Protokoll der Sitzung vom 23.11.2012

(Unruhe CDU, FDP)

Es freut mich ja, dass sich jetzt wenigstens die Ränge zum Thema so langsam wieder füllen und es doch noch Interesse daran gibt, über Familienund Sozialpolitik zu sprechen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Abg. Koppe)

Ich will Ihnen sagen, was sich eigentlich gegenübersteht. Es steht auf der einen Seite auf Bundesebene ein Ausgabenposten in Höhe von 3 Mrd. € jährlich unter der Überschrift Familienleistungsausgleich. Dennoch ist es heute immer noch so, dass Kinder für viele Familien ein Armutsrisiko sind und dass es insbesondere in den vergangenen Jahren arbeitsmarkttechnisch dazu gekommen ist, dass der prekäre Einkommensbereich in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Das heißt - und das muss man sich vor Augen führen -, dass etwa die Hälfte aller Vier-Personen-Haushalte ein Nettoeinkommen hat, was gerade mal 20 Prozent über dem regulären ALG-II-Satz liegt. Das muss man wissen, um einschätzen zu können, wie Familienpolitik heute zu funktionieren hat und funktionieren soll. Wenn man sieht, dass Kinder und das Gründen von Familien für viele ein Armutsrisiko bedeutet, dann kann man auch, wenn man ganz sachlich diese Debatte führen will, eine ganz andere Einordnung führen, nämlich, man muss vor allem die Frage ungerechter Verteilung thematisieren.

Im Augenblick ist es so, dass es auf Bundesebene eine ungerechte Verteilung gibt, indem es insbesondere Freibeträge für hohe Einkommen gibt, indem wir nicht Familie fördern, sondern die Ehe durch das sogenannte Ehegattensplitting usw. usf. Familienpolitik ist also viel zu oft an den Bedürfnissen der Familien vorbei gesteuert und dazu gehört jetzt die wahnsinnige neue Leistung, die beschlossen wurde - 1,2 Mrd. € zusätzlich an Ausgaben -, das Betreuungsgeld auf Bundesebene. Wieder eine Leistung an den Bedürfnissen von Familien vorbei.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen sagen wir als GRÜNE ganz klar Nein zu diesem Betreuungsgeld und Nein zum Landeserziehungsgeld. Das hängt unmittelbar miteinander zusammen. Frau Jung hat deutlich gemacht, warum beides miteinander und die Koppelgeschäfte, die Sie da auf Bundesebene angezettelt haben, nicht gehen. Worum es geht, ist echte Wahlfreiheit. Wahlfreiheit, das haben wir hier diskutiert, hat in Thüringen keine Familie mehr, nur weil Sie das Landeserziehungsgeld auszahlen. Wir haben dazu mehrere Kleine Anfragen gestellt. Zum Teil haben wir uns selbst die Informationen zusammensuchen müssen, sind darauf gekommen, dass Thüringen in den vergangenen Jahren über 300 Mio. € für das Landeserziehungsgeld ausgegeben hat. Allein, es gibt weder eine Evaluation noch einen bestätigten Zusammenhang aus dem Ministerium, dass das in irgendeiner Form soziale Mobilität fördert, Familien unterstützt, Kinder unterstützt, geschweige denn für die Familien eine echte Entlastung ist. Das ist ein Armutszeugnis,

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

genauso übrigens wie diese sogenannte Leistung des Betreuungsgeldes. Das ist aus unserer Sicht

nicht nur eine bildungspolitische, sondern auch eine geschlechterpolitische Katastrophe, dieser Deal, der da gemacht worden ist, zumal den Zuschuss nur der erhält, der sein Kind nicht in einer öffentlich geförderten Kindertagesstätte betreuen lässt. Es ist eine Prämie, die Kinder aus frühkindlichen Bildungseinrichtungen und Mütter vom Arbeitsmarkt fernhält und ja, so klar muss man das formulieren, das ist vor allen Dingen widersinnig, und es ist, das kommt noch dazu, verfassungsrechtlich bedenklich.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das hat im Übrigen sogar Herr Gumprecht vorhin festgestellt. Herr Scherer, war das jetzt ein leichtes Nicken? Oder?

(Zwischenruf Abg. Scherer, CDU: Nein, das war kein Nicken.)

Gut, das hätte mich jetzt auch gewundert. Herr Gumprecht hat gesagt, kann ja sein, dass irgendwann jemand dagegen klagt.

(Heiterkeit CDU)

Ich spreche Sie an, weil ich bei Ihnen davon ausgehe, dass Sie den juristischen Hintergrund mitbringen.

(Zwischenruf Abg. Grob, CDU: Im Gegensatz zu Ihnen.)

Irgendwann könnte also jemand klagen vor dem Hintergrund, dass die Föderalismuskommission 2006 beschlossen hat, dass diese Aufgabe vorderhand nicht in Bundeszuständigkeit gehört, sondern Länderzuständigkeit ist. Und ja, Hamburg und andere überlegen, weil es eine Leistung wider alle Vernunft ist. Es hörte sich für mich hier fast so an, als ob Sie an der Stelle darauf hoffen, dass geklagt wird. Das Betreuungsgeld ist aus meiner Sicht ein Zeichen auch für Politik der Ignoranz gegenüber den Bedürfnissen von Familien. Sie haben eben andere Bedürfnisse - erstens. Zweitens: Es ist wieder eine zusätzliche Verschuldung gegenüber kommenden Generationen. Das Geld fällt nicht vom Himmel und fällt auch niemandem in den Schoß. Drittens ist es die Frage der Verfassungsmäßigkeit, die nach wie vor im Raum steht, die nicht beantwortet ist. Deswegen ist es eine Leistung wider jede Vernunft. Wir sind der festen Überzeugung, wenn es einen Politikwechsel auf Bundesebene 2013 gibt, der August ist der große Entscheidungsmonat, ist das Betreuungsgeld genauso schnell weg wie die schlechteste Bundesregierung aller Zeiten.

(Zwischenruf Abg. Mohring, CDU: Unerhört!)

(Unruhe FDP)

Zum Landeserziehungsgeld: Mit dem Inkrafttreten des Betreuungsgeldes ergeben sich auch neue Handlungsmöglichkeiten in Thüringen. Denn darum geht es, die Ministerin hat es auch deutlich gemacht, es geht darum, Doppelförderung auszu

schließen. Genau das sagt der Gesetzentwurf. Die logische Schlussfolgerung, wenn dieses unsinnige Gesetz in Kraft tritt, ist, dass Doppelförderung vermieden wird und damit das Landeserziehungsgeld abgeschafft wird. Frau Taubert hat sich dazu sehr klar positioniert, ebenso andere, die schon genannt wurden. Von daher kann ich mir das eigentlich nur so erklären, dass es inzwischen in diesem Hause eine Koalition der Vernunft geben müsse. Ich schließe die 30 CDU-Abgeordneten aus. Die Koalition der Vernunft wäre sofort in der Lage, das Landeserziehungsgeld abzuschaffen, weil es eine überflüssige Leistung ist.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich appelliere an alle, diese Koalition der Vernunft an dieser Stelle auch zu knüpfen.

Wenn wir nur 50 Prozent der frei werdenden Mittel aus dem Landeserziehungsgeld in wirklich sinnvolle familienpolitische Leistungen stecken könnten, wäre viel gewonnen. Wir könnten Institutionen der frühkindlichen Bildung stärken, wir könnten es Müttern und Vätern erleichtern, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Wir könnten Kommunen unterstützen, Familienzentren. Wir könnten Eltern-Kind-Zentren ausbauen, Familienbegleiter und -begleiterinnen einstellen, frühe Hilfen ausbauen, Familienhebammen unterstützen, stärken, weiter ausbilden und, und, und. Es gibt eine unendliche Liste von Punkten, die Familien wirklich helfen würden. Es würde übrigens auch helfen, Frauen dezidiert darin zu stärken, wieder schneller den Eintritt zurück in den Arbeitsmarkt zu finden. Auch das könnten wir tun und wir könnten viele andere Dinge tun, die die Almosen Erziehungsgeld in vielerlei Form toppen würden, weil sie wirklich Familien unterstützen. Es ist also an der Zeit, dass diejenigen, die die Koalition der Vernunft in diesem Hause bilden, aus meiner Sicht, klare Worte finden. Es ist an der Zeit, sich nicht hinter dem Koalitionsvertrag zu verstecken, sondern tatsächlich das einzig Richtige zu tun, nämlich das Landeserziehungsgeld abzuschaffen.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dann kann man sich die 1,2 Mrd. € auf Bundesebene sehr gut sparen und Folgendes tun: Unser Vorschlag, wie echte Instrumente gegen Kinderarmut aussehen können, liegt vor. Wir wollen ein ABC gegen Kinderarmut, also Angebote, Bildung und Chancengleichheit, und damit einhergehend auf Bundesebene einen echten Systemwechsel. Wir als GRÜNE sagen, das Betreuungsgeld muss weg, das Landeserziehungsgeld muss weg. Lassen Sie uns die Leistungen, die jetzt im Familienleistungsausgleich gebündelt sind, in eine Kindergrundsicherung umwandeln. Uns sind alle Kinder gleich viel wert. Es geht darum, unbürokratisch zu helfen, es geht darum, gerechte Instrumente zu finden, und es geht darum, transparente Hilfen zu leisten. Dazu

haben wir die richtigen Konzepte und dafür können wir nur werben. Vielen Dank.

(Beifall DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Pelke das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, zunächst erst einmal herzlichen Dank an alle, die Gesetzentwürfe zu diesem Thema vorgelegt haben, um einen inhaltlich wichtigen Aspekt zu diskutieren. Es ist schon vieles zu den Inhalten gesagt worden, ich komme noch einmal darauf zurück.

Lassen Sie mich zunächst etwas zum Kollegen Koppe sagen. Herr Kollege Koppe, Sie haben gesagt, die Regierung wisse nicht, was sie wolle, und Sie haben unterschiedliche Positionen aufgelistet. Sie wissen schon, dass eine Regierungskoalition aus mindestens zwei Parteien besteht, wo es durchaus unterschiedliche Aspekte in der Bewertung eines Sachverhaltes gibt. Die FDP ist eigentlich eine Partei, aber dass Sie in einer Partei nicht wissen, was Sie tun und hier das Erziehungsgeld abschaffen wollen und auf Bundesebene das Betreuungsgeld mit einführen, das halte ich für sehr viel komplizierter. Das muss ich Ihnen an dieser Stelle mal ganz deutlich sagen.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Ich habe nicht gewusst, dass Sie als Thüringer FDP eine separate Truppe sind und mit denen da oben nichts zu tun haben, aber das müssen Sie an irgendeiner Stelle noch einmal erklären.

(Beifall SPD)

(Unruhe FDP)

Der zweite Punkt ist, dass Ihr Gesetzentwurf, so wie Sie ihn formuliert haben, dazu hat eigentlich Frau Jung ausreichend alles deutlich gemacht, ein populistischer Schnellschuss ist, an dem Sie deutlich machen wollen, dass Sie das, was Sie auf Bundesebene an Fehlentscheidungen geleistet haben, hier an dieser Stelle wieder gutmachen wollen. Hätten Sie lieber auf Frau Pieper gehört, die nicht mitgestimmt hat, sie ist nicht immer meine Freundin, aber an dem Punkt hatte sie recht.

(Beifall SPD)

Einige Sätze zu Kollegin Siegesmund. Ich will das inhaltlich jetzt gar nicht diskutieren, weil ich nachher noch darauf komme, dass die SPD-Fraktion und ich in meiner Person sowieso zu dem, was Sie inhaltlich ausgeführt haben, natürlich stehe, gar keine Frage. Das haben wir aber auch schon immer deut

(Abg. Siegesmund)

lich gemacht. Aber wissen Sie, Frau Siegesmund, manches finde ich ein bisschen unfair in diesem Haus. Wenn Sie hier gegenüber dem, was auf Bundesebene stattgefunden hat, von einem Kuhhandel reden, dann gebe ich Ihnen recht, aber dann darf man, wenn man im Glashaus sitzt, nicht mit Steinen werfen. Sie haben gestern hier an dieser Stelle versucht, einen Kuhhandel, einen Deal zu machen, indem von Ihrer Fraktion nachgefragt worden ist, wir sind bereit, euren Kandidaten mitzuwählen, wenn ihr dafür noch einmal das Gemeindeneugliederungsgesetz aufmacht. Das finde ich dann nicht in Ordnung. Ich finde es nicht in Ordnung, wenn man Kuhhandel bei dem einen

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

berechtigterweise kritisiert, aber dann darf man nicht selber zu irgendwelchem Kuhhandel bereit sein.

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir stimmen doch nicht zweimal unterschiedlich ab.)

Das ist eine Diskussion, die gehört einfach an dem Punkt nicht hin.

(Unruhe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das hätten Sie sich sparen können. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ihre neuen Spitzenkandidaten Trittin, Frau Göring-Eckardt, Ihre genial wiedergewählte Vorsitzende

(Zwischenruf Abg. Adams, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die sind Spitze.)

haben sehr deutlich gemacht, dass Sie in Regierungsverantwortung wollen.