Protokoll der Sitzung vom 08.06.2006

Meine Damen und Herren, die Aufnahme der Staatszielbestimmung Kultur in das Grundgesetz ist unter Experten auch im politischen Bereich unstrittig. Dass sich auch Kulturstaatsminister Bernd Neumann dafür ausgesprochen hat, ist deshalb nur folgerichtig. So viel Einmütigkeit ist im politischen Raum ja nun wahrlich selten. Das Land Thüringen sollte sich daher ebenfalls für ein Staatsziel Kultur mit Verfassungsrang stark machen. „Wer ein Ziel will, darf den Weg nicht scheuen“, so Theodor Fontane. Eine Zustimmung zum vorliegenden Antrag kann ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Staatsziel Kultur sein. Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Als nächster Redner folgt Abgeordneter Carius, CDU-Fraktion.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Frau Präsidentin, auch wenn die Linkspartei.PDS für ihre zentralistischen Ansätze bekannt ist, möchte ich an dieser Stelle einmal nicht das Hohelied des Föderalismus und der Subsidiarität singen und sie dann des Kulturzentralismus zeihen, der ja zweimal in der deutschen Geschichte verhängnisvolle Wirkung entfaltet hat. Ich verzichte auch bewusst darauf, Ihr Vorgehen zu kommentieren, dass diese Anträge jetzt in allen Landtagen mit einer PDS-Fraktion behandelt werden, denn gewiss wäre der Vorwurf eines Antragsmarsches auf Berlin - so möchte ich es einmal formulieren - nicht sonderlich fair, auch wenn ich mich im Namen meiner Fraktion natürlich darüber wundern darf, sondern ich nehme Ihr Anliegen - das ja keineswegs allein, Herr Döring hat das auch deutlich gemacht, ein Wunsch der Linkspartei.PDS ist, ein Gesetzentwurf der FDP liegt ja vor im Deutschen Bundestag, sondern letztlich auf eine Empfehlung der Enquete „Kultur in Deutschland“ zurückgeht - ernst und möchte mich deswegen auch sachlich damit auseinandersetzen, nur sehe ich auch einige Probleme.

Zunächst zum Kulturbegriff: Hier lässt sich im Gefüge der Kompetenzzuweisung des Grundgesetzes die Frage stellen, welchen Kulturbegriff Sie hier eigentlich zugrunde legen oder auch die Enquetekommission. Die Frage ist: Welche Form von Kultur soll der Staat fördern und schützen? Geht es um einen ethnologisch-empirischen Kulturbegriff? Hierzu würde dann - Herr Blechschmidt, so darf ich Sie vielleicht ergänzen - natürlich schon Politik gehören. Geht es um einen wertgebundenen Begriff, der ja eher der

allgemein übliche ist? Danach ist ja Kultur das Reich der höheren Werte und Tätigkeiten, im Kern das zeitlos Gute, Wahre, Schöne, nämlich den unveräußerbaren Bestand an hoch geschätzten Institutionen, Opernhäusern, Gottesdiensten, Denkmälern, Musikschulen etc., oder geht es um die gesamtstaatlichen Bundeskompetenzen, die sich eben auf Hauptstadtkultur, kulturelle Außenrepräsentanz und einen Kulturstaatsminister begrenzen. Vielleicht können wir aber auch den Faden der ja leider verloren gegangenen deutschen Leitkulturdebatte wieder aufnehmen; doch glaube ich eben nicht, dass das Ihr Ziel ist. Jedenfalls zeigt sich schon bei rein kursorischer Betrachtung, dass die Staatszielbestimmung sich auf einen völlig vagen Begriff stützt.

Zum Zweiten - Staatszielbestimmungen entsprechend der Sachverständigenkommission Staatsziele aus dem Anfang der 80er-Jahre - sind Staatszielbestimmungen Verfassungsnormen mit rechtlich bindender Wirkung, die der Staatstätigkeit die fortdauernde Beachtung oder Erfüllung bestimmter Aufgaben vorschreiben. Sie umreißen ein bestimmtes Programm der Staatstätigkeit und sind dadurch Richtlinie für das staatliche Handeln, auch für die Auslegung von Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften.

Meine verehrten Damen und Herren, das Grundgesetz ist vor allen Dingen ein Gebrauchstext, in manchen Wendungen gewiss von imposanter Sprachmacht, doch eben für den politischen Alltag geschrieben, nicht zur Erbauung und schon gar nicht zur Bewunderung. Sie ist eben eine Rechtsverfassung und keine Programmverfassung wie etwa die Weimarer Reichsverfassung. Doch gleicht der Text der deutschen Verfassung meines Erachtens vor allem einem Opus der Musik, der Lyrik oder der Malerei, nämlich darin, dass jede gelungene Schöpfung, auch das Grundgesetz, hier durch Ergänzungen und nachträglich angeflickte Teile nicht notwendig besser wird, sondern meist schwächer, weitschweifiger, sperriger und jedenfalls unklarer wird, was mindestens darauf auch verweisen lässt, dass, wenn man mehrere Staatsziele hat, diese natürlich auch konfligieren können. Gleichwohl erfreut es sich ja seit einiger Zeit einiger Beliebtheit, Staatsziele, die freilich niemand einklagen kann und deren Nichtbeachtung ohne Folgen bleibt, in das Grundgesetz einzufügen. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere ist solch ein weithin sanktionsloses Ziel, und wenn wir jetzt die Kultur aufnehmen würden, käme sicher der Sport, die Generationengerechtigkeit und es wäre dann nur noch eine Frage der Zeit, bis irgendwann die gesunde Ernährung oder der ruhige Nachtschlaf folgen würden.

Der Wettbewerb, meine Damen und Herren, um die beste Nebenrolle im Grundgesetz hat, wie es der Verfassungsrichter Steiner gesagt hat, bereits begon

nen. Und ungeachtet der durch das Bundesverfassungsgericht festgelegten oder anerkannten objektiven Wertentscheidung im Grundgesetz für den Kulturstaat, halte ich die Einfügung eines solchen Staatsziels nicht für einen Akt besonderer ökonomischer Vernunft oder politischer Klugheit noch gar intellektueller Selbstachtung, wie gelegentlich von Befürwortern dieses Vorhabens vorgetragen wird. Denn auch wenn in den vergangenen Jahren der Kulturansatz von Bund und Ländern und den Kommunen, also der kumulierte Ansatz, seit 1995 von 7,4 Mrd. auf 8,2 Mrd. im Jahr 2003 angestiegen und seit zwei Jahren leicht rückläufig ist, so stellt sich doch die Frage, wie dem Anliegen einer soliden Grundfinanzierung von Kultur mit dieser verfassungspolitischen Symbolpolitik geholfen werden sollte. Hier ist zu denken etwa an die soziale Lage von Künstlern, die Situation von Museen, Opernhäusern etc. Hier ließe sich noch einiges anführen. Ich antworte Ihnen darauf gar nicht. Im Gegenteil, eine solche verfassungspolitische Symbolpolitik steigert die Erwartungen an das, was der Staat jetzt mehr leistet, und diese Hoffnungen werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit enttäuscht. Denn diese Probleme werden allesamt nicht gelöst durch die Aufnahme eines Kulturstaatszieles. Oder, meine Damen und Herren, ist Ihnen in Thüringen ein Fall bekannt, in dem einem Kulturamtsleiter der Verweis auf Artikel 30 der Thüringer Verfassung im Streit mit seinem Stadtkämmerer sonderlich geholfen hätte? Nein, denn in praxi helfen derartige Staatsziele nur dann, wenn es um die Frage „ganz oder gar nicht“ geht. Doch davon sind wir hier in Deutschland mit rund 8 Mrd. € pro Jahr, die wir da ausgeben, weit entfernt. Und so bleibt mir, Udo Steiner noch einmal zu zitieren: „Wer Verfassungsrecht sät, wird Verfassungsrechtsprechung ernten.“ Deshalb, die Kultur ist kein Staatsziel, so wenig wie die Religion. Die Kultur soll weiterhin frei bleiben vom Staat, denn, meine Damen und Herren, wenn der Staat sich zum Schutzherrn der Kultur macht, dann haben wir alle erlebt, wohin das führt.

Zu Ihrem Antrag, meine Damen und Herren, darf ich mit Peachum aus der Dreigroschenoper sagen: „Ihr hohes Streben ist ein schöner Zug.“ „Unterstützenswert ist er allerdings nicht“, um mit Montesquieu zu schließen. Ein nicht notwendiges Gesetz ist notwendigerweise nicht zu machen. Wir lehnen diesen Antrag ab. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Abgeordnete Dr. Klaubert, Die Linkspartei.PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Herr Carius, wenn ich jetzt zitieren würde, würde ich mir einen Ordnungsruf einhandeln. Ich zitiere nicht.

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Mut zur Wahrheit.)

Über Ihre Anmerkung, dass die Initiative der Länder, Kultur als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern, quasi einem Marsch auf Berlin gleichkäme, kann ich mich nur wundern. In der vorigen Debatte zur Frage des Umgangs mit den Opfern

(Zwischenruf Abg. Becker, SPD: Das ist ganz was anderes.)

verwies Minister Dr. Zeh ausdrücklich darauf, dass man in den Ländern aktiv werden müsse,

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

um auch bestimmte Entscheidungen des Bundes voranzutreiben. Sie legen alles so aus, wie Sie es brauchen. Und heute brauchen Sie diese Argumente dazu, um wieder einmal einen Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS gewissermaßen madig zu machen. Da Sie wahrscheinlich wenigstens andeutungsweise nachgelesen haben, dass diese Debatte nicht nur in der Fraktion der Linkspartei.PDS geführt wird, sondern auch an anderer Stelle, haben Sie seltsame Kurven geschlagen und mit dem Thema „Kultur als Staatsziel im Grundgesetz verankern“ eine Argumentationskette aufgemacht, die man wahrscheinlich doch im Ausschuss diskutieren müsste. Wir hatten ursprünglich gedacht, man könnte diesen Antrag gleich abstimmen, aber ich werde Ihnen am Ende meiner Rede das Angebot unterbreiten, in verschiedenen Ausschüssen darüber zu sprechen, denn sonst kommen Sie unter Umständen noch auf die Idee, wir würden an diesen Antrag das Thema „Fußball“ als Staatsziel im Grundgesetz anheften. Das ist nämlich im Deutschen Bundestag auch einmal angedeutet worden, genau in der Debatte im März, als es um das Thema ging, und dann kämen Sie zu weiteren Unterstellungen, das will ich ganz einfach nicht.

Vielleicht kommen wir zum sachlichen Teil des Ganzen zurück: Mein Kollege Blechschmidt ist bereits darauf eingegangen. Ihnen liegt eigentlich ein ganz schlichter Antrag vor. Kollege Döring hat ihn noch einmal sehr schön aus der Sicht der SPD-Fraktion begründet. Darüber freue ich mich. Wir möchten die Initiativen befördern, Kultur als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern, und zwar auch konkret an einer Stelle, an der Stelle des Artikel 20 als 20 b. Dann

stünde er im Einklang mit der Staatszielbestimmung der natürlichen Lebensgrundlagen dieser Gesellschaft. Wir würden anfügen wollen, dass die ideellen Lebensgrundlagen dieser Gesellschaft gemeinsam in einem Artikel 20 als Staatsziele verhaftet sind. So weit, so gut und eigentlich so wenig ideologisch belegt. Aber offensichtlich muss man auch an einem solchen Thema versuchen, die Fronten aufzumachen, um ja nicht in die Verlegenheit zu kommen, einem Antrag zuzustimmen, wie er durch die Regierungsmehrheit in Mecklenburg-Vorpommern durchaus zustimmend behandelt worden ist, nämlich dieses Thema über die Landesregierung mit auf den Weg zu bringen und gegebenenfalls im Bundesrat entsprechende Initiativen zu ergreifen. Ich finde das übrigens sehr traurig, dass das auf diese Art und Weise erfolgt.

Deswegen vielleicht doch noch einmal zur Begründung des Antrags fünf Thesen, die ich ganz kurz erläutern möchte.

These 1: Kultur ist die gemeinsame ideelle Lebensgrundlage unserer Gesellschaft. Herr Carius, es geht ausdrücklich nicht um die „Leitkultur“, es geht nicht um die „Leidkultur“ und es geht auch nicht um die „Lightkultur“. Es geht darum, dass wir unterschiedliche Schattierungen einer solchen Diskussion über die Kultur in sehr vielen Gesellschaftsbereichen wiederfinden. Zeitnah möchte ich auch an die Debatte mit Peter Hahne zum Thema „Schluss mit lustig“ auf der Wartburg verweisen. Aber ich möchte auch auf Debatten im Umgang mit unserer Identität vor gesellschaftspolitischem Hintergrund verweisen oder eben auch auf all die Anregungen, die daraus resultieren, dass man unsere Demokratie nur lebensfähig gestalten kann, wenn man dazu die entsprechenden kulturellen Grundlagen pflegt. Wieder auf Herrn Carius reflektierend, „Kultur im weiteren Sinn“, natürlich, „im weiteren Sinn“ beschränkt sich nicht nur auf die Künste, auf unser archäologisches und bauliches Erbe, auf die Sprache oder unser Wissen. Kultur ist tatsächlich, wenn Sie den Begriff anfragen, sehr viel umfassender und bestimmt in der Folge und ganz wesentlich den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Wenn also Verfassungsrechtler in mündlicher und schriftlicher Anhörung nach langer und breiter Diskussion die Mitglieder der Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ von der Notwendigkeit und Ergänzung des Grundgesetzes überzeugen konnten, und zwar so, dass diese dann ein einstimmiges Votum fällten, dann kann ich mir durchaus vorstellen, dass die Mitglieder der CDU-Fraktion im Thüringer Landtag irgendwann auch zu dieser Erkenntnis kommen könnten.

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Das dauert noch eine Weile.)

Aber - richtig, Herr Döring - vielleicht brauchen wir dazu noch eine Weile und vielleicht muss man sich an verschiedener Stelle rückversichern. In diesem Zwischenbericht der Enquetekommission des Deutschen Bundestags vom Juni war dann auch nachzulesen: „Das Staatsziel Kultur unterstreicht die Verantwortung des Staates, das kulturelle Erbe zu bewahren, zu schützen und weiterzuentwickeln. Es ist damit dem Sozialstaatsprinzip und dem Staatsziel der natürlichen Lebensgrundlagen gleichgestellt. Eine kulturelle Staatszielbestimmung verdeutlicht, dass Kultur etwa aus haushaltsrechtlicher Sicht nicht zu den nachrangigen Politikzielen gehört.“ Nun wurde darauf hingewiesen, dass offensichtlich kein Thüringer Kulturamtsleiter den Haushaltsverantwortlichen in seiner Stadt oder in seinem Kreis überzeugen kann, wenn kein Geld in der Kasse ist. Aber wir wissen doch alle selbst, dass Kultur zu den freiwilligen Aufgaben gehört und dass in der Frage der Entscheidung für freiwillige oder für Pflichtaufgaben einem kommunalen Abgeordneten oft gar nicht die Entscheidungsfähigkeit zugeordnet wird, zu sagen, was er denn am liebsten in seiner Gemeinde, in seinem Landkreis durchsetzen möchte.

Nun wird mit einer Staatszielbestimmung das keinesfalls in die richtigen Bahnen gelenkt. Aber die Staatszielbestimmung ist dazu da, diesen Kulturauftrag nachdrücklich zu unterstützen und die Stärkung der Kultur im gesellschaftlichen Diskurs auch zum Ausdruck zu bringen. Nachzulesen übrigens auch in einer Stellungnahme der Sächsischen Staatsregierung zu einer ähnlichen Debatte im Sächsischen Landtag. Ich kann Ihnen das gern zur Verfügung stellen, falls Sie an die notwendigen Unterlagen nicht herankommen.

Zweite These: Die Bundesrepublik Deutschland ist von ihrer geschichtlichen Tradition her und durch die Bundesländer als Kulturstaat konstituiert worden. Wir haben also die Verankerungen sowohl im Grundgesetz in Artikel 5 als auch in den meisten Ländern mit der Ausnahme von zwei Ländern, die aus unterschiedlichen Gründen andere Formulierungen brachten. Thüringen hat interessanterweise sogar die Aufnahme der Brauchtumspflege mit in die Verfassung übernommen. Das ist einzigartig in Deutschland. Aber man könnte natürlich auch durch andere Einzigartigkeiten glänzen, wenn man sich in einem föderal organisierten Gemeinwesen bewegt, aus welchem beansprucht wird, richtigerweise beansprucht wird, man sei ein Kulturland.

Wenn wir also die Akzentuierungen, die aus den Ländern kommen, noch einmal deutlich betrachten, stünde es Thüringen sehr wohl zu Gesicht, an

dieser Stelle sogar Vorreiter zu sein und aus Thüringen das Signal zu senden, dass man sich dafür einsetzen möchte, Kultur als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern. Im Übrigen dazu vielleicht eine ganz kurze historische Replik; es wird seit 25 Jahren darüber diskutiert. Zwischen 1981 und 1983 ist diese Frage eingehend untersucht worden und im Einigungsvertrag - das geht uns ja alle direkt an - vom 31. August 1990 wurden Garantien und Verpflichtungen zur Erfüllung der kulturellen Aufgaben - übrigens einschließlich der Finanzierung - benannt. Es gab ja bis 1994 auch eine durchaus beachtliche Finanzierung der Kultur in Thüringen durch den Bund. Mit diesem Einigungsvertrag wurden auch Empfehlungen ausgesprochen - und jetzt zitiere ich -, „sich mit den in Zusammenhang mit der deutschen Einigung aufgeworfenen Fragen zur Ergänzung des Grundgesetzes zu befassen.“ Die Fundstelle für dieses Zitat: Bundestagsdrucksache 15/5560, Seite 3. Die Folge war übrigens dann die inzwischen mehrfach benannte Aufnahme des Artikel 20 a ins Grundgesetz. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen wurde als 20 a ins Grundgesetz eingefügt und man hat sich nicht einigen können über die Aufnahme des Staatsziels Kultur. Diese Debatte wurde dann fortgesetzt und explizit in der Enquetekommission des Deutschen Bundestags wieder aufgenommen, welche dann einen Zwischenbericht abgab. Nun hat die FDP im Deutschen Bundestag - übrigens ist die FDP dafür kritisiert worden, dass sie voranpreschte und nicht die anderen Fraktionen mitnahm - einen entsprechenden Antrag eingebracht. Der liegt „vor den Türen“ der Ausschüsse, aus dem ganz einfachen Grunde, weil in den Ausschüssen derzeit die Föderalismusreform behandelt wird und die Zeit für die Behandlung dieses Antrags bis jetzt noch nicht gegeben ist.

Warum nun, ich habe es angedeutet, sollte aus Thüringen ein solches Zeichen kommen? Meine dritte These: Thüringen ist nach meiner Auffassung geradezu prädestiniert, für den neuen Artikel 20 b des Grundgesetzes zu werben. Im Kulturkonzept des Freistaats Thüringen steht, ich zitiere wieder: „In kaum einer anderen Region der Bundesrepublik Deutschland wird der Status Kulturland so selbstverständlich beansprucht wie in Thüringen. Kultur hat seit langem zu den identitätsbildenden und identitätsbestimmenden Faktoren der Thüringer gehört.“ Wir haben, wie wir wissen, in Thüringen eine reiche, vielfältige, historisch gewachsene Kulturlandschaft, aus der natürlich ein Selbstverständnis, ein kulturelles Selbstverständnis erwächst. Und unterschiedliche Zeiten haben über Jahrtausende hinweg dieser Landschaft ihre jeweiligen Prägungen gegeben. Ich möchte auch behaupten und habe es des Öfteren schon gesagt, dass dahin gehend bei weitem nicht alle Reserven ausgeschöpft sind, die in Thüringen lagern. Man könnte durchaus mit einer deutlicheren Bestimmung

des Wertes der Kultur im Freistaat Thüringen und der Verbindung der Kultur mit anderen Politikbereichen viel mehr punkten und könnte sich übrigens auch in der Außendarstellung weitaus offensiver nicht nur vermarkten, sondern auch verdeutlichen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Unsere Verantwortung für diesen Bereich liegt natürlich nicht nur in dem, was wir aus der Vergangenheit bekommen haben, um es zu bewahren, sondern liegt auch darin, dass wir eine Verantwortung dafür haben, was künftig unsere Kultur ausmachen wird - und, um wieder auf den Kollegen Döring abzuheben: Was werden wir, diese jetzt lebende Generation, künftigen Generationen hinterlassen und welche Möglichkeiten erschließen wir und welche Bilder werden wir auch in die Zukunft transportieren? Gerade deshalb stünde es nach unserer Auffassung dem Freistaat Thüringen außerordentlich gut an, für eine solche Staatszielbestimmung zu werben.

Wem das alles nicht reicht, der sollte sich vielleicht einmal die Frage stellen, ob sich die Heilige Elisabeth oder Luther oder Bach, Herder, Wieland, die Schlegels oder Goethe davon abhalten ließen, in ihrem kulturellen Wirken tätig zu sein, wenn sie sich ständig vor Augen gehalten hätten, dass man in einem kulturföderalen Staat sich immer in den Grenzen der eigenen Administration bewegen muss.

Vierte These: Finanzielle Verantwortung für den kulturellen Bereich haben sowohl Bund als auch die Länder. Wenn man sich dazu einmal die Zahlen vor Augen hält, dann kann man eigentlich nur weinen. Von 2001 bis 2004 sanken die Ausgaben des Bundes für Kultur von 8,4 Mrd. € auf 7,8 Mrd. €. Das heißt, die Gesamtausgaben des Bundes, die sind etwa in der Höhe des Thüringer Landeshaushalts - die Gesamtausgaben des Bundes! Die prozentuale Zahl ist eigentlich noch vielsagender. Das sind im Jahr 2001 0,41 Prozent des Bundeshaushalts gewesen und im Jahr 2004 0,36 Prozent des Bundeshaushalts. Also, ein Drittel Prozent des Gesamthaushalts gibt die Kulturnation Deutschland für Kultur aus. Das ist natürlich nicht gerade ruhmerheischend.

In Thüringen, könnte man sagen, ist das ja besser. In Thüringen gaben wir früher 1,48 Prozent, das war im Jahr 1995, und im Jahr 2005 1,3 Prozent aus. Das ist zwar auch keine bedeutende Zahl und jeder, der die Zahlen hinterfragt, weiß, dass dahinter sinkende Kulturausgaben stehen, und das wiederum in einem Land, welches sich im Kulturkonzept des Freistaats Thüringen ausdrücklich als Kulturland bekennt. Also hier liegen Widersprüche bereits in der Herangehensweise an das Thema. Ich glaube, die könnte man alle in einer offensiven Debatte auch um eine solche Frage der Verankerung des Kultur

staatsziels ausmachen.

Meine Kollegin Dr. Jochimsen hat das in der Debatte des Deutschen Bundestags am 10. März übrigens mit folgenden Worten bekräftigt: „Ja, es geht um die Stärkung des Gewichts der Kultur in Konkurrenz mit anderen mächtigen Interessen, wenn wir dafür eintreten, dass das Staatsziel Kultur in unserem Grundgesetz verankert wird.“

Als Letztes möchte ich in aller Kürze darauf verweisen, dass auch international die Zeit dafür reif ist, eine solche Verankerung im Grundgesetz vorzunehmen. Für die Aufnahme eines Staatsziels Kultur ins Grundgesetz sprechen sowohl internationale und völkerrechtliche Verpflichtungen, die die Bundesrepublik eingegangen ist, als auch ein Nachholbedarf bei der Ratifizierung und Anerkennung verschiedener Vorhaben. Ich erinnere nur daran, die Fachleute werden es wissen, dass insbesondere der Artikel 151 des Vertrags der Europäischen Gemeinschaft vorsieht, dass die Kultur in ihrer Wirkungsweise in den Ländern gestärkt werden soll.

Vor den Türen des Ausschusses des Deutschen Bundestags liegt übrigens auch das UNESCO-Abkommen zur kulturellen Vielfalt, welches ein recht neues Dokument ist und übrigens, Herr Carius wird es wieder beklagen, von der Linksfraktion in den Deutschen Bundestag eingebracht worden ist, weil meine Kollegin Jochimsen in der Lage war, dieses Dokument in der englischen Fassung zu lesen. Man brauchte bis zum 30. Mai, um eine deutsche Fassung zur Verfügung zu stellen. Das sind dann so die kleinen Wehwehchen, die man neben den anderen Problemen hat. Aber genau diese Dokumente im internationalen Raum verpflichten auch Deutschland, sich zu seiner Kultur zu bekennen, und das vor einem Hintergrund, der uns letztendlich auch internationale Aufmerksamkeit schenkt. Weil sicher jetzt wieder der Einwand kommt, warum denn nun gerade aus Thüringen, das könne doch der Bund machen, verweise ich wieder rückwirkend auf das, was ich zu unserer Verantwortung aus und in Thüringen gesagt habe, und betone ausdrücklich, dass es gut wäre, wenn Thüringen eine solche Initiative ergreifen würde und man sich nicht blockieren würde, weil der Antrag von der ungeliebten Oppositionsfraktion der Linkspartei.PDS kommt. Ich werbe um die Zustimmung zum Antrag, akzeptiere aber, dass Sie Gesprächsbedarf haben, und würde folgenden Antrag stellen: Bitte überweisen Sie mit uns den Antrag in der Drucksache 4/1965 an den Bildungsausschuss, den Ausschuss für Wissenschaft, Kunst und Medien und an den Ausschuss für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten. Dort können Sie das alles noch einmal nachprüfen. Die Zeit hätten wir noch, das sorgsam zu behandeln. Dann könnten wir ein einhelliges Votum abgeben und unsere Landesregierung mit sel

bigem ausrüsten. Da würde keinem eine Perle aus der Krone fallen. Ich danke für die Aufmerksamkeit.

Weitere Wortmeldungen von Abgeordneten liegen mir nicht vor. Für die Landesregierung hat das Wort Minister Prof. Dr. Goebel.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, das Anliegen, Kultur als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern, ist durchaus respektabel und bedarf daher einer angemessenen Auseinandersetzung, auch wenn der Thüringer Landtag hierfür möglicherweise nicht der geeignete Ort ist. Jedenfalls konnte ich dem Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS keinerlei landespolitischen Bezug entnehmen. Aber gleichwohl, Kultur ist eine wesentliche Lebensgrundlage einer demokratischen, freiheitlichen Grundordnung. Sie ist - ich zitiere - „eine Grundlage zur Selbstverwirklichung, Selbstentfaltung und Identität des Einzelnen. Kunst und Kultur sind zudem Bindeglied der Bürger untereinander im Staat, der übergreifenden menschlichen, gesellschaftlichen und staatlichen Beziehung. Sie wirken auf diese Weise auch über die Staaten hinaus.“ Der Bundestag hat diese Feststellung zur Wiedervereinigung im Oktober 1990 getroffen. Ich denke, kein Verfassungsgrundsatz kann besser ausdrücken, was Selbstverständnis einer Kulturnation wie der Bundesrepublik Deutschland mit ihren Teilstaaten, den Bundesländern, ist.

Kultur ist für die nationale Identität von allergrößter Bedeutung. Gerade in den Jahren der Trennung zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland war es immens wichtig, dass es eine gemeinsame gewachsene Kultur gab. Dieser Grundsatz fand auch in Artikel 35 des Einigungsvertrags zur Einheit Deutschlands Niederschlag, in dem es heißt: „In den Jahren der Teilung waren Kunst und Kultur trotz unterschiedlicher Entwicklung der beiden Staaten in Deutschland eine Grundlage der fortbestehenden Einheit der deutschen Nation. Sie leisten im Prozess der staatlichen Einheit der Deutschen auf dem Weg zur europäischen Einigung einen eigenständigen und unverzichtbaren Beitrag. Stellung und Ansehen eines vereinten Deutschlands in der Welt hängen außer von seinem politischen Gewicht und seiner wirtschaftlichen Leistungskraft ebenso von seiner Bedeutung als Kulturstaat ab.“ Meine Damen und Herren, dies ist der Artikel 35 des Einigungsvertrags; der Einigungsvertrag hat Verfassungsrang.

Dies vorausgeschickt möchte ich näher auf die Forderung nach der Einführung eines Kulturstaats

ziels eingehen. Die Befürworter eines solchen Kulturstaatsziels begründen dies damit, dass das Staatsziel Kultur vor allem bei Ermessensentscheidungen zugunsten der Kultur eine wichtige Argumentationshilfe sein könne. Allein aus dieser Begründung ergibt sich schon, dass es sich bei der Einführung eines Artikel 20 b im Grundgesetz „Der Staat schützt und fördert die Kultur“ um eine Staatszielbestimmung handelt - das ist hier mehrfach geäußert worden -, das heißt mit deklaratorischem Charakter und appellativer Wirkung. Ein Staatsziel Kultur hat keine unmittelbaren Wirkungen für die Bürgerinnen und Bürger unserer Republik. Sie führt nicht zu einem einklagbaren Leistungsrecht und würde nur das unterstreichen, was bereits verfassungsrechtlich verankert und praktizierte Wirklichkeit ist. Sie würde keinen Mangel in der Verfassung beheben und keine Verbesserungen für die Kultur bewirken. Verfassungsnormen, meine Damen und Herren, dienen der Erfüllung kultureller Staatsaufgaben. Das ist zunächst der Artikel 5 Abs. 3 des Grundgesetzes, der nicht nur die Gewährleistungsgarantie für die Freiheit für Kunst- und Kulturschaffende und kulturelle Einrichtungen sichert, sondern aus dem auch die Verpflichtung des Staates erwächst, die Rahmenbedingungen für ein freiheitliches Kunstleben zu erhalten und zu fördern. Auch weitere grundlegende Normen des Grundgesetzes enthalten kulturstaatliche Elemente, die alle auch einem Staatsziel Kultur dienen. Das fängt an bei Artikel 1, der Menschenwürde, reicht bis zum elterlichen Erziehungsrecht, über Berufsfreiheit, über Religions- und Meinungsfreiheit, der Schulartikel ist hier erwähnt worden, und anderes mehr.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt ist, dass ein solches Staatsziel als Adressat nicht nur die Bundesrepublik Deutschland hat, sondern auch die Länder. Nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes Artikel 30 ist Kultur vor allem eine Angelegenheit der Länder. Sie ist sozusagen Herzstück unseres föderalen Systems.

(Zwischenruf Abg. Döring, SPD: Bildung genauso.)