Protokoll der Sitzung vom 08.06.2006

(Unruhe im Hause)

Meine Frage wäre wirklich in dem Zusammenhang: Wäre es nicht vorstellbar, auch einmal über protokollarische Regelungen nachzudenken, wenn denn eine explizite Gefährdungssituation nicht gegeben ist?

Also, Herr Abgeordneter Kummer, ich erlaube mir diesbezüglich keine Einschätzung, in welchem Umfang ein Staatspräsident aus welchem Staat gefährdet ist, sondern das ist Sache der Einschätzung der Polizei und natürlich der Bundesregierung. Hier sind nun einmal Vorgaben, die in allen Bundesländern gelten und damit auch, hoffe ich, akzeptiert sind in Thüringen. Das wird bei jedem Staatspräsidenten so erfolgen und wird auch in Zukunft so erfolgen. Es sei denn, es gelingt Ihrer Fraktion im Bundestag - sie ist ja nicht mehr so ganz schwach - hier eine Änderung bei der Bundesregierung herbeizuführen. Wir halten uns daran, solange das besteht.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 22 und rufe den Tagesordnungspunkt 23 - erster Teil - auf

Aktuelle Stunde

a) auf Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS zum Thema: „Schlussfolgerungen aus der Kommunalwahl am 7. Mai 2006 für die Fortentwicklung des Thüringer Kommunalwahlrechts“ Unterrichtung durch die Präsi- dentin des Landtags - Drucksache 4/1964 -

Die Zeit für die einzelnen Themen beträgt je 30 Minuten, die Redezeit für einen Beitrag eines Abgeordneten maximal 5 Minuten laut § 93 unserer Geschäftsordnung. Ich mache darauf aufmerksam, dass

Zwischenfragen entsprechend § 30 Abs. 1 der Geschäftsordnung nicht zulässig sind. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Abgeordneten Enders, Die Linkspartei.PDS.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, jede der hier im Landtag vertretenen Parteien hat sich in den zurückliegenden Tagen mit den Ergebnissen der Wahlen am 7. bzw. am 21. Mai befasst und unterschiedlich bewertet. Am 1. Juli werden die neuen oder die wiedergewählten Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte ihre verantwortungsvolle Arbeit aufnehmen.

(Beifall bei der SPD)

Keiner wird ein leichtes Amt übernehmen und das - Herr Gentzel, das stimmt - verdient unseren Respekt.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Jeder ist mit der erforderlichen Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen gewählt. Aber jede und jeder der Gewählten weiß auch, dass die absolute Mehrheit der Thüringer Wählerinnen und Wähler am Wahltag den Weg ins Wahllokal nicht gefunden hat. Die Wahlbeteiligung war die niedrigste in der Geschichte des Freistaats und dazu kommen viele ungültige Stimmen, die in dieser Höhe auch nicht zu erwarten waren. Das kann keinen, der an der demokratischen Verfasstheit wirklich interessiert ist, zufriedenstellen. Wo liegen die Ursachen? Eine schnelle oder gar allgemein gültige Antwort darauf wird keiner geben können.

Ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, meine Damen und Herren, das ist die Angleichung der Wahlperioden und die Zusammenlegung von Wahlterminen. Das hat die PDS schon mehrfach gefordert und umso erfreulicher ist es, dass dies jetzt die Regierungsverantwortlichen auch so sehen. Aber jetzt müssen auch Taten folgen. Legen Sie einen Gesetzentwurf vor oder wir werden es tun! Aber es ist auch ein gefährlicher Irrglaube, wenn daraus ohne weitergehende Überlegungen geschlussfolgert wird, dadurch würde die Wahlbeteiligung besser. Seien wir ehrlich, das wissen wir alle hier in diesem Raum. Unsere Bürger fühlen sich derzeit als Prellbock für Sparpolitik aller Ebenen. Sie fühlen sich ausgeliefert, ohnmächtig und sie reagieren darauf, entweder mit absolutem politischem Desinteresse oder mit der bewussten Entscheidung zur Nichtwahl. Um die Bürgerinnen und Bürger wieder an die Wahlurne zu bekommen, müssen sie gehört und geachtet werden, müssen wir Vertrauen auf Bürger übertragen und ihnen das Recht auf regionale Entscheidung geben, und das dauerhaft und nicht nur einmal für viele Jahre

an einem einzigen Wahltag. Ich bin mir sicher, diese Verantwortung werden unsere Bürger annehmen.

Lassen Sie mich noch ein weiteres Kriterium benennen. Auch die immer weiter eingeengten Gestaltungsspielräume auf kommunaler Ebene spielen eine große Rolle. Und wir hier im Thüringer Landtag, meine Damen und Herren, leisten dazu regelmäßig unseren Beitrag. Lassen Sie mich das auch an zwei Beispielen festmachen: Warum, meine sehr verehrten Damen und Herren von Regierung und CDU, haben Sie die Kraft darauf verwendet, alle Thüringer Städte und Gemeinden per Gesetz zu verpflichten, Straßenausbaubeitragssatzungen zu beschließen, auch die, die das gar nicht wollen oder brauchen, die auch keine Anträge auf Bedarfszuweisungen stellen werden? Sie werden mir hierzu sicherlich wieder einiges erklären wollen, aber ich sage Ihnen, die kommunale Selbstverwaltung und die Gestaltungsspielräume der Kommunen haben Sie dabei nicht bestärkt.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Mehr noch, Sie haben für Politikverdrossenheit gesorgt bei den Bürgerinnen und Bürgern. Bürgermeister und Landräte wollen gestalten, sie wollen nicht verwalten oder verwaltet werden.

Lassen Sie mich auch noch ein zweites Beispiel bringen, das Volksbegehren für eine bessere Familienpolitik.

(Zwischenruf Abg. Panse, CDU: Das wa- ren wir nicht.)

Ich will gar nichts heute hier über die Inhalte sagen. Aber warum wird mancherorts nahezu penetrant darauf geachtet, dass die dafür notwendigen Unterschriftensammlungen ja nicht in öffentlichen Gebäuden stattfinden? Wir sollten froh sein, dass Thüringerinnen und Thüringer, gerade junge Menschen, den Mut gefasst haben, sich für ihre Interessen und die ihrer Kinder einzusetzen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Lassen Sie mich noch eines sagen: In Bayern geht man mit Volksbegehren weit entspannter um. Dort, meine Damen und Herren, ist die Wahlbeteiligung auch höher. Die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen, und das ist mein Fazit, kann durch organisatorische Regelungen sicher verbessert werden, aber das reicht nicht aus. Deshalb muss erstens die Regelungswut der Gesetzgeber wieder kritisch hinterfragt und Bürokratie abgebaut werden. Zweitens, es müssen mehr Elemente direkter Demokratie zur erlebten Praxis in unseren Städten und Gemeinden werden. Wir sollten endlich aufhören, dem Bürger erklären zu wollen, was alles nicht geht. Wir sollten mit ihm ge

meinsam überlegen und entscheiden, wie etwas geht. Es gilt der Politikverdrossenheit den Kampf anzusagen. Man braucht kein Prophet zu sein, wenn wir hier nichts verändern, werden wir bei der nächsten Wahl erneut eine Ohrfeige bekommen. Danke.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Das Wort hat die Abgeordnete Taubert, SPD-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordneten, zunächst ist es immer gut, nach Wahlen zu schauen, was kann man auch verbessern mit dem Wahlrecht. Da muss ich sagen, ich habe die Aktuelle Stunde etwas ernster genommen und habe mich auf das Wahlrecht konzentriert.

(Zwischenruf Abg. von der Krone, CDU: Ja, genau.)

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Was nicht gut gelaufen ist, ist schon angesprochen worden, die Wahlbeteiligung ging weiter zurück. Keinen kann das befriedigen. Wer am Wahlstand stand, der weiß, dass die Gründe sehr unterschiedlich sind. Manche sagen bewusst: „Ich gehe nicht wählen, weil ich in dem System nicht wählen gehen will und auch nicht muss.“ Viele sagen auch, da ändert sich so und so nichts. Eine ganze Reihe von Personen haben aber auch kundgetan, dass sie, weil es eben läuft, wie es läuft, auch nicht glauben, dass sie sich da unbedingt einmischen müssen. Nach der Wahl hat man ja auch Gespräche geführt, warst du denn wählen oder auch nicht, da gab es auch ganz unterschiedliche Reaktionen. Sie kennen das, der Sportler sagt, ach, hatte keine Zeit, musste zum Sport gehen. Andere hatten etwas anderes Wichtiges zu tun. Und wieder andere haben uns gesagt, dass sie es bedauern, dass es die fliegende Wahlurne nicht mehr gibt, weil doch da einigen Personen das Wahlrecht entzogen wird. Das ist mir tatsächlich passiert, sie wollen sich um ihre Angehörigen im Pflegeheim nicht kümmern und sagen, fliegende Wahlurne ist besser.

Was können wir auch gemeinsam den Argumenten entgegensetzen? Das Wahlsystem selbst ist ja relativ einfach. Wir hatten maximal zehn Personen auf einem Wahlzettel gehabt. In vielen Gemeinden wurden nur die Landräte gewählt oder bei den Oberbürgermeistern, da gab es also nur einen Wahlzettel. Es kann also nicht an intellektueller Überforderung vom Bürger liegen. Und da habe ich eine andere Erfahrung mit den ungültigen Stimmen. Ich fand,

es sind relativ wenig gewesen, die eben zeigen, dass die Leute schon gewusst haben, wer wählen gegangen ist, was er da tun will.

Es liegt offensichtlich daran, dass wir alle, die Parteien und auch die Wählergemeinschaften, es nicht geschafft haben, mehr als die Hälfte der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger zu überzeugen, dass Wählengehen ein außerordentlich hohes demokratisches Gut ist, das wir 1990 auch bewusst gewählt haben. Nicht jeder ist nur wegen der Reisefreiheit auf die Straße gegangen, der auf die Straße gegangen ist, sondern auch die letzten Wahlen, die stattgefunden haben, haben ein Stück weit mit dazu geführt, dass wir selber entscheiden, was man wählt und wie man das tut. Deswegen kommt auch eine Wahlpflicht für uns nicht in Betracht.

Frau Enders hat angesprochen, es sind Überlegungen gewesen, kann man nicht Wahlen zusammenlegen, Kommunalwahlen, also Gemeinderatswahl mit der Bürgermeisterwahl zusammen - da gibt es ein Für und Wider. Das Für ist eindeutig in Bezug auf die Wahlhelfer zu sehen, die wir auch zunehmend schwer finden. Wir müssen viele aus den Ämtern verpflichten, die dann den ganzen Tag bei einer geringen Wahlbeteiligung sitzen. Da ist das Engagement relativ zurückgegangen. Da könnte man sicher sparen. Der zweite Aspekt wäre, wenn ich jetzt einen Stadtrat oder Gemeinderat habe oder auch den Kreistag, da sind natürlich viele Leute unterwegs, die auch ihre Nachbarschaft animieren zu wählen, und damit ließe sich eine Wahlbeteiligung steigern. Ich will an dieser Stelle den ehrenamtlichen Wahlhelferinnen und Wahlhelfern von unserer Seite, der SPD-Landtagsfraktion, ganz herzlich danken. Ich weiß, wie gesagt, wie das ist, weil wir selber hier und da auch schon gesessen haben.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS, SPD)

Was die Mobilisierung angeht, ist der Effekt aber dennoch begrenzt, weil die, die selbst auffordern, wählen zu gehen, weil sie sich in den Gemeinderat wählen lassen wollen, die sind ja im Wesentlichen Parteimitglieder oder Wählergemeinschaftsmitglieder und die sind natürlich auch zu so einer Bürgermeisterwahl unterwegs gewesen, um ihre Angehörigen, Freunde und Bekannten zu animieren.

Außerdem hatte auch der Bürgermeister- und Landrätewahlkampf gezeigt, dass die Wahlbeteiligung sehr unterschiedlich ist. Ganz unterschiedliche Gründe, warum an der einen Stelle so, an der anderen Stelle anders gewählt wurde, meistens war es ein Grund, der aus der Gemeinde selbst heraus gekommen ist. Auch bei den Wählern sieht man, dass in manchen Gemeinden immer sehr stark zur Wahl gegangen wird und manche Gemeinden eben eine

sehr geringe Wahlbeteiligung haben. Es muss also sowohl personenbezogene als auch ortsbezogene Gründe geben, warum Bürger in einem höheren oder geringeren Maß zur Wahl gehen.

Damit schrumpft der Vorteil einer Zusammenlegung der Wahl darauf, dass Kommunen Geld sparen könnten.

Abgeordnete Taubert, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Ja. Es gibt Experten, die zu diesem Vorschlag sagen, eine Reduzierung der Amtszeit ist auch nicht günstig. Also kommt auch so etwas nicht in Betracht. Was wir sagen wollen, ist, wir müssen Wahlen zusammenlegen, das ist gar keine Frage, aber wir sollten nicht die Gemeinderatswahlen mit den Bürgermeisterwahlen zusammenlegen. Wir sollten die Wahlen, die stattfinden, auch 2009 bündeln. Sie sollten nicht willkürlich zusammengelegt werden - das hat man in der Vergangenheit auch schon gehabt, dass man da etwas nicht zusammengelegt hat, um Vorteile zu erzielen. Ich lade Sie ganz herzlich ein - da will ich mich Frau Enders anschließen -, direkte Demokratie hilft unseren Bürgerinnen und Bürgern zu erkennen, dass sie mittun können: Kommen Sie, meine Damen und Herren, alle zusammen am 20. Juni zur Anhörung zu „Mehr Demokratie auf kommunaler Ebene“.

Frau Abgeordnete, kommen Sie zum Ende.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Abgeordneter Fiedler, CDU-Fraktion.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, es sind von dieser Stelle aus von meinen zwei Vorrednerinnen schon einige Dinge benannt worden. Die Abschweifung von Frau Kollegin Enders und am Ende von Frau Kollegin Taubert will ich nicht weiter kommentieren. Man versucht es immer wieder von dem Pult, ich bin auch nicht frei davon, dass man gern mal abschweift und versucht, das andere gleich mit reinzupacken. Frau

Enders, Sie sehen zwar heute gut aus, aber lassen Sie mich im Moment noch ein bisschen reden.

(Heiterkeit im Hause)

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Ich denke, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir alle - und das haben die beiden Vorredner klar und deutlich gesagt, ich unterstreiche es - sind nicht zufrieden damit, dass diese niedrige Wahlbeteiligung hier im Lande da ist. Ich meine, wenn man sich die Zahlen anschaut, wenn ich gerade mal an die Landräte- oder OB-Wahlen denke, wir hatten 2000 noch 45,2 Prozent - das war auch schon nicht viel, nur damit man nicht gleich in Panik verfällt -, 45,2 Prozent und jetzt haben wir 42,4 Prozent. Ich will damit nicht sagen, dass man damit zufrieden sein soll. Aber man muss auch mal die Kirche im Dorf lassen und muss einfach sehen, was denn da auf kommunaler Ebene passiert, und gerade dort auf kommunaler Ebene, wo wirklich die Menschen in der Regel ihren Bürgermeister zumindest kennen oder Oberbürgermeister kennen sollten oder Landrätin oder Landräte. Manchmal sind es nur 57 Stimmen, aber immerhin, es ist halt so in der Demokratie, dass man hier entsprechend …

(Zwischenruf Abg. Skibbe, Die Linkspar- tei.PDS: 55 waren es nur.)