordneter Dr. Hahnemann, PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, im Februar des vergangenen Jahres enthüllte der "Spiegel" die nachrichtendienstliche Überwachung des Abgeordneten Dittes. Zur gleichen Zeit wurde Steffen Dittes ein Dossier zugespielt, das der damalige Innenminister vom Landesamt für Verfassungsschutz für die Parlamentsberatungen zu den Wahlen der Mitglieder für die G 10-Kommission hatte fertigen lassen. Im Untersuchungsausschuss 3/3 berichtete der ehemalige Verfassungsschutzpräsident, dass neben Steffen Dittes auch noch weitere PDS-Abgeordnete ausgeforscht wurden. Vor diesem Hintergrund und nach Äußerungen, dass es genügend Gründe für die Überwachung von PDS-Abgeordneten gäbe, verlangten alle Abgeordneten der PDS-Fraktion Auskunft darüber, inwieweit sie in den Datenspeichern des Verfassungsschutzes zu finden sind. Das Ergebnis: Drei Abgeordnete waren dem Verfassungsschutz suspekt genug. Eine differenzierte Betrachtung der Speicherorte, ob in Personenakten oder Sachakten, muss uns hier nicht interessieren. Skandalös sind

die Beobachtungs- und Speicherungsgründe. Der Umstand, dass Abgeordnete wegen 20 Jahre alter Unterschriften gegen das Berufsverbot eines Gewerkschafters, wegen der Kontakte zu einem "Beobachtungsobjekt", was immer das auch sei, bis hin zur Bewertung parlamentarischer Anfragen eines Abgeordneten als angeblich gegen den Verfassungsschutz selbst gerichtet ausreichen, um ins Fadenkreuz des Geheimdienstes zu geraten, diese Vorgänge, meine Damen und Herren, sind ein Skandal und verlangen regelrecht nach einer parlamentarischen Auseinandersetzung, aber weder nach einem Antrag, der lediglich eine Vorlage für die Landesregierung darstellt, Selbstrechtfertigung zu betreiben, noch nach dem hilflosen Versuch, über eine Gesetzesänderung verhindern zu wollen, was per Recht nicht zu vermeiden ist. Bei aller Sympathie für die löbliche Absicht der Kolleginnen und Kollegen der SPD, sie doktern nur an den Symptomen einer Krankheit herum, ohne aber deren Ursache ins Auge zu fassen.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD)

Ihr Medikament heilt den Schaden nicht. Ihre Vorschläge belegen das. Lassen Sie mich auf drei eingehen.

Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, die Beobachtung von Abgeordneten dieses Hauses und anderer Parlamente zu erschweren. Sie heben zu diesem Zwecke die Eingriffsschwelle an, indem Sie den dehnbaren Begriff der Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung austauschen gegen die G 10-Straftaten. Das ist einerseits zwar tatsächlich eine stärkere Hemmung, andererseits aber eine Ausweitung auf kriminelle Straftaten, unter die z.B. auch der Eingriff in den Schienenverkehr fällt. Obwohl Sie in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs sagen, es handelt sich nicht um die Privilegierung einer einzelnen Personengruppe, vertreten wir die Auffassung, dass Ihr Vorschlag sehr wohl auf die Privilegierung von Abgeordneten hinausläuft. Wenn Sie die Privilegierung von Abgeordneten hätten vermeiden wollen, hätten Sie zumindest noch Berufsgruppen hinzunehmen müssen, die ebenfalls nicht ohne Grund mit einem Schutzbedürfnis ausgestattet sind. Man denke an Pastoren, Anwälte, Ärzte oder Journalisten. Wir ziehen nicht in Zweifel, dass die Wahrnahme des Mandats eines Abgeordneten, dessen Verfassungsrang und Verantwortung sich aus freien, geheimen, unmittelbaren und gleichen, das heißt aus demokratischen Wahlen herleiten, dass deren Tätigkeit gesichert und geschützt werden muss. Machen wir uns doch aber nichts vor. Andere sind doch viel eher und viel häufiger von der Beobachtungs- und Datensammelleidenschaft der Verfassungsschützer tangiert als die Mandatsträger eines Parlaments. Betroffene sind doch viel eher andere Oppositionelle wie z.B. Gewerkschafter, Antifaschisten, Kriegsgegner oder Ähnliche. Wenn man unbegründete und nicht berechtigte Betätigung des Geheimdienstes vermeiden wollte, dann müsste man die Eingriffsschwelle zur Datenerhebung für alle anheben.

(Beifall bei der PDS)

Zudem müsste man die Legitimation der Speicherung von Daten, die so genannten tatsächlichen Anhaltspunkte konkretisieren. In einem Gesetz lediglich die ausweitende Anhebung der Eingriffsschwelle für Abgeordnete zu regeln, wird also am Grundübel nichts ändern.

Wenn Abgeordnete, und damit komme ich zum zweiten Punkt, in Bezug auf den Verfassungsschutz eine besondere Rolle verdienen, dann doch eher eine andere. Auf dem Papier, so geduldig wie dieses nun einmal ist, und eben auch so mehr oder weniger demokratisch, wie es beschrieben ist, hätten sie eigentlich eine Kontrollfunktion dem Geheimdienst gegenüber. Was die Kontrollmöglichkeiten gegenüber dem Verfassungsschutz angeht, leistet aber der vorgelegte Gesetzentwurf ebenso wenig. Zwar wird vorgeschlagen, die PKK solle zukünftig lediglich nicht öffentlich tagen und nur auf Beschluss geheim sein, und Sie möchten, dass dort berichtet wird, wenn "auch Abgeordnete" überwacht werden, und Sie wollen, dass die Fraktionsvorsitzenden über die Inhalte der PKK-Sitzungen informiert werden können. Was aber, meine Damen und Herren, soll denn das verbessern? Glauben Sie, dass sich dadurch die Kontrolle erhöht? Meinen Sie, dass Landesregierung und Landesamt das zu mehr Offenheit animieren könnte? Erklären Sie doch bitte, was die Formulierung bedeutet, ich zitiere, "dass in der PKK auch über die Beobachtung von Abgeordneten" berichtet werden müsste? War das bisher ausgeschlossen oder meinen Sie vielleicht, dass bei einer Beobachtung von Abgeordneten immer ein Bericht zu erfolgen hätte? Wissen Sie, was das Bedauerliche an Ihrem Vorschlag ist? Ihr Gesetzentwurf richtet sich eigentlich gegen politische Instrumentalisierung geheimdienstlicher Tätigkeit. Die Möglichkeit zur Information der Fraktionsvorsitzenden ist bei der Begründung, die Sie dieser Regelung mit Ihrem Vorschlag vor anderthalb Jahren gegeben haben, aber selbst nicht ganz frei von dem Verdacht, ebenfalls eine politische Instrumentalisierung der Tätigkeit des Verfassungsschutzes zu ermöglichen. Das, was hier in Thüringen stattgefunden hat, meine Damen und Herren, kann man ohnehin auch mit noch so vielen Änderungsgesetzen oder -anträgen nicht ausschließen. Politischen Missbrauch von Informationen kann man juristisch nicht verhindern, denn es ist eine Frage des politischen Anstands und nicht des Verfassungsschutzrechts. Wer solche Informationen für plenare Schlammschlachten oder zu Wahlkampfzwecken oder zur Diffamierung von Opposition benutzt, der schadet dem Getroffenen, der schadet dem Ansehen des Hauses und der beschädigt die parlamentarische Demokratie.

(Beifall bei der PDS)

Aber das, meine Damen und Herren, genau das bekommen Sie gesetzlich nicht geregelt.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Das glauben Sie doch selber nicht.)

Schon eher brauchbar - und damit komme ich zum Punkt 3 - sind die Vorschläge zur Verbesserung der Auskunftspflichten. Hiermit würde sich das Recht der Betroffenen auf Auskunft nicht mehr auf ein besonderes Interesse gründen müssen, sondern es würde aus dem Anspruch auf die persönlichen Daten hergeleitet. Doch mit den Sonderregelungen zur Verweigerung der Auskunft und der Information und Akteneinsicht gegenüber der Datenschutzbeauftragten ganz "persönlich" kehren Sie zu den Prinzipien zurück, die Geheimdienste zu Geheimdiensten machen, was ihnen ihr Eigenleben garantiert, zu dem, was letztlich zu solchen Vorgängen führt, die uns diesen Gesetzentwurf und das folgende Berichtsersuchen eingebracht haben, nämlich zu dem, was Geheimdienstapologeten stets bedauern, weil es zwar gang und gäbe ist, nicht aber, sich dabei erwischen zu lassen.

Wir bleiben bei unserer grundlegenden Kritik an der Existenz und an der Tätigkeit von Geheimdiensten. Wir bleiben dabei, dass Geheimdienste nicht kontrollierbar sind. Sie sollen gar nicht kontrollierbar sein. Vor dem Hintergrund unserer Geschichte lassen wir uns nicht mehr die Augen verkleistern. Die Gegenwart bestätigt unsere Position. Ein tatsächlich wirksamer Schutz einer demokratisch verfassten Gesellschaft kann am Ende nicht durch Geheimdienste, sondern nur durch das demokratische Engagement wacher und wachsamer Bürger garantiert werden. Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Als Nächste hat Frau Abgeordnete Groß, CDU-Fraktion, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, bevor ich zum Inhalt des Gesetzentwurfs komme, möchte ich einige Worte zum so genannten Problem und Regelungsbedürfnis, welches die SPD-Fraktion aufgezeigt hat, sagen. Sehr geehrte Kollegen der SPD-Fraktion, was Sie hier als Begründung aufgeführt haben, ist schlichtweg falsch.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Aha.)

Sie suggerieren, dass das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz gezielt Abgeordnete des Thüringer Landtags beobachtet hat, und folgern daraus, dass das Landesamt dadurch in Misskredit gerät. Ich freue mich, dass das Herr Kollege Pohl jetzt etwas bei der Einbringung relativiert hat.

(Beifall bei der CDU)

Ich sage Ihnen, durch falsche Darstellung der Tatsachen wird dieses Amt, welches unter Leitung des Herrn Präsidenten Sippel eine ordentliche Arbeit leistet, beschädigt.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte hierbei nur an das Gutachten der Landtagsverwaltung erinnern, welches aussagt, dass eine Beobachtung von Abgeordneten aufgrund ihrer Statusrechte allein nicht von vornherein auszuschließen sei. Abgeordnete des Thüringer Landtags dürfen nicht anders behandelt werden als andere Bürger auch.

(Beifall bei der CDU)

Wer sich mit verfassungsfeindlichen Personen oder Gruppierungen abgibt, darf sich nicht wundern, wenn er unter die Beobachtung eines tüchtigen Verfassungsschutzes gerät.

(Zwischenruf Abg. Dr. Kaschuba, PDS: Woher wissen Sie denn das?)

Als Aufhänger für Ihren Gesetzentwurf haben Sie mit Sicherheit die so genannte Ausspähaffäre des Herrn Ramelow genommen. Ich habe ja Verständnis dafür, dass Sie einen weiteren Vorstoß zur Änderung des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes vornehmen, auch wenn sich in Ihrem Entwurf zum großen Teil die alten Hüte Ihres Antrags vom 27.07.01 wiederfinden. Sie sind übrigens damals beraten und abgelehnt worden, deshalb, denke ich, muss ich nicht alle Argumente wiederholen.

Sie wollen mit der Gesetzesänderung den Missbrauch nachrichtendienstlicher Instrumentarien verhindern. Solch einen Missbrauch hat es aber in Thüringen nicht gegeben. Also wo ist der Anlass? Ich verweise auf die Äußerung der Datenschutzbeauftragten des Landes Thüringen, die bisher in alle Unterlagen einsehen konnte. Bei ihrer Kontrolltätigkeit wurde sie weder behindert noch in irgendeiner Form eingeschränkt. Wichtiger ist aber eigentlich das Ergebnis der datenschutzrechtlichen Überprüfung. Es wurden keine Verstöße gegen das Thüringer Datenschutzgesetz festgestellt. Nach meiner Kenntnis ist von der Ausnahmeregelung der Landesbeauftragten für Datenschutz, die Auskunft zu verweigern, noch nie Gebrauch gemacht worden. An der Stelle sollte man auch der Datenschutzbeauftragten des Landes Thüringen für ihre Arbeit, die sie umfassend und genau ausübt, danken.

(Beifall bei der CDU)

Ob die Parlamentarische Kontrollkommission durch die von Ihnen vorgeschlagenen Veränderungen gestärkt wird oder aber ihre Arbeit vielleicht komplizierter wird, dies gilt es zu diskutieren. Deshalb beantrage ich namens der CDU-Fraktion die Überweisung Ihres Antrags an den Innenausschuss und an den Justizausschuss, wobei der Innenausschuss federführend sein soll.

(Beifall bei der CDU)

Es hat jetzt Herr Abgeordneter Pohl, SPD-Fraktion, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, zwei Vorbemerkungen: Einmal, Herr Hahnemann, mich verwundert einfach, wenn Sie das ganze Problem Verfassungsschutz hier ansprechen, warum Sie nicht auch mal einen gesetzlichen Vorstoß dazu gemacht haben, wie man das verbessern kann.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe hier sehr viel Kaffeesatzleserei erkannt.

Kollegin Groß, grundsätzlich - ich sprach von "angeblich missbräuchlich erhobenen Daten", das muss man so mit darstellen.

(Zwischenruf Abg. Groß, CDU: Das habe ich ja gesagt.)

Meine Damen und Herren, ganz kurz zum Inhalt, wir sind ja in der ersten Lesung. Drei Schwerpunkte bilden den Kern unserer Gesetzesnovelle.

Erstens: Zur Verhinderung von Missbrauch nachrichtlicher Instrumentarien ist die Speicherung und Weitergabe von Daten von Abgeordneten nur dann zulässig, wenn Anhaltspunkte darüber bestehen, dass tatsächliche Straftaten nach dem G 10-Gesetz geplant oder begangen wurden. G 10-Gesetz, zur Erläuterung, das sind z.B. Straftaten des Hochverrats nach den §§ 80, 83 Strafgesetzbuch, das sind Straftaten des Landesverrats, das sind auch Straftaten nach den §§ 129, 130 zur Bildung terroristischer Vereinigungen und Volksverhetzungen.

(Zwischenruf Abg. Vopel, CDU: Krimineller Vereinigung.)

Zweitens wollen wir die Kontrollrechte der Landesbeauftragten für den Datenschutz stärken und gesetzlich fixieren. Grundsätzlich hat jeder das Recht auf Auskunftsersuchen. Sollte eine Ablehnung erfolgen, bedarf das keiner Begründung, aber die Ablehnung ist aktenkundig zu machen. Grundsätzlich ist dem Datenschutzbeauftragten Akteneinsicht zu gewähren. Im Einzelfall kann, wenn der zuständige Minister das Auskunftsersuchen verweigert, weil die Sicherheit des Bundes oder des Landes gefährdet wäre, nur der Datenschutzbeauftragte persönlich Akteneinsicht verlangen.

Drittens wollen wir die Arbeit der Parlamentarischen Kontrollkommission stärken. Dies soll sich u.a. darin manifestieren, dass die PKK über Beobachtungen nach § 2 Abs. 1 zu informieren ist, auch soweit Abgeordnete davon betroffen sind.

(Zwischenruf Abg. Schemmel, SPD: Sehr vernünftig!)

Mit der von unserer Fraktion eingebrachten Novellierung wollen wir - wie ich das bereits in der Begründung gesagt habe - die Arbeit des Verfassungsschutzes und seine wirksame Kontrolle immer als eine Einheit ansehen. Ich sage auch noch einmal das Problem, Kollegin Groß: Ausnahmen für bestimmte Berufsgruppen und für Parlamentarier lehnen wir grundsätzlich dabei ab, das auch zur gegebenen Sache.

Meine Damen und Herren, ich beantrage, den vorliegenden Entwurf federführend an den Innenausschuss zu überweisen und begleitend an den Justizausschuss. Aber vor Behandlung im Gremium des Innenausschusses sollte eine Anhörung stehen. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Weitere Wortmeldungen? Abgeordneter Böck und Abgeordneter Dr. Hahnemann.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde mich hier in einer sehr zwiespältigen und sehr seltsamen Situation wieder, weil aus dem, was ich hier sagen möchte, auch seltsame Allianzen und Schlussfolgerungen möglich sind. Um dem vorzubeugen, habe ich das Wort ergriffen, um zu sagen, dass ich mich durch das, was Kollege Dr. Hahnemann hier gesagt hat, in meiner Ansicht bestätigt fühle, dass dieser Antrag eine Vorlage bietet, ein politisches Kampffeld aufmacht für den Kollegen Dr. Hahnemann und seine Genossen, um Verfassungsschutz insgesamt in Frage zu stellen, und eigenartigerweise kommt diese Vorlage von der anderen Seite des Hauses.

(Zwischenruf Abg. Gentzel, SPD: Der gute Geist.)

Ich selber war überzeugt, als ich den Antrag gelesen hatte na gut, dann wollen wir uns auf die Definition der guten oder schlechten Seite des Hauses, einmal der mittelguten Seite des Hauses, wenn wir uns darauf verständigen könnten, Herr Kollege Gentzel, dann wäre das, denke ich, für die mittelgute Seite schon ein hohes Lob aus meinem Munde.