Protokoll der Sitzung vom 04.05.2006

(Zwischenruf Abg. Jaschke, CDU: Jawohl!)

Sie hat die freie Meinung unterdrückt. Sie hat kritische Bürger bespitzelt, eingesperrt. Sie hat versucht, Menschen mit Zersetzungsmaßnahmen zu zerstören. Und sie ist am Ende wirtschaftlich und auch sozial gescheitert. Dabei war die Staatssicherheit das zentrale Unterdrückungsinstrument

(Beifall bei der CDU, SPD)

und jeder in der DDR wusste das. Wer heute versucht, die Tätigkeit für die Stasi zu bagatellisieren, der drückt sich vor der Verantwortung,

(Beifall bei der CDU, SPD)

und zwar nicht nur vor der Verantwortung für das Vergangene, sondern auch vor der Verantwortung für das Zukünftige. Denn zu unserer Verantwortung für die Zukunft gehört auch, Mechanismen von Diktatur, von Machtmissbrauch und Menschenrechtsverletzungen offen zu legen, denn Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, sie muss gelebt werden, sie muss verteidigt werden und dazu braucht es überzeugte und überzeugende Demokraten. Deshalb ist es so wichtig, sich immer wieder auch kritisch und intensiv mit der Vergangenheit zu beschäftigen.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Ich will etwas zum Stasiunterlagengesetz sagen, weil das der Ausgangspunkt für viele andere Entscheidungen ist. Mit Ende dieses Jahres darf nach jetziger Rechtslage die Birthler-Behörde Unterlagen zur Überprüfung von Personen auf eine hauptamtliche oder inoffizielle Tätigkeit für die Stasi nicht mehr herausgeben. Das heißt, nach jetziger Gesetzeslage wäre danach eine Überprüfung nicht mehr möglich, so wie wir sie heute kennen als Abgeordnetenüberprüfung oder Überprüfungen im öffentlichen Dienst.

Ich halte das für korrekturbedürftig und bin deshalb dafür,

(Beifall bei der CDU, SPD)

dass diese Frist verlängert wird, weil ich der Überzeugung bin, dass wir diese Überprüfung zumindest für sensible Bereiche nach wie vor brauchen. Ich kann da der Empfehlung der Landesbeauftragten folgen, wenn sie als solche Bereiche bezeichnet: Bundestagsabgeordnete, Landtagsabgeordnete, Regie

rungsmitglieder auf Bundes- und Landesebene, Justiz, Verfassungsschutz, Polizei, aber eben auch Mitarbeiter im Bereich der Aufarbeitung und der Opferberatung. Wir müssen uns auch noch mal Gedanken darüber machen, dass, wenn wir diese Frist nicht verlängern, sehr leicht eine Situation eintreten kann - denn die Medien haben ja weiterhin die Möglichkeit, Akteneinsicht zu nehmen -, dass Medien bestimmte neue Informationen in die Öffentlichkeit bringen, ohne dass der Arbeitgeber oder auch das Parlament die Möglichkeit haben, mit einer offiziellen Überprüfung diesen Tatsachen nachzugehen.

Ich will hier auch deutlich sagen: Jede und jeder muss das Recht haben, Fehler zu korrigieren, seine Haltung zu ändern. Wir dürfen Menschen die Vergangenheit nicht als Brandmahl auf die Stirn drücken unauslöschlich. Jeder muss die Chance haben, Vergangenes neu zu bewerten und sich zu ändern. Aber wir haben dort, wo es für unsere Gemeinschaft wichtig ist, wo es um Verantwortung geht, wo es um wichtige Entscheidungen geht, auch das Recht, nach der Vergangenheit zu fragen und diese Vergangenheit zu bewerten. Wer Verantwortung für diese Gemeinschaft wahrnehmen will, der muss sich diesem kritischen Prozess und diesen Fragen stellen. Wer es nicht tut, der ist nach meiner Überzeugung nicht reif für solche Verantwortung.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Ich will in diesem Zusammenhang der Vollständigkeit halber auch erwähnen, dass auch die Parteien in der DDR, und zwar alle, das Unterdrückungssystem gestützt und getragen haben,

(Beifall bei der SPD)

und deshalb, bin ich der Überzeugung, verbietet sich Selbstgerechtigkeit bei denen, die solchen Blockparteien angehört haben.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin dafür, dass wir auch in Zukunft Abgeordnete überprüfen, so wie wir das heute tun. Aber ich bin auch dafür, dass nach dieser verpflichtenden Überprüfung ein anderes Verfahren stattfindet als heute, denn das heutige ist ein eigentümlich amputiertes Verfahren durch das Gerichtsurteil. Ich glaube, dass es ausreicht, wenn in diesem Verfahren der Vorgang bewertet wird und öffentlich gemacht wird, ohne dass eine Kommission ein moralisches Urteil darüber abgibt. Entscheiden müssen am Ende die Wählerinnen und Wähler, ob jemand dann einem Parlament angehören kann oder nicht.

(Beifall bei der SPD)

Ich schlage das vor, nicht - und das sage ich sehr deutlich -, weil das heutige Verfahren unwürdig ist, Frau Leukefeld, und ich glaube, Sie haben auch nicht das Recht, ein solches Urteil abzugeben.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Ich will zum Schluss noch sagen, auch das ist mir wichtig: Wenn man den Tätigkeitsbericht anschaut, wir müssen die berufliche und strafrechtliche Rehabilitierung verbessern. Hier liegt auch eine sehr wichtige Aufgabe für die Landesbeauftragte, denn bisher haben nur 10 Prozent der Antragsberechtigten SED-Opfer Antrag auf soziale Ausgleichsleistung gestellt.

Ich bitte zum Schluss zu kommen.

Frau Präsidentin, ich bin sofort am Ende. Ich denke, wir sollten dafür sorgen, dass die Opfer die Leistungen, die ihnen zustehen, auch tatsächlich bekommen, und wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass die kritische Erinnerung an das System DDR, an Unrecht und Menschenrechtsverletzungen wach gehalten wird, damit wir gemeinsam dafür sorgen, dass Demokratie und Freiheit nie wieder unter die Räder kommen.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Das Wort hat Abgeordnete Lieberknecht, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bin zunächst einmal dem Kollegen Matschie dankbar, dass offensichtlich ein Grundkonsens in der Frage auch des weiteren Umgangs mit dem Problem der Staatssicherheit, mit dem Problem der DDR-Vergangenheit zwischen unseren beiden Fraktionen hier deutlich geworden ist. Ich denke, das ist ein gutes Zeichen.

(Beifall bei der CDU)

Die CDU-Fraktion hat dieses Thema, den Bericht der Beauftragten für die Stasiunterlagen, heute auf die Aktuelle Stunde gesetzt, weil wir meinen, dass dieser Bericht Aufmerksamkeit - und das heißt für uns auch parlamentsöffentliche Aufmerksamkeit - verdient. Gerade auch vor dem Hintergrund, denke ich, der Darlegungen, die wir von Ihnen, Frau Leu

kefeld, heute Mittag gehört haben, ist das noch einmal deutlich geworden. Ich kann unmittelbar an Herrn Kollegen Matschie anschließen: Wer nicht begreift oder begreifen will, dass die DDR ein Unrechtsstaat war - und ich betone, die DDR ein Unrechtsstaat war -, der wird immer Schwierigkeiten haben, auch seine ganz persönliche Mitschuld, sein Unrechtsbewusstsein ganz persönlich für sich wirklich verinnerlichen zu können. Es sind eben Teile in unserem Haus, auch hier im Parlament, denen dieser schlichte Satz „Die DDR war ein Unrechtsstaat“ bis heute nicht über die Lippen kommt. Aber genau hier liegt ein ganz entscheidendes Problem.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Umso wichtiger und notwendiger ist der Bericht, den Frau Neubert in aller Differenziertheit und mit Schlussfolgerungen, denen wir uns in der Tat hier im Parlament zu stellen haben, gegeben hat. Deswegen nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch der ausdrückliche Dank meiner Fraktion für diesen Bericht,

(Beifall bei der CDU)

aber auch für die Arbeit, die Sie sehr differenziert, Frau Neubert, mit vielen Initiativen, mit Aufklärung, Erklärungen und Beschreibungen, so wie es war, immer wieder machen und für die Bemühungen, nicht zuletzt auch die Opfer immer in unser Blickfeld zu rücken, die Opfer, denen der Rechtsstaat leider auch nur begrenzt in ihren Nachteilen, die sie erlitten haben, helfen konnte. Wie schlimm Nachteile gewesen sind, ist ja auch veröffentlicht. Man muss sie nur wahrnehmen. Dieses Buch „Die vergessenen Opfer der DDR“, ich denke, man kann es nur empfehlen und so etwas müsste eigentlich auch Pflichtliteratur sein. Da würde man merken, wenn heute von Seiten der Täter angemahnt wird, 20 Jahre seien ja nun wirklich genug an Zeitspanne, dass jetzt nicht der Zeitpunkt ist, das jetzt alles mal ruhen zu lassen, diese 20 Jahre. Es sind Nachteile entstanden durch die Methoden, durch die Perfidität der Methoden, durch Zersetzung im wahrsten Sinne des Wortes; die wirken bei den Opfern lebenslänglich. Eine ganze Lebensspanne, auch das wird nicht nur in den Berichten, die hier gegeben sind, sondern an vielen anderen Stellen deutlich. Deswegen sagen wir, es darf kein Schlussstrich sein, das Thema ist nicht am Ende.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Dazu kommt und wir haben ja gerade in diesen Tagen eindrückliche Zeugnisse, schlimme Zeugnisse dafür, wie eben die Versuche täglich zunehmen, nicht nur die Staatssicherheit zu verharmlosen, zu relativieren, zu bagatellisieren, sondern insgesamt das Gesamtsystem DDR zu schönen, nicht zuletzt selbst vor der Mitverantwortung vor Mauertoren nicht Halt

zu machen, die man leugnet. Das war nicht nur ein Ausrutscher von Herrn Modrow, sondern dieses Argumentationsmuster ist ja auch innerhalb der PDS bei der Verteidigung des Fidel-Castro-Regimes in Kuba genauso zur Anwendung gekommen. Wir haben es inzwischen - 30, 40 Jahre ist das her - in der Schule genauso zur Entlastung gehört. Wir wollen nicht, dass Schüler heute eher subkutan, manchmal auch mehr oder weniger offen beigebracht bekommen: Die DDR war ja eigentlich doch der bessere deutsche Staat und es gab nur einige unverbesserliche kalte Krieger im Westen, die diesem Staat die eine oder andere Unschönheit aufgezwungen haben. Dieses Bild wollen wir nicht.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Aber bei vielen Reden, auch im Alltag, drängt sich dieser Eindruck auf. Dazu kommt auch, dass wir ja mitten drin sind in der Debatte um die - ja, ich sage es - Deutungshoheit 40 Jahre DDR. Da sagen wir, diese Deutungshoheit dürfen nicht die Täter von einst haben,

(Beifall bei der CDU)

sondern hier brauchen wir eine breit angelegte Debatte und Frau Neubert gibt in ihrem Bericht hier wertvolle Anregungen und Hinweise. Ich weiß nicht, ob das der Grund dafür ist, dass so absurde Forderungen von Rücktritt aus Ihren Reihen kommen. Die haben in Berlin schon nicht gegriffen bei Marianne Birthler und hier natürlich auch nicht, aber die Motive sind dieselben.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen ist es, denke ich, heute ein guter Punkt, Frau Neubert noch mal zu danken und zu sagen, es geht um nichts weniger als das, was Sie beschreiben mit „Zukunft der Erinnerung“; diese Debatte werden wir führen. Der werden wir uns auch als CDUFraktion mit aller Kraft widmen und dazu gehört für uns auch - und da darf ich an Sie anschließen, Herr Matschie -, wir wollen nicht, dass am 31. Dezember, am Silvesterabend, in der Silvesternacht die Sektkorken knallen bei denjenigen, die sagen, endlich ist es vorbei, ehemalige Stasis, keine Überprüfung mehr. Wir werden mit dafür sorgen - und da danke ich für den Schulterschluss, für die Einigkeit -, dass Überprüfungen nicht verfristen, sondern dass wir Fortsetzungen finden.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Das gilt für diejenigen im öffentlichen Dienst, Herr Matschie hat den Personenkreis beschrieben, für uns als Abgeordnete in diesem Hause, ich denke, das sind wir uns schuldig, das sind wir den Opfern schul

dig, das sind wir aber auch nachkommenden Generationen schuldig. Dafür will ich werben. Deswegen finde ich es gut, dass wir wenigstens in aller Kürze in dieser Aktuellen Stunde darüber sprechen konnten. Danke.

(Beifall bei der CDU, SPD)

Das Wort hat Abgeordneter Hausold, Linkspartei.PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine verehrten Damen und Herren, das MfS war, wie jeder Geheimdienst, für die Sicherheit eines Staates zuständig.

(Unruhe bei der CDU)